Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. Januar 2003
Aktenzeichen: 9 W (pat) 32/01

(BPatG: Beschluss v. 20.01.2003, Az.: 9 W (pat) 32/01)

Tenor

Auf die Beschwerden der Einsprechenden wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und das Patent widerrufen.

Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I Die Patentabteilung 21 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat nach Prüfung zweier Einsprüche das Patent mit der Bezeichnung Einrichtung zur Beeinflussung der Fahrzeugbewegungscharakteristik für das Erreichen und Halten eines stabilen Bewegungszustandsdurch Beschluss vom 12. April 2001 beschränkt aufrechterhalten, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß dem 12. Hilfsantrag gegenüber dem Stand der Technik auf erfinderischer Tätigkeit beruhe und die zugeordneten Unteransprüche sinnvolle Weiterbildungen von dessen Gegenstand enthielten, die nicht platt selbstverständlich seien. Das Patent ist durch Teilungserklärung vom 25. November 1995 aus dem unter Inanspruchnahme der Unionspriorität der Voranmeldung US 206 735 vom 15. Juni 1988 am 13. Juni 1989 angemeldeten Patent 39 19 347 hervorgegangen.

Gegen diesen Beschluss wenden sich sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechenden mit ihren Beschwerden. Die Einsprechenden beziehen sich dabei zum Stand der Technik auf die DE 36 25 392 A1 und zusätzlich unter anderem noch auf das Buch von Adam Zomotor, Fahrwerktechnik: Fahrverhalten, Vogel-Buchverlag Würzburg, 1. Aufl, 1987, Seiten 99 bis 117 und 229.

Die Patentinhaberin meint, die Teilungserklärung sei wirksam und legt neue Patentansprüche vor. Die Merkmale der Gegenstände nach diesen Patentansprüchen seien sowohl in den ursprünglich eingereichten als auch in den der Patenterteilung zugrunde gelegten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart; diese Gegenstände seien auch neu, gewerblich anwendbar und beruhten gegenüber dem insgesamt aufgedeckten Stand der Technik auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

Einrichtung zur Beeinflussung der Führungseigenschaft eines Fahrzeugs für das Erreichen und Halten eines stabilen Bewegungszustands mit einer Bremsanlage, welche Druckmodulationseinrichtungen (52, 54, 56, 58) hat, die den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22, 24, 26) vorgeschaltet sind, für das Aufbringen eines Bremsdrucks an den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22, 24, 26) auch ungeachtet einer Betätigung des Bremspedals (50) und für das individuelle Modulieren des Bremsdrucks an den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22 oder 24, 26) nur einer ausgewählten Längsseite des Fahrzeugs, wobei die den hinteren Fahrzeugrädern (22, 26) vorgeschalteten Druckmodulationseinrichtungen (54, 58) auch weggelassen werden können und mit einem Steuergerät (4), welches Wirkungen von auf das Fahrzeug einwirkenden Querkräften anzeigende Messdaten von Fühleinrichtungen erhält und welches für den Fall, dass das Vorhandensein von destabilisierenden Querkräften bestimmt wird, die Druckmodulationseinrichtungen (52, 54, 56, 58) derart steuert, dass die vorderen und hinteren Fahrzeugräder (20, 22 oder 24, 26) der einen ausgewählten Längsseite oder alleine das eine vordere Fahrzeugrad (20 oder 24) dieser Längsseite auch bei unbetätigtem Bremspedal (50) mit einem Bremsdruck beaufschlagbar sind oder ist, der individuell auf einen Wert eingestellt wird, um unabhängig von der aktuellen Fahrzeugbewegung eine Führungseigenschaft im stabilen Bewegungszustandsbereich zu erreichen.

