Bundespatentgericht:
Beschluss vom 11. Dezember 2007
Aktenzeichen: 23 W (pat) 322/04
(BPatG: Beschluss v. 11.12.2007, Az.: 23 W (pat) 322/04)
Tenor
Das Patent wird widerrufen.
Gründe
I Die Prüfungsstelle für Klasse G 09 G des Deutschen Patent- und Markenamtes hat auf die am 18. Februar 1993 eingereichte Patentanmeldung, für welche die Priorität einer Anmeldung in Japan vom 20. Februar 1992 (Aktenzeichen JP 04-069320) in Anspruch genommen worden ist, das Patent 43 05 026 (Streitpatent) mit der Bezeichnung "Bildanzeigegerät" erteilt, dessen Patenterteilung am 6. November 2003 veröffentlicht wurde.
Im Prüfungsverfahren vor dem Deutschen Patent- und Markenamt wurde von der Patentinhaberin zweimal die Teilung der Patentanmeldung erklärt.
Die Patenterteilung erfolgte unter Berücksichtigung des von der Patentinhaberin genannten Stands der Technik - JP 01-321475 A und - JP 02-60193 A sowie der im Prüfungsverfahren ermittelten Druckschriften - DE 37 22 169 A1 und - US 5,051,827.
Die Einsprechende hat mit Schriftsatz vom 5. Februar 2004 Einspruch gegen das Patent erhoben und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen. Hierbei stützt sich die Einsprechende auf die in § 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG angegebenen Gründe.
Die Einsprechende vertritt den Standpunkt, dass weder der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 noch der erteilten abhängigen Ansprüche 2 bis 14 gegenüber dem Stand der Technik nach den Druckschriften - DE 28 04 294 C2 (Druckschrift D1)
- DE 28 39 888 C2 (Druckschrift D2)
- DE 24 13 839 A1 (Druckschrift D3)
- DE 27 03 579 C2 (Druckschrift D4)
- DE 35 12 278 C2 (Druckschrift D5)
- Fernseh- und Kinotechnische Gesellschaft e.V., Tagungsband, 10. Jahrestagung vom 13. bis 17. September 1982, Seiten 153 bis 167 (Druckschrift D6)
auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.
Im Einzelnen wurde ausgeführt, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 hinsichtlich dem jeweils aus den Druckschriften 1 bis 4 bekannten Stand der Technik auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe; gleiches gelte im Hinblick auf die Kombinationen des Stands der Technik der Druckschrift 1 mit der Druckschrift 6 sowie der Druckschrift 5 mit der Druckschrift 1.
Mit Eingabe vom 21. Februar 2005 ist die Patentinhaberin dem Vorbringen der Einsprechenden entgegengetreten. Sie verteidigt das angegriffene Patent in der erteilten Fassung. Sie ist der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gegenüber den im Einspruchsverfahren vorgelegten Druckschriften 1 bis 6 neu sei (vgl. Eingabe vom 21. Februar 2005, Seite 5, letzter Absatz) und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (vgl. Eingabe vom 21. Februar 2005, Seite 6 Folgende).
Mit Terminsladung vom 30. Oktober 2007 wurden die Verfahrensbeteiligten darauf hingewiesen, dass in der mündlichen Verhandlung die Frage der ursprünglichen Offenbarung des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 zu diskutieren sei.
Darüber hinaus wurde auf die Druckschrift - EP 456 923 A1 (Druckschrift 7)
verwiesen, deren Gegenstand wesentliche Merkmale des erteilten Anspruchs 1 erkennen lasse.
Hierauf reichte die Patentinhaberin am 7. Dezember 2007 hilfsweise einen Satz Ansprüche 1 bis 12 (Hilfsantrag I) ein, welcher den Einwänden bezüglich einer unzulässigen Erweiterung des erteilten Gegenstands Rechnung tragen soll, deren Begründetheit seitens der Patentinhaberin allerdings nicht anerkannt werde. Die hilfsweise eingereichten Ansprüche 1, 6, 8 und 10 sind hierbei nebengeordnet.
