Bundespatentgericht:
Beschluss vom 30. November 2000
Aktenzeichen: 17 W (pat) 35/99

(BPatG: Beschluss v. 30.11.2000, Az.: 17 W (pat) 35/99)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluß der Patentabteilung 53 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Juli 1999 aufgehoben und das Patent 35 25 406 widerrufen.

Gründe

I Gegen die Erteilung des Patents 35 25 406 mit der Bezeichnung

"Disketten-Kassette"

wurde ein Einspruch erhoben.

Die Patentabteilung 53 des Deutschen Patent- und Markenamts hat das Patent nach Prüfung des Einspruchs mit Beschluß vom 27. Juli 1999 beschränkt aufrechterhalten mit der Begründung, daß der Gegenstand des am 29. Dezember 1997 eingegangenen Patentanspruchs 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.

Gegen diesen Beschluß wendet sich die Beschwerde der Einsprechenden.

Die Patentinhaberin verfolgt das Patent weiter auf der Grundlage der am 29. Dezember 1997 eingegangenen Patentansprüche 1 bis 3 (Hauptantrag), hilfsweise auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 1 und 2 (Hilfsantrag).

Der Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet:

"Disketten-Kassette mit einem harten Gehäuse und einer darin drehbar angeordneten magnetischen Diskette (16), deren Nabe (50) eine zentrale Öffnung (56) aufweist, in die ein durch ein Stützbauteil (36) hindurchgehender Antriebsstift (28) eingreifen kann, dadurch gekennzeichnet, daß die Nabe (50) eine kreisförmige Vertiefung (52) hat, deren untere, mit dem Stützbauteil kontaktierbare Kontaktoberfläche von ihrem äußeren peripheren Bereich (58) zur zentralen Öffnung (56) der Nabe (50) geringfügig ansteigt und so ausgebildet ist, daß der äußere periphere Bereich (58) der Nabe (50) tiefer liegt als der Kontaktbereich der Nabe (50) bezüglich des Stützbauteils (36)."

Die Patentansprüche nach dem Hilfsantrag unterscheiden sich von den Patentansprüchen nach dem Hauptantrag nur durch eine Streichung des Anspruchs 2 gemäß Hauptantrag.

Die Einsprechende führt aus, daß die mit dem Patentanspruch 1 vorgeschlagene Ausgestaltung der Nabe einer Disketten-Kassette mit einer geringen kreisförmigen Vertiefung naheliegend gewesen sei. Denn ein Fachmann wisse, daß ein rotierender Körper nur dann vernünftig gelagert sei, wenn die Abstützung des Körpers radial gesehen möglichst weit außen erfolge. Die im Anspruch angegebene Vertiefung der Nabe habe nur den Zweck, die Auflage auf dem Stützbauteil möglichst weit nach außen zu verschieben. Eine Anregung in dieser Hinsicht könne der Fachmann auch dem Gebrauchsmuster JP 57-180884 entnehmen. Dort sei in den Figuren 4 und 5 eine Nabe einer Disketten-Kassette dargestellt, die einen tiefer liegenden peripheren Bereich aufweise.

In Hinsicht auf den Anspruch 2 nach Hauptantrag vertritt die Einsprechende die Auffassung, daß die Ausbildung des Antriebsstiftes nicht Gegenstand des erteilten Patents gewesen sei und dieser Anspruch daher den Schutzbereich des Patents unzulässig erweitere.

Die Einsprechende beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuhebenund das Patent 35 25 406 zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent 35 25 406 mit den dem angefochtenen Beschluß zugrundeliegenden Unterlagen aufrechtzuerhalten, hilfsweise wird Aufrechterhaltung beantragt mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 und 2, übrige Unterlagen wie Hauptantrag.

Sie vertritt die Auffassung, daß die von ihr vorgeschlagene Ausgestaltung der Disketten-Nabe kein Vorbild im Stand der Technik habe. Bis zum Anmeldetag seien die für die Naben verwendeten Tiefziehprodukte mehr oder weniger präzise geformt gewesen. Daher seien im Betrieb zufallsmäßig geringe oder größere vertikale Oszillationen aufgetreten. Erst ihre Untersuchungen, deren Ergebnisse in Figur 7 dargestellt seien, hätten dazu geführt, die Nabe vertieft auszubilden. Das Gebrauchsmuster befasse sich lediglich mit der Befestigung der Diskette in der Nabe; eine zielgerichtete Ausbildung in der im Anspruch 1 angegebenen Weise sei keinesfalls entnehmbar.

