Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 21. Februar 2011
Aktenzeichen: II ZB 2/10

(BGH: Beschluss v. 21.02.2011, Az.: II ZB 2/10)

Tenor

Die Ablehnungsgesuche der Antragstellerinnen zu 63, 71 und 75 sowie der Antragsteller zu 40, 53 und 57 werden zurückgewiesen.

Gründe

I. Die Antragstellerin zu 63 hat durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten II. Instanz vom 17. November 2010 die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Strohn, Caliebe, Dr. Drescher, Born und Sunder sowie den Vorsitzenden Richter i.R. Prof. Dr. Goette (für die Amtszeit bis zum 30. September 2010) wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Mit weiterem Schriftsatz vom 26. November 2011 hat die Antragstellerin zu 63 das gegen die Richterin am Bundesgerichtshof Caliebe gerichtete Ablehnungsgesuch zurückgenommen, da diese nach der Besetzungsauskunft des Senats vom 15. November 2010 nicht an der zuständigen Spruchgruppe beteiligt sei, und ein weiteres Ablehnungsgesuch gegen die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Reichart erhoben. Zur Begründung ihrer Ablehnungsgesuche hat sie ausgeführt, dass der ehemalige Vorsitzende des II. Zivilsenats Prof. Dr. Goette mit Wirkung vom 1. Oktober 2010 als "of counsel" in die Dienste der Anwaltskanzlei G. , S. , getreten sei. Im Hinblick darauf habe der frühere Senatsvorsitzende schon vor dem 1. Oktober 2010 wegen seiner Nähe und Beziehung zu dieser Anwaltskanzlei nicht mehr unbefangen und unparteiisch als Richter handeln können. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der ausgeschiedene Senatsvorsitzende bei der Vorbereitung des Spruchverfahrens, in dem die Antragsgegnerin in beiden Vorinstanzen von Anwälten der Kanzlei G. vertreten worden sei, "prägend" mitgewirkt habe. Die übrigen abgelehnten Senatsmitglieder hätten die Pflicht verletzt, den Prozessbeteiligten den beabsichtigten Eintritt des früheren Senatsvorsitzenden in die Anwaltskanzlei G. anzuzeigen. Das Gericht als Ganzes sei verpflichtet gewesen, alle Umstände offen zu legen, die Zweifel an der Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit eines mitwirkenden Richters wecken könnten. Die Verletzung dieser Pflicht begründe ihnen gegenüber ebenso die Besorgnis der Befangenheit wie der Loyalitätskonflikt, der entstehe, wenn die verbliebenen Senatsmitglieder sich mit dem Führungsstil des früheren Senatsvorsitzenden nun in Gestalt von Parteivorbringen auseinandersetzen müssten. Richter am Bundesgerichtshof Dr. Drescher sei auch dadurch befangen, dass in allen drei Instanzenzügen Richter entschieden hätten, die dem gesellschaftsrechtlichen Senat des Oberlandesgerichts Stuttgart angehörten oder angehört hätten. Komme es in solcher Konstellation zu einem Dialog zwischen dem Bundesgerichtshof und den unteren Instanzen, dann vermittle dies keine unabhängige Rechtsfindung, sondern eine instanzenbürokratisch vorgeprägte.

Die Antragstellerinnen zu 71 und 75 haben sich dem Ablehnungsgesuch durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten II. Instanz vom 15. Dezember 2010 angeschlossen und die vorgebrachten Befangenheitsgründe vertieft, ebenso die Antragsteller zu 40 und 57, soweit es den Vorsitzenden Richter i.R. Prof. Dr. Goette und den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Drescher betrifft, durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten II. Instanz vom 2. Januar 2011. Der Antragsteller zu 53 hat sich dem Ablehnungsgesuch mit Schreiben vom 3. Januar 2011 unter ausdrücklicher Einbeziehung der Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Reichart sowie des Richters am Bundesgerichtshof Dr. Löffler (als Mitwirkender am Verfahren II ZB 18/09) ebenfalls angeschlossen und - ebenso wie der Antragsteller zu 49 - weitergehende Auskünfte und Stellungnahmen der abgelehnten Richter erbeten. Der Antragsteller zu 42 hat ohne Anbringung eines eigenen Ablehnungsgesuchs Stellung genommen. Mit Schreiben vom 10. Februar 2011 hat der Antragsteller zu 53 die Richterin am Bundesgerichtshof Caliebe (Beschwerdeführerin des Verfahrens 4 S 1/11 VGH Mannheim) in sein Ablehnungsgesuch einbezogen und weitere Auskünfte über die Senatsmitglieder, die Mitwirkungsgrundsätze des Senats und einzelne Erwägungen des Gerichtspräsidiums erbeten.

Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2011 hat die Antragstellerin zu 63 ihr Ablehnungsgesuch bezüglich des Richters am Bundesgerichtshof Sunder zurückgenommen und zu den dienstlichen Äußerungen der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Strohn, Dr. Drescher und Born sowie der Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Reichart Stellung genommen und dabei ausgeführt, diese vertieften und verstärkten die Besorgnis der Befangenheit und gäben Anlass und Gründe für eine erneute Ablehnung der Richter. Mit Schreiben vom 15. Februar 2011 hat sie das Ablehnungsgesuch erneut auch auf Richterin am Bundesgerichtshof Caliebe erstreckt, nunmehr wegen einer bestehenden Nähebeziehung zu einem Angehörigen der Rechtsanwaltssozietät H.

II. Der Senat entscheidet in der Besetzung ohne die Richterin am Bundesgerichtshof Caliebe und ohne die abgelehnten Richter.

Gemäß Ziffer I.3 der nach § 21g GVG beschlossenen Mitwirkungsgrundsätze des Senats werden Sachen, in denen die Rechtsanwaltssozietät H. in den Vorinstanzen als Bevollmächtigte einer der Beteiligten tätig war, ohne Richterin am Bundesgerichtshof Caliebe - auch in Vertretungsfällen - bearbeitet. Diese Regelung, die in den Mitwirkungsgrundsätzen des Senats bereits seit dem 7. Juli 2008 verankert ist, dient der Vermeidung möglicher Interessenkollisionen, welche aufgrund einer persönlichen Nähebeziehung der Richterin am Bundesgerichtshof Caliebe zu einem Angehörigen der Rechtsanwaltssozietät H. entstehen könnten.

Zwar ist die Rechtsanwaltssozietät H. in der hier zur Entscheidung stehenden Sache nicht in den Vorinstanzen als Bevollmächtigte einer der Beteiligten tätig geworden. Die Sache ist jedoch wegen Sachzusammenhangs mit dem weiteren Verfahren II ZB 10/10, in dem die Rechtsanwaltssozietät H. tätig geworden ist und somit die Interessenlage einer der Beteiligten teilt, derjenigen Spruchgrupe zugewiesen worden, der Richterin am Bundesgerichtshof Caliebe nicht angehört. Darauf beruht die Besetzungsauskunft des Senats vom 15. November 2010.

III. Die Ablehnungsgesuche haben keinen Erfolg.

1. Auf das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz) das bis zum 31. August 2009 geltende Verfahrensrecht anwendbar, da der das Verfahren einleitende Antrag vor dem 1. September 2009 gestellt wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 1. März 2010 - II ZB 1/10, ZIP 2010, 446 Rn. 7).

Auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist, seitdem das Bundesverfassungsgericht die frühere Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 2 FGG für verfassungswidrig erklärt hat (BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1967 - 2 BvR 235/64, BVerfGE 21, 139), die Ablehnung von Richtern wegen Besorgnis der Befangenheit zulässig. Nach ständiger Rechtsprechung und ganz herrschender Meinung werden hierbei die §§ 42 ff. ZPO entsprechend angewendet (BGH, Beschluss vom 31. Oktober 1966 - AnwZ (B) 3/66, BGHZ 46, 195; BayObLG, NJW 2002, 3262; Keidel/Kuntze/Winkler/Zimmermann, FGG, 15. Aufl., § 6 Rn. 56; Bassenge/Roth, FGG, 11. Aufl., § 6 Rn. 1).

