Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 23. August 1994
Aktenzeichen: 6 U 128/94
(OLG Köln: Beschluss v. 23.08.1994, Az.: 6 U 128/94)
Tenor
Das Oberlandesgericht Köln erklärt sich für sachlich unzuständig und verweist den Rechtsstreit auf den Antrag der Klägerin - mit ausdrücklicher Zustimmung des Beklagten - an das sachlich und örtlich ausschließlich zuständige Oberlandesgericht Düsseldorf - Kartellsenat -.
Gründe
Dem Antrag der Klägerin war gemäß § 281
ZPO zu entsprechen, nachdem das Landgericht in der angefochtenen
Entscheidung zulässigerweise zu einer kartellrechtlichen Vorfrage
(als Kartellgericht) Stellung bezogen hat, von deren Beantwortung
auch nach Auffassung des Senats die Entscheidung über die geltend
gemachten (wettbewerbsrechtlichen) Ansprü-che abhängt.
Da das Landgericht seinerseits
Kartellgericht i.S.v. § 87 GWB ist (vgl. § 89 GWB i.V.m. § 2 der
Verordnung über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte vom
2.10.1990 - Gesetz- und Verordnungsblatt NW Nr. 61 vom 14.11.1990,
S. 579), war das Landgericht nicht gehalten, seine Entscheidung
über die kartellrechtliche (Vor-) Frage separat von der
wettbewerbsrechtlichen (und unter Aussetzung des bei ihm
rechtshängigen Verfahrens) zu treffen (vgl. hierzu Karsten Schmidt
in Imenga/Mestmaecker § 96 Rdnr. 8 WuW/E BGH 354, 355 f. -
Gährungsgetränke). Ein Verfahrensmangel, der eine Zurückverweisung
gemäß § 539 ZPO rechtfertigen könnte, liegt daher nicht vor.
Nach Ansicht des Senats hat das
Landgericht zu Recht die Klage für zulässig erachtet und in der
Sache zutreffend erkannt, daß der Beklagten ein Wettbewerbsverstoß
i.S.v. § 1 UwG mit daraus resultierenden Unterlassungs- und
weitergehenden Folgeansprüchen nur angelastet werden kann, wenn
dieser durch seine Remailing-Aktivitäten gegen den in § 2 PostG
festgeschriebenen Beförderungsvorbehalt zugunsten der Klägerin
verstoßen hätte. Stellte sich jedoch die Berufung der Klägerin auf
§ 2 PostG unter gemeinschaftsrechtlichem Blickwinkel (Art. 90 Abs.
1 i.V.m. Artikel 86 Abs. 1 EWG-Vertrag) als rechtsmißbräuchliche
Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem gemeinsamen Markt
oder auf einem wesentlichen Teil desselben dar und könnte sich die
Klägerin aus diesem Grunde gegenüber der Beklagten und seiner
Remailingtätigkeit nicht auf § 2 PostG stützen, entfielen
zwangsläufig alle aus § 1 UWG hergeleiteten Ansprüche der Klägerin
gegen den Beklagten auf Unterlassung dieser Tätigkeit, der Werbung
hierfür, auf Schadensersatz und auf Erteilung von Auskünften.
Streitet hingegen § 2 PostG auch unter gemeinschaftsrechtlichem
Blickwinkel zugunsten der Klägerin, läge in einem Verstoß
hiergegen zugleich ein wettbewerbswidriges Verhalten i.S.v. § 1
UWG, wie bereits das Landgericht zutreffend erkannt hat.
Die Entscheidung über diese
kartellrechtlichen Vorfragen ist für den vorliegenden Fall
ausschließlich dem Landgericht Köln (I. Instanz) und dem
Oberlandesgericht Düsseldorf (II. Instanz) zugewiesen (§§ 97, 89,
87, 92, 93, 94 i.V.m. der Verordnung NW 1990 a.a.O.).
Die Entscheidung des zuständigen
Spezialsenats ist nach Auffassung des erkennenden Senats auch nicht
deshalb entbehrlich, weil etwa bereits aus nicht kartellrechtlichen
Gründen der Klage der Erfolg zu versagen wäre.
Eine solche Annahme wäre allerdings
gerechtfertigt, wenn die Klägerin gegenüber dem Beklagten
vertraglich - gerade auch - für die hier streitigen
Remailing-Aktivitäten auf ihr Beförderungsmonopol verzichtet
hätte (§ 2 Abs. 4 PostG). Entgegen der von der Beklagten hierzu in
erster Instanz vertretenen Rechtsauffassung läßt sich aber ein
derartiger Verzicht, der die Tätigkeit des Beklagten rechtfertigen
könnte, nach Ansicht des Senats nicht feststellen.
