Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. Februar 2009
Aktenzeichen: 14 W (pat) 27/06

(BPatG: Beschluss v. 06.02.2009, Az.: 14 W (pat) 27/06)

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und das Patent erteilt.

Bezeichnung: Verfahren und Vorrichtung zum chemischen Ent graten und Polieren Anmeldetag: 1. Juli 2002 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 bis 6, Beschreibung Seiten 1 bis 6, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung am 6. Februar 2009, 1 Blatt Zeichnungen, Figur 1 gemäß Offenlegungsschrift.

Gründe

I Die Prüfungsstelle für Klasse C 23 G des Deutschen Patentund Markenamts hat mit Beschluss vom 15. Mai 2006 die am 1. Juli 2002 mit der Bezeichnung "Verfahren und Vorrichtung zum chemischen Entgraten und Polieren" eingereichte Patentanmeldung gemäß § 48 PatG zurückgewiesen.

Zur Begründung ihres Zurückweisungsbeschlusses hat die Prüfungsstelle im Wesentlichen ausgeführt, dass das seinerzeit beanspruchte Verfahren insbesondere in Kenntnis der Druckschriften D1 DE-AS1034447 D4 T.W. Jelinek et al. "Reinigen und Entfetten in der Metallindustrie", (1999), Eugen G. Leuze Verlag, Saulgau, Seiten 84 bis 86 und D5 B. Gaida und K. Aßmann, "Technologie der Galvanotechnik", (1996), Eugen G. Leuze Verlag, Saulgau, Seiten 36/37 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Gegen diesen Beschluss hat der Anmelder Beschwerde eingelegt, mit der er sein Patentbegehren mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 bis 6, einer hieran angepassten Beschreibung und Figur 1 gemäß Offenlegungsschrift weiterverfolgt. Die nebengeordneten Ansprüche 1 und 4 lauten:

1. "Verfahren zum chemischen Entgraten und Polieren, wobei die zu bearbeitenden Teile nacheinander verschiedenen Prozesslösungen ausgesetzt werden, wobei zwischen zwei Prozessschritten jeweils ein Spülvorgang stattfindet, dadurch gekennzeichnet, dass die zu behandelnden Teile in eine Behandlungskammer eingebracht werden und die Behandlungskammer dann mit den verschiedenen Prozesslösungen bzw. Spüllösungen beaufschlagt wird, wobei die Prozesslösungen jeweils mit periodisch wechselnder Pumprichtung von dem jeweiligen Vorratsbehälter (1 bis 6) auf die in der Behandlungskammer (7) angeordneten zu behandelnden Teile und von dort in den Vorratsbehälter (1 bis 6) zurückgeführt werden und sowohl der gesamte Transport als auch die Behandlung der Teile in Transportkörben erfolgt."

4. "Vorrichtung zum chemischen Entgraten und Polieren durch aufeinanderfolgendes Beaufschlagen der zu behandelnden Teile mit verschiedenen Prozesslösungen mit zwischengeschalteten Spülvorgängen, dadurch gekennzeichnet, dass eine Behandlungskammer (7) vorgesehen ist, zu der die verschiedenen Prozesslösungen jeweils mit periodisch wechselnder Pumprichtung führbar und von dort zu den Vorratsbehältern (1 bis 6) rückführbar sind und dass die zu behandelnden Teile in die Behandlungskammer (7) einbringbar sind und Transportkörbe zum Transport und zum Bearbeiten der zu behandelnden Teile vorgesehen sind."

Die Patentansprüche 2 und 3 bzw. 5 und 6 sind auf Weiterbildungen des Verfahrens nach Anspruch 1 bzw. der Vorrichtung nach Anspruch 4 gerichtet. Der Anmelder hat zur Begründung seiner Beschwerde insbesondere vorgetragen, dass der vorliegend beanspruchte Gegenstand durch den zitierten Stand der Technik weder vorweggenommen noch nahegelegt werde.

Der Anmelder beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent zu erteilen auf der Grundlage der in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen sowie der Zeichnung gemäß Offenlegungsschrift.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig (PatG § 73). Sie ist auch begründet.

1.

Die geltenden Ansprüche sind zulässig. Der Anspruch 1 ist aus den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 4 sowie S. 2, Abs. 4 bis 7 der Erstunterlagen ableitbar. Die Unteransprüche 2 und 3 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 5 und 6. Der Anspruch 4 geht auf die ursprünglichen Ansprüche 4, 7 und 8 zurück. Die Unteransprüche 5 und 6 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 9 und 10. Die Ansprüche sind auch sonst nicht zu beanstanden.

