Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Mai 2007
Aktenzeichen: 19 W (pat) 344/04
(BPatG: Beschluss v. 09.05.2007, Az.: 19 W (pat) 344/04)
Tenor
Das Patent 198 43 422 wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:
Patentansprüche 1 bis 8 sowie geänderte Beschreibung Seiten 1, 2, 3, 4, 5, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2007, übrige Beschreibung ab Seite 3 und Zeichnungen gemäß Patentschrift.
Gründe
I.
Für die am 22. September 1998 im Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Patentanmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am 27. Mai 2004 veröffentlicht worden. Es betrifft ein Türschloss eines Kraftfahrzeugs.
Gegen das Patent hat die A... GmbH & Co. KG mit Eingabe vom 25. August 2004, eingegangen am gleichen Tag, Einspruch beim Deutschen Patent- und Markenamt erhoben, der mit dortiger Verfügung vom 30. August 2004 an das Bundespatentgericht weitergeleitet wurde, bei dem er am 24. September 2004 einging.
Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:
Patentansprüche 1 bis 8 sowie geänderte Beschreibung Seiten 1, 2, 3, 4, 5, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2007, übrige Beschreibung ab Seite 3 und Zeichnungen gemäß Patentschrift, hilfsweise, Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 9. Mai 2007 sowie Patentansprüche 2 bis 8 gemäß Hauptantrag, geänderte Beschreibung Seiten 1, 2, 3, 4, 5 gemäß Hauptantrag, übrige Beschreibung ab Seite 3 und Zeichnungen gemäß Patentschrift.
Der gemäß einer Merkmalsanalyse der Einsprechenden mit den Gliederungsbuchstaben a) bis i), i') und j) bis m) versehene Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
"a) Türschloss eines Kraftfahrzeugb) mit einer vormontierten Schlossbaugruppe, c) die in einem Hohlraum einer Fahrzeugtür angeordnet an dem hinteren Stirnbereich der Fahrzeugtür befestigt istd) und einen Schlossträger aufweist, f) mit einem vom Fahrgastraum her den Hohlraum begrenzenden Wandbereich, g) der eine Durchtrittsöffnung aufweist, h) durch die ein mit der Schlossbaugruppe verbundenes Übertragungselement zu einem außerhalb des Hohlraumes angeordneten Schlossbetätigungselement verläuft, i) und nach der Montage der Schlossbaugruppe ein Bereich der Schlossbaugruppe die Durchtrittsöffnung vollständig überdecktj) und das mit dem Schlossbetätigungselement in Verbindung stehende Übertragungselement durch die Durchtrittsöffnung hindurch mit einem Element der Schlossbaugruppe zu verbinden ist undk) dass das Übertragungselement oder ein damit in Verbindung stehendes Teil zumindest bereichsweise zwischen dem Wandbereich des Hohlraumes und einem den Wandbereich überdeckenden Türverkleidungsteil verläuft, l) und nach der Montage der Schlossbaugruppe mehrere Übertragungselemente jeweils über eine Durchtrittsöffnung mit einem zugeordneten Element der Schlossbaugruppe zu verbinden sind und mehrere oder alle Durchtrittsöffnungen durch eine gemeinsame Durchtrittsöffnung gebildet sind, unde) dass an dem Schlossträger (3) eine Schlossfalle (4) sowie eine in Schließlage die Schlossfalle (4) verriegelnde Sperrklinke (5) verstellbar befestigt sindm) und ein über die gemeinsame Durchtrittsöffnung (10) mit einem Übertragungselement (14, Seilendteil 19) verbindbares Element der Schlossbaugruppe (2) ein Schwenkhebel (13) oder ein Schwenkteil (20) isti') und der die Durchtrittsöffnung (10) überdeckende Bereich der Schlossbaugruppe (2) die gemeinsame Durchtrittsöffnung (10) überdeckt."
Dem Patentgegenstand liegt die Aufgabe zugrunde, ein Türschloss eines Kraftfahrzeuges anzugeben, mit dem ein Wasserübertritt von dem Hohlraum in den Fahrgastraum oder in einen an den Hohlraum angrenzenden Raum mit einfachen Mitteln weitgehend verhindert ist und das kostengünstig zu fertigen ist (S. 3 le. Abs. bis S. 4 Abs. 1 des in der mündlichen Verhandlung am 9. Mai 2007 eingereichten Beschreibungsteils).
