Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. Dezember 2003
Aktenzeichen: 9 W (pat) 27/02

(BPatG: Beschluss v. 03.12.2003, Az.: 9 W (pat) 27/02)

Tenor

1. Auf die Beschwerde wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und das Patent mit folgenden Unterlagen erteilt:

Patentansprüche 1 bis 7 sowie Beschreibung Seiten 1, 1a, 2 bis 5, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung am 3. Dezember 2003, Zeichnungen Figuren 1 bis 3, eingegangen am 22.12.1999.

Die Bezeichnung lautet: "An einem Rahmenlängsträger eines Lastkraftwagens mit kippbarem Fahrerhaus befestigter Lagerbock."

Anmeldetag ist der 22. Dezember 1999.

Die Priorität der Anmeldung in Österreich Nr. 196/99 vom 11. Februar 1999 ist in Anspruch genommen.

2. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.

Gründe

I Die Patentanmeldung ist beim Deutschen Patentamt am 22. Dezember 1999 unter Inanspruchnahme der Priorität der österreichischen Voranmeldung Nr. 196/99 vom 11. Februar 1999 mit der Bezeichnung

"An einem Rahmenlängsträger eines Lastkraftwagens mit kippbarem Fahrerhaus befestigter Lagerbock"

eingegangen. Mit Beschluss vom 28. Januar 2002 hat die Prüfungsstelle für Klasse B 60 G des Deutschen Patent- und Markenamts die Anmeldung zurückgewiesen, da der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Druckschriftlich belegter Stand der Technik war nicht ermittelt worden. Zur Begründung wurde lediglich ausgeführt, der beanspruchte Lagerbock stelle eine bloße Aggregation dar und sei als Ergebnis rein baulicher Maßnahmen zu sehen.

Dagegen wendet sich die Anmelderin mit der am 7. März 2002 eingegangenen Beschwerde. Sie hält es für einen wesentlichen Mangel des Prüfungsverfahrens, dass kein nachprüfbarer Stand der Technik genannt worden ist. Diesbezüglich verweist sie auf die Entscheidung "Transportsicherung" des BPatG in GRUR 1990 S 111 bis 113. Den Anmeldungsgegenstand erachtet sie weiterhin für nicht nahegelegt.

In einer Zwischenverfügung des Senats vom 5. November 2003 wurde folgender Stand der Technik genannt:

- DE 78 31 523 U1

- DE 38 27 922 C1

- US 2 864 121.

Die Patentfähigkeit des beanspruchten Lagerbocks wurde vor allem im Hinblick auf die DE 78 31 523 U1 in Frage gestellt. Aus dieser Druckschrift war am Prioritätstag bereits die grundlegende Idee bekannt, einem am Rahmenlängsträger befestigten Lagerbock einen Zusatznutzen, nämlich die zusätzliche Befestigung eines Fahrerhauskippzylinders, aufzuprägen.

In der mündlichen Verhandlung vom 3. Dezember 2003 hat der Senat noch auf folgendes Fachbuch hingewiesen:

Braun/Kolb "LKW Ein Lehrbuch und Nachschlagewerk", Kirschbaum Verlag Bonn, 5. Auflage 12/1997, insb Abbildung auf S 67.

Daraufhin hat die Anmelderin neue Patentansprüche vorgelegt, mit denen sie die Patenterteilung beschränkt weiterverfolgt. Gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik erachtet sie den Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 als neu und nicht nahegelegt.

Die Anmelderin beantragt:

den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den im Beschlusstenor angegebenen Unterlagen zu erteilen.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet:

An einem Rahmenlängsträger (1) eines Lastkraftwagens mit kippbarem Fahrerhaus befestigter Lagerbock (3), an dem ein Stabilisator-Haltestab (9) seitengeführt angelenkt ist, dadurch gekennzeichnet, dass der Lagerbock (3), an dem der Stabilisator-Haltestab (9) angelenkt ist, auch noch für die rahmenseitige Anlenkung eines Fahrerhaus-Kippzylinders (5) vorgesehen ist und hierfür einen Lagerbolzen (13) aufweist, auf dem der Fahrerhaus-Kippzylinder (5) schwenkbar gelagert und befestigt ist, wobei der Lagerbock (3) aus vier vorgefertigten Stahlteilen, nämlich einer Grundplatte (11), einem Lagerbügel (12), dem Lagerbolzen (13) und einer Stützrippe (14), zusammengesetzt ist und der Lagerbügel (12), der Lagerbolzen (13) sowie die Stützrippe (14) an der Grundplatte (11) angeschweißt sind.

