Bundesgerichtshof:
Urteil vom 10. Dezember 2001
Aktenzeichen: II ZR 30/00
(BGH: Urteil v. 10.12.2001, Az.: II ZR 30/00)
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 14. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 11. Januar 2000 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 28. August 1997 wird unabhängig von der Hilfsaufrechnung der Beklagten zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der F. mbH, Z. (im folgenden: Schuldnerin), die gemäß § 11 Abs. 2 TreuhG aus einem ehemaligen VEB hervorgegangen ist und mit einem Stammkapital von 150.000,00 DM ausgestattet wurde. Ihre Alleingesellschafterin war die Treuhandanstalt, die Namensvorgängerin der Beklagten. Diese veräußerte durch notariellen Vertrag vom 22. April 1993 ihren Geschäftsanteil an die Konsumgenossenschaft Z. e.G. zum Kaufpreis von 4.328.440,00 DM, woraus ein Teilbetrag von 1.023.977,00 DM an die D. R. (DR) zu zahlen war, die damit -wie zwischen ihr und der Beklagten vereinbart -für einen streitigen Restitutionsanspruch auf das wertvollste Grundstück der Schuldnerin vergleichsweise abgefunden werden sollte. Zur Sicherung ihrer Kaufpreisverbindlichkeit nebst Zinsen hatte die Erwerberin eine Bürgschaft der den Kauf finanzierenden Stadtsparkasse C. über 4,4 Mio. DM zu stellen; bis dahin war die Übertragung des Geschäftsanteils aufschiebend bedingt. Da die Stadtsparkasse vorab ihrerseits Grundsicherheiten von der Erwerberin verlangt hatte, bewilligte und beantragte die Schuldnerin in dem Vertrag vom 22. April 1993 die (am 20. Juli 1993 erfolgte) Eintragung einer Grundschuld über 4,4 Mio. DM auf dem o.g. Grundstück zur Sicherung der Ansprüche der Stadtsparkasse gegenüber der Erwerberin aus dem Kaufpreisdarlehen und einem etwaigen Bürgenregreß. Am 28. September 1993 wurde die Sequestration über das Vermögen der Erwerberin angeordnet. Auf Anforderung der Beklagten bezahlte die Stadtsparkasse als Bürgin am 5. Oktober 1993 den Kaufpreisbetrag entsprechend der kaufvertraglichen Regelung teils an die DR, teils an die Beklagte. Am 6. Oktober 1993 beantragte die Schuldnerin die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über ihr Vermögen. Die Insolvenzeröffnungsbilanz des Klägers auf den 16. November 1993 weist einen Überschuß in Höhe von ca. 4,9 Mio. DM aus. Er hat das belastete Grundstück inzwischen für 7.460.000,00 DM veräußert. Hiervon erhielt die Stadtsparkasse am 3. April 1996 auf ihre Grundschuld nebst Zinsen 5.471.400,00 DM.
Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten Zahlung von 3.630.847,61 DM aus §§ 30, 31 GmbHG, weil die Beklagte den Kaufpreis im Ergebnis aus gemäß § 30 GmbHG gebundenen Gesellschaftsvermögen erhalten habe. Schon die Bestellung der Grundschuld habe zu einer Unterbilanz der Schuldnerin (nach fortgeführten Buchwerten) geführt. Maßgeblicher Stichtag sei indessen der 6. Oktober 1993, weil an diesem Tag festgestanden habe, daß die Stadtsparkasse wegen ihres Bürgenregresses die Grundschuld in Anspruch nehmen werde. Dadurch sei bei der Schuldnerin eine "Unterdeckung" von 3.630.847,61 DM entstanden. Die Beklagte hat die zum Teil in sich widersprüchlichen Bilanzansätze des Klägers bestritten und hilfsweise mit einer Ausgleichsforderung aus § 25 Abs. 1 DMBilG über 511.785,54 DM aufgerechnet.
Das Landgericht hat die Klage wegen unzureichender Darlegung der bilanziellen Verhältnisse abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte nur insoweit Erfolg, als das Berufungsgericht einen -durch die Aufrechnung getilgten -Erstattungsanspruch des Klägers in Höhe von 490.486,06 DM zugrunde gelegt hat. Dagegen haben beide Parteien Revision eingelegt. Der Senat hat nur die Revision der Beklagten angenommen.
