Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen:
Beschluss vom 24. Januar 2012
Aktenzeichen: L 11 AS 504/11 B

(LSG Niedersachsen-Bremen: Beschluss v. 24.01.2012, Az.: L 11 AS 504/11 B)

Die Weitergabe von Akten im erforderlichen Umfang durch einen Sozialleistungsträger an den von ihm im Gerichtsverfahren beauftragten Rechtsanwalt verstößt nicht gegen das Sozialgeheimnis im Sinne von § 35 SGB I, weil es sich nicht um eine Übermittlung von Sozialdaten im Sinne von § 67 Abs. 6 Satz 2 Nr. 3 SGB X handelt, sondern um Auftragsdatenverarbeitung.Hier wird der Rechtsanwalt nicht als Dritter im Sinne von § 67 Abs. 10 Satz 2 SGB X tätig.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Entscheidung des Sozialgerichts Braunschweig vom 20.12.2010 (Prozesskostenhilfe) wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren um die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für die Durchführung des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens.

Der Kläger steht im laufenden Bezug von Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bei dem beklagten Jobcenter.

Dieses regelte die Hilfegewährung für den Kläger für den Zeitraum vom Dezember 2006 bis zum Mai 2007 mit Bescheid vom 23. Oktober 2006. Darin gewährte es dem Kläger für Juni 2007 Leistungen in Höhe von monatlich 369,14 €. Diese Leistungsbewilligung veränderte das beklagte Jobcenter in der Folge noch mehrfach durch Änderungsbescheide (zuletzt durch den während des laufenden Klageverfahrens ergangenen Bescheid vom 12. November 2010).

Gegen den bewilligenden Bescheid vom 23. Oktober 2006 legte der Kläger mit Fax vom 25. September 2009 Widerspruch ein und beantragte gleichzeitig den Bescheid zurückzunehmen. Zur Begründung des Widerspruchs ließ der Kläger formularmäßig darauf hinweisen, falls die Widerspruchsfrist versäumt worden sei, werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt, da er ohne Verschulden verhindert gewesen sei, die gesetzliche Frist einzuhalten.

Das beklagte Jobcenter bestätigte mit Schreiben vom 12. Oktober 2009 den Eingang des Widerspruchs. Es bat darum, ihm eine Bevollmächtigung im Original vorzulegen und wies darauf hin, dass der Widerspruch nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist eingereicht worden sei und daher verfristet sei. Insoweit wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hierzu äußerte sich der Kläger nicht. Daraufhin wies das beklagte Jobcenter den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2010 zurück. Zur Begründung wies es im Wesentlichen darauf hin, der Widerspruch sei unzulässig, da er nicht fristgerecht eingelegt worden sei.

Am 25. Januar 2010 ist Klage erhoben worden. Diese ist in der Sache nicht begründet worden.

Das Sozialgericht (SG) Braunschweig hat die Sache am 20. Dezember 2010 verhandelt. In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger neben seinem ursprünglichen Begehren beantragt, festzustellen, dass die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, sich im Verfahren durch Prozessbevollmächtigte vertreten zu lassen. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, die Vertretung bedinge die Weitergabe von Sozialdaten an den Prozessbevollmächtigten, was nicht zulässig sei.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 20. Dezember 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es zunächst darauf hingewiesen, der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des beklagten Jobcenters vom 23. Oktober 2006 sei von der Beklagten in rechtmäßiger Weise durch den Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2010 als unzulässig zurückgewiesen worden. Der Kläger habe keinerlei Anhaltspunkte oder Begründungen dafür vorgetragen, warum und wann ihm der angefochtene Bescheid verspätet zugegangen sei. Zudem habe er an der Zahlung des Geldes bemerken können, dass ihm Leistungen zuerkannt worden seien. Schon dies habe ihm Anlass geben müssen, wegen des evtl. nicht zugegangenen Bescheides nachzufragen. Hinsichtlich des gestellten Feststellungsantrages hat das SG die Klage für unbegründet gehalten, da das beklagte Jobcenter sich prozessrechtlich in rechtmäßiger Weise durch einen Rechtsanwalt habe vertreten lassen. Im Urteil vom 20. Dezember 2010 hat das SG auch den am 13. Dezember 2010 gestellten Antrag auf Gewährung von PKH abgelehnt und sich zur Begründung auf den Inhalt des Urteils bezogen.

