Oberlandesgericht München:
Urteil vom 20. Januar 2011
Aktenzeichen: 29 U 4446/10

(OLG München: Urteil v. 20.01.2011, Az.: 29 U 4446/10)

Tenor

I. Die Berufung der Antragstellerin gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30. August 2010 wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Gründe

I. Von einem Tatbestand wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Verfügungsanspruch auf Unterlassung nach § 97 Abs. 1 UrhG nicht zu, weil der von der Antragsgegnerin angekündigte Vertrieb des Films auf Blu-ray-Disc die Nutzungsrechte der Antragstellerin nicht verletzt. Der Streit der Parteien über das Bestehen eines Verfügungsgrunds kann daher auf sich beruhen.

1. Die Antragstellerin ist von der Filmherstellerin mit dem Verleih und der Auswertung des Films betraut worden und deshalb berechtigt, wegen einer Verletzung der Rechte der Filmherstellerin aus § 94 Abs. 1 Satz 1 UrhG Ansprüche nach § 97 Abs. 1 UrhG geltend zu machen (vgl. BGH, Urt. v. 17. September 2009 -1ZR 43/07 - Der Name der Rose Tz. 15).

2. Die Antragsgegnerin ist berechtigt, den Film auf Blu-ray-Disc zu vertreiben, weil einerseits die Antragstellerin die Befugnis hierzu der T.-Film GmbH & Co. und andererseits deren Rechtsnachfolgerin K. GmbH & Co. KGaA der Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin eingeräumt haben.

a) Die Antragsgegnerin ist Rechtsnachfolgerin der K. H. E. GmbH, die von der Antragstellerin in dem Rechtsstreit verklagt worden war, der vom Bundesgerichtshof mit dem oben genannten Urteil Der Name der Rose entschieden wurde.

Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, dass die Videoauswertungsrechte am Film ihrer Rechtsvorgängerin übertragen worden seien. Dem ist die Antragstellerin nicht entgegengetreten. Sie hat zwar in der Berufungsbegründungsschrift die Auffassung vertreten, die Antragsgegnerin habe diese Lizenzierung nur behauptet, nicht aber glaubhaft gemacht; darin liegt indes kein Bestreiten des Vorbringens der Antragsgegnerin, das eine Glaubhaftmachung hätte erforderlich werden lassen. Im Übrigen wäre dieses Vorbringen der Antragsgegnerin dadurch glaubhaft gemacht, dass der Bundesgerichtshof in dem vorangegangenen Rechtstreit die Rechteinräumung zu Grunde gelegt hat (vgl. BGH, a. a. O., -Der Name der Rose Tz. 6); unabhängig von der Reichweite der Rechtskraft jener Entscheidung erscheint es angesichts der in jenem Rechtsstreit eröffneten Möglichkeiten des Vortrags und des Beweises hierzu zumindest überwiegend wahrscheinlich, dass die Tatsachen, auf deren Grundlage der Bundesgerichtshof als Revisionsgericht zu entscheiden hatte, auch für den vorliegenden Fall zutreffen.

b) Die Antragstellerin hat der T.-Film GmbH & Co. jedenfalls mit der Vereinbarung vom 1. / 2. Juli 1997 die Nutzungsrechte auch hinsichtlich des Vertriebs auf Blu-ray-Disc eingeräumt. Ob bereits der Vertrag vom 12. November 1985 eine solche Rechteinräumung enthielt, kann schon aus diesem Grund dahin stehen; zudem betraf jener Vertrag keinesfalls das Beitrittsgebiet einschließlich Ost-Berlins (vgl. BGH, a. a. O., - Der Name der Rose Tz. 19 m. w. N.).

aa) Die Vereinbarung vom 1. / 2. Juli 1997 war nicht eine bloße - irrige - Aussage über die Rechtslage, sondern stellte rechtsverbindlich fest, dass das Recht zur Auswertung des Films bei der T.-Film GmbH & Co. lag (vgl. BGH, a. a. O. - Der Name der Rose Tz. 29).

9bb) Das Landgericht hat die Vereinbarung zutreffend dahin ausgelegt, dass sie auch das Recht zur Auswertung durch den Vertrieb des Films auf Blu-ray-Disc umfasste.

