Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Oktober 2008
Aktenzeichen: 15 W (pat) 336/03

(BPatG: Beschluss v. 09.10.2008, Az.: 15 W (pat) 336/03)

Tenor

Das Patent 198 59 924 wird widerrufen.

Gründe

I.

Auf die am 23. Dezember 1998 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patentund Markenamt das Patent 198 59 924 mit der Bezeichnung

"Verfahren zum Herstellen eines Formteils"

erteilt. Der Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 13. Februar 2003.

Die erteilten Patentansprüche 1 bis 7 gemäß Streitpatent DE 198 59 924 C2 haben folgenden Wortlaut:

"1. Verfahren zum Herstellen eines Formteils, insbesondere eines Verkleidungselementes für Kraftfahrzeug-Innenräume, wobei eine Schicht aus einem Naturfaser-Gewebe und ein Vlies verwendet werden, das Vlies aus Fasern eines ersten und eines zweiten Kunststoffs besteht, der erste Kunststoff thermoplastisch ist der zweite Kunststoff eine höhere Druckund Temperaturfestigkeit als der erste Kunststoff aufweist und die Schicht aus dem Naturfaser-Gewebe mit dem Vlies derart verpreßt wird, dass der erste Kunststoff des Vlieses die Schicht aus dem Naturfaser-Gewebe durchtränkt und mit dem Vlies verbindet.

2.

Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass beim Verpressen eine Dekorware hinterpreßt wird.

3.

Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass die Schicht aus Naturfaser-Gewebe beidseitig mit dem Vlies verpreßt wird.

4.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass das Naturfaser-Gewebe aus Jute besteht.

5.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass das Vlies zu 70 % aus dem thermoplastischen Kunststoff besteht.

6.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass der thermoplastische Kunststoff Polypropylen ist.

7.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Kunststoff ein Polyester ist."

Gegen das Patent hat die R... GmbH, in O... , mit Schriftsatz vom 9. Mai 2003, eingegangen per Telefax am 12. Mai 2003 beim Deutschen Patentund Markenamt, Einspruch erhoben und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Sie hat ihr Vorbringen - ergänzend zu den bereits im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften - auf folgende Entgegenhaltungen gestützt:

D1 DE 196 02 551 C1 D2 Der neue Brockhaus, 5. Auflage (1974), S. 46, Begriff "Jute"

D3 DE 39 35 689 A1 D4 DE 44 03 977 A1 Begründet wurde der Einspruch damit, dass das beanspruchte Verfahren nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Der Gegenstand des angegriffenen Anspruchs 1 unterscheide sich von der Lehre der Entgegenhaltung D1 nur dadurch, dass anstelle eines Naturfaservlieses ein Naturfaser-Gewebe vorgesehen sei. Grundsätzlich liege es auf der Hand, dass ein Gewebe von Haus aus eine höhere Festigkeit als ein Vlies besitze. Ein in eine erstarrte Kunststoffschmelze eingebettetes Vlies müsse deshalb zu einem Verbundkörper mit geringeren Festigkeitseigenschaften führen als ein in denselben Kunststoff eingebettetes Gewebe. Eine solche Lehre beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, sondern biete sich dem einschlägigen Fachmann in naheliegender Weise an. Ein Naturfaservlies durch ein Naturfaser-Gewebe zu ersetzen, um eine höhere Festigkeit zu erzielen, sei daher keine Frage von erfinderischer Tätigkeit. Auch die Auswahl von Jute als Naturfaser sei naheliegend und entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, wie die Entgegenhaltung D2 belege. Darüber hinaus sei die Verwendung von Jute in einem Verbundkörper der hier interessierenden Art aus der Entgegenhaltung D4 bekannt.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2004 hat die Einsprechende den Einspruch zurückgenommen.

Die Patentinhaberin hat dem Einspruchsvorbringen mit Schriftsatz vom 27. April 2004 widersprochen und im Wesentlichen die Ansicht vertreten, dass der beanspruchte Patentgegenstand durch den genannten Stand der Technik weder vorbeschrieben noch nahegelegt werde.

Die auf den 7. Oktober 2004 anberaumte mündliche Verhandlung wurde am 23. September 2004 antragsgemäß aufgehoben, nachdem die Patentinhaberin im Schreiben vom 9. September 2004 mitgeteilt hat, dass über das Vermögen der Patentinhaberin am 15. Juli 2004 das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei.

Zuletzt mit Schriftsatz vom 13. Juni 2007 hat die Patentinhaberin die Wiederaufnahme des unterbrochenen Einspruchsverfahrens beantragt.

