Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 14. Januar 2000
Aktenzeichen: 6 U 131/99
(OLG Köln: Urteil v. 14.01.2000, Az.: 6 U 131/99)
Wirbt der Anbieter von Kosmetikartikeln in seinem Versandkatalog für seine Produkte damit, dass er für den Fall einer sogenannten Testbestellung von Ware, die einen Wert von DM 55,00 erreicht, dem Besteller einen Baumwollschal zu einem Preis von DM 2,00 anbiete, liegt hierin -auch wenn bezüglich der bestellten Testware ein Rückgaberecht von 14 Tagen eingeräumt ist- ein Wettbewerbsverstoß sowohl in Form des übertriebenen Anlockens als auch des psychologischen Kaufzwangs. Eine unerlaubte Zugabe liegt in einem derartigen Wettbewerbsverhalten allerdings nicht.
Tenor
1.) Die Berufung der Beklagten gegen das am 29.6.1999 verkündete Urteil des Landgerichts Aachen - 41 O 237/98 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß der Hauptausspruch wie folgt neu gefaßt wird:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 500.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zur Dauer von sechs Monaten zu unterlassen,im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs wie auf der nachfolgenden Seite 3 dieses Urteils wiedergegeben für den Fall einer Testbestellung von Kosmetikartikeln im Gesamtwert von mindestens 55 DM einen als "topmodischen Baumwollschal agnés b." bezeichneten Schal zum Preis von 2 DM unter Einräumung des Rechts anzubieten und/oder zu bewerben, daß die Kunden den Schal bei Rücksendung der übrigen Ware behalten können.
2.) Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann jedoch die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in nachbenannter Höhe ab-wenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit jeweils in derselben Höhe leistet. Es ist Sicherheit in folgender Höhe zu leisten bzw. sind folgende Beträge zu hinterlegen:
Bei Vollstreckung des Anspruches auf
a) Unterlassung 100.000,00 DM;
b) Kostenerstattung 15.000,00 DM.
Der Beklagten wird auf ihren Antrag nachgelassen, die Si-cherheiten auch durch Stellung einer selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu erbringen.
4.) Die Beschwer der Beklagten wird auf 100.000 DM festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger ist ein Verband, dessen Satzungszweck die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs ist. Seine auf Grund von § 13 Abs.2 Ziff.2 UWG im vorliegenden Verfahren bestehende Prozeßführungsbefugnis ist zwischen den Parteien nicht im Streit.
Die Beklagte betreibt bundesweit einen Versandhandel mit Kosmetikprodukten.
Im September 1998 bewarb die Beklagte ihre Produkte in der Form, daß sie für den Fall einer Testbestellung von Ware, die einen Wert von 55 DM erreichte, der betreffenden Kundin einen Baumwollschal für 2 DM anbot. Die Kundinnen erhielten dabei das Recht eingeräumt, die Testware binnen 14 Tagen zurückzusenden, den Schal für 2 DM aber gleichwohl zu behalten. Wegen der Einzelheiten der diesbezüglichen Werbung wird auf die als Seite 3 in dieses Urteil eingeblendete Ablichtung verwiesen. Wegen der Ausgestaltung des als "Testanforderung" überschriebenen Bestellformulars wird auf die (gesondert geheftete) Anlage K 4 Bezug genommen.
Der Kläger sieht diese Werbung unter dem Gesichtspunkt des übertriebenen Anlockens durch Wertreklame als gem. § 1 UWG wettbewerbswidrig an. Er hat dazu behauptet, der Schal habe einen Wert von 20-30 DM, und sich u.a. auf eine Senatsentscheidung vom 29.11.1996 bezogen, durch die es der Beklagten in dem Eilverfahren 6 U 196/96 bereits untersagt worden war, bei der Gelegenheit von Testbestellungen sog. "Produktgeschenke" zu gewähren.