Patentanspruch 1 gemäß 1. Hilfsantrag lautet:

Einrichtung zur Beeinflussung der Führungseigenschaft eines Fahrzeugs für das Erreichen und Halten eines stabilen Bewegungszustands mit einer Bremsanlage, welche Druckmodulationseinrichtungen (52, 54, 56, 58) hat, die den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22, 24, 26) vorgeschaltet sind, für das Aufbringen eines Bremsdrucks an den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22, 24, 26) auch ungeachtet einer Betätigung des Bremspedals (50) und für das individuelle Modulieren des Bremsdrucks an den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22 oder 24, 26) nur einer ausgewählten Längsseite des Fahrzeugs, wobei die den hinteren Fahrzeugrädern (22, 26) vorgeschalteten Druckmodulationseinrichtungen (54, 58) auch weggelassen werden können und mit einem Steuergerät (4), welches Wirkungen von auf das Fahrzeug einwirkenden Querkräften anzeigende Messdaten von Fühleinrichtungen erhält und welches für den Fall, dass das Vorhandensein von destabilisierenden Querkräften bestimmt wird, die Druckmodulationseinrichtungen (52, 54, 56, 58) derart steuert, dass die vorderen und hinteren Fahrzeugräder (20, 22 oder 24, 26) der einen ausgewählten Längsseite oder alleine das eine vordere Fahrzeugrad (20 oder 24) dieser Längsseite auch bei unbetätigtem Bremspedal (50) mit einem Bremsdruck beaufschlagbar sind oder ist, der individuell auf einen Wert eingestellt wird, um unabhängig von der aktuellen Fahrzeugbewegung auch bei Geradeausfahrt eine Führungseigenschaft im stabilen Bewegungszustandsbereich zu erreichen.

Patentanspruch 1 gemäß 2. Hilfsantrag lautet:

Einrichtung zur Beeinflussung der Führungseigenschaft eines Fahrzeugs für das Herbeiführen und Halten eines stabilen Bewegungszustands mit einer Bremsanlage, welche Druckmodulationseinrichtungen (52, 54, 56, 58) hat, die den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22, 24, 26) vorgeschaltet sind, für das Aufbringen eines Bremsdrucks an den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22, 24, 26) auch ungeachtet einer Betätigung des Bremspedals (50) und für das individuelle Modulieren des Bremsdrucks an den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22 oder 24, 26) nur einer ausgewählten Längsseite des Fahrzeugs und mit einem Steuergerät (4), welches Wirkungen von auf das Fahrzeug einwirkenden Querkräften anzeigende Messdaten von Fühleinrichtungen erhält und welches für den Fall, dass das Vorhandensein von Unter- und Übersteuerung auslösenden Querkräften bestimmt wird, die Druckmodulationseinrichtungen (52, 54, 56, 58) derart steuert, dass die vorderen und hinteren Fahrzeugräder (20, 22 oder 24, 26) der einen ausgewählten Längsseite auch bei unbetätigtem Bremspedal (50) mit einem Bremsdruck beaufschlagbar sind, der individuell auf einen Wert eingestellt wird, um unabhängig von der aktuellen Fahrzeugbewegung eine Führungseigenschaft im stabilen Bewegungszustandsbereich herbeizuführen.

Diesen Patentansprüchen 1 schließen sich jeweils 6 Patentansprüche an, die auf diese Patentansprüche 1 zumindest indirekt zurückbezogen sind.

Patentanspruch 1 gemäß 3. Hilfsantrag lautet:

Einrichtung zur Beeinflussung der Führungseigenschaft eines Fahrzeugs für das Erreichen und Halten eines stabilen Bewegungszustands mit einer Bremsanlage, welche Druckmodulationseinrichtungen (52, 54, 56, 58) hat, die den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22, 24, 26) vorgeschaltet sind, für das Aufbringen eines Bremsdrucks an den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22, 24, 26) auch ungeachtet einer Betätigung des Bremspedals (50) und für das individuelle Modulieren des Bremsdrucks an den vorderen und hinteren Fahrzeugrädern (20, 22 oder 24, 26) nur einer ausgewählten Längsseite des Fahrzeugs, wobei die den hinteren Fahrzeugrädern (22, 26) vorgeschalteten Druckmodulationseinrichtungen (54, 58) auch weggelassen werden können und mit einem Steuergerät (4), welches Wirkungen von auf das Fahrzeug einwirkenden Querkräften anzeigende Messdaten von Fühleinrichtungen erhält und welches für den Fall, dass das Vorhandensein von destabilisierenden Querkräften bestimmt wird, die Druckmodulationseinrichtungen (52, 54, 56, 58) derart steuert, dass die vorderen und hinteren Fahrzeugräder (20, 22 oder 24, 26) der einen ausgewählten Längsseite oder alleine das eine vordere Fahrzeugrad (20 oder 24) dieser Längsseite auch bei unbetätigtem Bremspedal (50) mit einem Bremsdruck beaufschlagbar sind oder ist, der individuell auf einen Wert eingestellt wird, um eine neutrale Führungseigenschaft und für den Fall eines aktiven aktuelles Fahrmanövers wie beispielsweise eine Kurvenfahrt eine Führungseigenschaft im vernachlässigbaren Untersteuerungsbereich zu erreichen.