Weiter hilfsweise wurden in der mündlichen Verhandlung am 11. Dezember 2007 von der Patentinhaberin ein Satz Ansprüche 1 bis 12 (Hilfsantrag II) eingereicht. Auch hier sind die weiter hilfsweise eingereichten Ansprüche 1, 6, 8 und 10 nebengeordnet.
In der mündlichen Verhandlung am 11. Dezember 2007 führte die Einsprechende erneut den bereits schriftlich dargelegten Einspruchsgrund der fehlenden Patentfähigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 nach § 4 PatG aus.
Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen Die Patentinhaberin beantragt, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.
Hilfsweise beantragt sie, das Patent mit den am 7. Dezember 2007 eingereichten Patentansprüchen 1 bis 12 und im Übrigen mit den Unterlagen gemäß erteiltem Patent aufrechtzuerhalten (Hilfsantrag I).
Sie beantragt weiter hilfsweise, das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung vom 11. Dezember 2007 überreichten Patentansprüchen 1 bis 12 und im Übrigen mit den Unterlagen gemäß erteiltem Patent bzw. ggfs. anzupassenden Unterlagen aufrechtzuerhalten (Hilfsantrag II).
Die Patentinhaberin macht hierzu geltend, dass der Gegenstand des erteilten und im Hauptantrag unverändert verteidigten Patentanspruchs 1 ursprünglich offenbart sei. Darüber hinaus sei der Gegenstand des Anspruchs 1 neu und erfinderisch in Bezug auf die im Verfahren befindlichen Druckschriften 1 bis 7.
Gleiches gelte auch für die nebengeordneten Ansprüche 1, 6, 8 und 10 laut Hilfsantrag I bzw. II.
Der verteidigte Patentanspruch 1 nach Hauptantrag, hat folgenden Wortlaut:
"Bildanzeigegerät, das eine Computereinheit (1a; 1c; 1e; 1g; 1) und eine Anzeigeeinheit (1b; 1d; 1f; 1h; 1j) zum Anzeigen eines Videosignals aufweist, das von der Computereinheit ausgegeben worden ist, wobei die Computereinheit (1a; 1c; 1e; 1g; 1) mit zumindest einer Eingabeeinheit (10), einer Einrichtung (15; 81, 82) zum Ausgeben des Videosignals an die Anzeigeeinheit (1b; 1d; 1f; 1h; 1j) und einer Einrichtung (16; 70; 91; 81, 82) zum Erzeugen und Senden eines Steuersignals (Sc) versehen ist, um Steuerinformation für die Anzeigeeinheit, die über die Eingabeeinheit (10) eingegeben worden ist, in ein Steueranweisungssignal zur Steuerung der Größe und/oder der Position eines auf dem Anzeigeschirm der Anzeigeeinheit (1b; 1d; 1f; 1h; 1j) angezeigten Bildes umzuwandeln, und um das Steueranweisungssignal zu der Anzeigeeinheit (1b; 1d; 1f; 1h; 1j) zu senden, undwobei die Anzeigeeinheit (1b; 1d; 1f; 1h; 1j) mit einer Einrichtung (18; 71; 93; 83; 102) zum Empfangen des Steueranweisungssignals versehen ist, das von der Computereinheit ausgegeben worden ist, und mit einer Anzeigesteuerschaltung (19; 71; 92; 84; 103) versehen ist, um Einstellsignale (Sa, Sb; Sa', Sb') zu erzeugen, die die Größe und/oder die Position des Bildes auf der Grundlage des Steueranweisungssignals steuern, das von der Einrichtung (18; 71; 93; 83; 102) zum Empfangen des Steueranweisungssignals entnehmbar ist."
Der Patentansprüche 1, 6, 8 und 10 nach Hilfsantrag I setzten sich nach Angabe der Patentinhaberin aus der Kombination der Ansprüche 1 und 2, 1 und 7, 1 und 9 sowie 1 und 11 nach Hauptantrag zusammen und unterscheiden sich von diesen weiterhin dadurch, dass das Wort "zumindest" vor "einer Eingabeeinheit" gestrichen und das Wort "Steueranweisungssignal" durch das Wort "Steuersignal" ersetzt wurde (vgl. Eingabe der Patentinhaberin vom 7. Dezember 2007, Seite 2, Abs. 1 und 2).