Mit dieser Ausgestaltung wird eine platzsparende und kostengünstige Abstützung für einen Fahrerhaus-Kippzylinder und eine Stabilisator-Haltestange am Rahmen des Lastkraftwagens geschaffen.

An den Patentanspruch 1 schließen sich die abhängigen Unteransprüche 2 bis 7 an.

II Die statthafte Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt worden und auch im übrigen zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die geltenden Patentansprüche 1 bis 7 sind zulässig.

Der geltende Patentanspruch 1 enthält sämtliche Merkmale der ursprünglichen Ansprüche 1 und 2. Er ist damit in zulässiger Weise beschränkt.

Bis auf notwendige Anpassungen der jeweiligen Rückbeziehungen stimmen die geltenden Patentansprüche 2 bis 7 mit den ursprünglichen Patentansprüchen 3 bis 8 überein.

2. Der ohne Zweifel gewerblich anwendbare Lagerbock nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist neu, denn offensichtlich zeigt der in Betracht gezogene Stand der Technik keinen Lagerbock für einen Lastkraftwagen mit sämtlichen nunmehr beanspruchten Merkmalen.

3. Zur Gestaltung des beanspruchten Lagerbocks war am Anmeldetag eine erfinderische Tätigkeit erforderlich.

In der Abbildung auf S 67 unten des Fachbuchs Braun/Kolb "LKW - Ein Lehrbuch und Nachschlagewerk" a.a.O. ist der vordere Teil eines Rahmenlängsträgers dargestellt, der für einen Lastkraftwagen mit und ohne kippbares Fahrerhaus gleichermaßen geeignet ist. An dem Rahmenlängsträger ist u.a. ein Lagerbock befestigt, an dem ein Stabilisator-Haltestab für die Vorderachse seitengeführt angelenkt ist. Weitere Gemeinsamkeiten mit dem beanspruchten Lagerbock bestehen nicht. Vielmehr dienen sämtliche dargestellten Lagerböcke, zBsp für eine vordere und hintere Blattfederaufhängung, einen Federanschlag und eine Stoßdämpferanlenkung, erkennbar nur jeweils einem einzigen Zweck. Rückschlüsse auf die Herstellung der Lagerböcke, zBsp als Guss- oder Schweißkonstruktion, sind weder der Abbildung noch dem zugehörigen Text zu entnehmen. Damit offenbart diese Druckschrift erst recht keine Einzelheiten eines Lagerbocks als Schweißkonstruktion.

In der DE 78 31 523 U1 wird die Lehre vermittelt, die an einem Rahmenlängsträger 3 befestigten Federaufhängung 4 einer nicht dargestellten Blattfeder für eine LKW-Achse gleichzeitig als Anlenkpunkt für einen Fahrerhauskippzylinder 7/8 zu verwenden, vgl insb Ansprüche 1 und 2 iVm den Figuren. Dafür ist im Detail vorgeschlagen, den zur Befestigung der Blattfeder vorhandenen Bolzen 12 (Federauge) entsprechend zu verlängern und durch einen Flansch 13 und einen Sprengring 14 für die schwenkbare Lagerung des Fahrerhauskippzylinders 7/8 auszubilden, vgl auch S 3 letzter Abs. Weder die schriftliche Offenbarung noch die Darstellung des Lagerbocks 4 in den Figuren lässt eindeutig erkennen, auf welche Weise er hergestellt worden ist. Außer einer Verlängerung und Anpassung des Bolzens 12 sind keine Maßnahmen zur Abstützung des durch die Kippzylinderlagerung zusätzlich belasteten Bolzens, zBsp durch eine Stützrippe o.ä., offenbart.

