Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. April 2008
Aktenzeichen: 5 W (pat) 431/07

(BPatG: Beschluss v. 22.04.2008, Az.: 5 W (pat) 431/07)

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamtes - Gebrauchsmusterabteilung II - vom 19. April 2007 aufgehoben.

2. Das Gebrauchsmuster 202 21 063 wird gelöscht.

3. Die Kosten des Löschungsverfahrens in beiden Rechtszügen trägt der Antragsgegner.

Gründe

I.

Der Antragsgegner (Beschwerdegegner) ist Inhaber des deutschen Gebrauchsmusters 202 21 063 mit der Bezeichnung

"Verbundmatte".

Das Streitgebrauchsmuster ist durch Abzweigung aus der deutschen Patentanmeldung 102 19 459.9 entstanden und hat den 30. April 2002 als Anmeldetag. Es wurde am 23. Dezember 2004 mit 11 Schutzansprüchen in das Gebrauchsmusterregister des Deutschen Patent- und Markenamts eingetragen. Der Eintragung lagen folgende Unterlagen zugrunde: Beschreibungsseiten 1 bis 4, Schutzansprüche 1 bis 11, Figuren 1 bis 3, jeweils eingegangen am 22. September 2004.

Die eingetragenen Schutzansprüche 1 bis 11 haben folgenden Wortlaut:

"1. Verbundmatte (1) mit einer rauen, strukturierten Oberfläche auf der Oberseite und einer glatten, geschlossenflächigen, wasserundurchlässigen Oberfläche auf der Unterseite, bestehend aus zwei miteinander verbundenen, insbesondere verschweißten, verklebten oder dergleichen zusammengefügten Schichten, nämlich einer Oberschicht aus Gewebematerial (3), und einer Unterschicht aus einem elastischen Kunststoffmaterial (2).

2. Verbundmatte (1) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Oberschicht aus einem Flechtgewebe, insbesondere einem Bändchengewebe besteht, wobei der Garntyp der Gewebefasern (4) Spleißgarn ist.

3. Verbundmatte (1) nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Gewebeart des Flechtgewebes bzw. Bändchengewebes eine Diagonalwebbindung in geflochtener Ausführung darstellt.

4. Verbundmatte (1) nach Anspruch 2 oder 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Gewebefasern (4) des Flechtgewebes bzw. des Bändchengewebes der Oberschicht (3) gedreht sind.

5. Verbundmatte (1) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Gewebefasern (4) des Gewebematerials der Oberschicht (3) aus Polypropylen oder Polyethylen bestehen.

6. Verbundmatte (1) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Oberschicht (3) eine Stärke von 1,3 mm bis 3,3 mm, insbesondere 1,5 mm bis 1,9 mm, und vorzugsweise 1,7 mm besitzt.

7. Verbundmatte (1) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Oberschicht (3) ein Flächengewicht von etwa 360 g/m2 bis 940 g/m2, und insbesondere von etwa 500 g/m2 besitzt.

8. Verbundmatte (1) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Unterschicht (2) eine geschlossene, wasserundurchlässige Polypropylen- oder Polyethylenfolie mit einer Stärke von 0,5 mm bis 1,5 mm, vorzugsweise 1,0 mm ist.

9. Verbundmatte (1) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Unterschicht (2) eine Reißfestigkeit von etwa 17 N/mm2 (nach NEN ISO 527), eine Bruchdehnung von > 800 (nach NEN ISO 527), und eine Weiterreißfestigkeit von mehr als 40 N/mm2 (nach DIN 53515) aufweist.

10. Verbundmatte nach einem der Ansprüche 1 bis 9, dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindung von gewebeartiger Oberschicht und folienartiger Unterschicht im Heißverbundverfahren erfolgt ist, bei dem die noch warme, zähe Unterschicht unmittelbar nach der Extrusion auf das Gewebematerial der Oberschicht aufgebracht und in das Gewebematerial eingebracht wurde.

11. Verbundmatte (1) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Verbundmatte ein Bestandteil eines landwirtschaftlichen bzw. Agrarproduktes ist, insbesondere als Kuhmatratzendeckschicht.

