Finanzgericht Münster:
Urteil vom 1. Juli 2010
Aktenzeichen: 6 K 357/10 AO
(FG Münster: Urteil v. 01.07.2010, Az.: 6 K 357/10 AO)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin verpflichtet ist, den Mitarbeitern des Beklagten im Rahmen einer Außenprüfung einen Lesezugriff auf ihr Dokumentenmanagementsystem einzuräumen, um dort digitalisierte Eingangsrechnungen einsehen zu können.
Die Klägerin (Kl.) gehört einer Unternehmensgruppe (Konzern) an. Ihr Unternehmenszweck ist die Produktion von Stahl und Stahlerzeugnissen. Der Unternehmenssitz befindet sich in F. In S unterhält die Kl. ihre Produktionsstätte.
Der Beklagte (Bekl.) führt seit Mai 2009 im Auftrag des Finanzamts D III eine Betriebsprüfung bei der Kl. betreffend die Jahre 2004 bis 2007 durch. Die Prüfung findet in den Geschäftsräumen an der Produktionsstätte in S statt. Im Rahmen der Betriebsprüfung gewährte die Kl. den Betriebsprüfern sowohl direkten als auch indirekten Zugriff auf die von ihr unterhaltene digitale Buchführung. Die der Buchführung zugrunde liegenden Originalbelege sind am Unternehmenssitz der Kl. in F archiviert.
Im Zuge der Betriebsprüfung forderten die Betriebsprüfer die Kl. mehrfach zur Vorlage von Eingangsrechnungen auf, um - nach Aussage des Bekl. - zu klären, ob die in den Jahren 2006 und 2007 aufgewandten zweistelligen Millionenbeträge zutreffend als Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten aktiviert oder den Reparaturkosten zugeordnet worden sind. Die Eingangsrechnungen wurden von der Kl. aus dem Archiv in F herausgesucht und den Betriebsprüfern dann über die Geschäftsleitung der Kl. als Kopie nach einiger Zeit (anfangs einigen Wochen) zur Verfügung gestellt.
Die Kl. nutzt seit Mitte 2006 ein Dokumentenmanagementsystem. In diesem System werden Dokumente unterschiedlichster Art digitalisiert und verarbeitet. Auch ein Großteil (ca. 85 bis 90%) der von der Kl. bezogenen Eingangsrechnungen findet Eingang in das System, in dem die Rechnungen mit einem Barcode versehen, gescannt und im System abgespeichert werden. Das Dokumentenmanagementsystem ist nutzerorientiert ausgestaltet; es ermöglicht unterschiedlichen Nutzern per Kennwort einen (beschränkten) Zugriff auf unterschiedliche Ebenen. Außerdem enthält es eine Suchfunktion (sog. Verschlagwortung).
Am 10.11.2009 baten die Betriebsprüfer die Vertreter der Kl. erstmals in mündlicher Form darum, den Zugriff auf die digitalisierten Eingangsrechnungen für den Zeitraum ab Mitte 2006 zuzulassen. Dadurch würde der aus Sicht der Betriebsprüfung erhebliche Zeitversatz zwischen Beleganforderung und Vorlage von Belegen verkürzt und das Verfahren für die Beteiligten vereinfacht. Nachdem die Kl. dieser Bitte nicht entsprach, fand am 26.11.2009 eine Besprechung zwischen der Betriebsprüfung und der Geschäftsleitung der Kl. statt. Im Rahmen dieser Besprechung baten die Betriebsprüfer erneut um die Einräumung eines Lesezugriffs auf die im Dokumentenmanagementsystem digitalisierten Eingangsrechnungen. Die Vertreter der Kl. äußerten, dass sie zur Einräumung eines entsprechenden Lesezugriffs nicht verpflichtet seien. Sämtliche Eingangsrechnungen seien im Original archiviert und würden auf Anforderung des Bekl. vorgelegt. Die im Dokumentenmanagementsystem eingescannten Belege seien dagegen unvollständig; daneben enthalte das System Unterlagen, die nicht steuerrelevant und mitunter datengeschützt seien (Zertifizierungen, Aktennotizen, Urlaubsanträge von Mitarbeitern etc.). Darüber hinaus sagten die Vertreter der Kl. den Betriebsprüfern jedoch zu, dass die Vorlage von angeforderten Unterlagen zukünftig schneller erfolgen und spätestens innerhalb von einer Woche erledigt werde. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Gesprächs wird auf den in den Verwaltungsakten befindlichen Vermerk verwiesen.
Mit Schreiben vom 30.11.2009 forderte der Bekl. die Kl. auf, der derzeit laufenden Betriebsprüfung den Lesezugriff auf die im Dokumentenmanagementsystem digitalisiert hinterlegten Eingangsrechnungen spätestens bis zum 09.12.2009 einzuräumen. Die Aufforderung stützte der Bekl. auf § 200 Abs. 1 S. 2 i.V. mit § 147 Abs. 1 und 5 AO. Gleichzeitig machte er deutlich, dass das Angebot der Kl. zur Vorlage der angeforderten Belege in Papierform aus seiner Sicht nicht ausreichend sei und verwies insofern auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 26.09.2007 (I B 53 u. 54/07, BStBl. II 2008, 415). Seine Aufforderung wiederholte der Bekl. mit Schreiben vom 09.12.2009. Darin drohte er der Kl. ferner die Festsetzung eines Zwangsgeldes i.H. von 5.000,- EUR für den Fall an, dass der Aufforderung nicht bis zum 05.01.2010 entsprochen werde.
