Bundesgerichtshof:
Urteil vom 26. September 2005
Aktenzeichen: AnwSt (R) 9/04
(BGH: Urteil v. 26.09.2005, Az.: AnwSt (R) 9/04)
Tenor
Die Revision der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main gegen das Urteil des 1. Senats des Hessischen Anwaltsgerichtshofs vom 9. Februar 2004 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die der Rechtsanwältin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main.
Von Rechts wegen.
Gründe
Das Anwaltsgericht hat die Rechtsanwältin wegen Berufspflichtverletzungen nach §§ 43, 56 Abs. 1 Satz 1, 113 BRAO i.V.m. §§ 11 Abs. 2, 17 BORA zu einem Verweis und einer Geldbuße von 500 € verurteilt. Auf ihre Berufung hat der Anwaltsgerichtshof sie freigesprochen und die Revision zugelassen. Mit der zugelassenen Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main allein gegen den Freispruch vom Vorwurf eines Verstoßes gegen § 56 Abs. 1 BRAO und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
1. Zum Verstoß gegen § 56 BRAO hat der Anwaltsgerichtshof folgendes festgestellt:
Mit Schreiben vom 13. September 2000 ist die Rechtsanwältin von dem Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer unter Hinweis auf § 56 BRAO aufgefordert worden, zu der Beschwerde eines Mandanten Stellung zu nehmen. Auf dieses Schreiben, das eine Belehrung über ihr Auskunftsverweigerungsrecht nach § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO enthielt, und auf weitere Erinnerungen reagierte die Rechtsanwältin nicht. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2000 hat der Präsident der Rechtsanwaltskammer in seiner Eigenschaft als vom Vorstand beauftragtes Vorstandsmitglied sie erneut aufgefordert, Auskunft zu erteilen. Eine Belehrung über ihr Auskunftsverweigerungsrecht enthielt dieses Schreiben nicht.
2. Der Freispruch vom Vorwurf einer Berufspflichtverletzung nach § 56 Abs. 1 BRAO hält rechtlicher Überprüfung stand.
Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 BRAO ist der Rechtsanwalt zur Auskunft verpflichtet, wenn er vom Vorstand oder einem beauftragten Mitglied des Vorstands in einer Aufsichts- oder Beschwerdesache dazu aufgefordert wird. Die Pflicht zur Auskunftserteilung entfällt u.a. dann, wenn der Rechtsanwalt sich durch wahrheitsgemäße Beantwortung der Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat, Ordnungswidrigkeit oder Berufspflichtverletzung aussetzen würde und er sich auf sein Auskunftsverweigerungsrecht beruft, auf das er nach § 56 Abs. 1 Satz 3 BRAO hinzuweisen ist. Die schuldhafte Nichterfüllung dieser Pflicht stellt eine Berufspflichtverletzung dar, die geahndet werden kann.
Zu Recht ist der Anwaltsgerichtshof davon ausgegangen, dass die Nichtbeantwortung der Schreiben vom 13. September und 4. Dezember 2000 durch die Rechtsanwältin nicht als Berufspflichtverletzung nach § 56 Abs. 1 BRAO sanktioniert werden kann, weil die Rechtsanwältin nicht ordnungsgemäß zur Auskunftserteilung aufgefordert worden war. Das Schreiben des Geschäfts-
führers vom 13. September 2000 vermochte die Auskunftspflicht nicht auszulösen, weil nach der ausdrücklichen gesetzlichen Regelung die Rechte aus § 56 BRAO dem Geschäftsführer nicht zustehen. Aber auch das Schreiben des Präsidenten vom 4. Dezember 2000, der hier als beauftragtes Mitglied des Vorstands handelte und deshalb berechtigt war, die Auskünfte zu erfordern, war nicht geeignet, an die Untätigkeit der Rechtsanwältin auf das Auskunftsverlangen eine Sanktion zu knüpfen. Denn seine Aufforderung zur Auskunftserteilung, die nach den Urteilsfeststellungen auch nicht auf das vorangegangene Schreiben des Geschäftsführers Bezug nahm, war