Mit Schriftsatz vom 23. Januar 2006 hat der Antragsteller (Beschwerdeführer) die vollständige Löschung des Gebrauchsmusters beantragt und diesen Antrag auf die Löschungsgründe der unwirksamen Gebrauchsmusterabzweigung (§ 5 GebrMG) und der fehlenden Schutzfähigkeit (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG) gestützt. Er hat die Auffassung vertreten, es liege keine wirksame Gebrauchsmusterabzweigung vor, weil gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 GebrMG das Recht zur Abzweigung nur bestehe, wenn die Patentanmeldung erledigt sei. Derzeit sei jedoch weder ein Rechercheantrag, noch ein Prüfungsantrag gestellt worden, es existiere lediglich eine Offenlegungsschrift, so dass die Patentanmeldung nicht als erledigt gelten könne. Weiter hat sie vorgetragen, das Gebrauchsmuster sei nicht neu und beruhe auch nicht auf einem erfinderischen Schritt. Zur Begründung hat der Antragsteller sich u. a. auf folgende Druckschriften als Stand der Technik bezogen:

EG-1 DE 19 91 796 U EG-2 CH 618 073 A5 EG-3 DE 25 52 089 C2 EG-4 DE 19 85 128 U EG-5 DE 31 31 867 A1 EG-6 DE 197 38 169 A1 EG-7 DE 298 20 488 U1 EG-8 DE 82 00 677 U EG-9 Zeitschrift "top agrar", 12/2000, Seiten R12 bis R17 sowie sinngemäß offenkundige Vorbenutzung geltend gemacht und dafür Zeugenbeweis angeboten.

Diesem Löschungsantrag hat der Antragsgegner mit den Schriftsätzen vom 1. März 2006 und 19. April 2006 zunächst in vollem Umfang widersprochen und ausgeführt, dass keine der Entgegenhaltungen den Antrag auf Löschung des Gebrauchsmusters rechtfertige. Darüber hinaus habe der Streitgegenstand auch großen wirtschaftlichen Erfolg, was für die Erfindungsqualität spreche.

Die Gebrauchsmusterabteilung II des DPMA hat von Amts wegen folgende, weitere Druckschrift in das Löschungsverfahren eingeführt:

D1 DE 70 07 179 U.

In Erwiderung auf den Bescheid der Gebrauchsmusterabteilung II hat der Antragsgegner im Schriftsatz vom 19. Oktober 2006 sein Schutzrecht im Rahmen eines Hilfsantrages mit einem Satz eingeschränkter Ansprüche 1 bis 9 verteidigt.

In der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2007 vor der Gebrauchsmusterabteilung II des DPMA hat der Antragsgegner zuletzt verbindlich die Zurückweisung des Löschungsantrages im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 9 vom 19. Oktober 2006, einschließlich der Klarstellungen in Anspruch 8 und Anspruch 9 (siehe Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 19. April 2007, Seite 2) beantragt.

Aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2007 hat die Gebrauchsmusterabteilung II des DPMA das Streitgebrauchsmuster teilgelöscht, soweit es über die Schutzansprüche 1 bis 9 in der Fassung vom 19. April 2007 hinausgeht. In den Gründen des Beschlusses ist ausgeführt, dass das Streitgebrauchsmuster in der nunmehr geltenden Fassung weder eine unzulässige Erweiterung der ursprünglich eingereichten Unterlagen (§ 15 Abs. 1 Nr. 3 GebrMG), wie der Antragsteller in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht habe, darstelle, noch könne das Streitgebrauchsmuster als schutzunfähig (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG) angesehen werden, da der Schutzgegenstand neu sei und sich auch nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergebe, sondern auf einem erfinderischen Schritt beruhe (§ 1 Abs. 1 GebrMG). Auch betreffe die zuletzt verteidigte Fassung des Gebrauchsmusters kein vom Gebrauchsmusterschutz ausgeschlossenes Verfahren (§ 2 Nr. 3 GebrMG), sondern einen durch die Angabe des Verwendungszusammenhangs beschränkten Sachanspruch. Den weitergehenden Löschungsantrag hat die Gebrauchsmusterabteilung II des DPMA zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluss vom 19. April 2007 richtet sich die Beschwerde des Antragstellers.