In Hinblick auf die Einwendungen zum Patentanspruch 2 nach Hauptantrag verweist sie auf die entsprechende Offenbarung auf Seite 2, Zeile 34/35 der Patentschrift.

II Die in rechter Frist und Form erhobene Beschwerde ist zulässig.

Sie hat auch Erfolg, denn der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit (§ 4 PatG). Der Gegenstand des Patentanspruchs 2 nach Hauptantrag ist unzulässig, denn er erweitert den Schutzbereich des erteilten Patents (§ 22 Abs 1 PatG).

1. Die nach Hauptantrag und Hilfsantrag gleichlautende Fassung des Patentanspruchs 1 ist zulässig.

Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 ist eine Disketten-Kassette mit einem harten Gehäuse, in das eine magnetische Diskette mit einer Nabe drehbar aufgenommen ist. Die untere Oberfläche der Nabe soll dabei in der Weise vertieft ausgestaltet sein, daß sie von ihrem äußeren, peripheren Bereich zur zentralen Öffnung hin geringfügig ansteigt. Damit soll eine stabile Unterstützung der Nabe gewährleistet sein und vertikale Oszillationen der Nabe während der Rotation verringert werden (vgl Seite 2, Zeilen 53 - 55 der Patentschrift).

Der Patentanspruch 1, mit dem die Patentinhaberin ihr Patent nunmehr weiterverfolgt, ist zwar in seinem Wortlaut gegenüber der erteilten Fassung geändert, bezeichnet jedoch im wesentlichen dieselbe Ausbildung der Nabe der Disketten-Kassette. Der Einwand der Einsprechenden, daß der Schutzumfang des geltenden Patentanspruchs 1 gegenüber der erteilten Fassung erweitert ist, da hier das Eingreifen des Antriebsstiftes optional erfolgt, während es nach der erteilten Fassung als obligatorisch anzusehen ist, vermag nicht zu greifen. Denn der auf dem Gebiet der Computertechnik tätige Konstrukteur ging stets davon aus, daß es sich bei Disketten-Kassetten um einen wechselbaren Datenträger handelt, dessen Nabe nur bei Einführen der Kassette in ein Laufwerk mit dessen Antriebsstift in Kontakt gelangt.

2. Der Patentanspruch 2 nach dem Hauptantrag ist auf die Ausgestaltung des Antriebsstiftes gerichtet, der so lang sein soll, daß er bis zu der oberen Gehäusehälfte der Disketten-Kassette reicht. Die Patentinhaberin vertritt die Auffassung, daß diese Anspruchsfassung zulässig ist, weil ein entsprechender Sachverhalt aus Seite 2, Zeile 34/35 des erteilten Patents hervorgeht.

Die Fassung des Patentanspruchs 2 nach Hauptantrag ist unzulässig, denn eine solche Ausbildung des Antriebsstiftes war nicht Gegenstand des erteilten Patents, das sich mit der Ausbildung der Nabe befaßte. Der Schutzumfang des erteilten Patents wird durch den Inhalt der erteilten Patentansprüche bestimmt (§ 14 PatG). Gegenstand der erteilten Ansprüche war allein die Ausbildung der Nabe und nicht die des Antriebsstiftes. Nachdem aus dem für das Patentnichtigkeitsverfahren geltenden § 22 Abs 1, letzter Halbsatz folgt, daß eine Erweiterung des Schutzbereichs des Patents auch schon im Einspruchsverfahren unzulässig ist (vgl BGH BlPMZ 90, 325 - Spleißkammer), ist der auf die Ausbildung des Antriebsstiftes gerichtete Anspruch unzulässig.

3. Hinsichtlich der Fassung des Anspruchs 3 nach Hauptantrag bzw des Anspruchs 2 nach Hilfsantrag hat die Einsprechende keine Bedenken geltend gemacht. Die Fassung dieser Ansprüche ist auch zulässig, denn sie stimmt mit der des erteilten Anspruchs 3 überein.