nicht mit dem Hinweis auf das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO verbunden. Dass ein solcher Hinweis zwingend erteilt werden muss, und zwar durch den Vorstand oder ein beauftragtes Vorstandsmitglied, ergibt sich aus § 56 Abs. 1 Satz 3 BRAO, in dem unmittelbar im Zusammenhang mit § 56 Abs. 1 Satz 1 BRAO die Hinweispflicht geregelt ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte mit der durch Gesetz vom 2. September 1994 (BGBl I 2278) eingeführten Belehrungspflicht dem häufigen Einwand in berufsgerichtlichen Verfahren begegnet werden, dass dem Rechtsanwalt diese Berufspflicht (also nicht etwa nur das Auskunftsverweigerungsrecht) nicht bekannt gewesen sei. Sie soll dem Anwalt die ihm obliegende Verpflichtung zur Auskunftserteilung bei Anfragen des Vorstands verdeutlichen (BT-Drucks. 12/4993 S. 33). Dem entspricht es, schon für die Erfüllung des die Sanktion begründenden Tatbestands die Belehrung nach § 56 Abs. 1 Satz 3 BRAO durch den nach § 56 Abs. 1 Satz 1 BRAO zuständigen Vorstand (oder ein beauftragtes Mitglied) zu fordern. Eine solche Auslegung trägt zudem dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bestimmtheit und Klarheit von Gebotsnormen Rechnung. Dies ist insbesondere dann unabdingbar, wenn die Nichtbefolgung mit Sanktionen geahndet werden kann.
Stellte man hingegen für die Normerfüllung darauf ab, ob der Rechtsanwalt im Einzelfall sein Auskunftsverweigerungsrecht und seine Pflicht, sich ggf. darauf zu berufen, kannte, könnte es zu erheblichen Problemen bei der praktischen Anwendbarkeit der Norm - Nachweisbarkeit der Kenntnis - kommen, zumal eine solche Kenntnis bei einem Rechtsanwalt als Rechtskundigem nicht fern liegt. Im Ergebnis führte dies dazu, dass regelmäßig auch bereits die Belehrung durch den Geschäftsführer ausreichte, was ersichtlich vom Gesetzgeber nicht gewollt war.
Entgegen der Auffassung der Revision kann es deshalb nicht darauf ankommen, dass dem Rechtsanwalt in dem Schreiben des Geschäftsführers ein Hinweis nach § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO erteilt worden war. Soweit die Revision auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 136 StPO verweist (BGHSt 38, 214), ist der Regelungsgehalt der beiden Normen - § 136 StPO und § 56 Abs. 1 Satz 2 BRAO -, wie der Generalbundesanwalt zu Recht ausgeführt hat, nicht deckungsgleich. Während es bei Angaben, die ein Beschuldigter, ohne zuvor ordnungsgemäß nach § 136 StPO belehrt worden zu sein, jedoch in Kenntnis seines Schweigerechts in einer Vernehmung macht, um die Frage eines Verwertungsverbots für diese Äußerungen geht, begründet das Schweigen des Rechtsanwalts auf ein Auskunftsverlangen nach § 56 Abs. 1 BRAO eine sanktionsbewehrte Berufspflichtverletzung. Dies rechtfertigt es, nicht an die Kenntnis des Rechtsanwalts von seinem etwaigen Aussageverweigerungsrecht, sondern an die vom Gesetz geforderte Erteilung des Hinweises anzuknüpfen.
Die Untätigkeit des Rechtsanwalts kann danach nur dann als Berufspflichtverletzung gewertet werden, wenn ihm eine Belehrung nach § 56 Abs. 1 Satz 3 BRAO vom Vorstand oder von einem beauftragten Vorstandsmitgliederteilt worden ist (so auch Feuerich/Weyland, BRAO 6. Aufl. § 56 Rdn. 35; Henssler/Prütting-Hartung, BRAO 2. Aufl. § 56 Rdn. 12).
3. Auch im Übrigen weist das angefochtene Urteil keine Rechtsfehler auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 116 Satz 2, § 198 Abs. 1 BRAO, § 467 Abs. 1 StPO (vgl. BGHSt 38, 138, 143).
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BGH:
Urteil v. 26.09.2005
Az: AnwSt (R) 9/04
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