2. Die Ablehnungsgesuche sind als unzulässig zurückzuweisen, soweit sie den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof i.R. Prof. Dr. Goette, den Richter am Bundesgerichtshof Dr. Löffler und die Richterin am Bundesgerichtshof Caliebe betreffen. Das Recht einer Partei, einen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen (§ 42 Abs. 1 ZPO), ist darauf gerichtet, eine weitere Mitwirkung des befangenen Richters zu verhindern. Für ein Ablehnungsgesuch, das gegen einen Richter gerichtet ist, dessen weitere Mitwirkung ohnehin nicht mehr in Betracht kommt, weil er durch Eintritt in den Ruhestand (Prof. Dr. Goette) oder wegen Wechsels in einen anderen Senat (Dr. Löffler) aus dem Spruchkörper ausgeschieden ist, besteht kein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BFH, NJW-RR 1996, 57 f.; Musielak/Heinrich, ZPO, 7. Aufl., § 44 Rn. 5; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 42 Rn. 14, § 44 Rn. 9).

Ebenso sind die von den Antragstellern zu 53 und 63 mit Schreiben vom 10. und 15. Februar 2011 gegen die Richterin am Bundesgerichtshof Caliebe angebrachten Ablehnungsgesuche unzulässig, da die abgelehnte Richterin bereits aufgrund Ziffer I.3 der Mitwirkungsgrundsätze des Senats nicht an dem Verfahren mitwirkt.

3. Die Ablehnungsgesuche sind in der Sache nicht begründet.

a) Nach § 42 ZPO kann ein Richter von den Prozessparteien außer in den Fällen seines Ausschlusses kraft Gesetzes auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters vermögen nur objektive Gründe zu rechtfertigen, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber (vgl. BGH, Beschluss vom 6. April 2006 - V ZB 194/05, NJW 2006, 2492, 2494; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 42 Rn. 9, jeweils m.w.N.).

b) Derartige Gründe sind bezüglich der abgelehnten Richter nicht gegeben. Die Ablehnenden beanstanden in erster Linie das in den Ablehnungsgesuchen vorgetragene Verhalten von Prof. Dr. Goette im Zusammenhang mit seinem Ausscheiden zum 30. September 2010 aus dem Richterdienst und der daran unmittelbar anschließenden Aufnahme einer Rechtsanwaltstätigkeit. Hinsichtlich der abgelehnten Richter Dr. Strohn, Dr. Reichart, Dr. Drescher, Born und Sunder halten die Ablehnenden die Besorgnis der Befangenheit deshalb für begründet, weil keinerlei Distanzierung erkennbar sei und weil sich diese im weiteren Verfahren mit dem beanstandeten Verhalten ihres ehemaligen Senatsvorsitzenden auseinandersetzen müssten und deshalb in einen Loyalitätskonflikt gerieten. Außerdem hätten sie ihr Wächteramt, das sie zur Wahrung der Integrität ihres Spruchkörpers verpflichte, nicht wahrgenommen.

Die abgelehnten Richter haben sich dienstlich dahin geäußert, dass sie vor dem Ausscheiden von Prof. Dr. Goette zum 30. September 2010 von dessen Absicht, als "of counsel" in die Rechtsanwaltskanzlei G. einzutreten, von der Umsetzung dieses Entschlusses sowie von Angeboten anderer Anwaltskanzleien für Prof. Dr. Goette und Verhandlungen darüber keine Kenntnis hatten. Schon deshalb ist auch aus der Sicht der Ablehnenden bei vernünftiger Betrachtung das in den Ablehnungsgesuchen vorgetragene Verhalten von Prof. Dr. Goette als solches nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der im Spruchkörper verbliebenen Richter zu erwecken.

