Verwaltungsgericht Gelsenkirchen:
Beschluss vom 14. Oktober 2013
Aktenzeichen: 17 L 304/13
(VG Gelsenkirchen: Beschluss v. 14.10.2013, Az.: 17 L 304/13)
Tenor
1 Die aufschiebende Wirkung der Klage 17 K 1477/13 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Februar 2013 wird hinsichtlich Ziffern 1 bis 4 wiederhergestellt und bezüglich Ziffer 6. angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
2 Der Streitwert wird auf 80.000,00 Euro festgesetzt
Gründe
Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 17 K 1477/13 des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. Februar 2013 gerichtete Antrag hat Erfolg.
Dabei legt die Kammer mit Blick darauf, dass in Ziffer 7. dieses Bescheides lediglich eine Kostengrundentscheidung ohne vollziehbare, bezifferte Leistungspflicht getroffen wird, zugrunde, dass der vorliegende Antrag diese Ziffer nicht umfasst (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO).
Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem privaten Interesse des Antragstellers an einem einstweiligen Nichtvollzug des Bescheides vom 18. Februar 2013 und dem öffentlichen Interesse an rascher Durchsetzung dieser Anordnung fällt zu Lasten des Antragsgegners aus.
Die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO erfolgt, wenn eine Interessenabwägung ergibt, dass das private Interesse des Betroffenen an dem einstweiligen Nichtvollzug gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung als vorrangig zu bewerten ist. Dabei wird ein gegenüber den persönlichen Belangen des Betroffenen überwiegendes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig dann angenommen, wenn der zu beurteilende Verwaltungsakt offensichtlich rechtmäßig ist und ein besonderes Vollzugsinteresse gegeben ist, das über jenes Interesse hinaus geht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Juni 2005- 2 BvR 485/05 -, NJW 2005, 3275.
Demgegenüber ist ein überwiegendes Interesse des Betroffenen am Nichtvollzug in der Regel zu bejahen, wenn sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig erweist. Ist die Verfügung weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich rechtswidrig, ist eine Abwägung der sonstigen betroffenen öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen.
Bei der vorzunehmenden summarischen Prüfung spricht nach gegenwärtigem Erkenntnisstand ganz Überwiegendes dafür, dass der Bescheid des Antragsgegners vom 18. Februar 2013 rechtswidrig ist.
Die vom Antragsteller erhobenen Rügen betreffend die formelle Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides bedürfen keiner näheren Prüfung, da alles für dessen materielle Rechtswidrigkeit spricht.
Es ist weder vom Antragsgegner plausibel dargelegt noch sonst nach Aktenlage erkennbar, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für den Erlass des auf die Ermächtigungsgrundlage des § 38 Abs. 5 Satz 1 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) gestützten streitigen Bescheides vorliegen.
Gemäß § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG kann die Aufsichtsbehörde zur Gewährleistung der Einhaltung dieses Gesetzes und anderer Vorschriften über den Datenschutz Maßnahmen zur Beseitigung festgestellter Verstöße bei der Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten oder technischer oder organisatorischer Mängel anordnen. Nach § 22 Abs. 5 Satz 2 des Datenschutzgesetzes NRW (DSG NRW) ist Aufsichtsbehörde im Sinne des § 38 BDSG der Antragsgegner, wobei die Kontrolle gemäß § 38 Abs. 6 BDSG lediglich die Durchführung des Datenschutzes im Anwendungsbereich des Dritten Abschnittes des Bundesdatenschutzgesetzes (§§ 27 bis 38a), der die Datenverarbeitung nicht-öffentlicher Stellen und öffentlichrechtlicher Wettbewerbsunternehmen regelt, umfasst. In diesem Rahmen kann der Antragsgegner gemäß § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG zur Gewährleistung der Einhaltung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Vorschriften über