Der Antragsteller ist der Meinung, dass auch die eingeschränkten Ansprüche 1 bis 9 nicht neu seien und kein erfinderischer Schritt vorliege. Er verweist dazu auf weiteren Stand der Technik, u. a. auf folgende Druckschriften und Beweismittel:

EG-10 Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft e.V., Prüfstelle für Land- Landmaschinen, DLG-Prüfbericht 5108F vom Januar 2002, Pasture BV, Besouw Deckbelag für Liegeboxmatratzen;

EG-11 Kopien von 3 Mustern, die Gewebe bzw. Geflechte zeigen und unter dem Markenzeichen GEOLON¨ der holländischen Firma Ten Cate Nicolon bekannt sind:

GEOLON¨ PP 120 S GEOLON¨ PP 200 S GEOLON¨ PP 300;

EG-12 Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft e.V., Prüfstelle für Landmaschinen, DLG-Prüfbericht 4737 vom November 1998, Agriprom Liegeboxmatratze für Kühe;

B5 Firmenprospekte von Ten Cate Nicolon BV zu GEOLON¨ PE, Druckdatum Januar 1999;

B6 Produktinformation von Ten Cate Nicolon BV zu GEO-LON¨ PP, Druckdatum Januar 1999.

U8 Auszug aus DLG-Prüfbericht 4890 - Brouwers Noppenmatratze vom Oktober 2000, Seiten 1, 2, 3 und letzte Seite.

Der Antragsteller beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Streitgebrauchsmuster in vollem Umfang zu löschen.

Der Antragsgegner beantragt sinngemäß, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner verteidigt in der mündlichen Verhandlung vom 22. April 2008 das Streitgebrauchsmuster im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 9 vom 19. April 2007 mit der Begründung, diese seien neu und beruhten auf einem erfinderischen Schritt.

Die geltenden Schutzansprüche 1 bis 9 lauten:

"1. Kuhmatratzendeckschicht als Auflage auf einer Kuhmatratze (5) mit einer Matratzenfüllung (6) bestehend aus einer Verbundmatte (1) mit einer rauen, strukturierten Oberfläche auf der Oberseite und einer glatten, geschlossenflächigen, wasserundurchlässigen Oberfläche auf der Unterseite, bestehend aus zwei miteinander verschweißten, Schichten, nämlich einer Oberschicht aus Gewebematerial (3), und einer Unterschicht aus einem elastischen Kunststoffmaterial (2), wobei die Oberschicht (3) aus einem Flechtgewebe, nämlich einem Bändchengewebe besteht, und der Garntyp der Gewebefasern (4) Spleißgarn ist.

2. Verbundmatte (1) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Gewebeart des Flechtgewebes bzw. Bändchengewebes eine Diagonalwebbindung in geflochtener Ausführung darstellt.

3. Verbundmatte (1) nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Gewebefasern (4) des Flechtgewebes bzw. des Bändchengewebes der Oberschicht (3) gedreht sind.

4. Verbundmatte (1) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Gewebefasern (4) des Gewebematerials der Oberschicht (3) aus Polypropylen oder Polyethylen bestehen.

5. Verbundmatte (1) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Oberschicht (3) eine Stärke von 1,3 mm bis 3,3 mm, insbesondere 1,5 mm bis 1,9 mm, und vorzugsweise 1,7 mm besitzt.

6. Verbundmatte (1) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Oberschicht (3) ein Flächengewicht von etwa 360 g/m2 bis 940 g/m2, und insbesondere von etwa 500 g/m2 besitzt.

7. Verbundmatte (1) nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Unterschicht (2) eine geschlossene, wasserundurchlässige Polypropylen- oder Polyethylenfolie mit einer Stärke von 0,5 mm bis 1,5 mm, vorzugsweise 1,0 mm ist.

8. Verbundmatte (1) nach einem der vorhergehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass die Unterschicht (2) eine Reißfestigkeit von etwa 17 N/mm2 (nach NEN ISO 527), eine Bruchdehnung von > 800 (nach NEN ISO 527), und eine Weiterreißfestigkeit von mehr als 40 N/mm2 (nach DIN 53515) aufweist.

9. Verbundmatte nach einem der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass die Verbindung von gewebeartiger Oberschicht (3) und folienartiger Unterschicht (2) im Heißverbundverfahren erfolgt ist, bei dem die noch warme, zähe Unterschicht (2) unmittelbar nach der Extrusion auf das Gewebematerial der Oberschicht (3) aufgebracht und in das Gewebematerial eingebracht ist."