2.

Gegenstand der Anmeldung ist ein Verfahren zum chemischen Entgraten und Polieren, sowie eine Vorrichtung zur Durchführung dieses Verfahrens. Bei den bekannten Verfahren dieser Art werden die zu behandelnden Teile aus Transportbehältern entnommen und auf Gestelle gesteckt, mit denen sie anschließend in verschiedene Behandlungsbäder eingetaucht werden (vgl. geltende Unterlagen, S. 1, vorletzter Abs.). Für die weitere Bearbeitung müssen die behandelten Teile wieder in die Transportbehälter umgepackt werden. Nach den Angaben in den geltenden Unterlagen ist das zweimalige Umpacken der Teile nicht nur zeitaufwendig, sondern bedeutet für das Personal, durch den wiederholten Kontakt mit den Prozesslösungen, auch ein erhöhtes Gesundheitsrisiko (vgl. geltende Unterlagen, S. 1, Abs. 3 und 4).

Vor diesem Hintergrund sieht die vorliegende Anmeldung das zu lösende technische Problem darin, ein Verfahren bzw. eine Vorrichtung zu schaffen, mit dem der chemische Entgratund Poliervorgang ohne Belastung für Personal und Umwelt, sowie einfacher und kostengünstiger durchführbar ist (vgl. geltende Unterlagen, S. 2, Abs. 5).

Gelöst wird diese Aufgabe durch das im geltenden Anspruch 1 angegebene Verfahren zum chemischen Entgraten und Polieren mit folgenden Merkmalen:

a) Die zu behandelnden Teile werden in eine Behandlungskammer eingebracht und die Behandlungskammer dann nacheinander mit verschiedenen Prozesslösungen bzw. Spüllösungen beaufschlagt, b) wobei die Prozesslösungen jeweils mit periodisch wechselnder Pumprichtung von dem jeweiligen Vorratsbehälter auf die in der Behandlungskammer angeordneten zu behandelnden Teile und von dort in den Vorratsbehälter zurückgeführt werden undc) sowohl der gesamte Transport, als auch die Behandlung der Teile in Transportkörben erfolgt.

3.

Das Verfahren zum chemischen Entgraten und Polieren nach Anspruch 1 ist neu. In keiner der entgegengehaltenen Druckschriften ist ein Verfahren mit sämtlichen im Anspruch 1 aufgeführten Merkmalen beschrieben.

4.

Das Verfahren zum chemischen Entgraten und Polieren nach Anspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Bei der Suche nach einer Lösung für die gestellte Aufgabe wird der in der Industrie mit der Metalloberflächenbearbeitung befasste Fachhochschulingenieur -der im vorliegenden Fall als Fachmann zu definieren ist -nach Ansicht des Senats die D1 zweifelsohne in Betracht ziehen. Denn für den zuvor definierten Fachmann gehören das chemische Entgraten und Polieren zu den üblichen Verfahrensschritten in der Galvanotechnik, ebenso wie die elektrochemische Abscheidung von metallischen Niederschlägen auf Gegenständen, wie sie in der D1 beschrieben wird. Demzufolge liegt die Lehre der D1 auf dem selben technischen Gebiet wie die vorliegende Anmeldung, so dass es sich bei der D1 um relevanten Stand der Technik handelt, der bei der Beurteilung der Patentfähigkeit des Anmeldungsgegenstands zu berücksichtigen ist.

Die in der D1 beschriebene Vorrichtung umfasst u. a. einen Behälter, in dem sowohl die Galvanisierung, als auch rein chemische Behandlungsstufen wie Entfetten und Beizen, sowie zwischengeschaltete Spülvorgänge durchgeführt werden (vgl. D1, Anspruch 1, insb. Sp. 6, Z. 5 bis 11). Die für die einzelnen Behandlungsstufen erforderlichen Flüssigkeiten werden dem Behälter in der entsprechenden Reihenfolge zugeführt. Aus der D1 erhält der Fachmann somit die Anregung, die verschiedenen Behandlungsstufen beim chemischen Entgraten und Polieren, wie im Merkmal a) des geltenden Patentanspruchs 1 vorgesehen, in einer einzigen Behandlungskammer durchzuführen.