Gegen die Aufforderung zur Einräumung eines Lesezugriffs legte die Kl. mit Schreiben vom 03.12.2009 und 04.01.2010 Einspruch ein. Sie teilte dem Bekl. mit, dass sie sich zur Einräumung eines Lesezugriffs auf das Dokumentenmanagementsystem nicht verpflichtet sehe. Das von ihr eingeführte Dokumentenmanagementsystem habe nicht die Archivierung von Eingangsrechnungen zum Ziel. Es sei vielmehr auf eine Verkürzung von Dokumentendurchläufen für verschiedenste Prozesse (sog. Work-Flow-Prozesse) angelegt. Damit sei es möglich, binnen weniger Minuten komplexe interne Prozesse über Freigabeprozeduren unter Einbindung von Mitarbeitern an allen bundesweit verteilten Standorten zu erreichen. Zwar sei auch richtig, dass zu diesem Zweck auch Eingangsrechnungen im System eingescannt würden. Das System sei jedoch für eigene Zwecke angelegt worden und eine Trennung zwischen steuerlich relevanten und irrelevanten Dokumenten sei nicht möglich. Im Übrigen könne sie - die Kl. - die Vollständigkeit, Korrektheit und Auffindbarkeit aller Eingangsrechnungen im Dokumentenmanagementsystem ohnehin nicht garantieren.
Ferner wies die Kl. darauf hin, dass sämtliche Eingangsrechnungen in Papierform archiviert seien und der Dokumentationspflicht damit Genüge getan werde. Das ordnungsgemäß geführte Papierarchiv, in dem alle Dokumente nach internen und externen Anforderungen im Original abgelegt seien, werde den von § 200 Abs. 1 und § 147 Abs. 1 AO gesteckten Anforderungen gerecht.
Die Regelung des § 147 Abs. 5 AO beziehe sich auf Unterlagen, die auf Bild- oder Datenträgern vorgelegt würden. Es sei nachvollziehbar, dass der Steuerpflichtige für derartige Dokumente dann auch die entsprechende Hard- und Software zur Lesbarkeit zur Verfügung zu stellen habe. Sie - die Kl. - stelle die Unterlagen jedoch in Form ihres Papierarchives zur Verfügung. Die von ihr vorgelegten Unterlagen seien ohne weitere Hilfsmittel lesbar. Somit seien für ihren Fall Konsequenzen aus § 147 Abs. 5 AO nicht zu erkennen.
Auch aus § 147 Abs. 6 AO lasse sich eine Verpflichtung zur Einräumung eines Lesezugriffs nicht ableiten. Diese Vorschrift stelle auf Unterlagen ab, die mit einem Datenverarbeitungssystem erstellt würden. Dies treffe auf die streitbefangenen Eingangsrechnungen nicht zu, gingen diese doch nachweislich in Papierform bei der Kl. ein und würden auch in entsprechender Form dort archiviert.
Die vom Bekl. in Bezug genommene Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 26.09.2007 (I B 53 u. 54/07, BStBl. II 2008, 415) sei im Streitfall nicht anwendbar. In dem vom Bundesfinanzhof entschiedenen Fall habe der Steuerpflichtige alle Papierdokumente vernichtet und nur noch ein elektronisches Archiv geführt. Sie - die Kl. - dagegen unterhalte aus verschiedensten Gründen, eben aber auch wegen der Trennung steuerlich relevanter von steuerlich irrelevanten Sachverhalten, ein Papierarchiv. Damit sei der vorliegende Sachverhalt grundsätzlich anders gelagert.
Schließlich wiederholte die Kl. ihre zuvor bereits mündlich erteilte Zusage, dass von der Betriebsprüfung angeforderte Belege zukünftig spätestens binnen einer Woche aus dem Papierarchiv besorgt und vorgelegt würden.
Der Bekl. wies den Einspruch der Kl. mit Einspruchsentscheidung vom 15.01.2010 als unbegründet zurück. Dabei führte er aus, dass die Kl. zur Einräumung des geforderten Zugriffs auf digitalisierte Eingangsrechnungen gemäß § 147 Abs. 5 und Abs. 6 AO verpflichtet sei. Zur Begründung rekurriert er auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 26.09.2007 (I B 53 u. 54/07, BStBl. II 2008, 415). Der Bundesfinanzhof habe in den Entscheidungsgründen deutlich gemacht, dass die Pflicht zur Einräumung eines Lesezugriffs bei elektronischer Speicherung vorlegungspflichtiger Belege auch für die Fälle gelte, in denen neben einer Speicherung die Originalbelege weiterhin in Papierform aufbewahrt würden. Insofern seien die Einwände der Kl. also nicht durchgreifend. Die Aufforderung des Finanzamts sei auch ermessensgerecht. Die Vereinfachungen sowohl im Hinblick auf den Arbeitsaufwand wie auch im zeitlichen Ablauf lägen auf der Hand. Die firmeninternen Erwägungen der Kl. zur Einführung des Dokumentenmanagementsystems würden dies eindrucksvoll belegen. Die technische Einrichtung des geforderten Lesezugriffs könnte zudem ohne weiteren ins Gewicht fallenden Aufwand erfolgen. Hinsichtlich weitere Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung verwiesen.
Die Kl. hat am 01.02.2010 die vorliegende Klage erhoben.