Die Einsprechende ist der Auffassung, ein elektrisches Türschloss mit den Merkmalen a) bis k) sei aus der DE 196 53 733 A1 bekannt. Es bestehe bei einem solchen Elektroschloss die Forderung der Kfz-Industrie, mechanische Redundanz vorzusehen. Es sei daher nötig, neben einem Elektrokabel als Übertragungselement noch wenigstens ein mechanisches Übertragungselement vorzusehen. Mechanische und elektrische Übertragungselemente, die durch verschiedene Durchtrittsöffnungen einer Kfz-Tür zum Türschloss führten, seien aus der DE 195 09 282 A1 bekannt. Die DE 196 22 310 A1 zeige eine Durchtrittsöffnung in einer Kfz-Tür, durch die sowohl ein elektrisches als auch ein mechanisches Übertragungselement geführt würden.
Die Einsprechende meint, dass der Fachmann - nach ihrer Auffassung ein promovierter Maschinenbauingenieur, der sich als Gruppen- oder Abteilungsleiter mit der gesamten Schlosskonstruktion befasse und dabei mehr Überblick und Konstruktionserfahrung habe - durch die DE 196 53 733 A1 wisse, dass auf Tüllen, wie sie die DE 195 09 282 A1 beschreibe, verzichtet und eine Flanschlösung vorgesehen werden könne. Wenn das Grundkonzept der Flanschlösung - wie von der DE 196 53 733 A1 vorgegeben - gewählt werde, dann werde der Fachmann nur eine gemeinsame Durchtrittsöffnung für das mechanische und elektrische Übertragungselement vorsehen.
Auch durch die DE 196 22 310 A1 werde er darauf gestoßen, mechanische und elektrische Übertragungselemente nur durch eine gemeinsame Durchtrittsöffnung zu führen.
Weiterhin kenne der Fachmann aus der DE 692 08 628 T2 einen Verbinder, durch den sowohl elektrische als auch andere Übertragungselemente, wie mechanische hindurch treten würden.
Die Patentinhaberin ist der Meinung, entgegen Merkmal c) werde das Türschloss nach der DE 196 53 733 A1 nicht in einem Hohlraum einer Fahrzeugtür an dem hinteren Stirnbereich der Fahrzeugtür befestigt; es sei dort nur angeordnet. Dies sei aber für die Erfindung nicht so wichtig. Sie meint weiterhin, dass die DE 196 53 733 A1 entgegen Merkmal e) weder eine Schlossfalle noch eine Sperrklinke zeige, da ein Elektrotürschloss diese Teile nicht aufweisen müsse.
Weiterhin meint die Patentinhaberin, dass die Durchtrittsöffnung gemäß der DE 196 53 733 A1 verschlossen sei und dass darunter etwas anderes zu versehen sei als unter dem anspruchsgemäßen Begriff "überdeckt".
Der Fachmann käme in Kenntnis der DE 196 22 310 A1 nicht zum Türschloss des Anspruchs 1, weil dort kein Feuchtigkeitsübertritt zwischen Türschloss und Trockenraum stattfände. Wenn die Verbindungsstelle zwischen Türschloss und Übertragungselement in der Durchtrittsöffnung erfolge, könne auch keine übliche Öffnung, wie sie die DE 195 09 282 A1 oder die DE 196 22 310 A1 zeigten, vorgesehen werden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II. A.
1. Gemäß der eindeutigen Zuständigkeitsregelung in § 147 Abs. 3 PatG in der Fassung vom 9. September 2004 liegt die Entscheidungsbefugnis über den zulässigen, am 30. Juni 2006 - d. h. vor Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG - noch anhängigen Einspruch bei dem hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts. Dieser hatte aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden.
2. Der erkennende Senat ist zur Entscheidung über das vorliegende Einspruchsverfahren berufen.
Mit dem 23. Senat des Bundespatentgerichts (23 W (pat) 327/04) und entgegen der Rechtsprechung des 11. Senats des Bundespatentgerichts in 11 W (pat) 383/06 ist der Senat in ständiger Rechtsprechung der Auffassung, dass die Entscheidungsbefugnis der technischen Beschwerdesenate über noch nicht entschiedene Einsprüche, die vor dem 1. Juli 2006 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen sind, durch den Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG a. F. mit Wirkung zum 1. Juli 2006 durch das Gesetz zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes (BGBl I 2006, 1318) nicht beseitigt wurde und zwar unabhängig davon, wann diese Einsprüche dem Bundespatentgericht durch das Deutsche Patent- und Markenamt zugeleitet wurden.