Die verschiedenen Prozesslösungen werden allerdings in der Vorrichtung der D1 mit Hilfe von Umlaufpumpen von den Vorratsbehältern in die Behandlungskammer transportiert und fließen von dort wieder zurück in die Vorratsbehälter (vgl. D1, Sp. 4, Z. 14 bis 25). Durch den Einsatz der Umlaufpumpen wird somit ein zyklischer Flüssigkeitstransport erzeugt und damit eine unidirektionelle Strömung. Hinweise die dazu anregen könnten, von diesem Strömungsverlauf der Prozesslösungen abzuweichen und die Bewegung der Prozesslösungen durch periodisch wechselnde Pumprichtungen zu intensivieren, wie im Merkmal b) des anmeldungsgemäßen Verfahrens vorgesehen, finden sich indessen an keiner Stelle der D1.

Aus der D4 geht lediglich hervor, dass intensiv bewegte Prozesslösungen bei der Behandlung metallischer Oberflächen vorteilhaft sind (vgl. D4, S. 86, vierter Abs.). Aber auch in dieser Entgegenhaltung werden als geeignete Maßnahmen zur Erzeugung turbulenter Prozesslösungen beispielhaft nur ein hoher Spritzdruck, sowie das Umpumpen der Lösungen, nicht aber eine periodisch wechselnde Pumprichtung genannt.

Zur Verwendung einer periodisch wechselnden Pumprichtung regt auch eine gemeinsame Betrachtung der Druckschriften D1 und D4 nicht an, da in beiden Druckschriften das Umpumpen der Lösungen als eine geeignete Maßnahme zur intensiven Bewegung von Prozesslösungen angesehen wird, so dass eine Zusammenschau der D1 und D4 den Fachmann eher davon abhält von dieser Form der unidirektionellen Bewegungserzeugung abzuweichen.

Merkmal b) des geltenden Patentanspruchs 1 ergibt sich damit nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik. Der Umstand, dass mit dem vorliegend beanspruchten Verfahren sog. Strömungsschatten verhindert und die zu behandelnden Teile damit gleichmäßig benetzt werden können, so dass letztendlich ein effizienterer Chemikalieneinsatz ermöglicht wird, war in Kenntnis des Standes der Technik nicht vorhersehbar und ist somit überraschend.

Das vorliegend beanspruchte Verfahren wird auch durch die Lehre der D5 nicht nahegelegt, da sie nur einen Teilaspekt des anmeldungsgemäßen Verfahrens berücksichtigt, nämlich die im Merkmal c) des geltenden Patentanspruchs 1 genannte Verwendung von Körben sowohl für den gesamten Transport, als auch die Behandlung der zu bearbeitenden Teile. Der D5 ist zu entnehmen, dass in der Galvanotechnik der Einsatz von Körben für Transport und Behandlung der Teile während der gesamten Oberflächenbehandlung, einschließlich stromloser Vorund Nachbehandlungen, zweckmäßig ist (vgl. D5, S. 36, letzter Abs. und S. 37, Abs. 1 und 2). Hinweise auf den im Merkmal b) des geltenden Anspruchs 1 genannten erfindungsbegründenden Verfahrensschritt finden sich in der D5 dagegen nicht.

Die Argumentation der Prüfungsstelle, wonach sich das Verfahren des geltenden Anspruchs 1 in naheliegender Weise durch eine Zusammenschau der Entgegenhaltungen D1, D4 und D5 ergebe, beruht nach Überzeugung des Senats daher auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise des Standes der Technik in Kenntnis der fertigen Erfindung.

Die Berücksichtigung der weiteren dem Senat vorliegenden, im Prüfungsverfahren vom Deutschen Patentund Markenamt in Betracht gezogenen Druckschriften führt zu keiner anderen Beurteilung des Sachverhaltes.

Nach alledem ist das Verfahren des geltenden Anspruchs 1 neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass dieser Anspruch gewährbar ist.

Das Gleiche gilt für die auf den geltenden Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 und 3, die jeweils weitere, über platte Selbstverständlichkeiten hinausgehende Ausführungsformen des Verfahrens nach Anspruch 1 betreffen.

Der nebengeordnete Anspruch 4 ist auf eine Vorrichtung zur Durchführung des im geltenden Patentanspruch 1 beschriebenen Verfahrens gerichtet. Bezüglich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit gelten für ihn die oben dargelegten Gesichtspunkte gleichermaßen. Der Patentanspruch 4 ist daher ebenfalls gewährbar.

Das Gleiche gilt für die auf Anspruch 4 rückbezogenen Ansprüche 5 und 6, die bevorzugte Ausführungsformen betreffen.

Dr. Schröder Harrer Dr. Gerster Dr. Münzberg Ko






BPatG:
Beschluss v. 06.02.2009
Az: 14 W (pat) 27/06


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/1658d565aeda/BPatG_Beschluss_vom_6-Februar-2009_Az_14-W-pat-27-06




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share