Für die Auslegung der im Jahr 1997 getroffenen Vereinbarung dürfen den darin verwendeten Begriffen nicht ihre heutigen Bedeutungsinhalte beigemessen werden; vielmehr ist auf das Verständnis im Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Es bleibt daher ohne Belang, dass der Begriff DVD jedenfalls seit dem Aufkommen der Blu-ray und HD-DVD genannten Systeme nur zur Bezeichnung des ursprünglichen Systems verwendet wird.

Die Vertragsparteien wollten die Filmverwertung auf der Grundlage des ihnen bekannten DVD-Systems regeln. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses war abzusehen, dass dieses System im Rahmen des allgemeinen Fortschritts verbessert werden würde. Wäre der Umfang der Rechteeinräumung auf den damaligen Stand der Technik beschränkt gewesen, so hätte die wirtschaftliche Bedeutung der eingeräumten Verwertungsmöglichkeiten mit jeder technischen Verbesserung abgenommen, weil dann eine Verwertung unter Inanspruchnahme dieser Verbesserung nicht mehr unter die Rechteeinräumung gefallen wäre. Eine solche Versteinerung wäre für keine der Vertragsparteien vorteilhaft gewesen, die beide mit ihrer Vereinbarung eine möglichst erfolgreiche Verwertung anstrebten und die Rechte soweit übertragen wollten wie dafür erforderlich. Insbesondere wäre es auch für die Antragstellerin unergiebig gewesen, sich die Rechte hinsichtlich technischer Systemverbesserungen vorzubehalten, weil es sich nicht bei jeder Verbesserung gelohnt hätte, einen neuen Vertriebsweg zu organisieren, während bei einer umfassenden Rechteeinräumung ihr Vertragspartner jeden technischen Fortschritt nutzen und so das Filmangebot gegenüber den Endverbrauchern attraktiv halten konnte. Eine an den urheberrechtlich relevanten Interessen orientierte Auslegung ergibt daher, dass mit der Vereinbarung vom 1. / 2. Juli 1997 die Nutzungsrechte für alle Verwertungen auf Datenträgern übertragen wurden, die dem damals bekannten DVD-System im Wesentlichen entsprachen, auch wenn sie diesem gegenüber technische Verbesserungen aufwiesen.

12Zutreffend hat das Landgericht als Charakteristikum des den Vertragsparteien bekannten Systems angesehen, dass ein digitales Speichermedium optisch ausgelesen wird. Zu Recht hat es darauf verwiesen, dass es bei dieser Grundlösung diverse Formate mit unterschiedlichen Speicherkapazitäten gibt, die sämtlich - auch heute noch - als DVD bezeichnet werden. Dass im Fall des Blu-ray-Systems eine eigenständige Bezeichnung gewählt worden ist, erlaubt nicht den Schluss, es handele sich dabei um ein davon grundlegend verschiedenes System, das in eine andere Kategorie falle. Vielmehr weist dieses System dasselbe Grundprinzip des Auslesens der in einem rotierenden Träger gespeicherten digitalen Daten mit Hilfe eines Laserstrahls auf wie das im Zeitpunkt des Vertragschlusses bekannte System. Dass die auf einer Blu-ray-Disc zur Verfügung stehende Datenmenge wegen technischer Verbesserungen - im Wesentlichen einer Verringerung sowohl der Wellenlänge des verwendeten Laserlichts als auch des Abstands zwischen Datenträger und Laseroptik - größer ist als die Datenmenge auf einer klassischen DVD, wie sie bereits zum Zeitpunkt der Vereinbarung bekannt war, stellt keinen grundlegenden Unterschied dar, der eine urheberrechtlich andersartige Verwertungsmöglichkeit eröffnet hätte. Auch die Bezeichnung HD-DVD für ein dem Blu-ray-Modell ähnliches System zeigt, dass derartige technische Weiterentwicklungen dem damals üblichen Sprachgebrauch nach als DVDSysteme verstanden werden können, die nur durch eine vorangestellte Erläuterung von anderen DVD-Systemen unterschieden werden.

Die Vereinbarung vom 1. / 2. Juli 1997 gestattete daher auch die Auswertung des Films auf Blu-ray-Disc.