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Kl. zunächst vor, dass das von ihr unterhaltene Papierarchiv der Ordnungsvorschrift des § 146 AO vollumfänglich entspreche. Alle steuerlich relevanten Belege würden in dem Papierarchiv aufbewahrt. Die Betriebsprüfer hätten selbst Zugang zu den Unterlagen. Zur Vereinfachung der Prüfungsarbeit würden von ihr - der Kl. - nach Aufforderung durch die Betriebsprüfung Kopien aus dem Archiv gezogen und zeitnah (mittlerweile spätestens innerhalb von einer Wochen nach Anfrage) vorgelegt. Bei Bedarf würde auch jedes Dokument im Original zur Verfügung gestellt. Im Ergebnis seien daher alle Belege und Dokumente verfügbar. An der Ordnungsmäßigkeit der Archivierung bestünden keine Zweifel. Vor diesem Hintergrund sei der Zugang zu dem Dokumentenmanagementsystem für die Betriebsprüfung nicht von steuerlicher Relevanz; ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn lasse sich dadurch nicht herleiten.
Das von ihr unterhaltene Dokumentenmanagementsystem bilde dagegen nur eine Teilmenge des ordentlichen Papierarchivs ab. Daneben würden in dem System auch steuerlich irrelevante Dokumente abgelegt. Der wesentliche Zweck des Systems bestünde darin, einen verkürzten Dokumentendurchlauf zwischen den europaweit verteilten Standorten der Unternehmensgruppe zu gewährleisten.
Außerdem hält die Kl. weder § 147 Abs. 5 AO noch § 147 Abs. 6 AO als Rechtsgrundlage für das Aufforderungsverlangen des Bekl. für einschlägig. § 147 Abs. 5 AO stelle darauf ab, dass aufzubewahrende Unterlagen auf Bild- oder Datenträgern vorgelegt würden. Sie - die Kl. - lege angeforderte Unterlagen aber in Papierform vor. Die Vorschrift finde daher keine Anwendung. § 147 Abs. 6 AO betreffe Dokumente, die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden seien. Auch dieser Tatbestand sei im Hinblick auf die Eingangsrechnungen nicht erfüllt, denn diese würden von den jeweiligen Lieferanten in Papierform ausgestellt und postalisch übermittelt.
Schließlich verweist die Kl. auf das Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 13.06.2006 (1 K 1743/05, EFG 2006, 1634). Dort werde festgestellt, dass der Anspruch der Finanzverwaltung auf Datenzugriff nicht allumfassend sei. So sei eine Aufforderung auf Gewährung von Datenzugriff etwa dann unverhältnismäßig, wenn dieser Zugriff für die steuerliche Aufklärung nicht notwendig sei, weil Daten sich bereits aus der Finanzbuchhaltung ergeben würden. Auch im Streitfall würden alle steuerlich relevanten Daten durch sie - die Kl. - zur Verfügung gestellt, und zwar in Form eines vollumfänglichen Zugriffs der Betriebsprüfung auf ihr elektronisches Buchhaltungssystem sowie in Gestalt von Belegen über dort nicht enthaltene Dokumente in Papierform (etwa Eingangsrechnungen). Eines weitergehenden Zugriffs auf ihr internes Dokumentenmanagementsystem bedürfe es also nicht. Das vom Bekl. in diesem Zusammenhang vorgebrachte Argument eines beschleunigten Zugriffs, vermöge nicht zu überzeugen. Denn damit könne ein Zugriff auf überwiegend steuerlich irrelevanten Daten nicht gerechtfertigt werden. Im Übrigen sei die zeitliche Dimension der Anspruchsbefriedigung - Vorlage von angeforderten Dokumenten binnen einer Woche - mittlerweile zufriedenstellend gelöst worden.
Die Kl. beantragt,
die Aufforderung des Bekl. zur Einräumung eines Lesezugriffs auf die in ihrem Dokumentenmanagementsystem digitalisierten Eingangsrechnungen vom 30.11. und 14.12.2009 und die Einspruchsentscheidung vom 15.01.2010 aufzuheben,
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Bekl. wiederholt und vertieft im Rahmen seiner Gegenäußerung die im Laufe der Betriebsprüfung und im Einspruchsverfahren vorgebrachten Argumente. Er weist nochmals ausdrücklich darauf hin, dass die Einräumung eines Zugriffs auf das Dokumentenmanagementsystem der Kl. nicht aus Gründen eines wie auch immer gearteten "zusätzlichen Erkenntnisgewinns", sondern im Hinblick auf eine Verfahrensbeschleunigung bei der Anforderung und Vorlage von Unterlagen, mithin zum Zwecke eines effizienteren Prüfungsablaufs verlangt werde. Unerheblich sei das Argument der Kl., sie erhalte keine digitalisierten Belege noch stelle sie solche aus. Die Pflicht zur Einräumung eines Zugriffs setze auch bzw. immer dann ein, wenn ein Steuerpflichtiger in Papierform vorgehaltene Belege (freiwillig) digitalisiere. Das von der Kl. zitierte Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 13.06.2006 (1 K 1743/05, EFG 2006, 1634) sei nicht einschlägig, da es dort um die Einräumung eines Lesezugriffs auf Kostenstellen gegangen sei. Im Streifall werde hingegen lediglich der Zugriff auf digitalisierte Eingangsrechnungen gefordert.
Der erkennende Senat hat am 01.07.2010 mündlich in der Sache verhandelt. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die gegenüber der Kl. ergangene Aufforderung des Bekl. zur Einräumung eines (unmittelbaren Lesezugriffs auf die in ihrem Dokumentenmanagementsystem digitalisierten Eingangsrechnungen vom 30.11. und 14.12.2009 und die Einspruchsentscheidung vom 15.01.2010 sind rechtmäßig und verletzten die Kl. nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 FGO).
1) Die Aufforderung, dem Bekl. im Rahmen der Außenprüfung einen unmittelbaren Lesezugriff bezogen auf die von der Kl. in ihrem Dokumentenmanagementsystem ab Mitte 2006 digitalisierten Eingangsrechnungen einzuräumen, findet in § 200 Abs. 1 S. 2 AO i.V. mit § 147 Abs. 6 S. 1 AO eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage.