Der Kläger hat zuletzt - sinngemäß - b e a n t r a g t,
die Beklagte unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 500.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken an dem Geschäftsführer ihrer Komplementärin, zu verurteilen, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für Kosmetik- und Parfumerieartikel einen "topmodischen Baumwollschal agnés b." anzubieten und/oder zu bewerben, wenn dieser Schal für 2 DM angeboten wird, falls die Testanforderung des Kunden 55 DM erreicht, wenn dies wie nachstehend wiedergegeben geschieht:
(Es folgte die aus S.3 des vorliegenden Urteils ersichtliche Ablichtung.)
Die Beklagte hat b e a n t r a g t,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, der Schal habe einen Wert von nur 10 DM und auch die angesprochenen Verbraucherinnen gingen von diesem Wert aus. Im übrigen hätten sich die Anschauungen zur Sittenwidrigkeit in diesem Bereich gewandelt. Im Lichte der jüngeren BGH-Rechtsprechung, insbesondere der Entscheidungen "1000 DM Umweltbonus" (WRP 98,858 f), "Rubbelaktion" (GRUR 98,434 f) und "Schmuck-Set" (WRP 98,727), lägen die Voraussetzungen einer sittenwidrigen Wertreklame nicht vor. Überdies unterscheide sich der Sachverhalt in bestimmten Einzelheiten von demjenigen, der der erwähnten Senatsentscheidung zugrundegelegen habe.
Das L a n d g e r i c h t hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt und ausgeführt, die in der Senatsentscheidung aufgestellten Grundsätze gälten im vorliegenden Verfahren entsprechend. Der Verkehr gehe davon aus, daß der Betrag von 2 DM den Wert des Schals bei weitem unterschreite. Aus diesem Grunde nehme die angesprochene Verbraucherin an, daß die Beklagte nur dann ein Geschäft mache, wenn sie die Testware behalte. Aus im einzelnen dargelegten, der konkreten Ausgestaltung der Werbung entnommenen Gründen setze der Verkehr, auf dessen Einschätzung es unabhängig von dem tatsächlichen Betrag ankomme, den Wert des Schals auf 30-40 DM an. Vor diesem Hintergrund sei die Bewerbung unter dem Gesichtspunkt eines unzulässigen psychischen Kaufzwanges sittenwidrig, weil die Beklagte so mit unlauteren Mitteln eine Hemmschwelle der Kunden für den Kauf der Produkte überwinde.
Ihre B e r u f u n g gegen dieses Urteil begründet die Beklagte wie folgt:
Sie wiederholt ihre - durch Sachverständigengutachten (Verkehrsbefragung) unter Beweis gestellte - Behauptung, daß der Schal lediglich einen Wert von 10 DM habe und die angesprochenen Verkehrskreise auch von diesem Wert ausgingen. Im übrigen werde der Schal nicht etwa zu einem Scheinentgelt angeboten, vielmehr gebe sie lediglich ihre Einkaufsvorteile an die Besteller weiter. Zumindest vor diesem Hintergrund sei die Klage unbegründet.
Zu Unrecht habe das Landgericht einen unzulässigen psychischen Kaufzwang angenommen. Dem stehe schon entgegen, daß der Kläger selbst sich ausdrücklich auf diesen Unlauterkeitsgesichtspunkt nicht gestützt habe.
Ein unzulässiger psychischer Kaufzwang liege aber auch nicht vor. Ein solcher setze voraus, daß mit außerhalb der Sache liegenden Mitteln der Einflußnahme derart auf die Willensentscheidung des Umworbenen eingewirkt werde, daß dieser zumindest anstandshalber nicht umhin könne, auf das Angebot einzugehen. Diese Situation könne bei dem bewirkten Betreten eines kleinen Ladenlokals erreicht werden. Ihre Kundinnen träten aber mit ihrem Verkaufspersonal nicht in Kontakt, so daß die Möglichkeiten einer Einflußnahme weitaus geringer seien. Überdies handele es sich um einen Kauf auf Probe, bei dem der Kaufvertrag erst zustandekomme, wenn die Ware die Billigung der Kundin finde. Vor diesem Hintergrund könne nur auf den geringen tatsächlichen Wert des Schals abgestellt werden, weil nur durch diesen ein Gefühl der Dankbarkeit begründet werden könne.
