Kammergericht:
Beschluss vom 22. Mai 2012
Aktenzeichen: 12 W 38/12
(KG: Beschluss v. 22.05.2012, Az.: 12 W 38/12)
1. Der Geschäftswert für das Verfahren zur Ergänzung des Aufsichtsrats nach § 104 Abs. 2, 3 AktG bestimmt sich nach § 30 Abs. 1, begrenzt durch den Höchstwert des § 30 Abs. 2 S. 2 KostO.
2. Dadurch, dass das Registergericht in langjähriger Praxis den Verfahrenswert nur auf den Regelwert gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 KostO festgesetzt hat, ist keine Selbstbindung oder Ermessensreduzierung eingetreten.
3. Die Gesellschaftssteuerrichtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 17.7.1969 (69/335/EWG i. d. F. der Richtlinie vom 10.6.1985, 85/303/EWG) findet keine Anwendung.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1. vom 21.11.2011 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vom 27.10.2011 zurückgewiesen.
2. Der Geschäftswert wird auf 100.000,-- € festgesetzt.
Gründe
A.
Die Beteiligte zu 1. beantragte am 21. Oktober 2011 beim Amtsgericht Charlottenburg, den Beteiligten zu 2. als Arbeitnehmervertreter in ihren Aufsichtsrat zu bestellen. Das Registergericht nahm mit Beschluss vom 27. Oktober 2011 die beantragte Bestellung vor und setzte zugleich den Geschäftswert der Bestellung auf 100.000,-- € fest. Der Beschluss wurde an die Beteiligte zu 1. am 28. Oktober 2011 formlos versandt und dem Beteiligten zu 2. am 05. November 2011 zugestellt.
Mit Schreiben vom 21. November 2011 legte die Beteiligte zu 1. Beschwerde gegen €die Wertfestsetzung€ ein und beantragte, den Geschäftswert auf 3.000,-- festzusetzen. Der vom Registergericht angenommene Geschäftswert sei völlig überhöht und widerspreche der bislang üblichen Gerichtspraxis des Amtsgerichts Charlottenburg, das in der Vergangenheit für diese Eintragung stets einen Verfahrenswert von 3.000,-- € angenommen habe. Außerdem verstoße die angefochtene Entscheidung gegen EU-Recht.
Mit Schreiben vom 12. März 2012 hat das Amtsgericht Charlottenburg dargelegt, dass bislang routinemäßig der Geschäftswert auf 3.000,-- € festgesetzt worden sei, seit geraumer Zeit aber eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Praxis stattfinde. Im Wege einer Schätzung entspräche es billigem Ermessen, den Geschäftswert auf 100.000,-- € festzusetzen, was 2 % des Stammkapitals in Höhe von 5.000.000,-- € der Beteiligten zu 1. entspreche.
Nachdem die Beteiligte zu 1. sich dagegen verwahrte hat das Amtsgericht Charlottenburg der Beschwerde mit Beschluss vom 26. März 2012 nicht abgeholfen und sie dem Kammergericht zur Entscheidung vorgelegt.
B.
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. hat keinen Erfolg.
I.
Die sich gegen die Festsetzung des Verfahrenswertes richtende Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 31 Abs. 3 S. 1 KostO statthaft. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,-- €.
Gemäß § 31 Abs. 3 S. 5 KostO richtet sich das weitere Verfahren nach § 14 Abs. 4, 5, 6 S. 1, 2 und 4 sowie Abs. 7 KostO. Gemäß § 14 Abs. 4 S. 2 KostO i.V.m. § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) ist das Kammergericht zur Entscheidung über die Beschwerde gegen die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichtes Charlottenburg berufen und eben dort gemäß § 14 Abs. 7 S. 1 2.HS KostO der Einzelrichter, nachdem das Registergericht durch eine Einzelrichterin entschieden hat und die Voraussetzungen einer Übertragung der Angelegenheit auf den Senat gemäß § 14 Abs. 7 S. 2 KostO nicht vorliegen. Die hier zu klärende Rechtsfrage der Verfahrenswertbestimmung ist gesetzlich eindeutig geregelt und durch entsprechende obergerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl. z.B. BayObLG, Beschluss vom 29.03.2000, 3Z BR 11/00; BayObLG, Beschluss vom 09.07.2004, 3Z BR 099/04; BayObLG, Beschluss vom 20.08.1997, 3Z BR 193/97). Der Umstand, dass das Amtsgericht Charlottenburg dies bislang in ständiger Rechtsprechung anders gesehen hat, macht die Sache weder in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht besonders schwierig, noch erlangt damit die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung.
Die Beschwerde ist in der Frist des § 31 Abs. 3 S. 3 i.V.m. Abs. 1 S. 3 KostO und in der Form des § 31 Abs. 3 S. 5 i.V.m. § 14 Abs. 6 S. 1 1. Alt. KostO eingelegt und begründet worden. Die Beteiligte zu 1. besitzt auch die notwendige Beschwerdeberechtigung, da sie gemäß § 2 Nr. 1 KostO die Kostenschuldnerin des auf der Grundlage der angefochtenen Wertfestsetzung ermittelten Rechnungsbetrages ist.