II.

Die Beschwerde gegen die Versagung von PKH ist nicht begründet.

Das SG hat in seinem Urteil vom 20. Dezember 2010 zutreffend entschieden, dass dem Klagebegehren des Klägers keine hinreichenden Erfolgsaussichten i.S. von § 73a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) zukommen.

Hinreichend in diesem Sinne sind die Erfolgsaussichten einer Klage nicht erst dann, wenn bei der notwendigerweise prognostischen Beurteilung der Möglichkeiten eines Klageerfolgs ein späteres Obsiegen bereits wahrscheinlicher erscheint als ein Unterliegen. Vielmehr genügt es für die Bewilligung von PKH, wenn die Klage auf der Grundlage eines vorläufig vertretbaren, diskussionswürdigen Rechtsstandpunkts schlüssig begründbar ist und in tatsächlicher Hinsicht die gute Möglichkeit der Beweisführung besteht (Leitherer in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 9. Aufl., § 73 a Rdnr. 7a). Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen ist bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten insoweit eine nicht zu strenge Prüfung geboten; denn Artikel 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 und 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebieten eine weitgehende Gleichstellung von bemittelten und unbemittelten Personen hinsichtlich ihrer jeweiligen Möglichkeiten, effektiven Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können (Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, vgl. etwa Beschluss vom 24. März 2011, 1 BvR 2493/10, ZfSH/SGB 2011, 475f; vom 26. April 1988, 1 BvL 84/86, BVerfGE 78, 104). Dabei würde insbesondere die Rechtsweggarantie des Artikel 19 Abs. 4 GG gegenüber hoheitlichem Handeln von Sozialleistungsträgern verfehlt, wenn die erst als Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens zu erwartende Klärung rechtlich und tatsächlich entscheidungserheblicher Zweifel im Sinne einer allzu vergröbernden Entscheidungsprognose in das PKH-Bewilligungsverfahren vorverlagert würde. PKH darf deshalb unter dem Gesichtspunkt der nicht hinreichenden Erfolgsaussicht nur dann verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache, wenn schon nicht auszuschließen, so doch wenigstens gänzlich fernliegend ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. April 2000, 1 BvR 81/00, NJW 2000, 1936 ff zur PKH-Bewilligung bei offenen Rechtsfragen).

In Anwendung dieser Grundsätze kamen dem Klagebegehren keine hinreichenden Erfolgsaussichten zu. Das SG hat insbesondere mit zutreffender Begründung dargelegt, warum der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid des beklagten Jobcenters vom 23. Oktober 2006 verfristet und der insoweit ergangene Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2010 daher rechtmäßig war. Dem ist der Kläger bisher nicht entgegengetreten. Der Senat nimmt daher zur Begründung in Anwendung von § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des SG in seinem angefochtenen Urteil vom 20. Dezember 2010.

Auch hinsichtlich des Feststellungsantrags des Klägers hat das SG zutreffend entschieden, das beklagte Jobcenter sei in Anwendung von § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG berechtigt gewesen sich durch einen Rechtsanwalt im Verfahren vertreten zu lassen. Die Befugnis selbst, sich vor dem SG durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, kann auch vor dem klaren Wortlaut des Gesetzes nicht streitig sein.

Fraglich konnte allenfalls sein, ob das beklagte Jobcenter und wenn ja in welchem Umfang berechtigt war, seine Verwaltungsvorgänge an seinen Prozessbevollmächtigten weiterzugeben. Diese Frage hat der Kläger indes allenfalls am Rande zum Gegenstand seines Antrags gemacht. Insoweit ist zunächst klarstellend darauf hinzuweisen, dass das beklagte Jobcenter hier offensichtlich nur eine Abschrift des Bescheides vom 23. Oktober 2006, das Anforderungsschreiben des beklagten Jobcenters vom 12. Oktober 2009 sowie den diesbezüglichen Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 2010 an seinen Prozessbevollmächtigten weitergegeben hat. Diese Unterlagen waren für die ordnungsgemäße Wahrnehmung des Mandats zwingend erforderlich. Durch ihre Weitergabe wurde nicht gegen bereichsspezifische Normen des Datenschutzrechts, insbesondere nicht gegen das Sozialgeheimnis i.S. von § 35 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) verstoßen. Danach hat jeder Anspruch darauf, dass die ihn betreffenden Sozialdaten von den Leistungsträgern nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Nach § 35 Abs. 2 SGB I ist die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Sozialdaten unter den Voraussetzungen des Zweiten Kapitels des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren (SGB X) zulässig.