Der Antragsgegner ist der Ansicht, dass der im Verfahren befindliche Stand der Technik nicht geeignet sei, den Gegenstand nach dem verteidigten Schutzanspruch 1 vorwegzunehmen oder nahezulegen. Insbesondere könne der Fachmann, ein Land- oder Agrartechniker, den Entgegenhaltungen keinen Hinweis entnehmen, eine Kuhmatratzendeckschicht mit den Merkmalen des Streitgebrauchsmusters zu schaffen, denn durch die erfindungsgemäße Verwendung von Spleißgarn in der Oberschicht werde eine besonders reißfeste Oberfläche geschaffen, da die gespleißten Fasern durch das Verweben unverrutschbar miteinander verzahnten. Zwar sei die Verwendung von spleißgarnhaltigen Auflagen wie GEO-LON¨, das zur Dammbefestigung und Dammbegrünung entwickelt worden sei, bekannt, jedoch liege hier eine andere Zielrichtung zugrunde, weil das GEOLON¨-Material an sich durchlässig sei. Demgegenüber liege der erfindungsgemäße Unterschied zu dem flüssigkeitsdurchlässigen GEOLON¨ darin, dass vorliegend ein GEOLON¨-ähnliches Gewebe mit einer wasserundurchlässigen, elastischen Unterschicht zu einer Verbundmatte verschweißt worden sei, weshalb die beanspruchte Deckschicht mehrere Vorteile in sich vereine:

- die Deckschicht ist flüssigkeitsundurchlässig, d. h. Körperflüssigkeiten, etc. können nicht in die Matratzenfüllung eindringen,

- die Deckschicht ist strukturiert, so dass keine Rutschgefahr für die Tiere besteht,

- die Deckschicht ist robust gegenüber den Klauen der Kühe,

- die Deckschicht ist leicht zu reinigen und trocknet schneller.

Die aufgeführten Entgegenhaltungen und Beweismittel zeigten dagegen nicht die Verwendung von Spleißgarn-Gewebe im Rahmen einer Verbundmatte mit einer wasserundurchlässigen Schicht. Demzufolge habe der Fachmann auch keine Veranlassung gehabt, ein wasserdurchlässiges Spleißgarn-Geflecht mit einer wasserundurchlässigen Schicht zu kombinieren, um eine Kuhmatratzendeckschicht zu erhalten. Erst recht finde sich im Stand der Technik keine Anregung dahingehend, ein Bändchengewebe aus Spleißgarn mit einer wasserundurchlässigen Schicht zu verschweißen. Somit sei das Streitgebrauchsmuster im verteidigten Umfang rechtsbeständig.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist begründet.

Der Löschungsantrag ist gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 GebrMG in vollem Umfang begründet. Der Gegenstand des Streitgebrauchsmusters hat wegen mangelnder Schutzfähigkeit gegenüber dem Stand der Technik in der verteidigten Fassung keinen Bestand. Das Gebrauchsmuster ist im Umfang der verteidigten Schutzansprüche 1 bis 9 nicht im Sinne der §§ 1 bis 3 GebrMG schutzfähig, weil der Gegenstand des Schutzanspruchs 1 nicht auf einem erfinderischen Schritt beruht.

1. Die Verteidigung des Gebrauchsmusters im Umfang der Schutzansprüche 1 bis 9 ist insofern zulässig, als sich die Merkmale dieser Schutzansprüche sowohl den der Eintragung zugrundeliegenden Anmeldeunterlagen als auch den Abzweigungsunterlagen gemäß DE 102 19 459 A1 entnehmen lassen. Im Wesentlichen geht der Gegenstand des Schutzanspruches 1 aus den eingetragenen Ansprüchen 1, 2 und 11 unter Hinzunahme weiterer Merkmale aus der Gebrauchsmusterschrift im Absatz [0015] hervor. In den Abzweigungsunterlagen der DE 102 19 459 A1 finden sich die im geltenden Schutzanspruch 1 angegebenen Merkmale in den Patentansprüchen 1, 2 und 12 i. V. m. Absatz [0017] der Beschreibung. Die übrigen, rückbezogenen Schutzansprüche 2 bis 9 entsprechen den eingetragenen Schutzansprüchen 3 bis 10 bzw. den Patentansprüchen 3 bis 9 und 11 der Abzweigungsanmeldung.

2. Die Neuheit der beanspruchten Kuhmatratzendeckschicht in der Fassung der geltenden Schutzansprüche kann unerörtert bleiben, denn solche Deckschichten sind zumindest aus dem Stand der Technik i. V. m. dem Können und Wissen des Fachmanns nahegelegt und beruhen deshalb nicht auf einem erfinderischen Schritt. Insbesondere handelt es sich bei den im Anspruch 1 angegebenen Merkmalen um eine Aggregation von an sich bekannten Maßnahmen, ohne dass ein unvorhersehbares synergistisches Zusammenwirken einen überraschenden Gesamteffekt erzielen würde.