Diesem Patentanspruch 1 schließen sich 5 Patentansprüche an, die auf Patentanspruch 1 zurückbezogen sind.

Die Patentinhaberin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent 1. auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Hauptantrag vom 20. Januar 2003, 2. hilfsweise, auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 7 gemäß 1. Hilfsantrag vom 20. Januar 2003, 3. weiter hilfsweise, auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 7 gemäß 2. Hilfsantrag vom 20. Januar 2003, 4. ferner hilfsweise, auf der Grundlage der Patentansprüche 1 bis 6 gemäß früherem 2. Hilfsantrag vom 20. Dezember 2002, der 3. Hilfsantrag wird, beschränkt aufrechtzuerhalten sowie die Beschwerden der Einsprechenden zurückzuweisen.

Die Einsprechenden stellen übereinstimmend den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu widerrufen sowie die Beschwerde der Patentinhaberin zurückzuweisen.

Die Einsprechenden sind übereinstimmend der Auffassung, die Teilungserklärung vom 29. November 1995 sei unwirksam, was vom Senat im Beschwerdeverfahren zum Stammpatent durch Beschluss vom 25. Juli 2001 bereits festgestellt worden sei. Bei unwirksamer Teilungserklärung komme der Trennanmeldung als Zeitrang nicht mehr der Prioritätstag der Stammanmeldung sondern nur noch der Tag der Einreichung der Trennanmeldung zu, so dass die vor diesem Zeitpunkt veröffentlichte Offenlegungsschrift der Stammanmeldung neuheitsschädlich entgegen stehe. Die Patentansprüche seien auch unzulässig, weil sie sowohl gegenüber den ursprünglich eingereichten als auch gegenüber den der Patenterteilung zugrunde gelegten Unterlagen unzulässig erweitert seien. Schließlich seien die Gegenstände nach den Patentansprüchen 1 gegenüber dem Stand der Technik nach der DE 36 25 392 A1 nicht mehr neu, zumindest aber nicht mehr erfinderisch.

II Die statthaften Beschwerden sind frist- und formgerecht eingelegt worden. In der Sache hat die Beschwerde der Patentinhaberin im Gegensatz zu den Beschwerden der Einsprechenden keinen Erfolg.

1. Die Teilungserklärung vom 29. November 1995 ist wirksam.

Nach der neueren Rechtsprechung des BGH in Mitt 2002, 526 ff, X ZB 18/01 vom 30. September 2002 - Sammelhefter, muss nicht schon bei der Abgabe der Teilungserklärung der Gegenstand des in dem jeweiligen Verfahren erstrebten Patentschutzes feststehen. Der bis zur Patenterteilung vorläufige Charakter der in der Anmeldung formulierten Patentansprüche schließt es aus, die Teilung von der inhaltlichen Aufspaltung der beanspruchten Lehre nach Maßgabe der angemeldeten Ansprüche abhängig zu machen. Damit genügt die abgegebene Teilungserklärung den vom BGH neuerdings vorgegebenen Anforderungen.

Im übrigen gibt es für ein vom Deutschen Patent- und Markenamt trotz unwirksamer Teilungserklärung erteiltes Patent keinen Widerrufsgrund wegen unwirksamer Teilung, da ein solcher nicht zu den in § 21 PatG abschließend angeführten Widerrufsgründen zählt, vgl "Sammelhefter" aaO.