Gründe
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
I. Das Berufungsgericht sieht in der Grundschuldbestellung als Voraussetzung für die Erteilung der Bankbürgschaft und deren Inanspruchnahme durch die Beklagte eine ihr mittelbar zugute gekommene Leistung aus dem Vermögen der Schuldnerin, die -auch hinsichtlich des an die DR zu zahlenden Kaufpreisanteils - unter § 30 GmbHG falle (vgl. auch RGZ 133, 393; BGHZ 13, 49, 54 f.). Für die Gesellschaftereigenschaft der Beklagten als Leistungsempfängerin sei auf den Zeitpunkt der Begründung der Leistungspflicht der Schuldnerin in dem Anteilsveräußerungsvertrag, für die Frage einer dadurch eingetretenen Unterbilanz auf den Tag abzustellen, an dem die Stadtsparkasse aus ihrer Bürgschaft geleistet und damit ihr Rückgriff auf die Grundschuld festgestanden habe (6. Oktober 1993). Die vom Kläger erstellte Stichtagsbilanz (nach fortgeführten Buchwerten) ergebe -nach etlichen Korrekturen -eine Unterdeckung von 490.486,06 DM. Ein entsprechender Anspruch des Klägers aus § 31 GmbHG sei durch die Hilfsaufrechnung der Beklagten getilgt.
II. Die angefochtene Entscheidung hält, soweit sie die Beklagte beschwert, revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. a) Erfolg hat die Revision allerdings nicht schon mit ihrer Erwägung, daß bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht die Beklagte, sondern die D. R. Gläubigerin des an sie zu zahlenden Kaufpreisanteils von ca. 1 Mio. DM gewesen und deshalb der Anspruch des Klägers entsprechend zu kürzen sei. Denn für die Höhe der Passiva in der von dem Berufungsgericht zugrunde gelegten Stichtagsbilanz und damit auch für die Höhe des von ihm errechneten Fehlbetrages kommt es nicht darauf an, wem der in der Rückstellung für die Grundschuld passivierte Betrag zugute kommen sollte. Da der durch die Grundschuld (mittelbar) gesicherte Kaufpreisanteil der Beklagten und damit der ihr jedenfalls insoweit gewährte Vorteil aus dem Gesellschaftsvermögen den Fehlbetrag überstieg, ergäbe sich auch für die Höhe ihrer Erstattungspflicht gemäß § 31 GmbHG rechnerisch keine Änderung. Soweit der Kläger den auf die DR entfallenden Betrag teilweise doppelt angesetzt hat, hat das Berufungsgericht das korrigiert.
b) Das Berufungsgericht übersieht indessen bei seiner bilanziellen Betrachtung, daß die Schuldnerin bereits bei Bekanntwerden des von der DR angemeldeten Restitutionsanspruchs auf das Grundstück eine Rückstellung gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB in Höhe des vollen Grundstücksbuchwerts hätte bilden müssen (vgl. Baumbach/Hopt, HGB 30. Aufl. § 253 Rdn. 4), die nach Zahlung des Abfindungsbetrages an die DR durch die Stadtsparkasse aufzulösen und durch die in der Bilanz zum selben Stichtag und in gleicher Höhe zu bildende Rückstellung für die nunmehr vorhersehbare Inanspruchnahme der Grundschuld zu ersetzen gewesen wäre. Insofern handelt es sich hier um einen bilanzneutralen Passiventausch, der nicht, wie für § 30 GmbHG in der Regel erforderlich (vgl. BGHZ 31, 276 und st. Rspr.) eine Unterbilanz oder Überschuldung (vgl. Sen.Urt. v. 5. Februar 1990 -II ZR 114/89, ZIP 1990, 451) herbeiführte oder vertiefte und den einheitlichen Vorgang abbildet, daß die Beklagte durch ihren Vergleich mit der DR es der Schuldnerin ermöglichte, das Grundstück gegen dessen Belastung mit der Grundschuld zu behalten. Dabei hatte die Grundschuldbestellung die zusätzliche -bilanziell zwar keinen Niederschlag findende, aber der gesetzlichen Aufgabe der Beklagten (§ 2 Abs. 1 TreuhG) entsprechende - Funktion, die im konkreten Fall erforderlichen Finanzierungsvoraussetzungen für die Privatisierung der Schuldnerin zu schaffen.