3. Zur Prüfung der Schutzfähigkeit des Gegenstandes gemäß dem verteidigten Schutzanspruch 1 wird im Folgenden entsprechend BGH, X ZB 27/05 - Demonstrationsschrank, Vorbemerkung c), hinsichtlich der Beurteilung des erfinderischen Schritts auf die im Patentrecht entwickelten Grundsätze zurückgegriffen (BGH GRUR 2006, 842 - 848). In dieser Grundsatzentscheidung hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die für das Patentrecht entwickelten Grundsätze in vollem Umfang auf das geltende GebrMG anzuwenden sind. Zwischen den Kriterien des "erfinderischen Schritts" im Gebrauchsmusterrecht und der "erfinderischen Tätigkeit" im Patentrecht besteht danach kein Unterschied, weil es sich um ein qualitatives und nicht um ein quantitatives Kriterium handelt, was bedeutet, dass es allein auf das Können und Wissen des Fachmannes ankommt.

4. Als Fachmann auf dem vorliegenden technischen Gebiet ist ein berufserfahrener Textilingenieur der Fachrichtung Verbundstoffe anzusehen, der aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung über spezielle Kenntnisse von Verbundgeweben und Verbundmatten verfügt und zugleich mit den Problemen, Anforderungen und Verwendungen von Verbundmatten wie in der Agrartechnik vertraut ist.

Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin, die nicht den Textilingenieur, sondern einen Land- oder Agrartechniker als hier zuständig annimmt (Vortrag in der mündlichen Verhandlung am 22. April 2008), kann hinsichtlich der Bestimmung des Fachmannes nicht darauf abgestellt werden, welche Betriebe erfindungsgemäße Deckschichten produzieren, verkaufen oder anwenden und welche Ausbildung die in diesen Betrieben damit betraute Fachkraft zufällig besitzt, sondern nur darauf, auf welchem technischen Gebiet die Erfindung liegt, so dass der zuständige Fachmann derjenige ist, dem in der Regel die Lösung der gestellten Aufgabe übertragen wird (vgl. Schulte, PatG, 7. Auflage, § 4 Rdn. 49).

5. Gegenstand des Streitgebrauchsmusters ist eine Verbundmatte, insbesondere aus Kunststoffmaterial (Streitgebrauchsmusterschrift [0001]).

5.1. Ausgangspunkt des Streitgebrauchsmusters ist der in der Beschreibung im Absatz [0002] erläuterte Stand der Technik. Danach seien in der Agrartechnik Kunststoffmatten bzw. Kunststofffolien in verschiedenen Stärken, typischerweise von etwa 0,5 mm oder darunter, im Einsatz, deren mechanische und chemische Eigenschaften den in der Landwirtschaft auftretenden Anforderungen und Beanspruchungen genügten. Solche Matten seien beständig gegen die Einwirkung von ultravioletter Strahlung und wetterbeständig, und hätten daher auch im Außeneinsatz gegenüber witterungsbedingten und mechanischen Beanspruchungen eine sehr hohe Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten. Die Matten seien geschlossenflächig und absolut wasserdicht und hätten eine glatte Oberfläche. Als problematisch wird von dem Gebrauchsmusterinhaber angesehen, dass für bestimmte Anwendungen, beispielsweise als Deckschicht einer Kuhmatratze, die glatte Oberfläche nachteilig und nicht erwünscht sei. Eine glatte Oberfläche sei nicht rutschsicher, biete nur einen schlechten Halt von Einstreumitteln und habe nur eine geringe thermische Isolationswirkung. Außerdem könne sich Flüssigkeit ansammeln, jedenfalls weniger schnell abtrocknen, wodurch sich wiederum die Rutschgefahr erhöhe. Bei der Anwendung als Matratzendecke sei daher auf der Oberseite der Matratze zusätzlich eine rutschsichere Liegefläche vorzusehen. Dadurch werde der konstruktive Aufwand erhöht.