An der Wirksamkeit der Teilungsverklärung vermag die im Beschluss vom 25. Juli 2001 getroffene Feststellung einer Unwirksamkeit der Teilungserklärung nichts zu ändern, da diese Feststellung nur bindenden Charakter für das die beschränkte Aufrechterhaltung des Stammpatents betreffende Verfahren 9 W (pat) 30/99, nicht aber für das vorliegende Verfahren hat.

2. Das Patent betrifft eine Einrichtung zur Beeinflussung der Fahrzeugbewegungscharakteristik für das Erreichen und Halten eines stabilen Bewegungszustands mit den Merkmalen nach Patentanspruch 1. In der Beschreibungseinleitung ist ausgeführt, dass während einer Fahrzeugbewegung, wie einer Kurvenfahrt, sowohl Längskräfte als auch seitliche Kräfte das Verhalten des Fahrzeugs in der Seiten- und Längsrichtung beeinflussen, wie es in dem Aufsatz "A Study on Vehicle Turning Behaviour in Acceleration and in Braking" von Masato Abe, SAE Technical Paper Nr. 852 184, S. 75 bis 86 erläutert sei. Danach stünden komplizierte Bewegungsgleichungen bei der Erläuterung des kombinierten Seiten- und Längsverhaltens des Fahrzeugs miteinander in engem Zusammenhang, weil viele der stabilen Gleichgewichtsbedingungen, die während eines Betriebs mit konstanter Geschwindigkeit bestünden, nicht während eines Bremsens oder einer Beschleunigung des Fahrzeugs vorlägen oder vorliegen könnten. Obgleich im Stand der Technik erkannt worden sei, dass Längs- wie auch Querkräfte die Fahrzeugbewegung während einer Kurvenfahrt beeinflussen, so bestehe dennoch die Notwendigkeit, ein Regelsystem für eine Fahrzeugbewegung zu schaffen, das tatsächlich einen Ausgleich für die Querkräfte herbeiführe, welche die Fahrstabilität im Verlauf der Fahrzeugbewegung nachteilig beeinflussten.

Ein ausbrechempfindliches Steuersystem für Kraftfahrzeuge nach der DE 35 18 221 A1 zeige ein Bremssteuersystem, das den Bremsdruck an den Vorderrädern unterschiedlich zu dem Bremsdruck an den Hinterrädern derart regle, dass der Bremsdruck an den Vorderrädern simultan verringert werde, falls das System im Falle eines durch den Fahrer eingeleiteten Bremsvorgangs eine Zunahme der Untersteuerung feststelle und dass der Bremsdruck an den Hinterrädern simultan verringert werde, falls das System während des Bremsvorgangs durch den Fahrer die Zunahme der Übersteuerung feststelle. Grundlage dieses Systems bilde die Kenntnis, dass das Bremsen während einer Kurvenfahrt eine Zunahme des Radrutschens bewirke, wodurch die Seitenführungskraft des Fahrzeugs in Kurvenfahrt verringert werde. Der Zweck dieses Systems bestehe demzufolge darin, diese Zunahme des Radrutschens bei gleichzeitiger Verringerung der Seitenführungskraft, verursacht durch einen vom Fahrer eingeleiteten Bremsvorgang, zu eliminieren.

Vor diesem Hintergrund ist in der Patentschrift die Aufgabe formuliert, die Fahreigenschaften eines Kraftfahrzeugs zu verbessern, indem die Fahrzeugstabilität über einen weiten Bereich aufrecht erhalten wird. Diese Aufgabe soll mit den Merkmalen nach den verschiedenen Patentansprüchen 1 gemäß dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen gelöst werden.

3. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Patentansprüche 1 nach Hauptantrag und dem 1. und 2. Hilfsantrag zulässig sind, denn die Gegenstände nach diesen Patentansprüchen beruhen jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3.1. Zum Haupt- und 1. Hilfsantrag Aus der DE 36 25 392 A1 ist ein Regelsystem zur Verhinderung von Schleuderbewegungen eines Fahrzeugs, insbesondere bestehend aus einer Regeleinheit bekannt, durch welche die Drehgeschwindigkeit von mindestens einem Rad unabhängig von der Drehgeschwindigkeit der übrigen Räder regelbar ist. Ein derartiges Regelsystem ist nach Spalte 2, Zeilen 25 bis 30, z.B. in einem sogenannten Antiblockiersystem enthalten, durch welches bei einem Bremsvorgang ein Blockieren der Räder eines Kraftfahrzeugs vermieden wird, so dass dieses lenkbar bleibt. Der Bremsdruck an diesem mindestens einen Rad kann gegenüber den anderen Rädern individuell moduliert werden, wie es bei Antiblockiersystemen im allgemeinen üblich ist. Ein derartiges Regelsystem hat nach Spalte 2, Zeilen 31 bis 36, den Nachteil, dass insbesondere bei einer unvorhersehbaren Schleuderbewegung des Kraftfahrzeugs immer noch ein hohes fahrerisches Können des Kraftfahrzeuglenkers erforderlich ist, um das Kraftfahrzeug wieder in einen leicht beherrschbaren Fahrzustand zu bringen. Es soll deshalb die Aufgabe gelöst werden, ein Regelsystem anzugeben, mit dem ein Schleudern und/oder Driften eines Kraftfahrzeuges vermeidbar ist. Diese Aufgabe soll nach Patentanspruch 1 dadurch gelöst werden,

- dass die Regeleinheit mindestens einen Drehgeschwindigkeitssensor enthält, welcher eine Ist-Drehgeschwindigkeit des Kraftfahrzeuges um eine Achse detektiert, die im wesentlichen senkrecht auf der Fahrbahnebene steht,

- dass die Regeleinheit mindestens einen Geschwindigkeitssensor enthält, welcher die Fahrgeschwindigkeit in der Längsrichtung des Kraftfahrzeuges detektiert,

- dass die Regeleinheit mindestens einen Winkelsensor enthält, welcher den Lenkwinkel zumindest der lenkbaren Räder detektiert,

- dass in der Regeleinheit aus dem Lenkwinkel und der Fahrzeuggeschwindigkeit eine Soll-Drehgeschwindigkeit bestimmbar ist,

- dass bei einer Abweichung der Ist-Drehgeschwindigkeit von der Soll-Drehgeschwindigkeit in der Regeleinheit ein Korrektursignal entsteht und - dass die Regeleinheit in Abhängigkeit von dem Korrektursignal die Drehgeschwindigkeit und/oder den Lenkwinkel von mindestens einem Rad derart ändert, dass Ist- und Soll-Drehgeschwindigkeit im wesentlichen gleich sind.

Durch diese Merkmale wird nur der Teil der Aufgabe gelöst, dass ein Schleudern vermieden wird, da zum Vermeiden des Driftens auch noch ein Beschleunigungssensor erforderlich ist, der im Patentanspruch 3 erwähnt ist.

Das bekannte Regelsystem nach Patentanspruch 1 verhindert ganz allgemein Schleuderbewegungen eines Kraftfahrzeuges, so dass es an sich alle Arten von Schleuderbewegungen um eine im wesentlichen senkrecht auf der Fahrbahn stehende Achse umfasst. Einem Durchschnittsfachmann, einem Diplomingenieur der Fachrichtung Maschinen- oder Kraftfahrzeugbau mit Erfahrung in der Entwicklung von Fahrzeugen, insbesondere im Hinblick auf stabiles Fahrverhalten, ist es geläufig, dass solche nachteiligen Schleuderbewegungen sowohl bei vom Fahrer betätigten Bremspedal als auch bei ungebremster Kurven- oder Geradeausfahrt auftreten können.