2. Entgegen der stillschweigenden Annahme des Berufungsgerichts sind jedoch die u.a. auf die Fälle eines "buy out" oder ähnliche Gestaltungsformen (vgl. dazu Scholz/Westermann, GmbHG 9. Aufl. § 30 Rdn. 31 f.) normalerweise anzuwendenden Grundsätze der §§ 30 f. GmbHG auf von der Beklagten im Zuge ihres gesetzlichen Privatisierungsauftrags (§ 2 Abs. 1 TreuhG) veranlaßte Zuwendungen an sie aus dem Vermögen der von ihr gehaltenen Gesellschaften ohnehin nicht anwendbar.
a) Gemäß § 25 Abs. 5 DMBilG war und ist die Beklagte berechtigt, sogar insolventen von ihr gehaltenen Gesellschaften den auf diese unentgeltlich übergegangenen Grund und Boden zu entziehen und/oder ihn im Insolvenzverfahren auszusondern (vgl. OLG Dresden, VIZ 1996, 605 mit NA-Beschluß des BGH v. 14. Mai 1998 -IX ZR 40/96). Darüber hinaus räumt § 25 Abs. 6 DMBilG der Treuhandanstalt bzw. der Beklagten ganz allgemein das Recht ein, auch von noch sanierungsfähigen Treuhandgesellschaften einzelne Vermögensgegenstände im Vorfeld der Privatisierung herauszuverlangen, um die Privatisierung zu erleichtern (vgl. BR-Drucks. 113/94 S. 35 f.; OLG Dresden aaO S. 607 f.). Auf die damit "vor allem" zu ermöglichende "Zuschneidung" eines Unternehmens zum Zweck einfacherer Privatisierung beschränkt sich die Vorschrift nicht. Ebensowenig beschränkt sie das Entnahmerecht auf bilanzüberschüssiges Vermögen, wie sich schon aus dem Vergleich mit § 25 Abs. 5 DMBilG sowie daraus ergibt, daß nach beiden Vorschriften die nach dem 1. Juli 1990 hinzugetretenen Gläubiger der betreffenden Gesellschaft zu entschädigen sind, soweit sie durch die Vermögensübertragung benachteiligt werden (§ 25 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 Satz 3 DMBilG). Diese Regelung verdrängt offensichtlich die §§ 30, 31 GmbHG, weil danach die Zuwendung aus gebundenem Gesellschaftsvermögen verboten und sofort an die Gesellschaft zurückzugewähren wäre (vgl. auch Spoerr, Treuhandanstalt und Treuhandunternehmen zwischen Verfassungs-, Verwaltungs-und Gesellschaftsrecht 1993, S. 363). Dem entspricht es, daß Entnahmen der Treuhandanstalt aus dem Gesellschaftsvermögen steuerrechtlich nicht als "verdeckte Gewinnausschüttungen" angesehen werden (vgl. Krohn/Trede, Die steuerliche Betriebsprüfung 6/98, S. 145, 148 m.w.N.). Des weiteren unterliegt die Beklagte gemäß § 28 a EGAktG nicht den Vorschriften über herrschende Unternehmen und damit im Falle von Entnahmen oder Verlagerungen von Gesellschaftsvermögen auch nicht den von dem erkennenden Senat (Urt. v. 17. September 2001 -II ZR 178/99, ZIP 2001, 1874) jüngst modifizierten Grundsätzen der früher sog. "Konzernhaftung".