5.2. Vor diesem Hintergrund bezeichnet es das Streitgebrauchsmuster als zu lösendes technisches Problem, eine Verbundmatte zur Verfügung zu stellen, welche den hohen mechanischen und witterungsbedingten Beanspruchungen in der Agrartechnik genügt, d. h. UV- und witterungsbeständig, absolut wasserdicht, ausreichend verformbar und dauerelastisch, dabei gegenüber Druckbelastungen ausreichend mechanisch stabil ist, und gleichzeitig eine rutschsichere und bis zu einem gewissen Grad eine flüssigkeitssaugende, griffige Oberfläche besitzt, und dabei möglichst einfach und daher kostengünstig hergestellt werden kann (Streitgebrauchsmuster [0003]).

5.3. Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt der Schutzanspruch 1, in der verteidigten Fassung nach Merkmalen gegliedert, eine M1 Kuhmatratzendeckschicht M1.1 als Auflage auf einer Kuhmatratze (5) mit einer Matratzenfüllung (6)

M2 aus einer Verbundmatte (1) mit M2.1 einer rauen, strukturierten Oberfläche auf der Oberseite und M2.2 einer glatten, geschlossenflächigen, wasserundurchlässigen Oberfläche auf der Unterseite, M3 bestehend aus zwei miteinander verschweißten Schichten, nämlich M3.1 einer Oberschicht aus Gewebematerial (3) und M3.2 einer Unterschicht aus einem elastischen Kunststoffmaterial (2), M4 wobei die Oberschicht (3) aus einem Flechtgewebe, M4.1 nämlich einem Bändchengewebe besteht, und M4.2 der Garntyp der Gewebefasern (4) Spleißgarn ist.

5.4. Zum Verständnis des Gegenstandes des Streitgebrauchsmusters und der Entgegenhaltungen bedarf es zunächst eines Eingehens auf den Begriff "Kuhmatratzendeckschicht".

In dem Artikel aus "top agrar" 12/2000, "Kuhmatratzen: 14 geprüft - nur fünf haben bestanden" (EG-9) werden auf Seite R12, mittlere und rechte Spalte, einleitend verschiedene Matratzentypen vorgestellt: Gemäß Übersicht 1 werden derzeit sehr unterschiedliche Matratzentypen auf dem Markt angeboten: Kuhmatratzen, Weichbetten, Gummimatten, EVA-Matten, Noppenmatratzen und noch sonstige zweilagige Beläge, wobei es sich bei den Bodenbelägen der Firma A... (Firma des Antragsgegners) um mit Gummigranulat gefüllte Schläuche, über die ein Deckbelag (Bahnenware) gespannt wird, handelt.

Die in EG-9 beschriebene, bekannte Kuhmatratze des Antragsgegners ist also zweiteilig aufgebaut, wobei ein Deckbelag auf einen mit Granulat gefüllten Schlauch (die eigentliche Matratze) aufgelegt und durch Spannen befestigt wird (vgl. EG-9, Seite R14, übergreifender Absatz von der mittleren zur rechten Spalte).

Nichts anderes geht sinngemäß aus dem Streitgebrauchsmuster hervor, denn der Fachmann wird die Ausführungen in der Gebrauchsmusterschrift in [0015] i. V. m. Figur 3 so verstehen, dass die als Deckschicht beanspruchte Verbundmatte eine Auflage über der mit Gummigranulat gefüllten Matratze bildet.

Nachdem aber die Verwendung einer Deckschicht "als Auflage auf einer Kuhmatratze mit einer Matratzenfüllung" schon bisher der Öffentlichkeit zugänglich gewesen ist, stellte sich für den Fachmann, ausgehend von diesem Wissen, daher nur die Frage, wie dieser Deckbelag vorteilhaft beschaffen sein sollte.