Gemäß § 200 Abs. 1 S. 1 AO hat der Steuerpflichtige bei der Feststellung der Sachverhalte, die für die Besteuerung erheblich sein können, mitzuwirken. In Erfüllung dieser allgemeinen Mitwirkungspflicht hat er nach § 200 Abs. 1 S. 2 AO insbesondere Auskünfte zu erteilen, Aufzeichnungen, Bücher, Geschäftspapiere und andere Urkunden zur Einsicht und Prüfung vorzulegen, die zum Verständnis der Aufzeichnungen erforderlichen Erläuterungen zu geben und die Finanzbehörde bei Ausübung ihrer Befugnisse nach § 147 Abs. 6 AO zu unterstützen. Nach § 147 Abs. 6 S. 1 AO wiederum kann die Finanzbehörde im Rahmen einer Außenprüfung Einsicht in gespeicherte Daten nehmen und das Datenverarbeitungssystem des Steuerpflichtigen zur Prüfung der Unterlagen nutzen, wenn Unterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 AO mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt worden sind (sog. unmittelbarer Datenzugriff). Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind im Hinblick auf die seitens der Kl. in ihrem Dokumentenmanagementsystem digitalisierten Eingangsrechnungen erfüllt.
a) Die von der Kl. in ihrem Dokumentenmanagementsystem erfassten Eingangsrechnungen gehören zu den Unterlagen, die im Rahmen einer Außenprüfung gemäß § 200 Abs. 1 S. 2 AO vorzulegen sind und auf die sich auch das Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung nach § 147 Abs. 6 S. 1 AO erstreckt.
Die Befugnisse aus § 147 Abs. 6 AO stehen der Finanzbehörde nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat (vgl. grundlegend BFH, Urteil v. 24.06.2009, VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452 m.w.N.; s.a. Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen - GDPdU, BMF-Schreiben v. 16.07.2001, BStBl. I 2001, 415). Gemäß § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO sind die empfangenen Handels- oder Geschäftsbriefe sowie die Wiedergaben der abgesandten Handels- oder Geschäftsbriefe vom Steuerpflichtigen aufzubewahren. Aufbewahrungspflichtig sind demnach insbesondere die Eingangs- und Ausgangsrechnungen von Handelsgesellschaften (vgl. BFH, Beschluss v. 26.09.2007, I B 53 u. 54/07, BStBl. II 2008, 415; FG Düsseldorf, Beschluss v. 05.02.2007, 16 V 3454/06, EFG 2007, 892; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 147 AO Tz. 17; Tipke in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 200 AO Tz. 8).
Im Übrigen handelt es sich bei den Eingangs- und Ausgangsrechnungen auch um Buchungsbelege im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 4 AO, die ebenfalls der steuerlichen Aufbewahrungspflicht unterliegen (so auch FG Düsseldorf, Beschluss v. 05.02.2007, 16 V 3454/06 AO, EFG 2007, 892).
b) Die Kl. erfüllt mit dem Digitalisieren, Scannen und Speichern von Eingangsrechnungen in ihrem Dokumentenmanagementsystem zum Zwecke der weiteren elektronischen Nutzung (Datenverarbeitung) den in § 147 Abs. 6 S. 1 AO normierten Tatbestand des "Erstellens von Unterlagen mittels eines Datenverarbeitungssystems".
Das Gesetz selbst enthält keine Definition für das Tatbestandsmerkmal des "Erstellens von Unterlagen mittels eines Datenverarbeitungssystems". Der Wortlaut des § 147 Abs. 6 S. 1 AO ist vielmehr auslegungsbedürftig. Der Begriff "Erstellen" mag dazu verleiten, den Datenzugriff ausschließlich auf originär digital hervorgebrachte Unterlagen, mithin auf in das Datenverarbeitungssystem in elektronischer Form eingehende und im Datenverarbeitungssystem erzeugte Daten zu begrenzen. In diesem Fall wäre das bloße Scannen von Dokumenten als eine Form des nachträglichen digitalen Erfassens von Unterlagen nicht vom gesetzlichen Tatbestand erfasst. Das Scannen eines Dokumentes führt für sich genommen dazu, dass von der Papierform des Dokumentes ein elektronisches Abbild erzeugt und in Form einer Bilddatei gespeichert wird. Bei dem reinen Scannen handelt es sich daher - streng genommen - erst um eine Vorstufe zur späteren Datenverarbeitung.
Einer entsprechend engen Ausdeutung des Wortsinns des § 147 Abs. 6 S. 1 AO vermag sich der erkennende Senat jedoch nicht anzuschließen. Das Scannen eines Dokuments erfolgt mit Hilfe eines an eine Datenverarbeitungsanlage angeschlossenen Peripheriegeräts und lässt sich damit im weiteren Sinne sehr wohl als "Erstellen von Unterlagen mittels eines Datenverarbeitungssystems" verstehen. Darüber hinaus ist zu beachten, dass Dokumente in der Regel gescannt werden, um sie später im Rahmen der Datenverarbeitung zu nutzen, etwa im Rahmen eines Dokumentenmanagementsystems, wie es auch von der Kl. unterhalten wird. Daher legt das Gericht den gesetzlichen Tatbestand des § 147 Abs. 6 S. 1 AO in dem Sinne aus, dass der Begriff des "Erstellens" auch das nachträgliche digitale Erfassen von Unterlagen zum Zwecke der Datenverarbeitung beinhaltet.