Mit der Ladung vom 4. August 2008 zur mündlichen Verhandlung hat der Senat der Patentinhaberin mitgeteilt, dass hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes in erster Linie die Druckschriften DE 196 02 551 C1 (D1), DE 41 39 226 A1 und DE 195 36 074 A1 von Bedeutung sein könnten.

Die Druckschriften DE 41 39 226 A1 und DE 195 36 074 A1 (D5) sind aus dem Prüfungsverfahren bekannt.

Auf die Terminsladung hat die Patentinhaberin im Schriftsatz vom 15. September 2008 Zweifel an der Zulässigkeit des Einspruchs geäußert, weil nach ihrer Meinung zum Zeitpunkt des Ablaufs der Einspruchsfrist die Identitität der Einsprechenden nicht festgestanden habe. Des Weiteren hat sie das Patent hilfsweise im Umfang neuer Patentansprüche 1 bis 5, eingereicht mit Schriftsatz vom 15. September 2008, eingegangen per Telefax am 16. September 2008, beschränkt verteidigt.

Gemäß Hilfsantrag lauten die Patentansprüche 1 bis 5 wie folgt:

"1. Verfahren zum Herstellen eines Formteils, insbesondere eines Verkleidungselementes für Kraftfahrzeug-Innenräume, wobei eine Schicht aus einem Naturfaser-Gewebe und beidseitig ein Vlies verwendet werden, die Vliese aus Fasern eines ersten und eines zweiten Kunststoffs bestehen, der erste Kunststoff thermoplastisch ist der zweite Kunststoff eine höhere Druckund Temperaturfestigkeit als der erste Kunststoff aufweist und die Schicht aus dem Naturfaser-Gewebe mit den Vliesen derart verpresst wird, dass der erste Kunststoff der Vliese die Schicht aus dem Naturfaser-Gewebe durchtränkt und mit dem Vlies verbindet, wobei beim Verpressen eine Dekorware hinterpresst wird.

2.

Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Naturfaser-Gewebe aus Jute besteht.

3.

Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das Vlies zu 70 % aus dem thermoplastischen Kunststoff besteht.

4.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass der thermoplastische Kunststoff Polypropylen ist.

5.

Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass der zweite Kunststoff ein Polyester ist."

In der mündlichen Verhandlung stellt die Patentinhaberin den Antrag, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten im Umfang der Patentansprüche 1 bis 5 gemäß Schriftsatz vom 15. September 2008, Beschreibung und Zeichnungen wie Patentschrift DE 198 59 924 C2.

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Über den Einspruch war zu entscheiden, da das Verfahren von Amts wegen ohne die Einsprechende fortgesetzt wird, wenn der Einspruch, wie im vorliegenden Fall, zurückgenommen wurde (§ 61 Abs. 1 S. 2 PatG).

Das Bundespatentgericht bleibt auch nach Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG für die Entscheidung über die Einsprüche zuständig, die in der Zeit vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 eingelegt worden sind. Es bestehen weder Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 147 Abs. 3 PatG (BGH GRUR 2007, 859 - Informationsübermittlungsverfahren I), noch berührt die Aufhebung der Bestimmung ihre Geltung für alle bereits tatbestandlich erfassten Fälle (BPatG 19 W (pat) 344/04 und 23 W (pat) 313/03). Nach dem allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsatz der perpetuatio fori (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) besteht eine einmal begründete gerichtliche Zuständigkeit vielmehr fort, solange der Gesetzgeber nichts anderes bestimmt hat (BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II).