Zu Recht habe auch das Landgericht weder einen Zugabeverstoß, noch ein unzulässiges Vorspannangebot angenommen. Eine Zugabe liege nicht vor, weil der Schal nicht unentgeltlich oder lediglich gegen ein Scheinentgelt abgegeben werde, und für ein Vorspannangebot fehle es an der erforderlichen Akzessorietät, weil der Schal auch bei Rücksendung der übrigen Ware für 2 DM gekauft werden könne.
Aber auch ein übertriebenes Anlocken liege nicht vor. Dies komme allerdings in Fällen in Betracht, in denen ein Kauf auf Probe erfolge und der Besteller die Nebenware in jedem Fall behalten könne. Voraussetzung sei aber, daß die Werbung über eine bloße Aufmerksamkeitswerbung hinausgehe und als anstößig erscheine. Nach den dafür in der Rechtsprechung gebildeten Kriterien stelle die streitgegenständliche Werbung indes kein übertriebenes Anlocken dar. So liege schon kein Fall der Wertreklame vor, vielmehr handele es sich bei dem Schal lediglich um ein Sonderangebot. Es sei indes nicht sittenwidrig, vorübergehend Ware als Lockware besonders günstig anzubieten. Aus im einzelnen dargelegten Gründen, auf die noch einzugehen ist, ergebe sich auch aus den schon in erster Instanz angeführten höchstrichterlichen Entscheidungen, daß die Werbung nicht als sittenwidrig angesehen werden könne.
Auch aus der erwähnten Senatsentscheidung folge nichts anderes. So könne nicht der Eindruck eines Kaufzwanges entstehen. Zudem könne die Anlockwirkung eines Sonderangebotes nicht mit derjenigen einer unentgeltlichen Zuwendung gleichgesetzt werden. Im übrigen seien die Wertverhältnisse unterschiedlich: während in dem früheren Verfahren bei einer Testbestellung von 50 DM das "Produktgeschenk" bis zu 59 DM habe betragen können, habe im vorliegenden Verfahren bei einer Testbestellung von mindestens 55 DM der Schal nur den angegebenen geringen Wert.
Schließlich sei inzwischen das gewandelte Verbraucherleitbild des durchschnittlich informierten aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zugrundezulegen. Ein derartiger verständiger Verbraucher könne indes durch das Angebot nicht manipuliert werden.
Die Beklagte b e a n t r a g t,
das Urteil des Landgerichts Aachen vom 29.6.1999 - 41 O 237/98 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger b e a n t r a g t,
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, daß der Urteilstenor wie folgt neu gefasst wird:
"...es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs für Kosmetik- und Parfumerieartikel für den Fall einer Testbestellung von Kosmetikartikeln im Gesamtwert von mindestens 55 DM einen als 'topmodischen Baumwollschal agnés b.' bezeichneten Schal für 2 DM anzubieten und/oder zu bewerben, wie nachstehend wiedergegeben auch für den Fall, daß der Kunde den Schal bei Rücksendung der übrigen Ware behalten kann."
(Es folgt die aus S.3 des vorliegenden Urteils ersichtliche Ablichtung.)