Für eine entsprechend weite Auslegung streitet, dass auch der Begriff der "Datenverarbeitung" seinerseits einen umfassenden Sammelbegriff darstellt, der neben der reinen Datenverarbeitung durch elektronische Maschinen, insbesondere Computer, auch die Dateneingabe und Datenerfassung sowie die Datenausgabe beinhaltet. Folgerichtig spricht § 147 Abs. 6 S. 1 AO im weiteren Verlauf (bei der Normierung der finanzbehördlichen Befugnisse in Bezug auf durch Datenverarbeitungssysteme erstellte Unterlagen) auch von einem Recht auf "Einsicht in gespeicherte Daten". Diese Formulierung macht deutlich, dass sich die Datenzugriffsrechte der Finanzbehörden auf alle Unterlagen i.S. des § 147 Abs. 1 AO erstrecken sollen, die der Steuerpflichtige in digitalisierter Form aufbewahrt, unabhängig davon ob er sie selbst originär digital erstellt oder lediglich in digitaler Form reproduziert hat.
Die dargestellte Wortlautausdeutung wird durch die Gesetzessystematik gestärkt. Gemäß § 146 Abs. 5 AO und gemäß § 147 Abs. 2 AO kann der Steuerpflichtige Bücher und sonst erforderliche Aufzeichnungen sowie Unterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 AO auch auf Datenträgern führen bzw. aufbewahren. Die Vorschriften unterscheiden dabei nicht zwischen originär digital erstellten und nachträglich digital erfassten Dokumenten. Folglich ist eine solche Differenzierung auch im Anwendungsbereich des § 147 Abs. 6 S. 1 AO nicht angebracht. Anderenfalls wäre auch der (uneingeschränkte) Hinweis in § 146 Abs. 5 S. 3 AO auf § 147 Abs. 6 S. 1 AO nicht verständlich. Zudem würde eine Begrenzung des § 147 Abs. 6 S. 1 AO auf originär digital erstellte Unterlagen bedeuten, dass dann zwar eine Verpflichtung zur Einräumung eines Datenzugriffs auf Ausgangsrechnungen (abgesandte Handels- und Geschäftsbriefe) bestünde, da diese regelmäßig vom Steuerpflichtigen selbst digital produziert werden. Dagegen wären Eingangsrechnungen (empfangene Handels- oder Geschäftsbriefe), die zwar nicht selbst vom Steuerpflichtigen erstellt worden sind, sondern vom jeweiligen Geschäftspartner, die jedoch im Anschluss an einen entsprechenden Erfassungsvorgang (z.B. Scannen) in gleicher Weise wie Ausgangsrechnungen in einem Datenverarbeitungssystem des Steuerpflichtigen aufbewahrt werden können, vom Datenzugriffsrecht der Finanzbehörden ausgeschlossen wären. Für eine entsprechende Unterscheidung zwischen Unterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO im Hinblick auf die Reichweite des Datenzugriffs sind keine sachlichen Gründe ersichtlich.
Für eine Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 147 Abs. 6 S. 1 AO auch auf solche Unterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 AO, die der Steuerpflichtige zwar nicht originär digital erstellt, aber jedenfalls durch Scannen und Einpflegen in einem Dokumentenmanagementsystem digital erfasst hat, sprechen nach Ansicht des erkennenden Senats schließlich die übereinstimmenden Zwecke, die mit den Vorschriften über die digitalen Aufbewahrungsmöglichkeiten des Steuerpflichtigen einerseits und den damit verbundenen finanzbehördlichen Datenzugriff andererseits verfolgt werden. Der Gesetzgeber hat die §§ 146 und 147 AO im Laufe der Zeit mehrfach geändert und an den aktuellen Stand der Technik angepasst. Der Steuerpflichtige hat daher hinsichtlich der Art und Weise sowohl der Buchführung als auch der Aufbewahrung von Unterlagen grundsätzlich freien Raum; er kann dabei insbesondere auch moderne Techniken nutzen. Zulässig sind etwa die Führung von Büchern mittels elektronischer Medien sowie die Aufbewahrung von Unterlagen auf Bild- und Datenträgern. Korrespondierend dazu hat der Gesetzgeber in § 147 Abs. 5 und Abs. 6 AO auch die Datenzugriffsmöglichkeiten der Finanzbehörden - insbesondere im Rahmen der steuerlichen Außenprüfung - erweitert und angepasst. Mit den erweiterten Befugnissen soll eine rationellere (effektivere) und zeitnähere Prüfung der Besteuerungsgrundlagen einhergehen (vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 147 AO Tz. 59). Der Gesetzgeber hat damit eine Art "Waffengleichheit" zwischen dem Steuerpflichtigen und den Finanzbehörden herstellen wollen, indem er technische Erfassungs- und Auswertungserleichterungen, die der Steuerpflichtige für sich in Anspruch nimmt, auch der Betriebsprüfung zugesteht (plakativ FG Hamburg, Urteil v. 13.11.2006, 2 K 198/05, DStRE 2007, 441). Oder anders formuliert: Aufbewahrungsmöglichkeiten und Datenzugriffsrecht stehen in einer "Wechselbeziehung" zueinander, die bei der Auslegung der jeweiligen Begrifflichkeiten im Anwendungsbereich des § 147 AO zu beachten ist (vgl. FG Düsseldorf, Beschluss v. 05.02.2007, 16 V 3454/06 AO, EFG 2007, 892). Vor diesem Hintergrund ist es aus der Sicht des Gerichts nicht gerechtfertigt, das Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung auf originär digital erstellte Unterlagen zu begrenzen und nachträglich digitalisierte Unterlagen davon auszuschließen. Ein betriebliches Dokumentenmanagementsystem - wie es auch von der Kl. im Streitfall unterhalten wird - basiert in der Regel zu einem großen Teil auf zuvor gescannten Unterlagen. Es wird vom Steuerpflichtigen - so auch im Streitfall von der Kl. - grundsätzlich zur Verkürzung von Dokumentendurchläufen und damit zur Effektuierung von Betriebsabläufen (gerade in zeitlicher Hinsicht) eingesetzt. Entsprechend gleichgerichtete Ziele verfolgt der Gesetzgeber auch im Hinblick auf die Einräumung von Datenzugriffsrechten zugunsten der Finanzverwaltung im Rahmen von Außenprüfungen. Mit Blick auf die einheitlichen - auf Seiten des Steuerpflichtigen und auf Seiten der Finanzbehörden bestehenden - Bedürfnisse nach Rationalität, Effektivität und Zeitnähe ist § 147 Abs. 6 S. 1 AO zwingend dahingehend auszulegen, dass die Aufbewahrung von Unterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 AO in einem Dokumentenmanagementsystem automatisch die Möglichkeit eines finanzbehördlichen Datenzugriffs auf dieses System nach sich zieht, und zwar unabhängig von der Unterscheidung, ob der Steuerpflichtige die in das System eingestellten Dokumente originär digital erstellt oder erst nachträglich digitalisiert hat.