Zwar hat der Bundesminister für Post-
und Fernmeldewesen mit dem Bundesverband der internationalen
Kurierdienste im Jahre 1984 eine Óbereinkunft erzielt, in der die
Deutsche Bundespost hinsichtlich der Kurierdienste auf ihren
Beförderungsvorbehalt verzichtet hat; dieser Verzicht bezog sich
jedoch nicht auf das hier streitgegenständliche Remailing, sondern
- als Ausnahmeregelung - nur auf besonders schnelle und
zuverlässige Beförderung von Tür zu Tür, wobei die Kuriere die
einzeln nachgewiesene Sendung ständig zu begleiten hatten. Für alle
anderen Arten der Beförderung hat sich der Bundesminister
ausdrücklich vorbehalten, sich auf den Beförderungsvorbehalt zu
berufen.
Auch eine ergänzende Vertragsauslegung
würde dem Beklagten hier nicht zum Erfolg verhelfen. Aus dem
eindeutigen Wortlaut der Vereinbarung läßt sich auf die hierbei
erforderliche Vertragslücke nichts schließen. Zwar ist richtig, daß
sich - ausnahmsweise - eine solche "Lücke" auch erst nachträglich
als Folge spezifischer Fortentwicklung der Dinge ergeben kann.
Indessen verbietet sich eine Schlie-ßung einer derartigen späteren
"Lücke" im vorliegenden Falle bereits deshalb, weil im Jahre 1984
Ausnahmen von § 2 PostG nur in ganz engen Grenzen zugelassen und
die Beförderung gerade von Massensendungen, also von Sendungen,
die beim Remailing die entscheidende Rolle spielen, ausdrücklich
verboten worden sind.
Da sich nach alledem aufgrund des
innerstaatlichen Normensystems unter wettbewerbsrechtlichen
Aspekten das von der Beklagten betriebene Remailing nicht
rechtfertigen läßt, kann seine Rechtsverteidigung nur Erfolg haben,
wenn aufgrund des supranationalen Kartellrechts der Europäischen
Union den deutschen Behörden und Gerichten eine Anwendung des § 2
PostG (Beförderungsvorbehalt für die Klägerin) versagt ist. Eine
Entscheidung hierüber ist aber ausschließlich den Kartellgerichten
und im Falle der Vorlage nach Art. 177 EWG - Vertrag durch diese -
dem Europäischen Gerichtshof vorbehalten.
Ob im Einzelfall auch ein
Nichtkartellgericht berufen sein kann, kartellrechtliche Fragen zu
bescheiden, kann im vorliegenden Rechtsstreit dahinstehen, da die
hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind. Die
entscheidungserhebliche Vorfrage zu § 2 PostG ist weder
höchstrichterlich entschieden noch läßt sich aus der
Rechtssprechung des Bundesgerichtshofs und/oder des Europäischen
Gerichtshofs die aufgeworfene kartellrechtliche Frage ohne
weiteres und zweifelsfrei beantworten ("Acte clair"-Doktrin, vgl.
Berthold, GWB, § 96 Rdnr. 3; Karsten Schmidt a.a.O. § 96 Rdnr.
22).
Der Senat verkennt nicht, daß das
Landgericht nicht insgesamt - formal - als Kartellgericht
entschieden hat und daß der vorliegende Rechtsstreit - objektiv -
nicht insgesamt als "Kartellsache" i.S.d. §§ 87, 92 GWB
qualifiziert werden kann, da der Hauptanspruch aus dem UWG
hergeleitet wird (a.A. allerdings Karsten Schmidt, § 92 Rdnr. 13).
Zur Vermeidung "widersinniger Ergebnisse" (BGHZ 31, 162, 166) sieht
sich der Senat aber gleichwohl gehalten, dem Verweisungsantrag der
Klägerin zu entsprechen. Ließe er nämlich eine Verweisung nicht zu,
müßte er gemäß § 96 Abs. 2 GWB das vorliegende Verfahren aussetzen
und die Entscheidung der für Kartellsachen zuständigen Gerichte
abwarten, obwohl in erster Instanz das zuständige Gericht (LG Köln)
bereits entschieden hat (und nunmehr neuerlich im Wege des
Feststellungsverfahrens mit der Sache befaßt werden müßte). Eine
solche Konsequenz entspricht nicht der Intention des Gesetzes;
vielmehr gebührt in der Rechtsmittelinstanz bei einer derartigen
Konstellation dem Kartellrechtsspruchkörper
der Entscheidungsvorrang (BGHZ a.a.O.;
siehe ferner BGHZ 49, 33, 37; 71, 367 ff., 377; Karsten Schmidt,
Betriebs-Berater 1976, 1285 f.; ders. Betriebs-Berater 1976, 1051
ff.; ders. NJW 1977, 10 ff.; Karsten Schmidt in Imenga-Mestmacker,
§ 87 Rdnr. 11; § 92 Rdnr. 13; § 96 Rdnr. 8, 9).
OLG Köln:
Beschluss v. 23.08.1994
Az: 6 U 128/94
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