Er behauptet weiterhin, daß der Schal einen Wert von 20-30 DM habe. Aus diesem Grunde spreche eine Vermutung für das Vorliegen eines Scheinentgeltes, die die Beklagte auch nicht entkräftet habe. Im Gegensatz zu der Auffassung der Beklagten handele es sich auch um Wertreklame, weil das Angebot, einen Schal für 2 DM zu erwerben, nicht isoliert stehe und auch nicht isoliert, sondern in seiner Verkoppelung mit der Voraussetzung angegriffen werde, Testware im Wert von mindestens 55 DM zu bestellen. Auf diese Weise solle die interessierte Kundin verführt werden, sich mit dem breiten Angebot der Beklagten zu befassen und die bestellte Ware anschließend auch zu behalten. Von Bedeutung für die Beeinflussung der Kundin seien insbesondere folgende Umstände: es handele sich bei dem Schal um ein branchenfremdes Erzeugnis, er werde für ein geringfügiges Scheinentgelt angeboten, die Kundin müsse sich zwangsläufig mit der breiten Palette des Angebotes der Beklagten befassen, es handele sich dabei um Kosmetikartikel des täglichen Bedarfs, weswegen die Kundinnen die - ohnehin benötigte - Ware nicht erst nach reiflicher Überlegung bestellten, zumal es sich um Kaufentscheidungen von nicht erheblicher Tragweite handele. Schließlich spiele das Rückgaberecht tatsächlich keine Rolle, weil die Rückgabequote, wie sich aus dem Vorbringen der Beklagten selbst ergebe, bei nur höchstens 6,9 % liege.
Entgegen der Auffassung der Beklagten sei das Landgericht auch befugt gewesen, auf den Gesichtspunkt des psychischen Kaufzwanges abzustellen, zumal beide Unlauterkeitskriterien häufig ineinander über gingen. Soweit der BGH in den angeführten Entscheidungen eine Unlauterkeit verneint habe, beruhe dies auf im einzelnen dargestellten abweichenden Sachverhaltskonstellationen. Im übrigen dürfe der Versandhandel auch nicht bessergestellt werden, als der stationäre Einzelhandel. Im stationären Einzelhandel sei es aber ohne weiteres unlauter, wenn ein preisgünstiger branchenfremder Artikel in der Form vorgespannt werde, daß der Kunde - wenn auch nur probeweise - Ware aus dem Kernsortiment mitnehme. Im übrigen sei die angeführte geringe Rückgabequote zu berücksichtigen: wenn 93,1 % der Kundinnen die Testware behalte, dann stelle sich der Schal für sie als Zugabe dar. Aus diesem Grunde müsse das Verhalten als gem. § 1 UWG unlauter angesehen werden, weil sonst der Umgehung von § 1 ZugabeVO die Tür geöffnet würde. Es treffe auch nicht zu, daß die Kundin noch anonym sei, weil sie aufgrund ihrer Testbestellung der Beklagten namentlich bekannt und bei ihr registriert sei.
Der Bereich der zulässigen Aufmerksamkeitswerbung sei überschritten, wenn die Kundin in eine Lage versetzt werde, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Abschluß eines Kaufes führe. Das sei hier deswegen der Fall, weil der Kunde nicht nur veranlaßt werde, die Testware aus dem Katalog zusammen zu suchen, sondern diese auch zu behalten. Daß dies so eintrete, zeige die angesprochene geringe Rückgabequote. Im übrigen unterscheide sich der Fall durch die Verknüpfung des günstigen Angebotes mit der Testbestellung von allen von der Beklagen angeführten höchstrichterlichen Entscheidungen. Zudem sei der Fall auch mit der Senatsentscheidung vergleichbar, weil auch dort Wettbewerbswidrigkeit mit Blick auf den Umstand angenommen worden sei, daß Ware im Wert von 50 DM habe bestellt werden müssen und die Kundinnen so bereits in das Kaufgeschäft verstrickt worden seien.
Ohne Erfolg berufe sich die Beklagte auch auf das Verbraucherleitbild des EUGH, weil auch eine aufmerksame Kundin, die den Inhalt des Angebotes richtig erfasse, den dargestellten Zwängen aufgesetzt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Gründe
Die Berufung ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Dem Kläger steht der geltendgemachte Unterlassungsanspruch in der oben tenorierten Fassung zu. Soweit diese von dem Wortlaut des von der Klägerin in der mündlichen Berufungsverhandlung gestellten Antrags abweicht, dient dies lediglich dem Ziel, das Charakteristische des beanstandeten Wettbewerbsverstoßes genauer und unmißverständlich zu beschreiben.