c) Das Datenzugriffsrecht des Bekl. aus § 147 Abs. 6 S. 1 AO wird nicht dadurch eingeschränkt, dass die Kl. die Originale ihrer Eingangsrechnungen auch in Papierform aufbewahrt und auf ein entsprechendes Verlangen des Bekl. entweder das Original einer Eingangsrechnung, eine Kopie des Originals oder einen Ausdruck der jeweiligen Rechnung aus dem von ihr unterhaltenen Dokumentenmanagementsystem vorlegen kann.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass dem Steuerpflichtige grundsätzlich ein Wahlrecht zusteht, ob er aufbewahrungspflichtige Unterlagen in Papierform oder in elektronischer Form vorhält (vgl. § 146 Abs. 5 und § 147 Abs. 2 AO). Übt der Steuerpflichtige dieses Wahlrecht jedoch dahingehend aus, dass er die Unterlagen nicht alleine in Papierform, sondern auch oder ausschließlich in elektronischer Form aufbewahrt, dann erstreckt sich die Pflicht zur ordnungsgemäßen Aufbewahrung und zur Einräumung von Datenzugriffen zugunsten der Finanzbehörden auf sämtliche Formen der Aufbewahrung. Bei einer elektronischen Aufbewahrung von Unterlagen ist der Steuerpflichtige demnach zwingend gehalten, der Finanzverwaltung zum Zwecke der Außenprüfung ein Datenzugriffsrecht i.S. des § 147 Abs. 6 AO einzuräumen, unabhängig davon, ob die elektronisch gespeicherten Daten zusätzlich auch noch in Papierform (im Original oder in Kopie) vorgehalten werden und vorgelegt werden könnten (vgl. BFH, Beschluss v. 26.09.2007, I B 53 u. 54/07, BStBl. II 2008, 415; Urteil v. 24.06.2009, VIII R 80/06, BStBl. II 2010, 452; FG Hamburg, Urteil v. 13.11.2006, 2 K 198/05, DStRE 2007, 441; FG Düsseldorf, Beschluss v. 05.02.2007, 16 V 3454/06 AO, EFG 2007, 892; s.a. Nieland, AO-StB 2008, 3; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 147 AO Tz. 70a).
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Sie ist vor allem mit Blick auf die Gesetzeshistorie überzeugend. Die Verpflichtung des Steuerpflichtigen zur Lesbarmachung und - auf Verlangen der Finanzbehörde - zum Ausdruck von auf Datenträgern gespeicherten Unterlagen war bereits mit Inkrafttreten der Abgabenordnung in § 147 Abs. 5 AO enthalten. Sie bestand nach der damaligen Gesetzesfassung jedoch nur, wenn eine Vorlage der Unterlagen (mangels Vorhandenseins im Original) "nur" in Form der Wiedergabe auf dem Datenträger möglich war. Mit Einführung des Datenzugriffs der Finanzbehörden durch den mit dem Steuersenkungsgesetz (StSenkG) vom 23.10.2000 (BGBl. I 2000, 1433) neu angefügten § 147 Abs. 6 AO ist diese "nur"-Einschränkung in § 147 Abs. 5 AO gestrichen worden, so dass die Verpflichtung zur Lesbarmachung nicht etwa entfallen, sondern auf Fälle ausgedehnt worden ist, in denen die Originalunterlagen noch vorgelegt werden könnten. Im Übrigen sollte nach der Gesetzesbegründung mit der Einführung des § 147 Abs. 6 AO das geschaffene Recht der Finanzbehörde auf Zugriff auf die in einem Datenverarbeitungssystem erzeugten Daten des Steuerpflichtigen von dem bis dato bestehenden Recht auf Lesbarmachung von Unterlagen nicht umfasst gewesen sein (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum StSenkG, BT-Drucksache 14/2683, S. 129). Der Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO sollte demnach die Rechte der Finanzverwaltung erweitern, nicht aber deren bisher schon bestehenden Befugnisse beschränken.
d) Das Datenzugriffsrecht der Finanzbehörden gemäß § 147 Abs. 6 S. 1 AO greift unabhängig davon ein, welche Motive den Steuerpflichtigen im Einzelfall zur digitalen Aufbewahrung von Unterlagen im Sinne des § 147 Abs. 1 AO erwogen haben. Insbesondere ist nicht erforderlich, dass der Steuerpflichtige mit der digitalen Aufbewahrung ausschließlich oder primär steuerliche Zwecke verfolgt hat.