II.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
1. Gemäß § 121 Abs. 1 KostO wird das Doppelte der vollen Gebühr für die Erledigung u.a. im GmbHG den Gerichten zugewiesenen Angelegenheiten erhoben. Dem Registergericht zugewiesen ist unter anderem gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) i.V.m. § 104 Abs. 2, 3 AktG die durch den angefochtenen Beschluss erfolgte Ergänzung des Aufsichtsrates, um die nötige Zahl von Mitgliedern zu erreichen. Das damit vorliegende unternehmensrechtliche Verfahren gemäß § 375 Nr. 3 FamFG zählt nicht zu den klassischen Handelsregistersachen gemäß § 374 FamFG (vgl. Darstellung bei Keidel/Heinemann, FamFG, 17. Aufl. 2011, § 374 Rn. 9 ff.). Es war bis zum Inkrafttreten des FamFG im Jahr 2009 in § 145 FGG geregelt und unterfiel damit - wie auch nach Inkrafttreten des FamFG im Jahr 2009 - der Regelung des § 30 KostO. Aus der Formulierung des § 30 Abs. 2 S. 1 KostO folgt, dass der zu Grunde zu legende Geschäftswert nach § 30 Abs. 1 KostO zu bestimmen ist (Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann, Kostenordnung, 18. Aufl. 2010, § 30 Rn. 3). Nur in Ermangelung genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Schätzung ist der Wert gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 KostO mit 3.000,-- € festzusetzen (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl. 2012, § 30 KostO Rn. 44 m.w.N.). Er kann jedoch gemäß § 30 Abs. 2 S. 2 KostO nach Lage des Falles auch niedriger oder höher angenommen werden, jedoch die gesetzliche Höchstgrenze von 500.000,-- € nicht überschreiten. Dabei bedeutet €nach Lage des Falles€, dass das wirtschaftliche Gewicht des Geschäfts für die Beteiligten, Auswirkung, Zweck und Wichtigkeit des Geschäfts, die Vermögenslage der Beteiligten sowie die Mühewaltung des Gerichts daraufhin abzuwägen sind, ob und inwieweit eine Über- oder Unterschreitung des Regelwertes innerhalb der durch Mindest- und Höchstwert gegebenen Grenzen angebracht erscheint (BayObLG, Beschluss vom 29.03.2000, 3Z BR 11/00, zitiert nach juris, Rn. 12 m.w.N.).
Auf der Grundlage des im Bundesanzeiger veröffentlichten Lageberichtes und Jahresabschlusses zum 31. Dezember 2010 erscheint unter Berücksichtigung aller Ermessensgesichtspunkte bei der vorliegenden Unternehmensgröße, im Hinblick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten zu 1. - wie Auftragslage, Personalbestand von 11 Mitarbeitern, Vermögenssituation usw. - und dem nicht so hohen Schwierigkeitsgrad der gerichtlichen Entscheidung der Betrag in Höhe von 100.000,-- € als Geschäftswert auch im Hinblick auf das Stammkapital der Beteiligten zu 1. in Höhe von 5.000.000,-- € (hier: entsprechend 2 %) als angemessen. Der vom Registergericht damit angenommene Wert von 20 % des Höchstwertes war somit angemessen. Er wurde der Bedeutung der Eintragung für die Beteiligte zu 1. durchaus gerecht.
2. Entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1. ist eine Ermessensreduzierung durch die vom Amtsgericht Charlottenburg langjährig geübte Praxis, den Verfahrenswert nur auf den Regelwert gemäß § 30 Abs. 2 S. 1 KostO festzusetzen, nicht eingetreten. Die Rechtslage steht der Spruchpraxis des Registergerichts entgegen (vgl. oben). Selbst dann, wenn die Richterinnen und Richter des Amtsgerichts Charlottenburg über Jahre hinweg die Rechtslage und die zu ihr ergangene Rechtsprechung des BayObLG (Beschluss vom 09.07.2004, 3Z BR 099/04; Beschluss vom 29.03.2000, 3Z BR 11/00; Beschluss vom 20.08.1997, 3Z BR 193/97) nicht berücksichtigt haben, lässt sich daraus kein Anspruch auf Fortdauer der rechtswidrigen Behandlung etwa unter Hinweis auf den aus Art. 3 Abs.1 GG folgenden Gleichbehandlungsgrundsatz ableiten. Dabei bezieht sich das Gebot der Gleichbehandlung auf den gleichen staatlichen Träger innerhalb seines Kompe-tenzbereichs (vgl. nur BVerfGE 93, 319/351; Heun in Dreier, GG, 2. Aufl., Art. 3 Rn.48 m.w.N.), was dazu führen kann, dass unterschiedliche Spruchkörper an ein und demselben Gericht zu verschiedenen Beurteilungen gleich gelagerter Sachverhalte gelangen können. Dies erscheint dem nicht mit der Rechtskunde vertrauten Laien sicherlich unverständlich. Andrerseits steht der durch den jeweiligen Ausspruch des Gerichts beschwerten Partei die Möglichkeit des Rechtsmittels offen, um eine für sie günstige Entscheidung zu erreichen. Außerdem gibt es nicht die sog. Gleichbehandlung im Unrecht (vgl. nur BVerwGE 34, 278/283; Heun in Dreier, a.a.O., Rn. 60 m.w.N.).