Bei einer Übertragung dieser Lehre auf den vorbekannten Rahmenlängsträger würde der Durchschnittsfachmann die vordere Federaufhängung oder einen ähnlichen, für die Kippkinematik besser geeigneten Lagerbock als Anlenkpunkt des Stabilisator-Haltestabes in Betracht ziehen. Allerdings ist die konkret beanspruchte Gestaltung des Lagerbocks als Schweißkonstruktion, bestehend aus den vier im Anspruch genannten Einzelteilen dabei objektiv durch nichts angeregt. Deshalb ist diese, von dem Erfinder erstmals aufgefundene Lösung auch nicht nahgelegt im patentrechtlichen Sinn.

Die übrigen Druckschriften (DE 38 27 922 C1 und US 2 864 121) beschreiben kippbare LKW-Fahrerhäuser, an deren Lagerböcken ein Dämpferzylinder und auch ein Stabilisator für die Fahrerhauskippbewegung angelenkt sind. Insoweit weisen diese Druckschriften mehrfunktionale Lagerböcke als am Prioritätstag bekannt nach, ohne dem nunmehr konkret Beanspruchten näher zu kommen als der zuvor dargestellte Stand der Technik.

Die vorstehenden Ausführungen machen deutlich, dass der in Betracht gezogene Stand der Technik keine Anregung für die beanspruchte spezielle Lösung liefert.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens eines als LKW-Konstrukteur tätigen Durchschnittsfachmannes, zBsp eines Maschinenbau-Ingenieurs. Zu dessen allgemeinem Fachwissen zählt unbestritten die Kenntnis um Guss- und Schweißkonstruktionen von Lagerböcken und deren jeweils vorteilhafte Anwendung bei großen Stückzahlen bzw bei Sonderkonstruktionen. Es kann allerdings dahinstehen, ob und aus welchem Grund der Durchschnittsfachmann möglicherweise der einen oder der anderen Herstellungsweise den Vorzug geben würde. Denn mit dieser Entscheidung ist die konkret beanspruchte Konstruktion noch nicht nahegelegt.

Vor diesem Hintergrund bedurfte es zur Gestaltung des beanspruchten Lagerbocks mit seinen speziellen Merkmalen einer erfinderischen Tätigkeit.

Der Patentanspruch 1 ist mithin patentfähig. Mit ihm sind es die darauf bezogenen Patentansprüche 2 bis 7, in denen Einzelheiten der anmeldungsgemäßen Schweißkonstruktion angegeben sind.

4. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr aus Billigkeitsgründen gemäß PatG § 80 Abs. 3 ist geboten, weil das Prüfungsverfahren an einem wesentlichen Mangel leidet.

Der wesentliche Verfahrensmangel besteht darin, dass die Prüfungsstelle die Anmeldung zurückgewiesen hat, ohne die Anmelderin zuvor gemäß PatG § 45 Abs. 2 in ausreichender Weise davon zu benachrichtigen, welcher konkrete Stand der Technik dem von der Prüfungsstelle als neu anerkannten Anmeldungsgegenstand patenthindernd entgegensteht (BPatG GRUR 1990, 111-113 "Transportsicherung"). Obwohl die Anmelderin die Prüfungsstelle in ihrer Erwiderung auf den Erstbescheid mit Bezug auf diese Entscheidung darauf hingewiesen hatte, dass die Nennung druckschriftlichen Standes der Technik erforderlich ist, ist ohne Berücksichtigung dieser zutreffenden Forderung der Anmelderin die Zurückweisung der Anmeldung erfolgt. In diesem Fall wäre es unbillig, die Anmelderin mit den auf diese Weise veranlassten Gebühren des Beschwerdeverfahrens zu belasten.

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BPatG:
Beschluss v. 03.12.2003
Az: 9 W (pat) 27/02


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