Das in den Ablehnungsgesuchen beanstandete Verhalten von Prof. Dr. Goette rechtfertigt ferner nicht deshalb die Ablehnung der übrigen Senatsmitglieder, weil diese in jedem Fall in einen Loyalitätskonflikt gerieten, unabhängig davon, wie sie sich zu dem Verhalten und der Einstellung ihres ehemaligen Vorsitzenden stellten. Es besteht - auch aus vernünftiger Sicht der Ablehnenden - kein hinreichender Anlass für die Annahme, dass die abgelehnten Richter, die zur Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten verpflichtet sind, nicht (mehr) in der Lage sind, das Parteivorbringen unvoreingenommen zu würdigen, weil der ehemalige Senatsvorsitzende nunmehr der Kanzlei der vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin angehört und er, wie die Antragstellerin zu 63 geltend macht, über Spezialwissen um die Interna der Einstellungen des Senats verfüge, das er aufgrund seiner neuen Stellung in die Sozietät G. einzubringen habe. Soweit sich Prof. Dr. Goette nach dem Vorbringen der Antragstellerin zu 63 auf Tagungen oder in Aufsätzen zu Fragen geäußert haben soll, die der Senat im vorliegenden Verfahren, an dem die Kanzlei G. beteiligt ist, "nur noch ... zu definieren" habe, begründet dies bei objektiver Betrachtung gleichfalls nicht die Befürchtung, die zur Entscheidung berufenen Richter könnten sich dadurch in einer Weise beeinflussen lassen, dass sie der Sache nicht mehr mit der gebotenen Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit gegenüberstünden. Die dienstlichen Äußerungen lassen auch aus der Sicht der Ablehnenden keine Zweifel daran aufkommen, dass die abgelehnten Richter diese - und weitere in den Ablehnungsgesuchen vorgetragene - mündlichen und schriftlichen Kundgaben von Prof. Dr. Goette nicht anders würdigen, als sie sich bei objektiver Betrachtung darstellen: als persönliche Meinungsäußerungen eines aus dem aktiven Dienst ausgeschiedenen, an den zukünftigen Entscheidungen des Senats nicht mehr beteiligten Richters, der aufgrund seiner jetzigen Tätigkeit in der Rechtsanwaltskanzlei G. die Interessen der von ihm vertretenen Mandanten wahrzunehmen hat (vgl. § 1 Abs. 3 BORA).

Das Ablehnungsgesuch der Antragstellerin zu 63 ist auch insoweit unbegründet, als sie es darauf stützt, die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter verhielten sich nicht zu allen geltend gemachten Ablehnungsgründen. Der abgelehnte Richter hat sich gemäß § 44 Abs. 3 ZPO über den Ablehnungsgrund dienstlich zu äußern. Wie sich aus § 44 Abs. 2 ZPO ergibt, hat sich diese dienstliche Äußerung auf die Tatsachen zu beziehen, die der Ablehnende zur Begründung seines Ablehnungsgesuchs vorgetragen hat. Die dienstliche Äußerung des Richters ist dessen Zeugnis, auf das sich der Ablehnende zur Glaubhaftmachung des von ihm behaupteten Ablehnungsgrundes beziehen darf, § 44 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters muss sich daher nicht auf Vorbringen erstrecken, das keiner Glaubhaftmachung bedarf, weil damit ein Ablehnungsgrund offensichtlich schon nicht hinreichend dargelegt ist. Ausführungen zur Begründetheit des Ablehnungsgesuchs - also zur Frage, ob die vorgetragenen Tatsachen die Besorgnis der Befangenheit begründen - haben zu unterbleiben. Ebenso muss sich der abgelehnte Richter nicht, wie von den Antragstellern zu 29, 49 und 53 verlangt, einer Ausforschung solcher Umstände stellen, bezüglich derer ein substantiierter Ablehnungsgrund schon nicht dargetan ist.