Das angegriffene Angebot eines Schals zum Kaufpreis von 2 DM ist unter den Gesichtspunkten des übertriebenen Anlockens und des psychischen Kaufzwanges wettbewerbswidrig und aus diesem Grunde gem. § 1 UWG zu untersagen.
Es kann zunächst die angesichts der Nähe beider Unlauterkeitskriterien zueinander sehr zweifelhafte Frage offenbleiben, ob das Landgericht - wie die Beklagte meint - seine Entscheidung deswegen nicht auf den von dem Angebot ausgehenden psychischen Kaufzwang hätte stützen dürfen, weil der Kläger sich hierauf nicht berufen hatte. Denn dieser verteidigt das Urteil und stützt sich jetzt ausdrücklich auch auf diesen Gesichtspunkt, weswegen jedenfalls der Senat auch diesen Aspekt in die Prüfung einzubeziehen hat.
Beide genannten Unlauterkeitsaspekte stellen Unterfälle der sog. "Wertreklame" dar (vgl. Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 20. Aufl., RZ 85,89,90). Diese zeichnet sich dadurch aus, daß dem Kunden zu Werbezwecken eine Vergünstigung gewährt wird (vgl. z.B. BGH WRP 98,727 f - "Schmuck-Set"). Diese Voraussetzung ist ersichtlich erfüllt. Denn der Schal hat jedenfalls einen höheren Verkaufswert als 2 DM. Sein Verkauf zu diesem Preis ist damit die Gewährung einer besonderen Vergünstigung. Das ergibt sich auch unter Zugrundelegung des Vorbringens der Beklagten, wonach diese lediglich "ihre Einkaufsvorteile weitergegeben" haben will. Denn auch die Weitergabe von Einkaufsvorteilen, die angesichts des niedrigen Preises in einem Verkauf zumindest annähernd zum Einkaufspreis bestanden haben dürfte, stellt eine derartige Vergünstigung dar.
Die Grenzen zwischen den beiden Unterarten der Wertreklame sind - wie auch der vorliegende Fall zeigt - fließend. So ist in der Rechtsprechung teilweise ein übertriebenes Anlocken auch mit der Begründung verneint worden, es liege kein psychischer Kaufzwang vor (BGH a.a.O., S.729). Gleichwohl müssen die unterschiedlichen Voraussetzungen beider Unlauterkeitskriterien im Ausgangspunkt zur Grundlage der Prüfung gemacht werden.
Ein übertriebenes Anlocken liegt dann vor, wenn von der Vergünstigung eine derart starke Anziehungskraft ausgeht, daß der Kunde "gleichsam magnetisch" angezogen und davon abgehalten wird, sich mit dem Angebot der Mitbewerber zu befassen. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Kunde dazu verleitet wird, seine Kaufentscheidung statt nach Preiswürdigkeit und Qualität der angebotenen Ware danach zu treffen, ob ihm beim Kauf besondere zusätzliche Vergünstigungen gewährt werden. Ob ein Anlocken als übertrieben und damit unlauter anzusehen ist, ist nach den Gesamtumständen zu beurteilen. Die Grenze ist dann überschritten, wenn der Kunde bereits im Vorfeld eines Geschäftsabschlusses wegen des Übermaßes geldwerter Vorteile von einer sachgerechten Prüfung der verschiedenen Angebote nach Qualität und Preiswürdigkeit abgelenkt und so der Wettbewerb zum Nachteil der Mitbewerber verfälscht wird (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O., RZ 90 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind in der soeben erwähnten Entscheidung "Schmuck-Set" des BGH, der ebenfalls eine Kosmetikwerbung eines Versandunternehmens zugrundelag, im wesentlichen mit der Begründung verneint worden, es liege kein psychischer Kaufzwang vor, vielmehr sei für den Kunden klar erkennbar, daß er, um in den Genuß der Werbegabe zu kommen, nicht gehalten sei, auch käuflich Ware zu bestellen. Zudem habe er die Gelegenheit, die Ware in Ruhe zu prüfen. Vor diesem Hintergrund liege ein besonderes Anlocken auch nicht in dem Umstand, daß Teile des Verkehrs der Werbegabe einen Wert von 70-100 DM beimessen.
