Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 30. März 1993
Aktenzeichen: 2 Ws 110/93 + 2 Ws 112/93
(OLG Köln: Beschluss v. 30.03.1993, Az.: 2 Ws 110/93 + 2 Ws 112/93)
Tenor
1. Unter Zurückweisung der weitergehenden sofortigen Beschwerden werden die Beschlüsse des Rechtspflegers vom 16. Oktober 1992 und 14. Oktober 1992 insoweit aufgehoben, als die Anträge der Beschwerdeführer auf Festsetzung einer Vorverfahrensgebühr sowie von Reisekosten und Abwesenheitsgelder ihrer Verteidiger zurückgewiesen worden sind. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten der sofortigen Beschwerden, an den Rechtspfleger des Landgerichts Köln zurückverwiesen.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführer waren angeklagt,
sich von Januar 1985 bis Januar 1986 durch zwei selbständige
Handlungen - jeweils gemeinschaftlich und fortgesetzt handelnd -
des Betruges schuldig gemacht zu haben. Diese Straftaten sollen sie
als Gesellschafter der in E.-H. ansässigen Firma A. Geschenk- und
MarketinggesellschaftmbH, die am 04. Januar 1985 gegründet und am
20. Februar 1985 im Handelsregister des Amtsgerichts Bergheim
eingetragen worden war, begangen haben. Nach dem
Gesellschaftsvertrag war Gegenstand des Geschäftsbetriebes der
Direktvertrieb von Waren, insbesondere von Geschenkartikeln, an
den Endverbraucher. Nach dem Anklagevorwurf hatten die
Beschwerdeführer nicht die Absicht zur Verwirklichung dieses
Geschäftszwecks. Sie sollten vielmehr den Plan gefaßt haben, sich
durch Täuschung zahlreicher Personen auf deren Kosten Waren und
hohe Geldbeträge zu verschaffen. Durch das am 01. April 1992 in
Rechtskraft erwachsene Urteil der 10. großen Strafkammer des
Landgerichts Köln vom 05. Juli 1991 sind die Beschwerdeführer
freigesprochen worden. Die Kosten des Verfahrens und ihre
notwendigen Auslagen sind der Staatskasse auferlegt worden.
Der Beschwerdeführer A. hat beantragt,
notwendigen Auslagen in Höhe von 12.679,08 DM gegen die
Staatskasse festzusetzen. Der Beschwerdeführer D. begehrt die
Festsetzung von 12.647,61 DM. Dabei haben die Beschwerdeführer für
das Vorverfahren (§ 84 BRAGO), den ersten Tag der Hauptverhandlung
(§ 83 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO) und die acht folgenden Verhandlungstage
(§ 83 Abs. 2 Nr. 2 BRAGO) jeweils die Höchstgebühr der
Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung in der Fassung des Gesetzes zu
Ànderung von Kostengesetzen vom 09. Dezember 1986 - in Kraft
getreten am 01.01.1987 - in Ansatz gebracht. Zur Begründung des
Gebührenansatzes für das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung
haben sie vorgetragen, den Verteidigern sei von ihnen bereits im
Jahre 1987 Verteidigungsauftrag erteilt worden. Sie haben
Reisekosten und Abwesenheitsgelder mit der Begründung geltend
gemacht, es habe sich bei den auswärtigen Verteidigern um Anwälte
ihres besonderen Vertrauens gehandelt. Außerdem haben sie
Fotokopierkosten und die Höchstgebühr des § 86 Abs. 3 BRAGO für die
Tätigkeit im Revisionsverfahren außerhalb der Hauptverhandlung
angesetzt. Mit den angefochtenen Beschlüssen hat der Rechtspfleger
die dem Beschwerdeführer A. aus der Staatskasse zu erstattenden
notwendigen Auslagen auf 7.898,68 DM und die dem Beschwerdeführer
D. zu erstattenden Auslagen auf 7.462,21 DM festgesetzt. Er hat den
Ansatz einer Gebühr für das vorbereitende Verfahren abgelehnt,
weil er davon ausgegangen ist, daß die Verteidiger im Rahmen eines
Verteidigungsauftrages vor der Anklageerhebung nicht tätig
geworden seien. Für den ersten Tag der Hauptverhandlung hat er
jeweils 900,00 DM, für den siebten Hauptverhandlungstag eine Gebühr
von 500,00 DM und für die übrigen sieben Hauptverhandlungstage die
Höchstgebühr in Ansatz gebracht. Reisekosten und Abwesenheitsgelder
hat der Rechtspfleger nicht festgesetzt, weil er die Beauftragung
eines auswärtigen Anwalts für nicht notwendig erachtet hat. Er hat
stattdessen fiktive Kosten für Informationsreisen in Ansatz
gebracht. Für das Revisionsverfahren hat er jeweils die
Mittelgebühr des § 86 Abs. 3 BRAGO mit 550,00 DM unter
Hinzurechnung der Auslagenpauschale angesetzt. Gegen diese, den
Verteidigern am 21. Oktober 1992 zugestellten Beschlüsse haben die
Beschwerdeführer mit Schriftsätzen ihrer Verteidiger, die am 02.