1. Der Einspruch ist zulässig.

Der Einspruch wurde formund fristgerecht eingelegt, wobei insbesondere die Voraussetzungen für die zweifelsfreie Identifizierbarkeit der Einsprechenden innerhalb der Einspruchsfrist vorlagen (§ 59 Abs. 1 PatG). Zwar war im Einspruchsschriftsatz vom 9. Mai 2003, eingegangen beim Deutschen Patentund Markenamt per Telefax am 12. Mai 2003, der Name der Einsprechenden insoweit unvollständig, als bei der Bezeichnung "Firma R... GmbH in O..." das "S" fehlte, aufgrund der exakten Adresse war jedoch eine zweifelsfreie Zuordnung ohne Weiteres möglich. Unter der oben genannten Anschrift war nur eine einzige Firma ansässig, nämlich die Firma "R... GmbH", ein Produktionsbetrieb mit über 70 Angestellten. Anders als die Patentinhaberin meint, gab es zum damaligen Zeitpunkt auch keine "R... GmbH" unter dieser Adresse, was durchaus Zweifel an der wahren Identität der Einsprechenden hätte aufkommen lassen können. Bei der "R... GmbH" handelt es sich vielmehr um den früheren Namen der Einsprechenden. Die Namensänderung hatte ausweislich der im Termin zur mündlichen Verhandlung eingeholten telefonischen Auskunft bei der (nunmehr insolventen) Einsprechenden sowie ausweislich der Einsicht in das Handelsregister bereits vor der Einlegung des Einspruchs stattgefunden. Im Übrigen berührt eine Namensänderung nicht die Rechtspersönlichkeit einer natürlichen oder juristischen Person. Dies bedeutet, dass selbst eine Zuordnung des Einspruchs an diese Namensvorgängerin nichts an der Stellung der Firma "R... GmbH" als wahre Einsprechende geändert hätte. Damit war bereits zum Zeitpunkt der Einlegung des Einspruchs trotz der unvollständigen Benennung "R... GmbH" der Einsprechenden deren zweifelsfreie Identifizierung möglich, womit die Anforderungen an die notwendigen Angaben zur Person der Einsprechenden in der Einspruchsschrift erfüllt sind (vgl. BGH GRUR 1990, 108 - Messkopf; T 0219/86 ABl. 88, 254; Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59 Rdn. 85 m. w. N.).

Im Übrigen sind im Einspruchsschriftsatz die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, im Einzelnen so angegeben, dass die Merkmale des Patentanspruchs 1 erteilter Fassung im konkreten Bezug zum genannten Stand der Technik gebracht wurden. Die Patentinhaberin und der Senat haben daraus abschließende Folgerungen für das Vorliegen oder Nichtvorliegen der geltend gemachten Widerrufsgründe ohne eigene Ermittlungen ziehen können (§ 59 Abs. 1 PatG).

Der Einspruch hat auch Erfolg, denn das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 gemäß Antrag aus dem Schriftsatz vom 15. September 2008 ist nicht patentfähig. Das Patent war deshalb zu widerrufen (§ 61 Abs. 1 Satz 1 PatG).

2.

Bezüglich ausreichender Offenbarung der Gegenstände der Patentansprüche 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag bestehen keine Bedenken, weil deren Merkmale sowohl aus den erteilten Patentansprüchen als auch aus den ursprünglichen Unterlagen herleitbar sind.

Die im neuen Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag aufgenommenen Ergänzungen gegenüber dem erteilten Patentanspruch 1 sind in den erteilten Ansprüchen 2 und 3 offenbart. Er findet seine Grundlage in den ursprünglichen Ansprüchen 1, 8, 9 und 10. Die neuen Ansprüche 2 bis 5 stimmen mit den erteilten Ansprüchen 4 bis 7 überein und sind aus den ursprünglichen Ansprüchen 11 bis 14 herleitbar.

3.

Die Neuheit des Gegenstandes gemäß Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag kann unerörtert bleiben, denn das beanspruchte Verfahren ist zumindest aus dem Stand der Technik gemäß den vorveröffentlichten Entgegenhaltungen D3 und D1 i. V. m. dem Können und Wissen des Fachmanns nahegelegt und beruht deshalb nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Im Übrigen wurde die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes nicht angegriffen.

Als zuständiger Fachmann ist vorliegend ein im Bereich der Verfahrenstechnik ausgebildeter Chemiker oder ein Textilingenieur mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklung und industriellen Fertigung von Verbundbzw. Schichtstoffen im Allgemeinen anzusehen, woraus gefolgert werden kann, dass der berufserfahrene Fachmann über spezielle Kenntnisse auch auf dem Gebiet der Verbund-Formteile für den Kraftfahrzeugsektor verfügt und zugleich mit den Problemen, Anforderungen und Verwendungen solcher Verbund-Formteile, wie Verkleidungselemente für Kfz-Innenräume, vertraut ist.

Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, ein einfaches Verfahren zum Herstellen eines Formteils mit verbesserten Gebrauchseigenschaften bereitzustellen (Streitpatent Absatz [0005]). Wie im Absatz [0008] näher ausgeführt ist, soll das Formteil extrem leicht und, dank des Naturfaser-Gewebes, von hoher Reißfestigkeit sein, eine hohe Durchschlagsfestigkeit besitzen und eine hohe Kälteschlagzähigkeit aufweisen.