Demgegenüber liegt ein Fall von psychischem Kaufzwang dann vor, wenn die Kunden durch die Vergünstigung in eine Situation geraten, in der es ihnen peinlich ist oder sie es sogar als unanständig empfinden, nicht auch zum regulären Preis Ware zu kaufen (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O., RZ 89 m.w.N.). Der psychische Kaufzwang ist von der Situation zu unterscheiden, in der der Kunde die Vergünstigung sogar überhaupt nur unter der Voraussetzung erhält, daß er auch eine bestimmte Ware kauft. Derartige Fälle von rechtlichem Kaufzwang sind regelmäßig sittenwidrig (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O., RZ 88). Über die Situation des psychischen Kaufzwanges geht auch das wettbewerbswidrige gekoppelte Vorspannangebot hinaus, weil dieses - entsprechend der Konstellation des rechtlichen Kaufzwanges - die Abhängigkeit der Erwerbsmöglichkeit der Vorspannware von dem Erwerb der Hauptware voraussetzt (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O., RZ 132 ff m.w.N.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist das angegriffene Angebot bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände als unlauter zu bewerten, wobei die Sittenwidrigkeit sich aus einer Kombination der in Betracht kommenden Unlauterkeitskriterien ergibt.
Zunächst kommt dem Angebot des Schals für 2 DM als solchem allerdings noch keine Anlockwirkung zu, die bereits im wettbewerbsrechtlichen Sinne als unlauter anzusehen ist. Zur Beurteilung des Wertes des Schals ist zwar allein auf die Verbrauchervorstellung abzustellen, die diese aufgrund der Werbung entwickeln, weil sie den Schal in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Bestellung noch nicht in der Hand haben. Aber auch wenn diese Erwartungen indes aus den von dem Landgericht angeführten Gründen wirklich bei einem Betrag von 30-40 DM liegen sollten, würde das Erwecken dieser Vorstellung allein das Anlocken nicht als übertrieben erscheinen lassen (vgl. BGH - "Schmuck-Set", a.a. O.).
Es kommt aber die Notwendigkeit hinzu, in Höhe eines Wertes von mindestens 55 DM Ware zur Ansicht zu bestellen. Müßte diese Ware endgültig abgenommen werden, so läge ein Fall von rechtlichem Kaufzwang vor, der ohne weiteres als sittenwidrig anzusehen wäre. Demgegenüber hat die Kundin zwar das Recht der Rücksendung, tatsächlich ist die Situation derjenigen eines rechtlichen Kaufzwanges aber sehr ähnlich. Es besteht zunächst ein Zwang, nämlich derjenige, die Testbestellung aufzugeben. Diese Bestellung kommt einem Kauf der Ware schon sehr nahe, insbesondere zeigt die Angabe der Beklagten, wonach nur 6,9 % der Ware zurückgesandt wird, daß die Kaufentscheidung in der Regel mit der Bestellung getroffen ist. Auch wenn diese niedrige Quote - wie die Beklagte in der Berufungsverhandlung vorgetragen hat - auf die erst nach deren Erhalt erkannte Qualität der Ware zurückzuführen sein sollte, zeigt sie doch, daß die Kundinnen ganz überwiegend bereits bei der Testbestellung entschlossen waren, die Ware jedenfalls dann in vollem Umfange zu behalten, wenn sie ihren Qualitätsvorstellungen entsprechen würde. Selbst wenn sich die Kundin aber bei der Bestellung tatsächlich die Möglichkeit einer Rücksendung noch bewußt offenhalten will und die Bestellung als unverbindlich ansieht, wird sie in der Regel aus den von dem Kläger dargestellten Gründen von der Mühe der Rücksendung jedenfalls dann absehen, wenn die Qualität nicht als völlig minderwertig empfunden wird. Das gilt jedenfalls bei Produkten des täglichen Bedarfes, deren Erwerb - wie im Streitfall - nicht von erheblicher finanzieller Tragweite ist, die also ohne näheres Überlegen gekauft werden. Es liegt damit nahe, daß die Kundin diese Produkte später allein deswegen behalten wird, weil sie sie nun einmal zugesandt erhalten hat.