Die Patentinhaberin macht geltend, dass mit dem in Spalte 2, Zeilen 25 bis 30, nur bspw erwähnten Antiblockiersystem ein Bremsdruck an zumindest einem Fahrzeugrad nur dann moduliert werden könnte, wenn der Fahrer das Bremspedal bei Kurvenfahrt betätigt. Demgegenüber versteht es sich von selbst, dass im Sinne eines stabilen Fahrverhaltens alle auftretenden Schleuderbewegungen sowohl bei betätigtem als auch bei nicht betätigtem Bremspedal und sowohl bei Kurven- als auch bei Geradeausfahrt vermieden werden sollten. Wie der Senat bereits in seiner Entscheidung zum Stammpatent erkannt hat, versteht der Durchschnittsfachmann die Offenbarung der DE 36 25 391 A1 so, daß mit dem bekannten Regelsystem, wie bei den in Verbindung mit Antriebsschlupfregelungen bekannten Antiblockiersystemen, eine Bremskraft auch bei vom Fahrer unbetätigtem Bremspedal an zumindest einem Fahrzeugrad moduliert werden kann, um sowohl bei betätigtem als auch bei unbetätigtem Bremspedal sowohl bei Kurven- als auch bei Geradeausfahrt die nachteiligen Schleuderbewegungen zu vermeiden, vgl. 9 W (pat) 30/00 vom 25.7.2001, insb S. 11 u. 12..

Wenn nach Anspruch 1 gemäß der DE 36 25 392 A1 in der Regeleinheit aus dem Lenkwinkel und der Fahrgeschwindigkeit eine Soll-Drehgeschwindigkeit bestimmbar ist, weiß der Fachmann, dass diese auch Soll-Giergeschwindigkeit und von der Patentinhaberin Soll-Giergrad bezeichnete Größe abhängig von einer Konstanten; dem sogenannten Eigenlenkverhalten ist, die in dem von den Einsprechenden genannten Buch von Adam Zomotor, Fahrwerktechnik: Fahrverhalten, Seite 112 in der Gleichung 4.27 mit EG (Eigenlenk-Gradient) und in der entsprechenden Formel im Anspruch 7 von der Patentinhaberin mit kus bezeichnet ist. Die Konstante EG bzw. kus hat für neutrales Fahrverhalten den Wert 0 und der Wert kus soll für vernachlässigbare Untersteuerung bis 1¡ liegend gewählt werden. Es ist in der DE 36 25 392 A1 nicht erläutert, ob die in der Regeleinheit bestimmte Soll-Drehgeschwindigkeit für ein Fahrzeug mit neutraler, übersteuernder oder untersteuernder Fahrzeugcharakteristik bestimmt sein soll. Da Fahrzeuge mit neutraler oder leicht untersteuernder Fahrzeugcharakteristik bekanntlich am einfachsten zu beherrschen sind, liegt es nahe, auch für ein Fahrzeug mit einem Bremsregelsystem nach der DE 36 25 392 A1 eine solche neutrale Fahrzeugcharakteristik vorzugeben und den Wert EG bzw. kus für die Bestimmung der Soll-Drehgeschwindigkeit bzw des Soll-Giergrades mit Null anzusetzen. Ein derart vorgegebener Wert führt dann, unabhängig vom Beladungszustand des Fahrzeugs, auch wenn sich die Fahrzeugcharakteristik an sich bspw durch Beladung ändern sollte, stets zur Vorgabe einer Soll-Drehgeschwindigkeit, die einem neutralen Fahrverhalten entspricht, so dass die Ist-Drehgeschwindigkeit durch Abbremsen des mindestens einen Fahrzeugrades solange verändert wird, bis die dem neutralen Fahrverhalten entsprechende Soll-Drehgeschwindigkeit erreicht ist. Insofern handelt es sich auch hierbei um eine Einrichtung zur Beeinflussung der Führungseigenschaft eines Fahrzeugs für das Erreichen eines stabilen Bewegungszustandes.

Der Sensor, mit dem die der Regeleinheit zum Vergleich mit der Soll-Drehgeschwindigkeit zugeführte Ist-Drehgeschwindigkeit gemessen wird, entspricht einer Fühleinrichtung, welche Wirkungen von auf das Fahrzeug einwirkenden Querkräften anzeigende Messdaten abgibt, die die Regeleinheit bzw das Steuergerät erhält. Die Regeleinheit bzw. das Steuergerät bestimmt mit dem Soll-Istwert-Vergleich das Vorhandensein von destabilisierenden Querkräften und steuert die Druckmodulationseinrichtungen derart, dass unabhängig von der Fahrzeugbewegung eine Führungseigenschaft im neutralen bzw. stabilen Bewegungszustand erreicht wird.