Danach war eine Äußerung der abgelehnten Richter zur Frage des Kontakts zwischen Mitgliedern des II. Zivilsenats und Tatrichtern der Instanzgerichte nicht veranlasst. Die Antragstellerin zu 63 hatte in ihrem Ablehnungsgesuch vom 17. November 2010 lediglich auszugsweise Teile von Äußerungen aus einem Interview von Prof. Dr. Goette in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. September 2010 zu einem "von Herrn Goette 'erwähnten' Dialog 'mit den unteren Instanzen' " angeführt. Sodann hatte sie in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass im vorliegenden Spruchverfahren in allen drei Rechtszügen Richter entschieden, die dem gesellschaftsrechtlichen Senat des Oberlandesgerichts Stuttgart angehörten oder angehört hätten. So sei der Vorsitzende Richter am Landgericht V. ebenso Richter des Senats unter Leitung des Präsidenten des Oberlandesgerichts S. gewesen wie der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Drescher. Komme es in solcher Konstellation, so wird in dem Ablehnungsgesuch im Anschluss daran ausgeführt, noch zum "Dialog" zwischen dem Bundesgerichtshof und den "unteren Instanzen", dann vermittele dies einem objektiven Betrachter keine unabhängige Rechtsfindung mehr, sondern ein uniformes Entscheidungsprodukt, das über alle Instanzen hinweg bereits höchstrichterlich begleitet und damit instanzenbürokratisch vorgeprägt worden sei. Die insoweit vorgetragenen Tatsachen erschöpfen sich darin, dass Prof. Dr. Goette in dem angeführten Interview für einen Dialog des II. Zivilsenats mit den unteren Instanzen eingetreten sein soll und Richter am Bundesgerichtshof Dr. Drescher vor seiner Ernennung zum Bundesrichter neben anderen Instanzrichtern dem vom Präsidenten des Oberlandesgerichts Stuttgart angeführten Senat angehört hat. Diese Tatsachen vermögen ersichtlich die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter nicht zu rechtfertigen, so dass sich deren dienstliche Stellungnahme dazu erübrigt.

Dasselbe gilt für das Vorbringen der Antragstellerin zu 63 zu den von ihr als unausgewogene Dienstauffassung gerügten intensiven außergerichtlichen Nebentätigkeiten von Prof. Dr. Goette. Es ist nicht erkennbar, aus welchem Grund der Umfang der Nebentätigkeiten des früheren Senatsvorsitzenden vor seinem Ausscheiden bei objektiver Betrachtung Zweifel daran begründen könnte, dass die im Spruchkörper verbliebenen Senatsmitglieder bei zukünftigen Entscheidungen der Sache unvoreingenommen gegenüber stehen.

Die Ablehnungsgesuche sind ferner unschlüssig, soweit sie Äußerungen von Prof. Dr. Goette in dem genannten Interview in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Gesprächen mit Rechtsanwälten und Unternehmensjuristen betreffen. Die Antragstellerin zu 63 führt in ihren ergänzenden Ausführungen vom 26. November 2010 insoweit an, Prof. Dr. Goette habe in dem Interview geäußert, dass zur "Erweiterung des Erfahrungshorizontes" bei gerichtlichen Auseinandersetzungen nach einer Hauptversammlung "besonders wichtig ... die Gespräche, Fragen und Diskussionen mit Wissenschaftlern, Anwälten und Praktikern aus Unternehmen sind, wie sie bei zahlreichen Fachtagungen stattfinden". Den aus seiner Sicht wünschenswerten Weg der Rechtsfindung habe er dahin definiert, dass "ein Gedankenaustausch mit Wissenschaft und Praxis ... unerlässlich für eine weitsichtige Entscheidungsfindung (ist), die nicht auf dem Buchstaben des Gesetzes fixiert ist, sondern den Unternehmen den gebotenen Freiraum gebe". Die Antragstellerinnen zu 71 und 75 haben dazu ergänzend unter Bezugnahme auf den Beitrag von Prof. Dr. Goette in der NZG 2010, 1293 angeführt, die dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter gingen nicht in dem erforderlichen Umfang auf die Verflechtung zwischen den "meisten Mitgliedern des II. Zivilsenats" durch das Gespräch "mit Rechtsanwälten und Unternehmensjuristen" ein, das bei dem erkennenden Senat "bewährte Tradition" sein solle.