Die Kl. hat im Laufe des Prozesses vorgetragen, dass das von ihr unterhaltene Dokumentenmanagementsystem nicht primär zu dem Zweck der Archivierung von Eingangsrechnungen unterhalten werde. Das System enthalte eine Vielzahl von Unterlagen (mit und ohne steuerlicher Relevanz) und sei auf eine Verkürzung von Dokumentenabläufen für verschiedenste Prozesse (sog. Work-Flow-Prozesse) angelegt. Es erfülle also lediglich betriebsinterne Funktion. Mit Hilfe des Systems sei es möglich, binnen weniger Minuten komplexe interne Prozesse unter Einbindung von Mitarbeitern an allen bundesweit bzw. europaweit vorhandenen Unternehmensstandorten zu vollziehen.
Dieser Vortrag der Kl. ist aus der Sicht des Gerichts nicht entscheidungserheblich. Für die Frage, ob den Finanzbehörden im Rahmen von Außenprüfungen ein Datenzugriffsrecht zusteht, kommt es lediglich darauf an, dass der Steuerpflichtige überhaupt aufbewahrungspflichtige Unterlagen in der von § 147 Abs. 6 S. 1 AO normierten Art und Weise (mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems erstellt oder erfasst) vorhält. Die Motive, die den Steuerpflichtigen zur digitalen Aufbewahrung der Unterlagen bewogen haben, sind ebenso unerheblich, wie der Umstand, dass neben den steuerlich relevanten Daten auch steuerlich irrelevante Daten aufbewahrt werden. Gemessen am Sinn und Zweck des § 147 Abs. 6 S. 1 AO ist vielmehr entscheidend, dass die vom Steuerpflichtigen mit der digitalen Aufbewahrung beabsichtigte positiven Effekte im Hinblick auf einen verminderten Arbeits- und Zeitaufwand nach dem Willen des Gesetzgebers auch der Finanzverwaltung im Rahmen einer Außenprüfung zustehen sollen.
e) Die Kl. kann sich der Verpflichtung zur Einräumung eines Datenzugriffs auch nicht mit dem Argument entziehen, dass die von ihr im Dokumentenmanagementsystem digital aufbewahrten Eingangsrechnungen nur eine Teilmenge des umfassenden Papierarchives ausmachten und dass sie die Vollständigkeit, Korrektheit und Auffindbarkeit der digitalisierten Eingangsrechnungen - im Gegensatz zum Papierarchiv, welches den Grundsätzen des § 146 Abs. 1 AO entspreche - ohnehin nicht garantieren könne.
Das Datenzugriffsrecht der Finanzverwaltung im Sinne des § 147 Abs. 6 S. 1 AO besteht grundsätzlich auch im Hinblick auf solche Unterlagen, die nicht vollständig oder korrekt archiviert worden sind. Anderenfalls könnte sich der Steuerpflichtige dem Datenzugriff der Finanzbehörden willkürlich entziehen, indem er etwa Unterlagen unvollständig oder fehlerbehaftet digitalisiert. Ein anderes Ergebnis folgt weder aus § 146 Abs. 5 noch aus § 147 Abs. 2 AO. Zwar stellen beide Vorschriften ihrem Wortlaut nach vermeintlich darauf ab, dass eine Führung von Büchern, Aufzeichnungen oder Unterlagen auf Datenträgern nur zulässig ist und damit ein Datenzugriffsrecht auch nur wirksam nach sich zieht, wenn bei der digitalen Aufbewahrung die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung (§ 146 Abs. 1 AO) eingehalten werden. Diese Ausdeutung greift jedoch zu kurz. Aus Gründen der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung ist vielmehr davon auszugehen, dass das Datenzugriffsrecht der Finanzbehörden auch dann eingreift, wenn ein Steuerpflichtiger im Rahmen der digitalen Buchführung und/oder bei der digitalen Aufbewahrung von Unterlagen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung nicht einhält. Im Übrigen weist der erkennende Senat darauf hin, dass die Kl. mit einem Prozentsatz von 85 bis 90% den ganz überwiegenden Teil der Eingangsrechnungen auch in ihrem Dokumentenmanagementsystem erfasst hat. Folgerichtig würde im Falle eines Datenzugriffs des Bekl. im Streitfall den mit § 147 Abs. 6 AO verbundenen Zwecken einer rationelleren und zeitnäheren Außenprüfung sehr wohl zur Geltung verholfen.
f) Nicht entscheidungserheblich ist schließlich, dass die Kl. dem Bekl. im Rahmen der Betriebsprüfung ansonsten ein umfassendes Datenzugriffsrecht auf ihre digitale Buchführung eingeräumt hat.
Die Frage, ob den Finanzbehörden ein Datenzugriffsrechts im Sinne des § 147 Abs. 6 S. 1 AO zusteht, ist jeweils bezogen auf einzelnen, nach § 147 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 AO aufbewahrungspflichtige Unterlagen (bzw. Arten von Unterlagen) zu beantworten. Ein möglicher Datenzugriff auf die im Dokumentenmanagementsystem der Kl. erfassten Eingangsrechnungen vermag für den Bekl. im Rahmen der Außenprüfung durchaus mit zusätzlichen - über den Datenzugriff auf das Buchführungssystem hinausgehenden - Vorteilen in arbeitstechnischer und zeitlicher Sicht einhergehen.