Der verteidigte Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag I hat folgenden Wortlaut (wobei die Änderungen Steueranweisungssignal in Steuersignal gem. den Angaben der Anmelderin - vgl. hierzu auch Hilfsantrag II - unterstrichen sind):
"Bildanzeigegerät, das eine Computereinheit (1a) und eine Anzeigeeinheit (1b) zum Anzeigen eines Videosignals aufweist, das von der Computereinheit ausgegeben worden ist, wobei die Computereinheit (1a) mit einer Eingabeeinheit (10), einer Anzeige-Steuerschaltung (15) zum Ausgeben des Videosignals an die Anzeigeeinheit (1b) und einer Steuersignal-Addierschaltung (16) zum Erzeugen und Senden eines Steuersignals (Sc) versehen ist, um Steuerinformation für die Anzeigeeinheit, die über die Eingabeeinheit (10) eingegeben worden ist, in ein Steuersignal zur Steuerung der Größe und/oder der Position eines auf dem Anzeigeschirm der Anzeigeeinheit angezeigten Bildes umzuwandeln, und um das Steuersignal zu einem Videosignal (R, G oder B) oder zu einem horizontalen Synchronisierungssignal (Hs) oder einem vertikalen Synchronisierungssignal (Vs) zu addieren und um das addierte Steuersignal zu der Anzeigeeinheit (1b) zu senden, wobei die Anzeigeeinheit (1b) eine Steuersignal-Trennschaltung (18) zum Empfangen des Steuersignals, das von der Computereinheit ausgegeben worden ist, aufweist, um das addierte Steuersignal (Sc) zu extrahieren, und wobei, wenn das getrennte Steuersignal zu einer ersten Anzeigesteuerschaltung (19) der Anzeigeeinheit übertragen worden ist, diese die Einstellsignale (Sa, Sb) erzeugt und ausgibt, die die Größe und/oder die Position des Bildes auf der Grundlage des Steuersignals steuern, das von der Steuersignal-Trennschaltung (18) entnehmbar ist, um den Anzeigezustand der Anzeigeeinheit auf der Grundlage des Steuersignals einzustellen."
Der nebengeordnete Patentanspruch 6 nach Hilfsantrag I hat folgenden Wortlaut:
"Bildanzeigegerät, das eine Computereinheit (1c) und eine Anzeigeeinheit (1d) zum Anzeigen eines Videosignals aufweist, das von der Computereinheit ausgegeben worden ist, wobei die Computereinheit (1c) eine Eingabeeinheit, eine Anzeigesteuerschaltung (15) zum Ausgeben des Videosignals an die Anzeigeeinheit (1d) und eine Steuersignal-Vorbereitungsschaltung (70) zum Erzeugen und Senden eines Steuersignals (Sc) aufweist, um Steuerinformation für die Anzeigeeinheit (1d), die über die Eingabeeinheit (10) eingegeben worden ist, in ein Steuersignal zur Steuerung der Größe und/oder der Position eines auf dem Anzeigeschirm der Anzeigeeinheit (1d) angezeigten Bildes umzuwandeln, und um das Steuersignal zu der Anzeigeeinheit über einen Pfad zu senden, der unterschiedlich ist von dem des Videosignals (R, G, B) oder dem des horizontalen Synchronisierungssignals (Hs) oder dem des vertikalen Synchronisierungssignals (Vs), und wobei die Anzeigeeinheit (1d) zum Empfangen des Steuersignals, das von der Computereinheit ausgegeben worden ist, eine zweite Anzeigesteuerschaltung (71) aufweist, um das Steuersignal zu empfangen, das durch die Steuersignal-Vorbereitungsschaltung (70) gesandt worden ist, und um die Einstellsignale (Sa', Sb'), die die Größe und/oder die Position des Bildes auf der Grundlage des Steuersignals steuern, zum Einstellen des Anzeigezustands der Anzeigeeinheit zu erzeugen und auszugeben."