Die Teilnahme von Richtern am Bundesgerichtshof an Tagungen und anderen wissenschaftlichen Veranstaltungen dient der Darstellung und Vermittlung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und dem Austausch von Meinungen, auch in Bezug auf sich in der Praxis neu stellende Probleme und deren wirtschaftlichen Hintergrund. Ein wissenschaftlicher Austausch in diesem Sinne ist insbesondere für ein oberstes Bundesgericht unverzichtbar. Damit geht einher, dass die Teilnahme von Richtern an solchen Tagungen und ihre Meinungsbekundungen dort grundsätzlich nicht geeignet sind, ihre Befangenheit zu begründen. Dies gilt auch dann, wenn wissenschaftliche Äußerungen über die bereits vorliegende Rechtsprechung hinausgehen (BGH, Beschluss vom 14. Mai 2002 - XI ZR 14/02, juris).

Ebenfalls haben sich die Senatsmitglieder nicht dadurch befangen gemacht, dass sie der von Prof. Dr. Goette publizierten Auffassung über die in Freigabeverfahren gebotene Prüfungsdichte der Instanzgerichte "ersichtlich keinen Widerstand entgegensetzt" hätten. Bloßen Meinungsäußerungen des früheren Vorsitzenden mussten die Senatsmitglieder nicht entgegentreten.

Auch haben sich die Senatsmitglieder nicht dadurch befangen gemacht, dass sie einem "offensichtlich über Jahre andauernden verfahrensübergreifenden Interessenkonflikt", der aus der Nähebeziehung zwischen der Richterin am Bundesgerichtshof Caliebe und einem Mitglied der Rechtsanwaltssozietät H. herrühre, nicht Einhalt geboten hätten. Unmittelbar nachdem die betroffene Richterin die Nähebeziehung anzeigte und in dem Verfahren II ZR 170/07 die Selbstablehnung erklärte, hat der Senat seine Mitwirkungsgrundsätze darauf eingestellt und die Mitwirkung der betroffenen Richterin in Sachen ausgeschlossen, in denen die Rechtsanwaltssozietät H. in den Vorinstanzen als Bevollmächtigte einer der Beteiligten tätig war. Aufgrund der entsprechenden Regelung in den Mitwirkungsgrundsätzen kann die Ausschlussklausel auch in Verfahren Wirkung erlangen, die mit solchen Sachen im Sachzusammenhang stehen. Damit hat der Senat hinreichende Maßnahmen zur Vermeidung möglicher Interessenkollisionen getroffen.

Schließlich wird eine Befangenheit der Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Reichart sowie der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Drescher und Born nicht durch deren Vorbefassung mit der Sache II ZB 18/09 (Stollwerck) begründet, in welcher rechtliche Fragestellungen aufgeworfen waren, die auch für die Entscheidung des vorliegenden Falls von Bedeutung sein könnten. Das deutsche Verfahrensrecht wird von der Auffassung getragen, dass der Richter auch dann unvoreingenommen an die Beurteilung einer Sache herantritt, wenn er sich schon früher über denselben Sachverhalt ein Urteil gebildet hat. Der unabhängige Richter unterliegt der Verpflichtung zur Unbefangenheit und Unparteilichkeit. Erst die Übernahme von Entscheidungsverantwortung im konkreten Rechtsstreit führt daher zu der Gefahr einer Vorfestlegung. Ausschließend wirkt daher nur eine richterliche Tätigkeit, die im Ausgangsverfahren erfolgte (BVerfG, Beschluss vom 15. Mai 2007 - 1 BvR 971/07, juris). Das ist hier nicht der Fall.

Bergmann Maihold Matthias Pamp Nedden-Boeger Vorinstanzen:

LG Stuttgart, Entscheidung vom 06.03.2008 - 31 O 32/07 KfH AktG -

OLG Stuttgart, Entscheidung vom 18.12.2009 - 20 W 2/08 -






BGH:
Beschluss v. 21.02.2011
Az: II ZB 2/10


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