b) Zwar wurden die derzeitige, unbefristete Fassung des (seit 1991 bestehenden) § 25 Abs. 5 DMBilG sowie Abs. 6 dieser Vorschrift erst durch die Novelle vom 25. Juli 1994 (BGBl. I S. 1682), mithin erst nach der vorliegenden Anteilsveräußerung durch die Beklagte vom 22. April 1993, eingefügt. Insbesondere § 5 Abs. 6 DMBilG enthält aber nur eine klarstellende Legalisierung der entsprechenden, schon vorher geübten Praxis der Treuhandanstalt (vgl. auch BR-Drucks. 113/94, S. 35 f.), deren Berechtigung dazu sich schon aus ihrem umfassenden gesetzlichen Auftrag zur Privatisierung und Verwertung des ehemals volkseigenen Vermögens (§ 2 Abs. 1 TreuhG) und den dabei für den Gesetzgeber nicht immer im einzelnen vorhersehbaren Gestaltungserfordernissen ergab. Schon deshalb konnte und kann die Beklagte nicht einem Gesellschafter gleichgestellt werden, der sich zu seinem eigenen Vorteil aus dem Gesellschaftsvermögen "bedient" (vgl. auch Krohn/Trede aaO). Im übrigen ist gemäß § 60 DMBilG "dieses Gesetz mit Wirkung vom 1. Juli 1990 anzuwenden" -ohne Übergangsregelung für § 25 Abs. 5, 6 DMBilG. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine -an Art. 14 Abs. 1 GG zu messende (BVerfGE 95, 64, 82) -Rückwirkung des § 25 Abs. 5 DMBilG in jetziger Fassung sowie gegen die Beschränkung des Nachteilsausgleichs auf Neugläubiger (mit nach dem 1. Juli 1990 entstandenen Ansprüchen) hat der Bundesgerichtshof in dem -durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Oktober 1998 (1 BvR 1207/98) gebilligten -Nichtannahmebeschluß vom 14. Mai 1998 (aaO zu OLG Dresden aaO) nicht geteilt. Sie bestehen auch im Hinblick auf § 25 Abs. 6 DMBilG schon aus den angeführten Gründen nicht. Im übrigen kommt einem Treuhandunternehmen wie der Schuldnerin des vorliegenden Falles, das seine Existenz einem staatlichen Willensakt verdankt und Teil der staatlichen Privatisierungsaufgabe ist, bis zum Abschluß der Privatisierung ohnehin kein voller Grundrechtsschutz gegenüber staatlichen Eingriffen zu (vgl. BVerfGE 45, 63, 80; 95, 267, 318).
c) Hätte sonach die Beklagte gemäß § 25 Abs. 6 DMBilG das Grundstück -ohne Verstoß gegen § 30 GmbHG -aus der Schuldnerin herauslösen und es getrennt unter Belastung mit einer Grundschuld für den Kaufpreis an dieselbe oder eine andere Erwerberin mit oder ohne gleichzeitigen Verkauf der Geschäftsanteile veräußern können, so kann für die vorliegende Gestaltungsform nichts anderes gelten, die der Schuldnerin das (von ihr unstreitig vermietete) Grundstück -wenngleich unter Belastung mit der Grundschuld - zunächst sogar beließ. Grundsätzlich kann die Bestellung und Verwertung einer Gesellschaftssicherheit zugunsten eines Gesellschafters unter dem Gesichtspunkt der Anwendbarkeit des § 30 GmbHG nicht anders beurteilt werden, als eine sonstige "Auszahlung" aus dem Gesellschaftsvermögen. Ist diese -wie hier privilegiert, so gilt das auch für die Besicherung. Daß sie sich bilanziell (wegen § 251 HGB) erst bei drohender Verwertung, hier also erst nach Abschluß der Privatisierung bzw. nach der Anteilsveräußerung aktualisierte, ist unerheblich. Sollte die Schuldnerin schon vor der Anteilsveräußerung sanierungsunfähig gewesen sein, so käme neben § 25 Abs. 6 DMBilG dessen Abs. 5 zum Zuge, der nur für ein bereits in der Gesamtvollstreckung befindliches Treuhandunternehmen die Sonderregelung enthält, daß die Treuhandanstalt in diesem Fall allein Grund und Boden ohne aufstehende Gebäude aussondern kann (vgl. OLG Dresden aaO S. 608). Hier geht es nicht um dieses Stadium, sondern um die Situation bei Abschluß des Anteilsveräußerungsvertrages.
d) Aus der Gleichstellung der Sicherheitsgewährung mit sonstigen Auszahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen muß zwar konsequenterweise ein Entschädigungsanspruch der dadurch benachteiligten Neugläubiger gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 Satz 3 DMBilG auch in diesem Fall gefolgert werden. Darüber ist aber im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu entscheiden, weil der von dem Kläger geltend gemachte, auf die Geschäftsbilanz der Schuldnerin zum 6. Oktober 1993 bezogene Anspruch der Schuldnerin aus § 30 GmbHG ein anderer Streitgegenstand ist als der Anspruch der Neugläubiger gemäß § 25 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 Satz 3 DMBilG, der in der Insolvenz der Gesellschaft von dem Verwalter durch Bildung einer Sondermasse abzuwickeln ist und der Höhe nach regelmäßig erst nach der Vermögensverteilung im übrigen festgestellt werden kann (vgl. OLG Dresden aaO).
BGH:
Urteil v. 10.12.2001
Az: II ZR 30/00
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