Der nebengeordnete Patentanspruch 8 nach Hilfsantrag I hat folgenden Wortlaut:
"Bildanzeigegerät, das eine Computereinheit(1e) und eine Anzeigeeinheit (1f) zum Anzeigen eines Videosignals aufweist, das von der Computereinheit ausgegeben worden ist, wobei die Computereinheit (1e) eine Eingabeeinheit (10), eine Anzeigeverarbeitungs-Schaltung (81) zum Vorbereiten der Bilddaten und zum Erzeugen des Steuersignals (Sc) und eine Schnittstellenschaltung (82) zum Senden des Videosignals und des Steuersignals aufweist, um Steuerinformation für die Anzeigeeinheit, die über die Eingabeeinheit (10) eingegeben worden ist, in ein Steuersignal zur Steuerung der Größe und/oder der Position eines auf dem Anzeigeschirm der Anzeigeeinheit (1f) angezeigten Bildes umzuwandeln, und um das Steuersignal (Sc) zusammen mit der Videoinformation zu der Anzeigeeinheit (1f) zu senden, und wobei die Anzeigeeinheit (1f) eine Schnittstelleneinrichtung (83) aufweist, um das Steuersignal (Sc) und die Videoinformation zu empfangen, die von der Computereinheit ausgegeben worden sind, und eine Anzeigesteuereinrichtung (84) aufweist zum Erzeugen und Ausgeben der Einstellsignale (Sa', Sb'), die die Größe und/oder die Position des Bildes auf der Grundlage des Steuersignals steuern, das von der Schnittstelleneinrichtung (83) zum Empfangen des Steuersignals entnehmbar ist, und zum Erzeugen eines analogen Videosignals aus der Videoinformation."
Der nebengeordnete Patentanspruch 10 nach Hilfsantrag I hat folgenden Wortlaut:
"Bildanzeigegerät, das eine Computereinheit (1g) und eine Anzeigeeinheit (1h) zum Anzeigen eines Videosignals aufweist, das von der Computereinheit ausgegeben worden ist, wobei die Computereinheit (1g) eine Eingabeeinheit (10), eine Anzeigesteuerschaltung (15) zum Ausgeben des Videosignals an die Anzeigeeinheit (1h) und eine Modulationsschaltung (91) zu Erzeugen und Senden eines Steuersignals (Sc) aufweist, um Steuerinformation für die Anzeigeeinheit, die über die Eingabeeinheit (10) eingegeben worden ist, in ein Steuersignal zur Steuerung der Größe und/oder der Position eines auf dem Anzeigeschirm der Anzeigeeinheit (1h) angezeigten Bildes umzuwandeln, und um das Steuersignal (Sc) einer Energiequelle (PL) zu überlagern und das überlagerte Signal zu senden, und wobei die Anzeigeeinheit (1h) eine Demodulationsschaltung (93) zum Empfangen des Steuersignals (Sc) aufweist, um das Steuersignal (Sc), das der Energiequelle (PL) durch die Modulationseinrichtung (91) überlagert worden ist, davon zu trennen und eine dritte Anzeigesteuerschaltung (92) aufweist, die Einstellsignale (Sa, Sb) erzeugt, die die Größe und/oder die Position des Bildes auf der Grundlage des Steuersignals steuern, das von der Demodulationsschaltung (93) zum Empfangen des Steuersignals entnehmbar ist, um die Video- und Ablenkschaltungen (20, 21) der Anzeigeinheit (1h) auf der Grundlage des Steuersignals (Sc) einzustellen."