3. Die von der Antragstellerin gegenüber der K. GmbH & Co. KGaA als Rechtsnachfolgerin der T.-Film GmbH & Co. ausgesprochenen Kündigungen des Vertrags vom 1. / 2. Juli 1997 können den Bestand des Nutzungsrechts der Antragsgegnerin nicht beeinträchtigen.

a) Die von der Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage der Zulässigkeit einer Antragserweiterung bedarf im Streitfall keiner Klärung, da die Kündigungen jedenfalls mangels richtigen Adressaten unwirksam sind.

Über das Vermögen der K. GmbH & Co. KGaA wurde am 14. Juni 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet; mit amtsgerichtlichem Beschluss vom 16. März 2003 wurden die zunächst angeordnete Eigenverwaltung aufgehoben und ein Insolvenzverwalter bestellt (der im Übrigen von der Antragstellerin im Prozess um die DVD-Auswertung ebenfalls verklagt worden war). Wegen des damit verbundenen Wegfalls der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis war die Schuldnerin seitdem nicht mehr der richtige Adressat für empfangsbedürftige Willenserklärungen mit Massebezug, so dass ihr solche nicht wirksam zugehen konnten; sie wären vielmehr an den Insolvenzverwalter zu richten (vgl. Uhlenbruch, in: Uhlenbruck/Hirte/Vallender, InsO, 13. Aufl. 2010, § 80 Rz. 89; Windel in: Jaeger, InsO, 2007, § 80 Rz. 65).

Im Streitfall waren die beiden Kündigungen vom 2. Dezember 2010 (vgl. Anl. ASt 23) und vom 17. Dezember 2010 (vgl. Anl. ASt 25), auf die sich die Antragstellerin beruft, nicht an den Insolvenzverwalter, sondern an die Schuldnerin selbst gerichtet. Sie konnten daher keine Wirksamkeit entfalten.

b) Im Übrigen bestehen erhebliche Bedenken gegen die Annahme der Antragstellerin, die Kündigungen des Hauptlizenzvertrags seien geeignet, das durch die Unterlizenzierung begründete Nutzungsrecht der Antragsgegnerin zu Fall zu bringen.

19Abgeleitete - einfache wie auch ausschließliche - Nutzungsrechte können die vorzeitige Beendigung des ihnen vorgelagerten Nutzungsrechts überdauern. Das beruht auf dem dinglichen Charakter der Unterlizenzierung und auf dem Umstand, dass für die Wirksamkeit der Einräumung einer Unterlizenz die zum Zeitpunkt der Verfügung vorliegende Verfügungsberechtigung maßgeblich ist. Der spätere Wegfall der Berechtigung des Verfügenden lässt die Wirksamkeit seiner früheren Verfügungen unberührt; die wirksam eingeräumten Enkelrechte sind rechtlich selbständig und vom Fortbestand des Tochterrechts unabhängig (vgl. BGH GRUR 2009, 946 - Reifen Progressiv, Tz. 19 m. w. N.).

Die gebotene Abwägung der sich gegenüber stehenden Interessen im Einzelfall (vgl. BGH, a. a. O., -Reifen Progressiv Tz. 21) dürfte im Streitfall keine anderweitige Beurteilung gebieten. Das Verwertungsinteresse der Antragstellerin wird durch den Fortbestand des Nutzungsrechts der Antragsgegnerin schon deshalb nicht ausgehöhlt, weil die Rechteeinräumung nach dem ursprünglichen Vertrag aus dem Jahr 1985 (vgl. Anlage ASt 3), auf den die Vereinbarung vom 1. / 2. Juli 1997 Bezug nimmt, auf dreißig Jahre nach der Erstaufführung des Films beschränkt ist, und daher die der Antragsgegnerin verbleibende Nutzungszeit überschaubar bleibt. Zu Gunsten der Antragsgegnerin spricht dagegen, dass sie nicht die Ursache für die gegenüber der K. GmbH & Co. KGaA erklärten Kündigungen gesetzt hat. Bei Würdigung der Gesamtumstände des Streitfalls erscheinen daher die Interessen der Antragsgegnerin am Fortbestand ihrer Nutzungsrechte gegenüber dem Verwertungsinteresse der Antragstellerin vorzugswürdig.

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.






OLG München:
Urteil v. 20.01.2011
Az: 29 U 4446/10


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