6. Der hier angesprochene Fachmann wird als nächstkommende Druckschrift die EG-12 in Betracht ziehen.

In dem DLG-Prüfbericht 4737 vom November 1998 (EG-12) ist nämlich eine Liegeboxmatratze für Kühe beschrieben, die aus einer flüssigkeitsundurchlässigen Deckmatte als Stallbodenbelag und aus einer Unterlage mit Füllung als Matratze besteht (Merkmale M1 und M1.1). Der Deckbelag besteht aus vier Schichten Polypropylen (Merkmal M3.2), dessen Oberseite eine gewobene Struktur aufweist (Merkmal M3.1), so dass der Deckbelag also eine Verbundmatte aus beschichtetem Gewebe ist (Merkmal M2). Als Unterlage (Matratze) werden mit Gummi- und Kunststoffgranulat gefüllte und einander überlappende Schläuche aus Polypropylen verwendet (EG-12, Seite 3, Kurzbeschreibung). Wie aus den Seiten 4 und 5 weiter hervorgeht, eignet sich der Stallbodenbelag als elastischer Bodenbelag (Merkmal M3.2). Der Deckbelag zeichnet sich durch gute Verschleißfestigkeit, gute Rutschfestigkeit, sehr gute Verformbarkeit und Elastizität aus. Die gemessenen Reibbeiwerte übertreffen einen Grenzwert, so dass die Oberfläche der strukturierten Oberseite also rau ist (Merkmal M2.1). Der Deckbelag zeigt gegenüber Milchsäure und Butter keine Veränderungen wie Quellungs-, Erweichungs- und Zerstörungserscheinung. Aufgrund der undurchlässigen Oberfläche sind eine wirksame Desinfektion und Grundreinigung möglich (Merkmal M2.2).

Nachdem in der Streitgebrauchsmusterschrift im Absatz [0014] selbst ausgeführt ist, dass bei gleichem Kunststoffmaterial, vorzugsweise Polypropylen und Polyethylen, für Ober- und Unterschicht des Deckbelages äußerlich nicht wahrnehmbar ist, dass die Verbundmatte aus zwei Schichten unterschiedlicher Struktur besteht, so dass die Verbundmatte daher als Matte aus einem einheitlichen Material besteht, wobei die Oberfläche auf der Oberseite der Matte 1 rau und strukturiert ist und die Oberfläche der Unterseite der Matte glatt, geschlossenflächig und wasserundurchlässig ist, entspricht auch der Deckbelag aus der EG-12 genau diesem Prinzip, denn der Deckbelag aus Polypropylenschichten, dessen Oberseite eine gewobene Struktur aufweist, stellt sich als einheitliches Material dar, wobei die Oberfläche der Oberseite rau und strukturiert ist und die Oberfläche der Unterseite aufgrund der Schichten glatt, geschlossenflächig und wasserundurchlässig ist. Demzufolge erschließen sich dem hier angesprochenen Fachmann unmittelbar die Merkmale M1 bis M3.2 aus der EG-12.

Damit sind aber bereits wesentliche Teilaufgaben des Streitgebrauchsmusters gelöst, denn aufgrund der Verwendung von Polypropylen für den vierschichtigen Deckbelag und der gewobenen Struktur auf der Oberseite wird erreicht, dass dieser Deckbelag UV- und witterungsbeständig, wasserdicht, ausreichend verformbar und dauerelastisch sowie rutschfest ist.

Was die übrigen Merkmale M4 bis M4.2 anbelangt, so wird dazu in der EG-12 expressis verbis nichts ausgeführt. Diese Merkmale sind bezüglich der erfindungsgemäßen Aufgabe vor allem mit der Reißfestigkeit der Verbundmatte bei Druckbelastung korreliert.

Zwar ist in der EG-12 angegeben, dass sich der Deckbelag auch durch eine gute Verschleißfestigkeit auszeichnet, eine Verbesserung in dieser Hinsicht hat der Fachmann jedoch stets im Blickfeld, und das Problem der Reiß- und Verschleißfestigkeit von textilen Verbundgeweben ist ihm bei seiner alltäglichen Arbeit bekannt - nicht nur auf dem engen Gebiet der Kuhmatratzendeckschicht, sondern auch bei den hinsichtlich dieses Problems nahe verwandten Verbundmatten aus EG-4 und EG-5, die als Siloeinstellbehälter (EG-4) oder Containerinlett (EG-5) verwendet werden, und bereits Bändchengewebe aus Polyolefin zur Erzielung der erforderlichen Festigkeit eines Verbundgewebes einsetzen.

Wenn daher der Fachmann nicht schon aufgrund seines eigenen Fachwissens mit Lösungen für dieses Grundproblem der Reißfestigkeit vertraut war, so konnte er auf die im Stand der Technik enthaltenen Vorbilder zurückgreifen.

Dabei hat er die nicht zu übersehende Anregung zur Verwendung eines Bändchengewebes mit Spleißgarn, und damit die Merkmale M4.1 und M4.2, insbesondere aus den Produktinformationen zu den Geotextilien der Reihe GEOLON¨ PP (B6 i. V. m. B5) der Fa. Ten Cate Nicolon bv erhalten. Denn die in diesen Firmenprospekten beschriebenen Geotextilien sind sehr robust und zeichnen sich durch lastaufnehmende Polypropylen-Spleißgarn-Bändchen aus, die sowohl Punktbelastungen aushalten als auch bei Krafteinwirkung in Längs- und Querrichtung sich identisch verhalten (B6, Seite 1, 4. Absatz der Vorteile i. V. m. Seite 2, rechte Spalte, Absatz 1).