Da in der DE 36 25 392 A1 im Anspruch 1 herausgestellt ist, dass die Regeleinheit in Abhängigkeit von dem bei einer Abweichung der Ist-Drehgeschwindigkeit von der Soll-Drehgeschwindigkeit entstehenden Korrektursignal, also beim Vorhandensein von destabilisierenden Querkräften, die Drehgeschwindigkeit von mindestens einem Fahrzeugrad derart ändert, dass Ist- und Soll-Drehgeschwindigkeit im wesentlichen gleich sind, ergibt sich daraus für den Fachmann, dass eine Bremskraft an nur einer Längsseite des Fahrzeugs aufgebracht werden kann. Da es darüber hinaus auf der Hand liegt, dass das mit einer solchen Bremskraft auf das Fahrzeug aufgebrachte, einer Schleuderbewegung entgegenwirkende Moment nur durch eine Bremskraft verstärkt werden kann, die auf ein Fahrzeugrad auf derselben Längsseite des Fahrzeuges wirkt, bietet sich ohne weiteres der Vorschlag an, gegebenenfalls an beiden Fahrzeugrädern einer Längsseite eines Fahrzeugs einen Bremsdruck aufzubauen. Da bekanntlich auch an den Vorderrädern eines Fahrzeuges ein höherer Bremsdruck aufgebaut werden kann als an den Hinterrädern und die Hinterräder abhängig von der Beladung des Kraftfahrzeuges bei unterschiedlichen Bremsdrücken in einen kritischen Bereich kommen können, bietet es sich auch ohne weiteres an, am Vorderrad individuell einen anderen Bremsdruck aufzubauen als an dem Hinterrad und an dem Hinterrad abhängig vom Erreichen eines kritischen Zustands den Bremsdruck individuell so zu steuern, dass auch bei unbetätigtem Bremspedal unabhängig von der Fahrzeugbewegung, also sowohl bei Kurven- als auch bei Geradeausfahrt, eine Führungseigenschaft im neutralen, also stabilen Bewegungszustandsbereich erreicht und gehalten wird.

Da aufgrund derart einfacher Maßnahmen, mit denen nur die bekannten bzw. ohne weiteres vorhersehbaren vorteilhaften Wirkungen ausgenützt werden, ohne erfinderische Tätigkeit Einrichtungen nach den Patentansprüchen 1 gemäß Haupt- und 1. Hilfsantrag erzielt werden, sind diese Patentansprüche nicht beständig.

3.2 Zum Hilfsantrag 2 Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag zum einen dadurch, dass das alternative Merkmal "wobei die den hinteren Fahrzeugrädern vorgeschalteten Druckmodulationseinrichtungen auch weggelassen werden können" entfallen ist und zum anderen, dass das Merkmal "von destabilisierenden Querkräften" durch das Merkmal "von Unter- und Übersteuerung auslösenden Querkräften" ersetzt ist.

Soweit die Merkmale der Einrichtung nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 mit den Merkmalen der Einrichtung nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag übereinstimmen, gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend.

Das Weglassen des alternativen Merkmals verändert die erste Alternative der Einrichtung nach Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht, zu der bereits vorstehend ausgeführt worden ist, dass sie nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht. Unter- und Übersteuerung auslösende Querkräfte als Kriterium dafür, dass das Steuergerät die Druckmodulationseinrichtung ansteuern soll, um eine Führungseigenschaft im stabilen Bewegungszustandsbereich herbeizuführen, ergeben sich ganz von selbst, wenn in naheliegender Weise ein neutrales Fahrverhalten angestrebt werden soll. In diesem Fall stellt nämlich eine Unter- und Übersteuerung eine unerwünschte Führungseigenschaft dar, bei der Soll- und Ist-Drehgeschwindigkeit nicht mehr gleich sind, so dass das Steuergerät die Druckmodulationseinrichtung bestimmungsgemäß ansteuern muss.