Der Senat schließt sich der Begründung des 23. Senats des Bundespatentgerichts in der oben zitierten Entscheidung ausdrücklich an.
Im Hinblick auf den Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG a. F. ist aus Sicht des Senats - worauf auch die Entscheidung des 23. Senats zu Recht hinweist - bei der Gesetzesanwendung und -auslegung zunächst zu berücksichtigen, dass es nicht Sinn und Zweck einer Übertragungsregelung, wie sie § 147 Abs. 3 PatG a. F. darstellte, sein kann, das Deutsche Patent- und Markenamt zunächst durch eine zeitlich befristete und noch dazu verlängerte Übertragung von Einspruchsverfahren auf das Bundespatentgericht zu entlasten, um diese Entlastung sodann durch die Aufhebung der Übertragungsvorschrift und die damit aus Sicht des 11. Senats verbundene zwingende Rückübertragung der nicht entschiedenen Altfälle in einem Maße zu relativieren, dass der Entlastungszweck - der aber auch vom 11. Senat nicht angezweifelt wird - nahezu vollständig in Frage gestellt werden müsste.
Auf Grund der zeitlich nachrangig ergangenen - oben ebenfalls zitierten - Entscheidung des 11. Senats ist auszuführen, dass der Gesetzgeber keine ausdrückliche Übergangsregelung für die Fälle getroffen hat, in denen die Einsprüche vor dem 1. Juli 2006 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangen waren und an das Bundespatentgericht wegen der Regelung in § 147 Abs. 3 a. F. weitergeleitet wurden oder zwar eingegangen waren, aber die Weiterleitung vor dem Stichtag nicht erfolgt ist und eine Entscheidung des Bundespatentgerichts bis zum Stichtag nicht getroffen wurde.
Der Gesetzgeber ist in der Begründung zum Entwurf eines Ersten Gesetzes über die Bereinigung von Bundesrecht im Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums der Justiz (BT-Drucksache 16/47 vom 3. November 2005), die dem Gesetz zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes vom 21. Juni 2006 zeitlich vorrangig ist und auf die insbesondere der Präsident des Deutschen Patent- und Markenamtes in seiner Stellungnahme gegenüber dem 11. Senat hingewiesen hat - wie in der oben zitierten Entscheidung des 11. Senats auch ausdrücklich ausgeführt wird -, auf Seiten 39/40 unter Nr. 2b davon ausgegangen, dass durch die Aufhebung von Verfahrensrecht alle hiervon tatbestandlich erfassten und abstrakt geregelten Fälle unberührt bleiben, d. h. der Gesetzgeber ging und geht ersichtlich davon aus, dass durch den Wegfall einer Regelung wie § 147 Abs. 3 PatG a. F. auch für die "Altfälle" die Entscheidungsbefugnis des Bundespatentgerichts nach wie vor begründet war und ist und mithin fortbesteht. Der Gesetzgeber hat aus Sicht des erkennenden Senats daher konsequenterweise keine ausdrückliche Übergangsregelung für die Altfälle nach Wegfall des § 147 Abs. 3 PatG a. F. geschaffen und auch in der Gesetzesbegründung zur Aufhebung des § 147 Abs. 3 im Gesetz zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes vom 21. Juni 2006 keine weiteren Ausführungen zu dieser Problematik gemacht.
Der Senat vermag sich daher schon aus diesem Grunde nicht der Argumentation des 11. Senats dahingehend anzuschließen, der Gesetzgeber habe eine entsprechende Regelung für die "Altfälle" treffen müssen, denn aus Sicht des Gesetzgebers war ein Regelungsbedürfnis gerade nicht gegeben.
Soweit sich der 11. Senat im weiteren Verlauf seiner Entscheidungsbegründung sodann mit der Frage auseinander setzt, ob diese Rechtsansicht des Gesetzgebers zutreffend ist, ersetzt er die Ansicht des Gesetzgebers durch seine Sicht der Rechtslage. Dies entspricht jedoch nicht den Auslegungsgrundsätzen für Gesetze: denn bei der Gesetzesauslegung und -anwendung unter Zuhilfenahme der Gesetzesbegründung und der Gesetzeshistorie ist nicht zu klären oder zu entscheiden, ob die Rechtsansicht des Gesetzgebers als zutreffend zu erachten war oder ist, sondern aus der Gesetzesbegründung und der Gesetzeshistorie ist zu ermitteln, wie der Gesetzgeber sein Gesetzgebungswerk verstanden haben wollte und zwar nach herrschender Meinung an Hand objektiver Gesichtspunkte (Palandt-Heinrichs, BGB, Kommentar, 66. Auflage, Einleitung Rd. 40; Staudinger-Coing/-Honsell, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Einleitung zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Buch 1, Allgemeiner Teil, 2004, Einleitung BGB, Rd. 135).