Zur Lösung dieser Aufgabe beschreibt der Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag, nach Merkmalen gegliedert, ein M1 Verfahren zum Herstellen eines Formteils, M1a insbesondere eines Verkleidungselementes für Kraftfahrzeug-Innenräume, M2 wobei eine Schicht aus einem Naturfaser-Gewebe M3 und beidseitig ein Vlies verwendet werden;

M4 die Vliese bestehen aus Fasern eines ersten und eines zweiten Kunststoffes;

M5 der erste Kunststoff ist thermoplastisch;

M6 der zweite Kunststoff weist eine höhere Druckund Temperaturfestigkeit alsder erste Kunststoff auf;

M7 die Schicht aus dem Naturfaser-Gewebe wird mit den Vliesen derart verpresst, M8 dass der erste Kunststoff der Vliese die Schicht aus dem Naturfaser-Gewebe durchtränkt M9 und mit dem Vlies verbindet, M10 wobei beim Verpressen eine Dekorware hinterpresst wird.

Die im Einspruchsverfahren als nächstliegend betrachtete Entgegenhaltung D1 (DE 196 02 551 C1) offenbart Formteile (Merkmal M1), insbesondere Verkleidungselemente für Kraftfahrzeug-Innenräume (Merkmal M1a), die durch Warmumformung aus einer Matte hergestellt werden (D1, Spalte 3, Zeilen 4 bis 8) und aus einem Kern aus einem Naturfaservlies, welches ein thermoplastisches Bindemittel enthält, und mindestens einer Auflage aus einem Vlies aus Kunststoffen bestehen (D1, Oberbegriff des Anspruchs 1). Bevorzugt sind die Kunststoffvliesauflagen beidseitig (Merkmal M3) an dem Naturfaservlies angeordnet (D1, Spalte 2, Zeilen 25 bis 28). Wie beim Streitgegenstand besteht das die Auflage bildende Kunststoffvlies dabei aus Fasern eines ersten und eines zweiten Kunststoffes (Merkmal M4), nämlich aus einem niedrigschmelzenden thermoplastischen Kunststoff (Merkmal M5) und einem hochschmelzenden Kunststoff (D1, Anspruch 1 i. V. m. Spalte 2, Zeilen 15 bis 21), wobei als niedrigschmelzender Anteil in dem Vlies Polypropylenoder Polyethylenfasern und als höherschmelzender Anteil in dem Vlies Polyesterfasern verwendet werden (D1, Spalte 2, Zeilen 49 bis 53). Da diese hochschmelzenden Kunststofffasern des Vlieses während der Warmumformung gleichsam eine Bewehrung bzw. eine feste Matrix bilden und ein unkontrolliertes Fließen von aufgeschmolzenem Werkstoff verhindern (D1, Spalte 2, Zeilen 42 bis 49), weist der zweite Kunststoff folglich entsprechend Merkmal M6 eine höhere Druckund Temperaturfestigkeit auf, zumal auch im Streitpatent - wie in D1 - für den ersten Kunststoff Polypropylen und für den zweiten Kunststoff Polyester ausgewählt werden (vgl. Streitpatent, erteilte Ansprüche 6 und 7). Damit sind in der Matte gemäß D1 drei Vliesschichten vorhanden, nämlich mittig eine aus Naturfasern in Form eines Vlieses und zwei Kunststoffvliese, die beidseitig am Naturfaservlies angeordnet sind. Diese Schichten bzw. Vliese werden unter Anwendung von Druck und Temperatur verformt (Merkmal M7), wodurch selbsttragende Formteile (Merkmal M1) hergestellt werden können (D1, Spalte 3, Zeilen 4 bis 8). Auch wenn die Wirkung der Warmumformung im Hinblick auf die aufgeschmolzenen thermoplastischen Fasern in der D1 expressis verbis nicht beschrieben ist, erschließt sich diese für den Fachmann jedoch aus dem Zusammenhang mit den Ausführungen in Spalte 2, Zeilen 1 bis 5 der D1, denn dort ist angegeben, dass bei bekannten Verfahren sich verarbeitungstechnische Schwierigkeiten durch ein nicht ausreichendes Tränkungsverhalten der Flachswergvliese ergäben. Ferner seien die Vliespresseigenschaften des bekannten Verbundmaterials schlecht. Das bedeutet für den Fachmann aber nichts anderes, als dass gemäß der Lehre der D1 ein Verbund-Formteil mit verbesserten Eigenschaften erhalten werden kann, und bei dem das Naturfaservlies ausreichend mit thermoplastischem Bindemittel getränkt ist. Dies ist nur dadurch möglich, weil bei der Warmumformung die thermoplastischen Kunstsofffasern schmelzen und diese Schmelze aufgrund des ausgeübten Druckes in das Naturfaservlies eingebracht bzw. die Schmelze in das Naturfaservlies hineingepresst wird. Damit erschließen sich dem Fachmann sinngemäß aus der D1 auch die Merkmale M8 und M9.