den Datenschutz Maßnahmen treffen. Hinsichtlich der hier in Rede stehenden Patientendaten des Krankenhauses eines privaten Trägers, die dem Anwendungsbereich des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten im Gesundheitswesen (Gesundheitsdatenschutzgesetz - GDSG NRW -) unterfallen (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 GDSG NRW), gilt § 38 BDSG aufgrund der spezialgesetzlichen Verweisungsnorm des § 3 Satz 2 GDSG NRW. Ausweislich der Begründung des angefochtenen Bescheides, in der §§ 10 Abs. 1a), 8 Satz 1 GDSG NRW angeführt werden, bezweckt dieser u. a. die Beseitigung von Verstößen gegen das Gesundheitsdatenschutzgesetz NRW. Diese Zielrichtung wird auch insbesondere im Hinblick auf die in Ziffer 3. der Anordnung verfügte Pflicht zur Auskunftserteilung über Patientendaten (vgl. § 9 GDSG NRW) deutlich. Damit handelt es sich hinsichtlich der Patientendaten um die Kontrolle anderer Vorschriften über den Datenschutz i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BDSG. Für das Eingreifen dieser Alternative des § 38 Abs. 1 Satz 1 BDSG ist ein - im Gesundheitsdatenschutzgesetz NRW nicht enthaltener - ausdrücklicher Bezug auf die automatische Verarbeitung personenbezogener Daten oder die Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten in oder aus nicht automatisierten Dateien im Text der bereichsspezifischen Norm selbst nicht erforderlich. Es genügt, wenn die von der datenspeichernden Stelle zu beachtende Vorschrift sich auf tatsächlich erfolgende automatisierte Verarbeitungen oder dateimäßige Verarbeitungen bezieht.
Vgl. Petri in Simits, BDSG, 7. Aufl. 2011, § 38 Rn. 33; Gola/Schomerus, BDSG, 11. Aufl. 2012, § 38 Rn 3.
Da der vorgenannte einschränkende Halbsatz des § 38 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BDSG sich nicht auf die Überprüfung der Ausführung des Bundesdatenschutzgesetzes selbst in der 1. Alternative dieser Vorschrift ("...dieses Gesetzes...") bezieht, ergibt sich nur für die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes der Anwendungsbereich der Kontrolle aus § 27 BDSG. Auf diese von den Beteiligten im vorliegenden Verfahren eingehend erörterte Vorschrift kommt es hingegen im Anwendungsbereich des § 3 Satz 2 GDSG NRW i.V.m. § 38 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BDSG nicht an.
Vgl. Petri, a.a.O., § 38 Rn. 33; Gola/Schomerus, a.a.O., § 38 Rn. 3.
Allerdings enthält § 38 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BDSG NRW - wie schon der Gesetzeswortlaut zeigt - engere Anwendungsvoraussetzungen als § 27 BDSG.
Vgl. Petri, a.a.O., § 38 Rn. 33 auch betreffend der Kontrollerweiterung in § 27 Abs. 2 BDSG.
Die Kontrolle der Aufsichtsbehörde nach § 38 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BDSG erfolgt zum einen, soweit die anderen Vorschriften über den Datenschutz die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten betreffen. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 BDSG ist automatisierte Verarbeitung die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten unter Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen. Eine Datenverarbeitungsanlage in diesem Sinne liegt nicht bereits bei einer konventionellen, in jedem Einzelschritt vom Menschen zu bedienenden Anlage wie etwa einer manuellen Schreibmaschine vor, sondern setzt eine Anlage gerade zum automatisierten Handhaben von Daten - typischerweise also eine EDV- Anlage - voraus.
Vgl. Dammann in Simitis a.a.O., § 38 Rn. 79 u. 80.
Zum anderen ist der Tatbestand des § 38 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BDSG erfüllt, wenn die Verarbeitung oder Nutzung personenbezogener Daten in oder aus nicht automatisierten Dateien erfolgt. Eine nicht automatisierte Datei ist gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG jede nicht automatisierte Sammlung personenbezogener Daten, die gleichartig aufgebaut ist und nach bestimmten Merkmalen zugänglich ist und ausgewertet werden kann.