Der Senat teilt daher zwar grundsätzlich den Ansatz des 11. Senats, bei der Ermittlung des Sinns und des Zwecks einer Norm auch den Willen des historischen Gesetzgebers zu erforschen (Palandt-Heinrichs, a. a. O.; Staudinger-Coing/-Honsell a. a. O., Rd. 136) sowie hieraus Rückschlüsse auf die Gesetzesanwendung zu ziehen und teilt weiterhin den Ansatz, auch aus einer Gesetzesbegründung, die nicht unmittelbar der anzuwendenden Norm zu Grunde liegt, solche Schlüsse abzuleiten.
Der 11. Senat geht aus Sicht des Senats jedoch dann verfehlt dazu über, dem Gesetzgeber insoweit ein Versäumnis und eine rechtsfehlerhafte Würdigung zu unterstellen und berücksichtigt dabei nicht, dass aus Sicht des Gesetzgebers ein Regelungsbedarf gar nicht gegeben war.
Soweit auch im Rahmen der verfassungsrechtlichen Erörterungen in der Entscheidung des 11. Senats dem Gesetzgeber der Vorwurf einer unrichtigen Rechtsansicht gemacht wird, mag dies aus Sicht des 11. Senats verständlich sein, ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass die Gerichte gemäß Art. 20 Abs. 3 GG die Gesetze so anzuwenden haben, wie sie der Gesetzgeber beschließt. Wenn er sie anders verstanden haben will, ist das Gericht hieran zwar nicht gebunden (Palandt-Heinrichs, a. a. O.), das Verständnis des Gesetzgebers von seiner eigenen Regelung kann das Gericht jedoch nicht durch sein eigenes ersetzen. Wenn der Gesetzgeber daher erkennbar ein Bedürfnis für gesonderte Übergangsregelungen verneint, kann ihm bei der Gesetzesanwendung und -auslegung durch das Gericht nicht entgegengehalten werden, er hätte ein Regelungsbedürfnis sehen müssen und entsprechende Regelungen im Sinne der Rechtsansicht des Gerichts treffen müssen. Auf die Frage der Erkennbarkeit eines Regelungsbedürfnisses kommt es daher entgegen der Ansicht des 11. Senats nicht an, denn das Problem wurde vom Gesetzgeber erkannt.
Soweit sich schließlich die verfassungsrechtlichen Bedenken des 11. Senats im Wesentlichen darauf konzentrieren, die Anwendung des Grundsatzes der "perpetuatio fori" in analoger Weise genüge nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Frage der Änderung von Verfahrensrecht und des gesetzlichen Richters, verkennt diese Auffassung den Umstand, dass es sich nicht um die bloße Anwendung allgemeiner Rechtsgrundsätze, sondern um unmittelbare Anwendung geltenden förmlichen Rechts handelt, welches den hier maßgeblichen Grundsatz der "perpetuatio fori" in den §§ 99 PatG, 17 Abs. 1 Satz 1 GVG, 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO und damit in der geforderten kodifizierten Form enthält.
Die Vorschriften der §§ 99 PatG, 17 Abs. 1 Satz 1 GVG, 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO gebieten hier die weiter fortbestehende Entscheidungsbefugnis der technischen Beschwerdesenate, da diese Regelungen mangels ausdrücklicher Regelung im Patentgesetz über die allgemeine Verweisungsvorschrift zur Anwendung gelangen.