Die Fassung der Patentansprüche 1 bis 12 nach Hilfsantrag II entspricht derjenigen nach dem Hilfsantrag I, wobei durch Einfügen einer Fußnote 1 an den laut Patentinhaberin von "Steueranweisungssignal" in "Steuersignal" geänderten Textstellen (vgl. unterstrichene Textpassagen im Anspruchswortlaut nach Hilfsantrag I) ein Disclaimer eingefügt ist. Dieser lautet:
"1 wobei aus der Änderung des Begriffs "Steueranweisungssignal" in "Steuersignal" keine Rechte hergeleitet werden."
Hinsichtlich der geltenden erteilten Unteransprüche nach Hauptantrag wird auf die Streitpatentschrift und hinsichtlich der geltenden abhängigen Ansprüche nach Hilfsantrag I und II sowie weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Im Übrigen regt die Patentinhaberin an, die Rechtsbeschwerde zur Frage der Zulässigkeit des Disclaimers bzw. der Fußnote gemäß Hilfsantrag II zuzulassen.
II Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch ergibt sich aus § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 maßgeblichen Fassung. Danach ist nicht das Patentamt, sondern das Patentgericht zuständig, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist. Diese befristete Regelung ist zum 1. Juli 2006 ohne weitere Verlängerung ausgelaufen, so dass ab 1. Juli 2006 die Zuständigkeit für die Entscheidung in den Einspruchsverfahren wieder auf das Patentamt zurückverlagert wurde. Das Bundespatentgericht bleibt gleichwohl für die durch § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG zugewiesenen Einspruchsverfahren auch nach dem 30. Juni 2006 zuständig, weil der Gesetzgeber eine anderweitige Zuständigkeit für diese Verfahren nicht ausdrücklich festgelegt hat und deshalb der in allen gerichtlichen Verfahren geltende Rechtsgrundsatz der "perpetuatio fori" (analog § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO und analog § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) zum Tragen kommt, wonach eine einmal begründete Zuständigkeit bestehen bleibt. Die Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG durch das "Gesetz zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes" (BGBl 2006, Teil I, Seite 1318) führt zu keiner anderen Beurteilung (vgl. die Senatsentscheidung vom 19. Oktober 2006, GRUR 2007, 499 - Rundsteckverbinder/perpetuatio fori"). Der gegenteiligen Rechtsauffassung (BPatG GRUR 2007, 904 - Gesetzlicher Richter), kann nicht gefolgt werden (vgl. die Senatsentscheidung vom 10. Mai 2007, GRUR 2007, 907 - Gehäuse/perpetuatio fori und die zur Veröffentlichung vorgesehene Entscheidung 19 W (pat) 344/04 vom 9. Mai 2007 - Einspruchszuständigkeit).
Die Rechtsauffassung zur fortdauernden Zuständigkeit des Bundespatentgerichts wurde nunmehr auch durch den Bundesgerichtshof bestätigt (BGH GRUR 2007, 862, Tz. 10 am Ende - Informationsübermittlungsverfahren II).
III 1.) Der form- und fristgerecht erhobene Einspruchs ist zulässig.
Die Zulässigkeit des Einspruchs ist von dem Patentinhaber zwar nicht in Frage gestellt worden. Jedoch haben Patentamt und Gericht auch ohne Antrag des Patentinhabers die Zulässigkeit des Einspruchs in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu überprüfen (vgl. Schulte, PatG, 7. Auflage, § 59, Rdn. 145), da ein unzulässiger - einziger - Einspruch zur Beendigung des Einspruchsverfahrens ohne weitere Sachprüfung über die Rechtsbeständigkeit des Streitpatents führt (vgl. hierzu Schulte, PatG, 7. Auflage, § 61, Rdn. 24; BGH GRUR 1987, 513, II.1. - "Streichgarn").
Die Einsprechende hat den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit insbesondere nach § 4 PatG geltend gemacht und dazu den erforderlichen Zusammenhang zwischen sämtlichen Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 des Streitpatents sowie dem Stand der Technik nach beispielsweise Druckschrift 1 in Verbindung mit Druckschrift 6 unter Einbeziehung des fachmännischen Wissens und Könnens hergestellt, d. h. die Tatsachen im Einzelnen angegeben hat, aus denen sich ergeben soll, dass das Patent zu widerrufen ist (vgl. hierzu BGH BlPMZ 1988, 250, Leitsatz, 251, li. Sp., Abs. 1 - "Epoxidation"; Schulte, PatG, 7. Auflage, § 59 Rdn. 77 bis 82).