Im angefochtenen Bescheid vom 18. Februar 2013, der u. a. Anordnungen hinsichtlich sämtlicher Unterlagen mit personenbezogenen Daten von Patienten der früher von der Insolvenzschuldnerin betriebenen W. -L. in N. , die vom I. einstweilen aufbewahrt werden, trifft, finden sich keine Ausführungen betreffend die vorgenannten Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 2 BDSG. In der Antragserwiderung vom 02. April 2013 wird diesbezüglich in Erwiderung der durch den Antragsteller insoweit erhobenen Einwände unter Verweis auf § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG und den vorliegend - wie soeben ausgeführt - allerdings nicht anwendbaren § 27 Abs. 2 BDSG die Auffassung vertreten, dass § 38 BDSG auf alle Unterlagen mit Patientendaten Anwendung finde. Eine spezifizierte, auf die einzelnen aufbewahrten Unterlagen zielende Darlegung über das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BDSG i.V.m. § 3 Abs. 2 BDSG unterbleibt seitens des Antragsgegners jedoch auch im Rahmen des vorliegenden Aussetzungsverfahrens und des zugehörigen Klageverfahrens.
Eine solche fallbezogene Betrachtung kommt hier zu dem Ergebnis, dass die Auffassung des Antragsgegners, nicht zutrifft, dass alle Unterlagen mit Patientendaten von der Ermächtigungsgrundlage des § 38 BDSG erfasst werden. Vor Erlass des streitigen Bescheides sind mit datenschutzrechtlicher Zustimmung des Antragsgegners vom 11. Januar 2013 zu dieser Maßnahme am 16. Januar 2013 durch Mitarbeiter des I1. sowie des Bauhofes der Stadt N1. die noch in der ehemaligen L. befindlichen Akten und sonstigen Unterlagen zusammengetragen und in einen Raum verbracht worden, der gegen Zutritt Unbefugter besonders gesichert wurde. Dem im Verwaltungsvorgang enthaltenen Bericht des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter zum Thema "Patientenakten in der leerstehenden L. in N. " zu einer Ausschusssitzung vom 20. Februar 2013 zufolge befinden sich nach Durchführung dieser vorläufigen Maßnahmen noch ca. 4500 Aktenordner, ca. 480 Umzugskartons mit Unterlagen und ca. 40 Plastiksäcke mit losen Unterlagen in der L. . Dies entspricht dem Inhalt einer gleichfalls im Verwaltungsvorgang befindlichen Auskunft des I1. vom 18. Februar 2013 auf eine ärztliche Anfrage, derzufolge im Klinikgebäude rund 4500 Aktenordner, 480 Umzugskartons mit Hängeregisterordner, Schnellhefter u.a. sowie ca. 40 große Säcke mit einzelnen Blättern eingesammelt worden sind.
Danach ist zunächst festzustellen, dass auch in Ansehung der nicht näher begründeten Bezugnahme auf elektronische Datenträger in Seite 5, 3. Absatz des Bescheides vom 18. Februar 2013 keine konkreten und belastbaren Erkenntnisse dafür vorliegen, dass personenbezogene Daten betreffend eine automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 BDSG vom Regelungsgegenstand dieses Bescheides erfasst sind. Der Antragsgegner ist dem Vortrag des Antragstellers in den hier anhängigen gerichtlichen Verfahren, dass vorliegend der Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen im Sinne einer Verwendung personenbezogener Daten mithilfe automatisierter Verfahren nicht in Rede stehe, nur insoweit entgegen getreten, als er ‑ abstrakt - § 27 Abs. 2 BDSG anführt. Dass unbeschadet dieser Vorschrift derzeit als Bestandteil der von dem angefochtenen Bescheid erfassten Unterlagen solche im Zusammenhang mit dem Einsatz von Datenverarbeitungsanlagen stehen, behauptet der Antragsgegner nicht.