Dem Einwand, § 99 PatG sei nicht einschlägig, weil er auf das Einspruchsverfahren nicht anwendbar sei, kann schon vom Gesetzeswortlaut her nicht gefolgt werden, denn auch das Einspruchsverfahren stellt für die Zeit seiner Zuweisung an das Bundespatentgericht "ein Verfahren vor dem Patentgericht" dar. Die Argumentation des 11. Senats verliert vor dem Hintergrund der beschwerdeähnlichen Ausgestaltung des Einspruchsverfahrens vor Gericht - der Senat hat sich hierzu ausführlich in seiner Entscheidung 19 W (pat) 701/02 vom 12. August 2002 geäußert - darüber hinaus zusätzlich ihre vermeintliche Bedeutung. Im Übrigen stellte sich auch die analoge Anwendung geltenden förmlichen Rechts als eine Rechtsanwendung dar, die rechtsstaatlichen Grundsätzen und dem verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters genügt.
Der Rechtsansicht des 11. Senats folgend bestünden vielmehr erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken, die einmal begründete Zuständigkeit der technischen Beschwerdesenate willkürlich wieder zu beenden und Verfahren an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzugeben, die durch das Gericht zu entscheiden sind und allein auf Grund eines zeitlich - durch welche Einflüsse auch immer - bedingten Moments nicht entschieden wurden. Damit hinge die Entscheidungsbefugnis aber von Zufälligkeiten ab, die es keinesfalls rechtfertigen, die Rechtsanwendung nach den Bestimmungen, die eine Fortführung der Verfahren vor dem Bundespatentgericht postulieren, hintan stehen zu lassen.
Wenn "der gesetzliche Richter" - unabhängig von der Frage, inwieweit dieser verfassungsrechtlich verbürgte Grundsatz im Verhältnis Patentgericht/Patentamt heranzuziehen ist - im Ergebnis von der Dauer der Bearbeitungszeit jedes einzelnen Verfahrens durch die technischen Beschwerdesenate und den Einflüssen auf diese Verfahren abhängig gemacht würde, müsste diese Vorgehensweise nicht nur verfassungsrechtlich als in hohem Maße bedenklich erachtet werden, sondern wäre unter diesem Gesichtspunkt vielmehr nicht hinnehmbar.
Die noch beim Bundespatentgericht anhängigen "Altfälle" können und müssen daher durch die jeweils zuständigen technischen Beschwerdesenate des Bundespatentgerichts in eigener originärer Zuständigkeit entschieden werden und können nicht an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückgegeben werden.
B.
Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.
Der Einspruch ist zulässig und hatte keinen über die gemäß Hauptantrag beantragte Beschränkung hinausgehenden Erfolg.
1. Fachmann Nach Überzeugung des Senats ist der hier zuständige Fachmann ein FH-Maschinenbauingenieur mit Kenntnissen der Konstruktion von Kfz-Türschlössern, sowie der Gegebenheiten und Anforderungen beim Einbau solcher Schlösser.
2. Zulässigkeit des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag Der Patentanspruch 1 ist zulässig.
Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag unterscheidet sich von dem erteilten Patentanspruch 1 durch die Hinzunahme der Merkmale l), m) und i').
Das Merkmal l) entspricht dem Gegenstand der erteilten und ursprünglichen Patentansprüche 5 und 6.
Aus der Streit-Patentschrift (S. 3 li. Sp., 25. bis 21. Z. v. u.), die hier mit den Ursprungsunterlagen (S. 4 Z. 5 bis 7) übereinstimmt, i. V. m. den Figuren 1 und 4 ist das Merkmal m) zu entnehmen.
Das Merkmal i') stellt eine Präzisierung des Merkmals i) dahingehend dar, dass daraus ersichtlich ist, dass der überdeckende Bereich der Schlossbaugruppe die gemeinsame Durchtrittsöffnung betrifft. Dies ergibt sich aus der Streit-Patentschrift (S. 3 li. Sp. Z. 4 bis 7), die hier mit den Ursprungsunterlagen (S. 3 Z. 18 bis 20) übereinstimmt i. V. m. den Figuren 1 und 4.
3. Zum Verständnis des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag Nach dem Merkmal l) muss mindestens eine gemeinsame Durchtrittsöffnung mit mindestens zwei Übertragungselementen vorgesehen sein.
Entsprechend dem Merkmal m) ist eines der mindestens zwei Übertragungselemente ein Schwenkhebel oder ein Schwenkteil, also ein mechanisches Übertragungselement.
Merkmal i') besagt, dass die gemeinsame Öffnung gemäß Merkmal l) vom Bereich der Schlossbaugruppe überdeckt ist.