Stellt aus den vorstehenden Gründen die bloße Testbestellung bereits die entscheidende Schwelle für den endgültigen Kaufentschluß dar, so ist das streitgegenständliche Werbeangebot als übertriebenes Anlocken anzusehen. Es kommt der von dem Landgericht in den Vordergrund gerückte Aspekt hinzu, daß auch Elemente des psychischen Kaufzwanges bei dem beworbenen Geschäft wirksam werden. Denn die Kundin, die den Schal für 2 DM behalten möchte, wird sich scheuen, gleichwohl sämtliche bestellte Ware wieder zurückzuschicken. Dies erweckt nämlich - insbesondere, wenn mehrere Produkte bestellt worden sind und sämtlich zurückgesandt werden - den Eindruck, als habe es die Kundin von vornherein gerade nur auf den Schal abgesehen gehabt. Überdies wird sich manche Kundin nach Erhalt des Schals wegen dessen angenommenem Wert veranlaßt sehen, wenigstens teilweise die Ware zu behalten, um nicht einseitig die Vorteile aus dem Geschäft zu ziehen.
Durch diese Umstände sind die Voraussetzungen des § 1 UWG erfüllt. Das Anlocken der Kundinnen durch das streitgegenständliche Angebot dürfte sich aber darüber hinaus auf der Grundlage des Sachvorbringens der Beklagten auch deswegen als in sittenwidriger Weise übertrieben darstellen, weil dann der als hochwertig beworbene, mit 2 DM jedoch zum Einkaufspreis abgegebene Schal tatsächlich keinen nennenswert höheren Wert als die verlangten 2 DM hat. Der Senat läßt diese Frage indes offen, nachdem die Klägerin sich auf diesen zusätzlichen Aspekt der Irreführung der Kundinnen nicht ausdrücklich berufen hat.
Das vorstehende Ergebnis steht auch mit der Rechtsprechung des BGH im Einklang. Von der dem vorliegenden Verfahren noch am nächsten kommenden, bereits mehrfach erwähnten Entscheidung "Schmuck-Set" unterscheidet sich der Sachverhalt dadurch, daß dort eine Gratisgabe ersichtlich ohne Bestellung einer Ware, insbesondere auch ohne eine Testbestellung wie sie dem vorliegenden Fall zugrundeliegt, bezogen werden konnte. Die Entscheidung "Rubbelaktion" (BGH WRP 98,724) hatte nicht ein besonders preisgünstiges Angebot, sondern ein Glücksspiel zum Gegenstand. Überdies hat der BGH dort maßgeblich darauf abgestellt, daß ein psychischer Kaufzwang dann nicht vorliege, wenn der Teilnehmer mit dem Verkaufspersonal nicht in Kontakt komme. Damit unterscheidet sich die Entscheidung in einem weiteren Punkt von dem vorliegenden Fall. Denn die Kundin kommt zwar wegen des Vertriebs im Versandhandel nicht mit Verkaufspersonal der Beklagten in Berührung, sie hat aber auf dem allein vorgesehenen und möglichen Weg Kontakt mit der Beklagten aufgenommen und wird sich daher aus den beschriebenen Gründen dem Abschlußdruck nicht ohne weiteres entziehen können. Es kommt hinzu, daß die Anlockwirkung eines Gewinnspiels auf einem Tankstellengelände nicht mit derjenigen gleichgesetzt werden kann, die auf die beschriebene Weise von dem Angebot der Beklagten ausgeht. Schließlich unterscheidet sich der Fall auch maßgeblich von der Entscheidung "1.000 DM Umwelt-Bonus" (BGH WRP 98,857,859), weil es sich dort um spezielle Fragen der Energieversorgung und vor allem eine einmalige Investition handelte, die auch bei der Gewährung eines Vorteils von 1.000 DM wegen der verbleibenden Kosten sorgfältig zu erwägen war.
Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte schließlich auf ein gewandeltes Verbraucherleitbild. Auch die von ihr als maßgeblich angesehene durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucherin wird durch das Angebot aus der dargestellten Gründen in übertriebener Weise angelockt und findet sich nach Erhalt der Ware in der beschriebenen psychischen Situation wieder.
Die vorliegende Entscheidung des Senats stellt auch keinen Wertungswiderspruch zu Grundsätzen des Zugaberechts dar.
Durch die Werbeaktion hat die Beklagte allerdings - worauf sich der Kläger auch nicht stützt - zumindest deswegen nicht gegen die ZugabeVO verstoßen, weil angesichts des Rechts der Kunden, die Testware zurückzugeben, von einer Abhängigkeit der Gewährung der Nebenware vom Erwerb der Hauptware und damit von einer Zugabe nicht gesprochen werden kann (vgl. näher BGH GRUR 95,165 f - "Kosmetikset"). Entgegen der Auffassung der Beklagten besagt dies aber nicht, daß das Angebot nicht gleichwohl aus den dargelegten Gründen gem. § 1 UWG als sittenwidrig angesehen werden könnte. Das träfe nur dann zu, wenn auf diese Weise die Voraussetzung der Akzessorietät zwischen Haupt- und Nebenware negiert bzw. unterlaufen würde. Das ist aber nicht der Fall. Das Angebot ist nicht allein deswegen sittenwidrig, weil es eine Testbestellung voraussetzt, sondern deswegen, weil durch die geschilderten besonderen Umstände von dem Angebot eine - mit einer Zugabe nicht unbedingt verbundene - übertriebene Anlockwirkung sowie ein psychischer Kaufzwang ausgehen. Es entspricht im übrigen gefestigter Auffassung, daß Zusatzleistungen, die nach Zugaberecht erlaubt sind, bei Hinzutreten besonderer Umstände gleichwohl gegen § 1 UWG verstoßen können (vgl. BGH GRUR 68,649,651 - "Rocroni-Ascher", 78,182,184 - "Kinder-Freifahrt"; Baumbach/Hefermehl, a.a.O. RZ 117). So liegt der Fall aus den dargelegten Gründen auch hier.
Erfüllt das Angebot des Schals damit die Voraussetzungen des § 1 UWG, so ist die Klage begründet. Denn es handelt sich ersichtlich um ein Angebot, das im Sinne des § 13 Abs.2 Ziff.2 UWG geeignet ist, den Wettbewerb auf dem Kosmetikmarkt wesentlich zu beeinträchtigen. Dies bedarf keiner Begründung, nachdem die Beklagte gegen die zutreffenden diesbezüglichen Ausführungen des Landgerichts keine Einwände erhoben hat (§ 519 Abs.3 Ziff.2 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs.1 ZPO.
Die Neufassung des Klageantrags im Termin zur Berufungsverhandlung stellt keine teilweise Klagerücknahme dar und hat daher auch keine Kostenfolgen. Das gilt zunächst hinsichtlich der jetzt nicht mehr aufgeführten Handlungsalternative des Feilhaltens. Diese war nämlich unabhängig von der späteren Fassung des Urteilstenors bereits nicht mehr Gegenstand ihres Antrages, seit die Klägerin diesen mit erstinstanzlichem Schriftsatz vom 8.3.1999 teilweise neu formuliert hatte. Im übrigen enthält die Neufassung des Antrags lediglich redaktionelle Änderungen, die dem Ziel dienten, die konkrete Form der Verletzung näher zu beschreiben.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
Die gemäß § 546 Abs.2 ZPO festgesetzte Beschwer der Beklagten entspricht dem Wert ihres Unterliegens im Rechtsstreit.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 100.000 DM.
OLG Köln:
Urteil v. 14.01.2000
Az: 6 U 131/99
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