November 1992 bei Gericht eingegangen sind, Erinnerung eingelegt,
der der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat. Die 10. große
Strafkammer des Landgerichts Köln hat durch Beschlüsses vom 17.
Februar 1993 gleichfalls nicht abgeholfen und die Sache dem
Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die als sofortige Beschwerden geltenden
Erinnerungen der früheren Angeklagten sind gemäß §§ 11 Abs. 1, 21
Nr. 1 RpflG, 104 Abs. 1 ZPO, 464 b S. 3 StPO statthaft und auch
wegen der übrigen Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht zu
beanstanden; Der Beschwerdewert ist erreicht (§§ 464 b S. 3 StPO,
567 Abs. 2 ZPO).
1.
Unbegründet sind die sofortigen
Beschwerden, soweit sie sich dagegen richten, daß der Rechtspfleger
für das Revisionsverfahren sowie den ersten und siebten
Verhandlungstag nur die mittlere Rahmengebühr in Ansatz gebracht
hat.
Zwar bestimmt der Rechtsanwalt bei
Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall unter Berücksichtigung
aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des
Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der
Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach
billigem Ermessen (§ 12 Abs. 1 BRAGO). Ist die Gebühr jedoch von
einem Dritten - wie hier von der Staatskasse - zu ersetzen, so ist
die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung dann nicht
verbindlich, wenn sie unbillig ist (§ 12 Abs. 1 S. 2 BRAGO). Die
hier erörterten Gebühren erscheinen unbillig hoch, weil sie um mehr
als 20 % die für angemessen zu erachtenden Gebühren übersteigen.
Angemessen erscheint insoweit jeweils der Ansatz der Mittelgebühr.
Den Verteidigern waren die Gesamtumstände der Firmentätigkeit, die
den strafrechtlichen Vorwurf ausmachten, bereits seit längerem
bekannt. Danach wies die Sache keinen Schwierigkeitsgrad auf, der
die Ansetzung der Höchstgebühr rechtfertigen könnte. Die
Hauptverhandlung hat zudem am ersten und siebten Tag keine
Zeitspanne erreicht, die - auch unter Berücksichtigung der
Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Beschwerdeführer - den
Ansatz der Höchstgebühr begründen könnte. Vielmehr trägt der Ansatz
der jeweiligen Mittelgebühr allen in § 12 BRAGO aufgeführten
Kriterien Rechnung. Zu Recht ist ebenso für das Revisionsverfahren
nur die mittlere Rahmengebühr berücksichtigt worden.
2.
Dagegen sind die geltendgemachten
Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder sowie die in Ansatz gebrachten
Vorverfahrensgebühren zu Unrecht außer Ansatz geblieben.