4. Neuheit Das Türschloss des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ist neu.
Aus der DE 196 53 733 A1 ist bekannt, eina) Türschloss eines Kraftfahrzeugsb) mit einer vormontierten Schlossbaugruppe (8, 80), cteilw) die in einem Hohlraum (Sp. 4 Z. 54 bis 57: Nassraum zwischen 1 und 2, 3 oder 4) einer Fahrzeugtür (Fig. 1) angeordnet an dem hinteren Stirnbereich (Fig. 1: bei 80) der Fahrzeugtür angeordnet ist (Sp. 4 Z. 21 bis 24)
d) und einen Schlossträger (81) aufweist, f) mit einem vom Fahrgastraum her den Hohlraum (Nassraum) begrenzenden Wandbereich (2, 3 oder 4), g) der eine Durchtrittsöffnung aufweist (Fig. 2, 3, 4: Öffnung 30, 40), h) durch die ein mit der Schlossbaugruppe (8, 80) verbundenes Übertragungselement (7, 6) zu einem außerhalb des Hohlraumes (Nassraum) angeordneten Schlossbetätigungselement (Sp. 3 Z. 49 bis 51 bzw. Sp. 6 Z. 35: Elektrisches oder elektronisches Bauteil, wie Schaltelement als Betätigungseinrichtung für das elektronische oder elektrische Schloss) verläuft, undi) nach der Montage der Schlossbaugruppe (8, 80) ein Bereich (Sp. 5 Z. 32 bis 41: Schlosshalter 9 als integraler Bestandteil und damit als Bereich der Schlossbaugruppe 8, 80) der Schlossbaugruppe (8, 80) die Durchtrittsöffnung (Fig. 2, 3, 4: Öffnung 30, 40) vollständig überdeckt (insbesondere in Fig. 4 ist die vollständige Überdeckung der Durchtrittsöffnung durch den Bereich 9 als Bereich der Schlossbaugruppe 8, 80 deutlich erkennbar)
j) und das mit dem Schlossbetätigungselement (Schaltelement) in Verbindung stehende Übertragungselement (7, 6) durch die Durchtrittsöffnung (30, 40) hindurch mit einem Element (Steckeraufnahme 810', 810'') der Schlossbaugruppe (8, 80) zu verbinden ist (Sp. 5 Z. 32 bis 53) undk) dass das Übertragungselement (7, 6) oder ein damit in Verbindung stehendes Teil (6) zumindest bereichsweise zwischen dem Wandbereich (2, 3 oder 4) des Hohlraumes (Sp. 4 Z. 54 bis 57: Nassraum) und einem den Wandbereich (2, 3 oder 4) überdeckenden Türverkleidungsteil (5) verläuft (Sp. 6 Z. 29 bis 42 i. V. m. Sp. 4 Z. 57 bis 60: Trockenraum), e) dass an dem Schlossträger (81) eine Schlossfalle sowie eine in Schließlage die Schlossfalle verriegelnde Sperrklinke verstellbar befestigt sind (verstellbar befestigte Schlossfallen und Sperrklinken sind übliche Bestandteile von Kfz-Türschlössern, die der Fachmann auch bei elektrisch oder elektronisch betätigten Schlössern mitliest).
Im Vergleich zum anspruchsgemäßen Türschloss ist bei dem bekannten Türschloss keine gemeinsame Durchtrittsöffnung gemäß den Merkmalen l), m) und i') vorgesehen.
Aus der DE 195 09 282 A1 ist es bekannt, elektrische und mechanische Übertragungselemente (8 bzw. 21, 70) durch jeweils eine Durchtrittsöffnung (38 bzw. 210, 36) zu führen, wobei je Durchtrittsöffnung eine separate Abdichtung durch Tüllen (22, 360, 370, 380) vorgesehen ist. Eine gemeinsame Durchtrittsöffnung gemäß den Merkmalen l), m) und i') für die mechanischen und elektrischen Übertragungselemente ist nicht vorgesehen.
Die DE 196 22 310 A1 zeigt die Durchführung eines elektrischen und eines mechanischen Übertragungselements (900 bzw. 61) durch eine gemeinsame Durchtrittsöffnung (33) zu einem Kraftfahrzeug-Türschloss (2). Hierbei befindet sich das Türschloss (2) jedoch nicht wie in Merkmal c) und f) angegeben, in einem Hohlraum (Nassraum) der Kraftfahrzeugtür, der vom Fahrgastraum her durch einen Wandbereich begrenzt ist, sondern in einer Prägung im Türinnenblech, d. h. im Trockenraum (Sp. 4 Z. 2 bis 5).