2.) Im Einspruchsverfahren ist die Zulässigkeit der Patentansprüche von Amts wegen auch dann zu überprüfen, wenn von der Einsprechenden der Widerrufsgrund der unzulässigen Erweiterung - wie vorliegend - nicht geltend gemacht worden ist (vgl. hierzu BGH Mitt. 1995, 243, Leitsatz 2 - "Aluminium-Trihydroxid").
2a.) Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 geht in unzulässiger Weise über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.
So sind in den ursprünglichen Unterlagen fünf unabhängige, technisch nicht verbundene Ausführungsbeispiele offenbart, welche sich in den fünf ursprünglich beanspruchten nebengeordneten Ansprüchen 1, 6, 8, 10 und 11 wiederfinden und welche sich hinsichtlich der Signalübertragung zwischen Computereinheit und Bildanzeigeeinheit unterscheiden.
Ein diesen fünf Ausführungsbeispielen zugrunde liegendes allgemeines Verfahren vermag der Fachmann - hier ein in der Entwicklung von Bildanzeigegeräten bewanderter, berufserfahrener Diplomingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit Fachhochschulausbildung - den ursprünglichen Unterlagen jedoch nicht zu entnehmen.
Ein solches verallgemeinertes Ausführungsbeispiel wird aber im erteilten Anspruch 1 beansprucht, wobei es sich - wie nachfolgend dargelegt - beim beanspruchten Gegenstand nicht um eine bloße Erweiterung sondern um eine anderweitige Festlegung ("Aliud") des Schutzgegenstandes handelt:
Das Bildanzeigegerät des erteilten Anspruchs 1 beinhaltet das zusätzliche und ursprünglich nicht offenbarte Merkmal eines "Steueranweisungssignals", wobei die hierzu relevante Textpassage des Anspruchs lautet:
"...wobei die Computereinheit mit [...] einer Einrichtung (16; 70; 91; 81, 82) zum Erzeugen und Senden eines Steuersignals (Sc) versehen ist, um Steuerinformation für die Anzeigeeinheit, die über die Eingabeeinheit (10) eingegeben worden ist, in ein Steueranweisungssignal zur Steuerung der Größe und/oder der Position eines auf dem Anzeigeschirm der Anzeigeeinheit (1b; 1d; 1f; 1h; 1j) angezeigten Bildes umzuwandeln, und um das Steueranweisungssignal zu der Anzeigeeinheit (1b; 1d; 1f; 1h; 1j) zu senden..."
Aus dem erteilten Anspruchswortlaut geht somit hervor, dass die betreffende Einrichtung 16, 70, 91, 81, 82 einerseits das ursprünglich offenbarte Steuersignal Sc erzeugt und sendet, andererseits aber die über die Eingabeeinheit eingegebene Steuerinformation - im Übrigen in nicht näher spezifizierter Weise - in das jetzt beanspruchte Steueranweisungssignal umwandelt um dieses weitere Signal zu der Anzeigeeinheit ebenfalls zu senden.
Somit werden im erteilten und gemäß Hauptantrag verteidigten Anspruch 1 in ursprünglich nicht offenbarter Weise im Zusammenhang mit der Einrichtung 16, 70, 91, 81, 82 zwei voneinander unabhängige zu sendende Signale - nämlich das Steuersignal Sc und das Steueranweisungssignal - beansprucht.
Der Behauptung der Patentinhaberin, wonach es für den Fachmann offensichtlich ist, dass die verwendeten Begriffe "Steuersignal" und "Steueranweisungssignal" ein und dasselbe Merkmal beschreiben, kann nicht beigetreten werden, denn einerseits entnimmt der Fachmann weder der erteilten Beschreibung oder den erteilten Ansprüchen einen Hinweis, den Begriff "Steueranweisungssignal" in den oben behaupteten Zusammenhang zu stellen, noch würde dann die von der Anmelderin gewollte Unterscheidung beider Begriffe im erteilten Anspruch 1 einen Sinn machen.