Der Antragsgegnerin mag zwar darin beizupflichten sein, dass die in B6 beschriebenen Geotextilien vorrangig ausgerichtet sind auf den Einsatz im Erd- und Bodenbau. Das hält den Fachmann jedoch nicht davon ab, auch andere Anwendungsmöglichkeiten und Einsatzgebiete für die bekannten Geotextilien in Betracht zu ziehen, dies vor allem auch deshalb, da sowohl beim Erd- und Bodenbau als auch bei Deckmatten für Kuhmatratzen als Stallbodenbelag vergleichbare Eigenschaften im Hinblick auf Reißfestigkeit gefordert sind; in der Regel treten nämlich bei beiden Einsatzgebieten dynamische Krafteinwirkungen auf. Zur Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe wird er daher die bekannte Gewebestruktur der GEO-LON¨ PP-Textilien ohne Weiteres aufgreifen und auf eine Kuhmatratzendeckschicht übertragen, weil er ja aus der B6 in Verbindung mit B5 weiß, dass die notwendige Festigkeit in Längs- und Querrichtung bei dynamischer Krafteinwirkung durch ein Bändchengewebe aus Spleißgarn erzielbar ist. Insofern liegt es nur im Griffbereich des hier angesprochenen Fachmanns, ausgehend von der EG-12 und gestützt auf die B6 für Verbundmatten als Deckschicht für Kuhmatratzen ein Bändchengewebe aus Spleißgarn gemäß der Merkmale M4.1 und M4.2 zu verwenden.

Auch der weiters vorgebrachte Einwand der Antragsgegnerin, vorliegend handle es sich beim beanspruchten Gegenstand um eine Auswahlerfindung, kann die Schutzfähigkeit des Anspruchs 1 nicht stützen, denn eine besondere, überraschende bzw. nicht vorhersehbare Wirkung des mit den Merkmalen M4.1 und M4.2 beanspruchten Gewebes ist aus der Gesamtoffenbarung des Streitgebrauchsmusters nicht ersichtlich. Für eine Auswahlerfindung hätte es vielmehr der Dokumentation verschiedener Gewebe- und Garnarten in Abhängigkeit von der Reißfestigkeit bedurft. Nachdem dies aber nicht erfolgt ist, kann in der Verwendung eines Bändchengewebes aus Spleißgarn nur eine Optimierung der Eigenschaften der aus EG-12 bekannten Verbundmatte gesehen werden. Die Optimierung der Eigenschaften bekannter Verbundgewebe gehört jedoch zum normalen Können eines Fachmanns und ist durch einige orientierende Versuche feststellbar. Insofern fehlt es vorliegend an einem erfinderischen Schritt, weil der Austausch eines neuen Werkstoffs (GEOLON¨) gegen einen bisher verwendeten in EG-12 nicht erfinderisch ist, wenn die gewünschten Eigenschaften des neuen Werkstoffs bereits bekannt sind.

Infolgedessen handelt es sich bei den im angegriffenen Schutzanspruch 1 angegebenen Merkmalen, die für sich genommen alle aus dem einschlägigen Stand der Technik bekannt sind, lediglich um eine Aggregation von an sich bekannten Merkmalen, die der Fachmann bei seiner zielgerichteten Vorgehensweise zur Lösung des zugrundeliegenden technischen Problems ohnehin vorsehen wird.

Der angegriffene Schutzanspruch 1 hat daher mangels eines erfinderischen Schritts keinen Bestand.

7. Die abhängigen Schutzansprüche 2 bis 9 werden von dem Löschungsausspruch erfasst, da in ihnen ein eigener schutzfähiger Gehalt nicht erkennbar ist und in der mündlichen Verhandlung auch nicht geltend gemacht worden ist.

8. Die Kostenentscheidung beruht auf § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG und §§ 91 ff. ZPO. Die Billigkeit erfordert keine andere Entscheidung.

Müllner Dr. Egerer Zettler Pü






BPatG:
Beschluss v. 22.04.2008
Az: 5 W (pat) 431/07


Link zum Urteil:
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