Demgegenüber unterscheidet sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 im Wesentlichen nur dadurch, dass gemäß Merkmal M2 ein Naturfasergewebe anstelle des Naturfaservlieses eingesetzt wird und dass zusätzlich gemäß Merkmal M10 beim Verpressen eine Dekorware hinterpresst wird.

Diese Maßnahmen können jedoch eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Diesbezügliche Anregungen erhält der Fachmann aus der DE 195 36 074 A1 (D5). In dieser Druckschrift wird nämlich ein Verbundbauteil beschrieben, das ein Verstärkungsmaterial in Form eines Naturfasergewebes (Merkmal M2) und einen Bindewerkstoff enthält (D5, Anspruch 1 i. V. m. Anspruch 6). Dieses Verbundbauteil kann nach Anspruch 8 im Pressverfahren hergestellt werden. Als Bindewerkstoff wird nach Anspruch 11 eine Kombination aus Duroplasten und Thermoplasten verwendet, wobei nach Anspruch 12 der Duroplast so eingestellt ist, dass er erst nach erfolgter Verformung aushärtet und die Form endgültig fixiert (D5, Spalte 2, Zeilen 40 bis 49). Das bedeutet für den Fachmann nichts anderes, als dass bei dieser Vorgehensweise der Thermoplast in das Gewebe eindringt, d.h. es wird ein Verbundformteil aus einem mit dem Thermoplasten durchtränkten Naturfasergewebe und einer Deckschicht aus Duroplasten erhalten. Nachdem aus Anspruch 18 i. V. m. Spalte 2, Zeilen 57 bis 59 der D5 ebenfalls bekannt ist, Dekorstoffe direkt mit in das Produktionswerkzeug einzulegen und bei dem Verformungsvorgang mit dem Trägerwerkstoff zu verbinden (Merkmal M10), liegen die Merkmale M2 und M10 unmittelbar im Griffbereich des hier angesprochenen Fachmanns. Infolgedessen zeigt die D5, dass die Fachwelt nicht nur das aus D1 bekannte Naturfaservlies als Verstärkungsmaterial für einen Verbundformkörper, der mit einem thermoplastischen Kunststoff durchtränkt ist, sondern gleichermaßen auch ein Naturfasergewebe dafür in Betracht gezogen hat.

Der Vertreter der Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die Zusammenschau der beiden Dokumente D1 und D5 nicht zu dem erfindungsgemäßen Verfahren nach Patentanspruch 1 führen könne, weil der thermoplastische Kunststoff des Kunststoffvlieses der D1 nicht die Schicht aus dem Naturfaservlies durchtränke. In dem Naturfaservlies der D1 sei nämlich bereits ein thermoplastisches Bindemittel enthalten, wie aus dem Oberbegriff des Patentanspruchs i. V. m. Spalte 2, Zeilen 21 bis 24, hervorgehe, weshalb ein weiterer thermoplastischer Kunststoff aus dem Kunststoffvlies nicht mehr in das Naturfaservlies diffundieren könne. Infolgedessen sei gemäß D1 zumindest eine zweifache thermische Belastung des Naturfaservlieses erforderlich, einmal, um das thermoplastische Bindemittel in das Naturfaservlies einzubringen, ein weiteres Mal, um das Naturfaservlies mit dem Kunststoffvlies zu verbinden bzw. zu beschichten. Im Streitpatent sei dagegen nur eine einzige thermische Belastung des Naturfasergewebes notwendig, was auch zu einer Einsparung von Arbeitsschritten führe. Des Weiteren werde auch in der D5 kein Durchtränken eines Naturfasergewebes expressis verbis beschrieben, vielmehr sei zur Herstellung des Verbundkörpers ein Haftvermittler erforderlich. Im Übrigen müsse das Naturfasergewebe relativ dünn sein, damit der thermoplastische Kunststoff des Vlieses das Naturfasergewebe durchtränken könne. Andernfalls könne keine Durchtränkung erreicht werden. Sei das Naturfasergewebe zu dick, so kühle sich beim Hinterpressen der thermoplastische Kunststoff des Faservlieses zu schnell ab und wandere nicht in das Naturfasergewebe hinein (vgl. auch Schriftsatz vom 15. September 2008, Seite 4, Absatz 4).