Bei der Weitergabe von Sozialdaten an einen beauftragten Rechtsanwalt durch die Sozialverwaltung handelt es sich nicht um eine Übermittlung im Sinne von § 67 Abs. 6 Nr. 3 SGB X, für die es einer Ermächtigungsnorm bedürfte (vgl. dazu grundsätzlich BVerfG, Urteil vom 15. Dezember 1983, BVerfGE 65,1 ff). Übermitteln ist das Bekanntgeben gespeicherter oder durch Datenverarbeitung gewonnener Sozialdaten an einen Dritten in der Weise, dass die Daten an den Dritten weitergegeben werden oder der Dritte zur Einsicht oder zum Abruf bereitgehaltene Daten einsieht oder abruft. Insoweit ist der Prozessbevollmächtigte des beklagten Jobcenters kein Dritter im Sinne des bereichsspezifischen Datenschutzrechts, wie es das SGB X in diesem Bereich ist. Dritte im Sinne des Gesetzes sind nämlich nicht Personen, die Sozialdaten im Auftrag verarbeiten (§ 67 Abs 10 Satz 2 SGB X; vgl. auch § 3 Abs. 8 Bundesdatenschutzgesetz - BDSG -). Die Zulässigkeit und die Anforderungen an die Auftragsdatenverarbeitung sind in § 80 SGB X (vgl. § 11 BDSG) gesondert geregelt. Insoweit ist nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich, dass diese im Verhältnis des beklagten Jobcenters zu dem von ihm beauftragten Rechtsanwalt nicht eingehalten sind. Auftragsdatenverarbeitung kommt auch in Betracht, wenn - wie hier - nur eine zeitlich begrenzte Beauftragung zur Wahrnehmung des Mandats erfolgt (Wedde in: Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, 3. Aufl., § 11 Rn 5).

Selbst wenn der beauftragte Rechtsanwalt Dritter im Sinne des Datenschutzrechtes (§ 67 Abs. 6 Nr. 3 SGB X) wäre, so wäre eine Übermittlung der erforderlichen Sozialdaten an ihn dennoch gesetzlich erlaubt. Eine Übermittlung von Sozialdaten ist nach § 69 Abs. 1 Nr. 2 SGB X nämlich zulässig, soweit sie erforderlich ist für die Durchführung eines mit der Erfüllung einer Aufgabe für die Zwecke, für die sie erhoben worden sind, zusammenhängenden gerichtlichen Verfahrens. Eben diese Konstellation liegt hier aber vor, da sich das beklagte Jobcenter zur Erfüllung seiner Aufgaben in Wahrnehmung der ihm in § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG eingeräumten Befugnis der Vertretung durch Prozessbevollmächtigte bedient. § 69 Abs. 1 Nr. 2 SGB X ermöglicht in gerichtlichen Verfahren die Ermittlung des Sachverhalts, wenn das jeweilige Verfahren in Zusammenhang mit der Aufgabenerfüllung nach dem SGB geführt wird. Die Regelung hat insbesondere Bedeutung für die Verfahren vor den Sozialgerichten. Im gerichtlichen Verfahren ergibt sich die Zulässigkeit der Übermittlung von Sozialdaten noch nicht aus prozessualen Vorschriften, da diesen die explizite Regelung in § 35 Abs. 2 und 3 SGB I entgegensteht. Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber in § 69 Abs. 1 Nr. 2 SGB X eine bereichsspezifische Übermittlungsnorm i.S. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Grundrecht auf Datenschutz geschaffen (vgl. auch Seidel in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Aufl., § 69 Rdnr. 6; Bieresborn in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl., Rdnr. 26). Die Vorschrift erlaubt damit zum Zwecke der Durchführung des mit der Aufgabenerfüllung des Sozialleistungsträgers in Zusammenhang stehenden gerichtlichen Verfahrens die Weitergabe von Sozialdaten an die Gerichte und an die beauftragten Rechtsanwälte.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 73 a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO).

Der Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).






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