Des weiteren kann nicht festgestellt werden, dass die in Rede stehenden Unterlagen personenbezogene Daten in oder aus nicht automatisierten Dateien i.S.d. § 38 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG enthalten. Für den Inhalt der vorgenannten ca. 40 großen Plastiksäcke mit seitens der Mitarbeiter des Bauhofes der Stadt N1. eingesammelten einzelnen Blättern und ggf. sonstigen Unterlagen fehlt es offenkundig schon an dem Erfordernis einer gleichartig aufgebauten Sammlung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG. Dieses kann nach Aktenlage auch für den Inhalt der ca. 480 Umzugskartons nicht festgestellt werden. Dafür, dass dieser Inhalt i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG eine Sammlung, also eine zielstrebig zusammengetragene oder aufrechterhaltene Mehrheit von Elementen, die in einem gewissen inneren und äußeren Zusammenhang stehen,
vgl. Dammann, a.a.O., § 3 Rn. 86,
enthält, trägt der Antragsgegner nichts vor. Dies erscheint mangels aktenkundiger Vorgaben oder sonstiger Anleitungen der Mitarbeiter des Bauhofes, die auf eine systematische Erfassung und Sammlung der in der L. vorhandenen Unterlagen zielen, auch fernliegend. Hinsichtlich der in den Umzugskartons vorhandenen einzelnen Unterlagen fehlt es an jeglichem Vortrag oder sonstigen belastbaren Erkenntnissen über ihren Charakter und konkreten Aufbau, so dass auch insoweit das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG für das Vorliegen von automatisierten Dateien nicht festgestellt werden kann.
Dies gilt im Ergebnis auch für die weiter gesicherten ca. 4500 Aktenordner. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners handelt es sich nicht bei jeder geordneten Zusammenfassung von Unterlagen, die insgesamt einem Patienten zugeordnet sind oder zugeordnet werden können, grundsätzlich um eine Datei i.S.d. Bundesdatenschutzgesetzes. Dies ist nur der Fall, wenn über das bei Akten typischerweise vorliegende Merkmal einer Sammlung gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG auch die weiteren Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind. Dabei muss der gleichartige Aufbau in Bezug auf die bestimmten Merkmale bestehen, nach denen die Sammlung zugänglich ist und ausgewertet werden kann. Der gleichartige Aufbau ist bei manueller Bearbeitung die notwendige formale Voraussetzung damit der informatorische Inhalt der Datensammlung leichter erschlossen werden kann, als dies bei Akten der Fall ist.
Vgl. Dammann, a.a.O., § 3 Rn. 89.
Ein gleichartiger Aufbau setzt voraus, dass die zu dem Betroffenen gespeicherten Daten nicht in zufälliger und wechselnder Anordnung, sondern nach einem bestimmten formalen Ordnungsschema (z. B. nummerierte Abschnitte) dargestellt sind. Für die Auslegung des § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG ist dabei die Funktion des Dateibegriffs maßgeblich. Diese liegt darin, dass nur weil und soweit Daten durch einen logischen und organisatorischen Kontext leichter zugänglich, erschließbar oder auswertbar sind, sie in den Schutzbereich des automatisierten Datenumgangs einbezogen werden. Nur dann ist die für das Eingreifen des Datenschutzes entscheidende Bedingung erfüllt, dass gerade die besondere Organisationsform die Zugänglichkeit bzw. Verwertbarkeit personenbezogener Daten erhöht.
Vgl. Dammann, a.a.O., § 3 Rn. 77, 89, 92.
Akten oder Aktensammlungen fallen danach grundsätzlich nicht, sondern nur dann in den Anwendungsbereich des § 3 Abs. 2 Satz 2 BDSG, wenn sie in einer den vorgenannten Dateibegriff dieser Vorschrift erfüllenden Weise strukturiert sind.
Vgl. Gola/Schomerus, a.a.O., § 3 Rn. 20 und § 27 Rn. 13; Dammann, a.a.O., § 3 Rn. 89; Bergmann/Möhrle/Herb, Datenschutzrecht, Kommentar Stand: April 2013, § 3 Rn 39.
Für eine solche Strukturierung der Akten ist weder etwas vom Antragsgegner vorgetragen noch sonst nach Aktenlage ersichtlich.
Hinsichtlich der Patientenunterlagen fehlt es danach für die mit dem angefochtenen Bescheid getroffene Anordnung betreffend aller Unterlagen mit personenbezogenen Daten an den Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 38 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 2. Alt. BDSG.