3. Der Einwand der Beteiligten zu 1., die Änderung der bislang für sie günstigen Praxis des Amtsgerichts Charlottenburg verstoße gegen EU-Recht, da nach der Rechtsprechung des EuGH indirekte Steuern mit den gleichen Merkmalen wie eine Gesellschaftssteuer verboten seien, greift nicht durch.
Zwar ist der Beteiligten zu 1. zuzugeben, dass es sich bei den Gerichtskosten um öffentliche Abgaben für die Tätigkeit der Gerichte handelt (OLG Koblenz, Rpfleger, 1975, 446, 447) und damit quasi um eine Justizsteuer (Hartmann, a.a.O., Einl II B Rn. 1). Allerdings fällt der hier zu beurteilende Sachverhalt nicht unter die Gesellschaftssteuerrichtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 17.7.1969 (69/335/EWG i. d. F. der Richtlinie vom 10.6.1985, 85/303/EWG, denn das Verfahren nach § 104 Abs. 2, 3 AktG, das hier über § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG Anwendung findet, ist keine wesentliche Förmlichkeit i.S.d. Art. 10 Buchst. c der Richtlinie (Bay ObLG, Beschluss vom 29.03.2000, 3Z BR 11/00, zitiert nach juris, Rn. 9). Es dient ausschließlich dazu, durch gerichtliche Entscheidung einen unterbesetzten Aufsichtsrat auf die gesetzlich oder satzungsmäßig vorgesehene Stärke zu bringen, wenn die eigentlich vorgesehenen Bestellorgane ihrer Aufgabe nicht rechtzeitig nachkommen (BayObLG, a.a.O.). Da es aber ureigenste Aufgabe der dafür vorgesehenen Bestellorgane ist, ausscheidende Mitglieder rechtzeitig zu ersetzen, hat das Verfahren nach § 104 Abs. 2 AktG nur eine Ersatzfunktion (BayObLG, a.a.O. m.w.N.). Die Beteiligte war nicht gezwungen, das Verfahren nach § 104 Abs. 2 AktG durchzuführen.
So kann gemäß § 101 Abs. 3 S. 2 AktG für jedes Aufsichtsratsmitglied (der Arbeitnehmer) ein Ersatzmitglied bestellt werden. Ob ein Ersatzmitglied bestellt werden soll, liegt ausschließlich im Ermessen desjenigen Organs, das für die Bestellung der Aufsichtsratsmitglieder zuständig ist (BayObLG, a.a.O. juris Rn. 10; Heinsius ZGR 1982, 232, 233). Für die Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmer nach dem Drittelbeteiligungsgesetz bestimmt § 7 DrittelbG, dass in jedem Wahlvorschlag zusammen mit jedem Bewerber für diesen ein Ersatzmitglied des Aufsichtsrats vorgeschlagen werden kann. Fällt ein Aufsichtsratsmitglied weg, rückt das Ersatzmitglied automatisch ein (Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2011, § 101 Rn. 13). Ein Bedarf für ein gerichtliches Verfahren besteht somit nicht, wenn ausreichend Ersatzmitglieder bestimmt werden.
Der Vorstand war auch nicht verpflichtet, das gerichtliche Verfahren einzuleiten (BayObLG a.a.O., zitiert nach juris, Rn. 11 m.w.N.). Eine Antragspflicht ist lediglich für den Fall bestimmt, dass der Aufsichtsrat beschlussunfähig wird (§ 104 Abs. 1 AktG). Die Absätze 2 und 3, die die Ergänzung des Aufsichtsrats auf die vorgesehene Mitgliederzahl regeln, sehen keine Antragspflicht vor (BayObLG, a.a.O.). Sie folgt insbesondere nicht aus § 104 Abs. 3 Nr. 2 AktG. Nach dieser Bestimmung hat das Gericht in Mitbestimmungsfällen einen Antrag auf Ergänzung des Aufsichtsrats als dringenden Fall zu behandeln, während sonst eine Ergänzung gemäß § 104 Abs. 2 Nr. 1 AktG erst nach drei Monaten in Betracht kommt. Auch in Aufsichtsräten, in denen die Arbeitnehmer ein Mitbestimmungsrecht nach dem Mitbestimmungsgesetz haben, ist der Vorstand aber nicht zur Antragstellung verpflichtet (BayObLG, a.a.O. m.w.N.).
Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gemäß Art. 234 EG scheidet aus, weil dessen Voraussetzungen nicht vorliegen.
C.
Das Verfahren ist gemäß § 31 Abs. 5 KostO gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet gemäß §§ 31 Abs. 3 S. 5, 14 Abs. 4 S. 3 KostO nicht statt.
KG:
Beschluss v. 22.05.2012
Az: 12 W 38/12
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