Die Beschwerdeführer haben hinreichend glaub-
haft gemacht, daß ihre Verteidiger seit
dem Jahre 1987 für sie zur Abwehr der gegen sie erhobenen
strafrechtlichen Vorwürfe tätig waren. Der Bürovorsteher L. hat
dazu in einer Erklärung vom 27.11.1992 an Eides Statt versichert,
daß die Anwälte, nachdem sie bereits zeitlich früher die A. GmbH
und auch die Freigesprochenen persönlich vertreten hatten, im Jahre
1987 bei einer Besprechung ausdrücklich mit der Vertretung in dem
damals bereits anhängigen Ermittlungsverfahren beauftragt wurden.
In der Folge sollen "immer wieder" Gespräche zwischen den
Beschuldigten und den Anwälten stattgefunden haben, die sich
"ausschließlich auf die strafrechtliche Angelegenheit" bezogen.
Aus diesen Angaben ergibt sich mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit, daß zwischen den Anwälten und den
Beschuldigten bereits im Jahre 1987 Mandatsverträge über die
Vertretung in dem anhängigen Ermittlungsverfahren abgeschlossen
wurden. Daß die Anwälte erst zeitlich später - nämlich nach
Anklageerhebung - ihre Bestellung angezeigt haben, ist ohne
Bedeutung. Denn die Vorverfahrensgebühr fiel mit dem Abschluß der
Mandatsverträge an, nicht erst mit dem Zugang der
Verteidigerbestellung bei Gericht. Den Verteidigern steht deshalb
dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung der Vorverfahrensgebühr
zu.
Der Rechtspfleger hat auch die geltendgemach-
ten Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder
zu Unrecht nur in Höhe fiktiver Kosten für Informationsreisen
berücksichtigt. Zu den erstattungsfähigen Auslagen im Sinne der §§
464 a Abs. 2 Nr. 2 StPO, § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO gehören auch
Fahrt- und Reisekosten des Verteidigers, der nicht am Ort des
Prozeßgerichts wohnt, wenn seine Zuziehung zur zweckentsprechenden
Rechtsverteidigung notwendig war. Das ist namentlich dann der Fall,
wenn es sich bei den Verteidigern um Anwälte des Vertrauens
handelt und die Beschuldigten sich gegen einen Vorwurf von
erheblichem Gewicht verteidigen müssen (vgl. u.a. Schäfer in
Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 464 a Rn. 46). Diese
Voraussetzungen liegen vor. Der angefochtene Beschluß geht
insoweit zutreffend davon aus, daß das Strafverfahren für die
Beschwerdeführer von großer Bedeutung war. Bei den
Beschwerdeführern handelt es sich aber auch um Anwälte des
Vertrauens. Dieses Vertrauensverhältnis ist durch die Vertretung
der A. GmbH und auch die Beschwerdeführer persönlich in
zivilrechtlichen Streitigkeiten gewachsen und bestand, als der
Mandatsvertrag über die Vertretung in dem Ermittlungsverfahren
abgeschlossen wurde. Auch von der Sache her war es geboten, die
Anwälte, die bereits zu diesem Zeitpunkt ausreichende Sachkunde
durch ihre Tätigkeit für die A. GmbH und die Beschwerdeführer
hatten, mit der Vertretung im Strafverfahren zu beauftragen.
III.
Die zu Unrecht erfolgte
Nichtberücksichtigung der Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder der
auswärtigen Anwälte sowie der Vorverfahrensgebühren bedingt
insoweit die Aufhebung der Vorentscheidungen sowie die
Zurückverweisung der Sache an den Rechtspfleger, um über die
Anträge auf Festsetzung der Vorverfahrensgebühren und
Berücksichtigung der Fahrtkosten und Abwesenheitsgelder neu zu
entscheiden. Die Beschwerdeführer haben dabei Gelegenheit, im
einzelnen ihre Tätigkeit im Vorverfahren in nachprüfbarer Weise
darzulegen. Ihr bisheriges Vorbringen dazu rechtfertigt auf keinen
Fall den Ansatz der Höchstgebühr.
IV.
In der neuen Festsetzungsentscheidung
wird zugleich über die Kosten der sofortigen Beschwerde zu
befinden sein.
OLG Köln:
Beschluss v. 30.03.1993
Az: 2 Ws 110/93 + 2 Ws 112/93
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