Soweit ggf. bezüglich einzelner Unterlagen die Voraussetzungen für das Eingreifen dieser Ermächtigungsgrundlage i.V.m. § 3 Abs. 2 BDSG vorliegen sollten, würde dies zu keiner anderen rechtlichen Bewertung führen. Unbeschadet der Frage, ob im Hinblick auf die mit dem angefochtenen Bescheid offenbar verfolgte Zielrichtung einer "Gesamtlösung" für sämtliche Unterlagen überhaupt eine Teilbarkeit der Anordnung zu bejahen wäre - zumal diese Abgrenzungsfragen hinsichtlich einer ordnungsbehördlichen Zuständigkeit gem. § 14 OBG NRW aufwerfen würde -, ist der Bescheid nämlich jedenfalls auch insgesamt wegen Ermessensfehlerhaftigkeit zu beanstanden (§ 114 VwGO). § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG eröffnet schon nach seinem Wortlaut ("...kann...") der zuständigen Aufsichtsbehörde Ermessen, das sowohl hinsichtlich des "Ob" als auch des "Wie" eines Einschreitens gilt.
Vgl. auch Gola/Schomerus, a.a.O., § 38 Rn. 25.
Es ist anerkannt, dass die rechtsfehlerfreie Ermessensausübung als Grundlage einer Entscheidung die zutreffende und vollständige Sachverhaltsermittlung voraussetzt. Denn die Verwaltung kann ihren Entscheidungsfreiraum nur sachgerecht nutzen, wenn sie den wesentlichen Sachverhalt kennt. Ermessensfehlerhaft sind daher Entscheidungen, wenn die Behörde von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen oder einer unvollständigen Sachverhaltsvorstellung ausgeht.
Vgl. Wolff in Sodan/Ziekow, VwGO, Großkommentar, 3. Aufl., § 114 Rn. 189 m.w.N.
Für die Sachverhaltsermittlung gilt der Untersuchungsgrundsatz des § 24 VwVfG NRW, der in seinem 2. Absatz die Berücksichtigung aller für den Einzelfall bedeutsamen, auch der für die Beteiligten günstigen Umstände fordert.
Gemessen hieran begründen bereits die vorstehend angeführten Unklarheiten hinsichtlich des rechtlich relevanten Sachverhalts die Ermessensfehlerhaftigkeit des angefochtenen Bescheides. Der Prüfung weiterer möglicher Ermessensfehler bedarf es daher vorliegend nicht. Hingewiesen sei insoweit lediglich darauf, dass der Bescheid eine Konkretisierung und zeitliche Begrenzung der in Ziffer 3. der Anordnung verfügten Auskunftspflicht vermissen lässt sowie insgesamt eine Berücksichtigung des im vorgenannten ministeriellen Bericht vom 20. Februar 2013 enthaltenen Hinweises, dass gemäß den Aufbewahrungsrichtlinien sehr wahrscheinlich ca. 40% der Unterlagen wegen Fristüberschreitung fachgerecht vernichtet werden könnten, nicht erkennbar ist.
Danach ergibt sich auch keine für den Antragsgegner günstigere Beurteilung daraus, dass gemäß § 32 Abs. 2 BDSG bezüglich personenbezogener Daten von Beschäftigten das Bundesdatenschutzgesetz - hier mangels Anwendbarkeit des auf Patientendaten beschränkten Gesundheitsdatenschutzgesetzes NRW (vgl. § 1 GDSG NRW) gemäß § 38 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 38 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BDSG - ohne Einschränkung auf automatisierte Verarbeitung oder nicht automatisierte Dateien gilt. § 32 BDSG vereinheitlicht danach in seinem 2. Absatz den Datenschutz im Personalwesen in der Weise, dass der 1. Absatz für jede Form der Erhebung bzw. Verarbeitung gilt, also auch für nicht unter den Dateibegriff fallende Personalvorgänge und ‑akten.
Vgl. Gola/Schomerus, a.a.O., § 32 Rn. 7.