Auch die Ausführung der Patentinhaberin in der Verhandlung, wonach die Merkmalsgleichheit beider Signale beispielsweise aus Anspruch 7 hervorgehen soll, kann nicht beigetreten werden, denn die zitierte Textstelle, wonach
"... die Einrichtung zum Erzeugen und Senden eines Steuersignals eine Steuersignal-Vorbereitungsschaltung (70) aufweist, um das Steuersignal (Sc) auf der Grundlage der Steuerinformation für die Anzeigeeinheit zu erzeugen, und um das Steuersignal (Sc) als Steueranweisungssignal zu der Anzeigeeinheit [...] zu senden,..."
lässt den Zusammenhang zwischen beiden beanspruchten Signalen ebenfalls völlig offen, insbesondere ist hier eine Umwandlung des Steuersignals in das Steueranweisungssignal nicht ausgeschlossen, so dass sich die Merkmalsgleichheit beider Begriffe aus dem Anspruch nicht ableiten lässt.
2b.)Die Zulässigkeit der Ansprüche 1 bis 12 nach Hilfsantrag I ist ebenfalls nicht gegeben, da beispielsweise der Anspruch 1 keine Beschränkung der erteilten Ansprüche 1 und 2 i. S. v. § 21 Abs. 2, PatG, sondern - wie nachfolgend ausgeführt - eine anderweitige Festlegung des Schutzgegenstands darstellt.
Es kann dahingestellt bleiben, ob der Anspruch 1 - wie von der Anmelderin ausgeführt - ausschließlich eine (vollständige) Kombination der Ansprüche 1 und 2 darstellt (vgl. hierzu Eingabe der Anmelderin vom 7. Dezember 2007, Seite 2, zweiter Absatz), denn in gleicher Weise wie die Einführung des zusätzlichen Steueranweisungssignals in der erteilten Fassung des Patents zu einem nicht zulässigen Aliud im Hinblick auf das ursprünglich Offenbarte führt, begründet die nunmehr vorgenommene Rückführung der erteilten Ausführungsform durch die nicht offenbarte Gleichsetzung beider Begriffe auf ein Bildanzeigegerät mit dann lediglich einem Steuersignal ebenfalls ein Aliud gegenüber der erteilten Anspruchsfassung.
Mit dem nicht zulässigen Anspruch 1 fallen auch die weiteren nebengeordneten Ansprüche des Hilfsantrags (vgl. hierzu BGH GRUR 2007, 862 "Informationsübermittlungsverfahren II").
Gleiches gilt sinngemäß für die nebengeordneten Ansprüche 6, 8 und 10.
2c.) Die Ansprüche 1 bis 12 des Hilfsantrags II sind trotz des aufgenommenen Disclaimers nicht zulässig.
Nach Hilfsantrag II ist, wie schon beim Hilfsantrag I, das bei der Patenterteilung in die Ansprüche aufgenommene und ursprünglich nicht offenbarte Merkmal des "Steueranweisungssignals" in nicht zulässiger Weise auf das ursprünglich offenbarte "Steuersignal" zurückgeführt. Ergänzend dazu ist - wie beschrieben - ein Disclaimer in Form einer Fußnote eingefügt.
Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass ein Disclaimer im Einspruchsverfahren grundsätzlich dazu dient, bei erteilten Ansprüchen, die gegenüber der ursprünglichen Anmeldung unzulässige Erweiterungen nach § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG enthalten, klarzustellen, dass aus diesen unzulässig erweiterten Merkmalen keine Rechte hergeleitet werden. Bei dieser Vorgehensweise wird dem Interesse des Patentinhabers an der Aufrechterhaltung seines bereinigten Patents Rechnung getragen und er vermeidet durch die ansonsten notwendige Streichung des unzulässig erweiterten Merkmals, den Schutzbereichs seines Patents nach § 22 Abs. 1 PatG unzulässig zu erweitern (vgl zu dieser Problematik Schulte, PatG, 7. Aufl., § 21 Rdn. 68).