Aus der DE 692 08 628 T2 ist ein Verbinder an sich bekannt, durch den sowohl elektrische als auch andere Übertragungselemente, wie mechanische hindurch treten. Ein spezielles Anwendungsgebiet, insbesondere die Einsatzmöglichkeit zwischen dem Nass- und Trockenraum einer Kraftfahrzeugtür in Zusammenhang mit dem Türschloss ist in der Druckschrift jedoch nicht angesprochen.
Die von der Einsprechenden lediglich im Zusammenhang mit dem Patentanspruch 1 des Hilfsantrags erwähnte EP 0 843 060 A2 sowie die weiteren noch im Verfahren befindlichen Druckschriften DE 25 22 301 B2 und DE 197 07 850 C1 bringen gegenüber dem abgehandelten Stand der Technik keine neuen Gesichtspunkte, so dass auf sie nicht eingegangen werden muss.
5. Erfinderische Tätigkeit Das Türschloss des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hat ein Fachmann bei einem elektrischen Türschloss, wie es die DE 196 53 733 A1 zeigt, zusätzlich mechanische Redundanz vorzusehen, so wird er eine zusätzliche Durchtrittsöffnung in dem den Hohlraum begrenzenden Wandbereich vorsehen, um ein mechanisches Übertragungselement zum Türschloss führen zu können, wie ihm dies von der DE 195 09 282 A1 (Übertragungselemente 8 bzw. 21, 70; Durchtrittsöffnungen 38 bzw. 210, 36) her schon bekannt ist.
Nach Überzeugung des Senats ist von ihm aber nicht zu erwarten, dass er bei dem Türschloss gemäß der DE 196 53 733 A1 den in der Durchtrittsöffnung 30, 40 befindlichen Steckverbinder 810', 810'' bzw. die Durchtrittsöffnung 30, 40 derart modifiziert, dass sich auch noch ein mechanisches Übertragungselement hindurchführen ließe, da hierbei wiederum Schwierigkeiten bei der Abdichtung entstehen könnten, die gemäß der DE 195 09 282 A1 (jeweils durch Tüllen abgedichtete Durchtrittsöffnung je Übertragungselement) schon vermieden sind.
Die DE 196 22 310 A1 zeigt dem Fachmann zwar, dass ein elektrisches und ein mechanisches Übertragungselement (900 bzw. 61) durch eine gemeinsame Durchtrittsöffnung (33) geführt sind. Hierbei besteht jedoch kein Dichtungsproblem, da die Übertragungselemente von einem Trockenraum (Prägung 20) in einem anderen Trockenraum (Raum zwischen Trägerplatte 3 und Innenverkleidung 7) führen.
Damit kann die DE 196 22 310 A1 dem Fachmann keine Anregung geben, das Türschloss gemäß der DE 196 53 733 A1 so auszugestalten, dass nach der Montage der Schlossbaugruppe mehrere Übertragungselemente jeweils über eine Durchtrittsöffnung mit einem zugeordneten Element der Schlossbaugruppe zu verbinden sind und mehrere oder alle Durchtrittsöffnungen durch eine gemeinsame Durchtrittsöffnung gebildet sind, und ein über die gemeinsame Durchtrittsöffnung mit einem Übertragungselement verbindbares Element der Schlossbaugruppe ein Schwenkhebel oder ein Schwenkteil ist und der die Durchtrittsöffnung überdeckende Bereich der Schlossbaugruppe die gemeinsame Durchtrittsöffnung überdeckt.
Auch die DE 692 08 628 T2 kann dem Fachmann keine Anregung für eine solche Ausgestaltung geben, da sie sich nicht mit Dichtungsproblemen von zwischen Nass- und Trockenraum einer Kraftfahrzeugtür verlaufenden Übertragungselementen im Zusammenhang mit einem Türschloss befasst.
Hinsichtlich der Bewältigung einer Dichtungsproblematik besteht kein Zusammenhang mit dem Ort der Befestigung des Türschlosses. Damit kann Merkmal c) soweit es den speziellen Befestigungsort des Türschlosses betrifft, hinsichtlich der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit außer Acht bleiben.
6. Mit dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag sind auch die hierauf direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 patentfähig.
BPatG:
Beschluss v. 09.05.2007
Az: 19 W (pat) 344/04
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