Für ein Vorhandensein von Beschäftigtenakten in den streitigen Unterlagen gibt es zwar nach dem Verwaltungsvorgang Anhaltspunkte. Der Antragsgegner ist jedoch auch insoweit seiner Sachverhaltsermittlungspflicht nicht zureichend nachgekommen, da jegliche Aufklärung und Dokumentation - insbesondere auch im Hinblick auf die Abgrenzung zu den Patientenunterlagen sowie wohl ebenfalls vorhandenen (sonstigen) Geschäftsakten - unterblieben ist. Der Antragsgegner hätte darüber hinaus zur Vorbereitung einer rechtsfehlerfreien Ermessenbetätigung gemäß § 38 Abs. 5 Satz 1 BDSG auch den Inhalt von Personalakten nach Maßgabe der differenzierten datenschutzrechtlichen Anforderungen nach dem Ende von Beschäftigungsverhältnissen,
vgl. im Einzelnen Seifert in Simitis, a.a.O., § 32 Rn. 141 f.,
ermitteln und im Zuge seiner Ermessensausübung bewerten müssen. Zudem sind jedenfalls mit Blick darauf, dass personenbezogene Daten von Beschäftigten nach Beendigung des Beschäftigtenverhältnisses grundsätzlich gemäß § 35 Abs. 2 Nr. 3 BDSG zu löschen sind,
vgl. Seifert in Simitis, a.a.O., § 32 Rn. 141,
und bislang keine Auskunftsersuchen ehemaliger Beschäftigter der W. -L. aktenkundig sind, auch allein im Hinblick auf Beschäftigtenunterlagen die mit dem angefochtenen Bescheid getroffenen Anordnungen in der Sache zu beanstanden. Dies gilt um so mehr, als der angefochtene Bescheid eine Auskunftspflicht allein hinsichtlich ärztlicher Anfragen anordnet (Ziffer 3.), so dass die Inbesitznahmeanordnung in Ziffer 1 und die weiteren Anordnungen in Ziffer 2 - insbesondere die dortige Anordnung der Verarbeitung so, dass zu unterschiedlichen Zwecken erhobene Daten getrennt verarbeitet werden können - als in Bezug auf die Beschäftigtenunterlagen unverhältnismäßig anzusehen sind. Dies gilt gerade in Anbetracht der ganz erheblichen Kosten der mit dem angefochtenen Bescheid angeordneten dauerhaften Aktenerschließungs- und Aktenbereithaltungsmaßnahmen, die der Antragsteller in der Antragsschrift (für die Gesamtmaßnahmen) als einen sechsstelligen Betrag erreichend einschätzt.
Einer Erörterung der weiteren vom Antragsteller erhobenen rechtlichen Rügen hinsichtlich des angefochtenen Bescheides bedarf es nach allem nicht mehr. Insbesondere kann auch die zwischen den Beteiligten streitige Frage dahin stehen, ob der Antragsteller als Insolvenzverwalter unbeschadet seiner Freigabeerklärung gegenüber der Insolvenzschuldnerin vom 16. August 2010 als datenschutzrechtlich verantwortlicher Adressat der getroffenen Anordnungen herangezogen werden durfte.
Angesichts der aufgezeigten erheblichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides vom 18. Februar 2013 überwiegt das private Interesse des Antragstellers an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage. Ein dieses Suspensivinteresse überwiegendes öffentliches Vollzugsinteresse des Antragsgegners liegt nicht vor. Bis zur behördlichen Klärung der rechtlich maßgeblichen Tatsachen und der hieran anknüpfenden Möglichkeiten für ein rechtskonformes behördlichen Vorgehen - sei es durch den Antragsgegner, sei es durch eine andere Behörde - zur Bewältigung der in Bezug auf personenbezogene Unterlagen entstandene Problemlage, genügen die im Januar 2013 getroffenen vorläufigen Sicherungsmaßnahmen. Diese auf ihre fortdauernde Effektivität hin zu überprüfen, ist behördlicherseits möglich und zumutbar. Besonders dringliche Auskunftsersuchen bezüglich Patientenunterlagen sind bislang nicht erkennbar; dass solchen künftig im Einzelfall ggf. auch ohne kostenträchtige Gesamtarchivierungsmaßnahmen nachgekommen werden kann, erscheint nicht als ausgeschlossen.
Fehlt es der in Ziffer 6. des angefochtenen Bescheides verfügten Zwangsgeldandrohung danach an einer vollziehbaren Grundverfügung, ist die aufschiebende Wirkung der Klage auch insoweit anzuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und berücksichtigt den die Hauptsache weitgehend vorwegnehmenden Charakter des vorliegenden Eilverfahrens.
VG Gelsenkirchen:
Beschluss v. 14.10.2013
Az: 17 L 304/13
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