Vorliegend bezieht sich der Disclaimer jedoch nicht auf Merkmale der erteilten Patentansprüche, sondern auf Merkmale, die in den Patentansprüchen des Hilfsantrags I enthalten sind und durch die der Schutzbereich des Patents unzulässig im Sinne des § 22 Abs. 1 PatG erweitert werden würde, wenn das Patent in dieser Form aufrechterhalten würde. Diese Art eines Disclaimers sieht weder das Gesetz vor, noch ist dies in der Rechtsprechung oder Literatur beschrieben oder als zulässig angesehen worden.
Es kann dahingestellt bleiben, ob die Fassung des Patentanspruchs 1 nach dem Hilfsantrag II zulässig wäre, wenn sein Gegenstand ohne Disclaimer eine reine Erweiterung des erteilten Patentgegenstandes wäre und der im Disclaimer erklärte Verzicht genau diese Erweiterung betrifft, so dass damit der Patentgegenstand unter Vermeidung einer Schutzbereichserweiterung auf den erteilten Anspruch zurückgeführt werden könnte.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag I stellt aber - wie dargelegt - keine reine Erweiterung des erteilten Gegenstandes dar, sondern ist ein Aliud, das in dieser Form in den erteilten Ansprüchen nicht unter Schutz gestellt war.
Diese Änderung des Erfindungsgegenstandes durch das Merkmal "Steueranweisungssignal" in den erteilten Ansprüchen kann daher ohne Schutzbereichsänderung bzw. -erweiterung gerade nicht wieder rückgängig gemacht werden. Denn der Verzicht, aus dieser Änderung Rechte herzuleiten, beseitigt die unzulässige Schutzbereichserweiterung nicht bzw. führt den Patentgegenstand nicht auf die erteilten Ansprüche zurück, sondern stellt durch den Verzicht auf das Merkmal des Steueranweisungssignals aus dem erteilten Patent vielmehr eine Änderung des Patentgegenstandes im Sinne eines Aliuds und damit zwingend eine Schutzbereichserweiterung dar (vgl. hierzu auch BPatG, Blatt PMZ 2006, 212, 218, re. Sp., Abschnitt IV - "Sektionaltorblatt").
In anderen Worten: Ein Disclaimer darf - wie sich aus der Bedeutung des Begriffs bereits ergibt - den Gegenstand oder den Schutzbereich eines Schutzrechts nur vermindern, also der technischen Lehre des - im vorliegenden Fall erteilten - Gegenstands nichts hinzufügen, was für die Beurteilung der Offenbarung bedeutsam sein könnte (vgl. hierzu auch Schulte, PatG, 7. Auflage, § 34 Rdn. 155).
Genau dies ist aber bei der im Hilfsantrag II vorgenommenen Anspruchsänderung mit Disclaimer der Fall.
Für die nebengeordneten Ansprüche 6, 8 und 10 gilt sinngemäß das Gleiche.
3.) Der Senat hat keinen Anlass gesehen, die von der Patentinhaberin angeregte Rechtsbeschwerde gemäß § 100 Abs. 2 PatG zuzulassen. Bei der vorliegenden Entscheidung wird die grundsätzliche Zulässigkeit eines Disclaimers bei unzulässiger Erweiterung im erteilten Patent nicht in Frage gestellt. Deshalb ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht geboten. Die vorliegend gegebene, sehr spezielle Fallgestaltung aufgrund ungewöhnlicher Antragstellung wirft auch keine grundsätzlichen Rechtsfragen auf, die einer Klärung zugeführt werden müssten. Ebenso wenig ist die Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts erforderlich.
4.) Nachdem weder der Hauptantrag noch die beiden Hilfsanträge auf einem zulässigen Anspruchssatz beruhen, war das Patent zu widerrufen.
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BPatG:
Beschluss v. 11.12.2007
Az: 23 W (pat) 322/04
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