4. Die Disketten-Kassette nach dem Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag und dem gleichlautenden Hilfsantrag beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

Disketten-Kassetten sind wechselbare magnetische Datenträger, deren Anwendung bereits vor dem Prioritätszeitpunkt in der Computertechnik weit verbreitet war. Wie in der GB 2 108 309 A dargestellt und im Oberbegriff des Anspruchs 1 angegeben, bestehen sie aus einem harten Gehäuse und einer darin drehbar angeordneten magnetischen Diskette (magnetic disk) mit einer Nabe (flange). Zum Lesen oder Aufzeichnen von Daten wird die Disketten-Kassette so in ein Laufwerk (disk recorder) eingeführt, daß ein Antriebsstift (motor shaft) in die zentrale Öffnung der Nabe (motorshaft hole) eingreift, die Nabe auf einem planen Stützbauteil des Motors (motor) aufliegt und in Drehung versetzt wird (vgl Figur 1 und 4 mit Begleittext der GB 2 108 309 A). Zum Aufzeichnen oder Lesen von Daten wird ein magnetischer Kopf in Kontakt zu der sich drehenden magnetischen Diskette gebracht (vgl Seite 1, Zeile 56 - 61).

In Hinblick auf eine geringe kreisförmige Vertiefung der Nabe findet sich in der GB 2 108 309 A jedoch kein Hinweis.

Eine solche Vertiefung der Nabe ist dem Fachmann, einem auf dem Gebiet der Computertechnik tätigen Konstrukteur mit mehrjähriger Berufserfahrung, aus den ihm zu unterstellenden Grundlagenkenntnissen in der Mechanik und der Fertigungstechnik nahegelegt.

Dieser Fachmann wird davon ausgehen, daß ein Aufzeichnen oder Lesen des Datenträgers bei den üblichen hohen Aufzeichnungsdichten nur gelingen kann, wenn der Datenträger in Bezug auf den Magnetkopf möglichst geringe vertikale Oszillationen ausführt und eine stabile Unterstützung der auf dem planen Stützbauteil aufliegenden Nabe gewährleistet ist. Daher wird er versuchen, unbedingt eine stabile Auflage des Datenträgers auf dem Stützbauteil sicherzustellen (vgl Aufgabenstellung Seite 2, Zeile 53 - 55 der Patentschrift).

Dabei ist dem Fachmann bekannt, daß Teile, vor allem wenn es sich um billige, dh einfach zu fertigende Massenartikel handelt, nur mit Toleranzen gefertigt werden können, und daher davon ausgehen, daß der Nabenboden nach dem Fertigungsprozeß eben nicht plan, sondern geringfügig vertieft oder erhöht ausfällt. Eine Erhöhung des Nabenbodens hat aber die für den Fachmann ohne weiteres absehbare Folge, daß eine stabile Auflage der Diskettennabe auf dem planen Stützbauteil nicht gewährleistet ist. Es lag daher für den Fachmann nahe, den Nabenboden in einem solchen Maße vertieft auszubilden, daß auch unter Annahme ungünstiger Fertigungstoleranzen stets noch eine stabile Auflage der Nabe auf dem planen Stützbauteil gewährleistet war.

Die Patentinhaberin wendet hiergegen ein, daß der von ihr gefundene Effekt für den Fachmann nicht vorhersehbar war. Andererseits tritt sie der Ansicht bei, daß Tiefziehprodukte, wie die Nabe der Disketten-Kassette, nur mit größeren oder kleineren Toleranzen zu fertigen sind. Nachdem auch nach ihren Angaben davon auszugehen ist, daß Fertigungstoleranzen üblicherweise auftreten, ist es als naheliegend anzusehen, daß ein Konstrukteur mit Berufserfahrung deren Auswirkungen bei der Konstruktion mit berücksichtigt.

Es bedurfte sonach keiner erfinderischen Tätigkeit, die Nabe einer Disketten-Kassette vertieft auszubilden wie im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 angegeben.

Daher war weder dem Hauptantrag noch dem Hilfsantrag der Patentinhaberin zu folgen und das Patent zu widerrufen.

Grimm Bertl Prasch Püschel Hu






BPatG:
Beschluss v. 30.11.2000
Az: 17 W (pat) 35/99


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