Dieser Argumentation der Patentinhaberin kann sich der Senat nicht anschließen. In der D1 wird im Oberbegriff des Anspruchs 1 zwar von "einem Kern aus einem Naturfaservlies, welches ein thermoplastisches Bindemittel enthält" gesprochen, zieht man zur Auslegung dieses Merkmals allerdings die Beschreibung hinzu, so geht eindeutig daraus hervor, dass das Naturfaservlies nicht zwingend schon vor der Warmumformung ein thermoplastisches Bindemittel enthalten muss. Sowohl im Kennzeichen des Anspruchs 1 als auch in Spalte 2, Zeilen 11 bis 21, findet sich kein Hinweis auf ein solches Bindemittel im Naturfaservlies, vielmehr wird eine solche Ausgestaltung des Naturfaservlieses erst im Anspruch 2 i. V. m. Spalte 2, Zeilen 21 bis 24, als "vorzugsweise" angegeben. Insoweit kann das strittige Merkmal im Oberbegriff des Anspruchs 1 nur dahingehend ausgelegt werden, dass bereits der thermoplastische Kunststoff aus dem Kunststoffvlies während der Warmumformung in das Naturfaservlies gewandert ist. Eine solche Auslegung steht auch im Einklang mit der Textstelle in Spalte 2, Zeilen 1 bis 5, wonach gemäß der Lehre der D1 offensichtlich ein Verbundformkörper bereitgestellt werden soll, der ein ausreichendes Tränkungsverhalten des Naturfaservlieses gewährleistet, wie vorstehend bereits dargelegt. Dass gegebenenfalls die bevorzugte Ausgestaltung des Naturfaservlieses mit einem thermoplastischen Bindemittel zu einem noch hochwertigeren Formteil führen kann, steht dem nicht entgegen. Denn wie die Patentinhaberin in ihrer Eingabe vom 15. September 2008 auf Seite 4 selbst ausgeführt hat, sind für ein erfolgreiches Durchführen des Verfahrens zur Erzielung eines hochwertigen Endproduktes das genaue Einhalten von vielfältigen, weiteren Parametern notwendig, die aber auch in der Streitpatentschrift keinen Niederschlag gefunden haben, weshalb die Optimierung von Verfahrensbedingungen - beispielsweise durch Vorsehen eines thermoplastischen Bindemittels in dem Naturfaservlies gemäß D1 oder durch Verwendung eines Haftvermittlers gemäß D5 - allein in das fachmännische Wissen und Können gerückt ist. Darüber hinaus ist dem Fachmann aus der D5 bekannt, dass durch ein Pressverfahren ohne Weiteres ein Verbundformteil mit Naturfasergewebe gebildet werden kann, ohne dass vorher das thermoplastische Bindemittel in das Gewebe eingebracht werden muss. Insofern ist auch im Stand der Technik nicht zwingend eine zweimalige thermische Belastung des Naturfaservlieses oder Naturfasergewebes während der Herstellung eines Verbundformteils vorgesehen.

Dem Anspruch 1 nach Hilfsantrag mangelt es daher an erfinderischer Tätigkeit, so dass dieser Anspruch keinen Bestand hat.

4. Die Patentinhaberin hat in der mündlichen Verhandlung nach ausführlicher Erörterung der Sachlage abschließend nur den Antrag auf beschränkte Aufrechterhaltung des Patents gemäß Schriftsatz vom 15. September 2008 gestellt. Weitere Anhaltspunkte für ein stillschweigendes Begehren einer weiter beschränkten Fassung haben sich nicht ergeben. Infolgedessen hat die Patentinhaberin die Aufrechterhaltung des Patents erkennbar nur im Umfang eines Anspruchssatzes beantragt, der zumindest einen nicht rechtsbeständigen Patentanspruch 1 enthält. Deshalb war das Patent insgesamt zu widerrufen. Auf die rückbezogenen, nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 5 brauchte bei dieser Sachlage nicht gesondert eingegangen zu werden (BGH GRUR 2007, 862 - Informationsübermittlungsverfahren II; Fortführung BGH GRUR 1997, 120 - Elektrisches Speicherheizgerät).

Dr. Feuerlein Schwarz-Angele Dr. Egerer Zettler Me






BPatG:
Beschluss v. 09.10.2008
Az: 15 W (pat) 336/03


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