3.3 Zum 3. Hilfsantrag Der Patentanspruch 1 nach dem 3. Hilfsantrag ist unzulässig.

In diesem Patentanspruch ist das Merkmal aufgenommen, "um eine neutrale Führungseigenschaft und für den Fall eines aktiven aktuellen Fahrmanövers wie bspw eine Kurvenfahrt eine Führungseigenschaft im vernachlässigbaren Untersteuerungsbereich zu erreichen". Das entsprechende Merkmal ist in der Stammanmeldung aus Spalte 2 Zeile 67 bis Spalte 3 Zeile 6 hergeleitet. Danach hält die Bremsregeleinrichtung auf der Grundlage des Ausgangssignals die Führungseigenschaft oder Handling-Charakteristik des Fahrzeugs neutral, d.h. sie verhindert ein Über- oder Untersteuern, oder sie erlaubt im besten Fall lediglich ein vernachlässigbares Auftreten eines Fahrmanövers, wie einer Kurvenfahrt. Danach soll also das Fahrverhalten einerseits neutral sein, während eines Fahrmanövers, wie einer Kurvenfahrt, soll aber ein vernachlässigbares Auftreten eines Untersteuerns erlaubt sein. Diese Passage findet sich in der zur Trennanmeldung gehörenden Patentschrift nicht mehr.

Die Patentinhaberin meint, dieses Merkmal sei aus Spalte 3, Zeilen 28 bis 30 und 36 bis 46 sowie Spalte 5, Zeilen 43 bis 49, der zur Trennanmeldung gehörenden Patentschrift herleitbar. In Spalte 3, Zeilen 28 bis 30, heißt es, dass unabhängig vom aktuellen Fahrzustand die gewünschte Fahrzeugbewegungscharakteristik erreichbar ist. Welche Fahrzeugcharakteristik gewünscht wird, ist hier nicht angegeben. Nach Spalte 3, Zeilen 36 bis 46, kann bspw für eine bestimmte zu erreichende Fahrzeugbewegungscharakteristik der neutrale Fahrzustand erhalten werden, dh das Fahrzeug zeigt in diesem Fall neutrale Fahreigenschaften. Es kann aber auch eine solche Fahrzeugbewegungscharakteristik gewünscht sein, die ein Fahrzeugverhalten unterschiedlich zum neutralen Fahrzustand, bspw ein leichtes Untersteuern bewirkt. Auf diese Weise ist es möglich, das Fahrzeug aktiv auf eine bestimmte Bewegungscharakteristik einzustellen. Daraus lässt sich nur herleiten, dass entweder für alle Fahrzeugbewegungen nur ein neutraler Fahrzustand oder nur ein leichtes Untersteuern erreicht werden soll, keinesfalls aber, dass eine Führungseigenschaft neutral und nur während eines Fahrmanövers ein Auftreten eines vernachlässigbaren Untersteuerns erlaubt sein soll.

Nach Spalte 5, Zeilen 43 bis 49, soll, um die neutralen Führungseigenschaften des Fahrzeugs aufrechtzuerhalten, dh einen Über- oder Untersteuerungszustand während einer Kurvenfahrt zu vermeiden oder zumindest die Führungseigenschaft auf eine vernachlässigbare Untersteuerung zu begrenzen, kus als im Bereich von 0 bis 1¡ liegend gewählt werden. Auch hieraus ergibt sich nur, dass während einer Kurvenfahrt eine entsprechende Führungseigenschaft vorhanden sein soll, es findet sich aber kein Anhaltspunkt dafür, dass bei fehlendem Fahrmanöver ein anderes Fahrverhalten auftreten soll.

Somit findet dieses in den Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 aufgenommene Merkmal keine Stütze in der Patentschrift.

4. Die auf die nicht bestandsfähigen Patentansprüche 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 7 bzw 2 bis 6 fallen mit den Patentansprüchen 1 schon aus formalen Gründen.

Petzold Winklharrer Dr. Fuchs-Wissemann Bork Bb






BPatG:
Beschluss v. 20.01.2003
Az: 9 W (pat) 32/01


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