2) Das Verlangen des Bekl. zur Einräumung eines unmittelbaren Datenzugriffs auf die im Dokumentenmanagementsystem der Kl. gespeicherten Eingangsrechnungen ist aus der Sicht des erkennenden Senats auch nicht ermessensfehlerhaft.
a) Ob und wie die Finanzbehörde im Rahmen einer wirksam angeordneten Betriebsprüfung einen Steuerpflichtigen auf der Grundlage seiner Mitwirkungspflichten in Anspruch nimmt, steht in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Auch der Datenzugriff gemäß § 147 Abs. 6 AO setzt eine doppelte Ermessensentscheidung voraus. Nach der Entscheidung über den Datenzugriff (das "Ob") steht auch die Auswahl zwischen den drei Formen des Datenzugriffs (das "wie": Unmittelbarer Datenzugriff, Mittelbarer Datenzugriff, Zurverfügungstellung eines maschinell verwertbaren Datenträgers) im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Dabei können prinzipiell auch mehrere Formen des Datenzugriffs kumulativ in Anspruch genommen werden, was jedoch besondere Anforderungen an die Erforderlichkeit der Maßnahmen stellt. Beschränkt sich die Finanzverwaltung dagegen auf lediglich eine Form des Datenzugriffs, wird die Ausübung des Auswahlermessens regelmäßig fehlerfrei erfolgt sein (vgl. Rätke in Klein, AO10, München 2009, § 147 AO Rz. 13). Die Ermessenentscheidungen der Finanzbehörden können vom Gericht nur (eingeschränkt) darauf überprüft werden, ob dabei die Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde (§ 102 FGO).
b) Auf der Grundlage dieser allgemeinen Maßstäbe ist die Ermessensentscheidung des Bekl. zur Einräumung eines unmittelbaren Datenzugriffs (sog. Lesezugriff im Sinne des § 147 Abs. 6 S. 1 AO) weder dem Grunde noch der Art nach zu beanstanden.
Der Bekl. rekurriert bei seiner Entscheidung insbesondere auf den Umstand, dass ihm der unmittelbare Lesezugriff auf das Dokumentenmanagementsystem der Kl. die Überprüfung der Eingangsrechnungen im Hinblick auf eine Unterscheidung zwischen Anschaffungs- und Herstellungsaufwand einerseits oder Erhaltungsaufwand andererseits sowohl gemessen am Arbeitsaufwand als auch in zeitlicher Hinsicht erheblich erleichtern würde. Im Gegenzug dazu sei aus der Sicht der Kl. nicht mit überhöhten Belastungen zu rechnen, denn die technische Einrichtung eines entsprechenden Lesezugriffs müsste ohne ins Gewicht fallenden Aufwand möglich sein. Diese Erwägungen halten einer gerichtlichen Überprüfung stand. Die vom Bekl. erwarteten Vorteilen der Effektuierung von Arbeitsprozessen sowie des verbesserten Zeitablaufs der Außenprüfung liegen als gesetzgeberische Motive auch dem § 147 Abs. 6 AO zugrunde. Die Erwartungen des Bekl. sind auch nicht unrealistisch. In der Vergangenheit lagen zwischen der Aufforderung der Betriebsprüfer zur Vorlage von Eingangsrechnungen und der tatsächlichen Vorlage dieser Rechnungen in Papierform durch die Kl. zumeist mehrere Tage, teilweise bis zu einer Woche oder sogar eine noch längere Zeitspanne. Diese Unterbrechungen in der Prüfungstätigkeit ließen sich mit Hilfe eines unmittelbaren Datenzugriffs (Lesezugriff) jedenfalls erheblich minimieren, möglicherweise sogar ganz ausschließen. Der Einwand der Kl., der unmittelbare Datenzugriff auf ihr Dokumentenmanagementsystem bringe dem Bekl. keinen "zusätzlichen Erkenntnisgewinn", weil die Eingangsrechnungen gleichermaßen in Papierform vorgelegt werden könnten, vernachlässigt zum Einen den bei jedem Anforderungsauftrag und dessen Bearbeitung auftretenden Arbeitsaufwand als auch das Zeitmoment. Soweit die Kl. ohne weitere Begründung behauptet, dass ihr die Einräumung eines unmittelbaren Datenzugriffs auf ihr Dokumentenmanagementsystem nicht möglich sei, ist dieser Vortrag nicht hinreichend substantiiert (zur Substantiierungspflicht vgl. Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 147 AO Tz. 76a). Schließlich hat der Bekl. auch sein Auswahlermessen zwischen den drei Formen des Datenzugriffs fehlerfrei ausgeübt. Zwar erfordert die Einräumung eines unmittelbaren Lesezugriffs stets die Einrichtung eines entsprechenden Arbeitsplatzes. Da es sich bei der Prüfung des Unternehmens der Kl. jedoch um eine Konzernbetriebsprüfung mit längerem Verlauf handelt und den Betriebsprüfern ohnehin Arbeitsplätze im Unternehmen zur Verfügung gestellt worden sind, ist ein unverhältnismäßiger Mehraufwand insofern nicht zu befürchten.
c) Der Einwand der Kl., das Dokumentenmanagementsystem enthalte eine Vielzahl steuerirrelevanter Daten und eine Trennung von steuerirrelevanten und steuerrelevanten Daten sei nicht möglich, ist aus der Sicht des erkennenden Senats nicht begründet. Die Aufforderung zur Einräumung eines unmittelbaren Datenzugriffsrechts ist auch insofern nicht unverhältnismäßig.
Zunächst verkennt die Kl., dass es grundsätzlich ihre Aufgabe ist, die Datenbestände in ihrem Hause so zu organisieren, dass bei einer zulässigen Einsichtnahme in steuerlich relevante Datenbestände keine geschützten Bereiche tangiert werden können. Die Datenselektion ist eine abstrakt prüfungsvorbereitende Maßnahme des Steuerpflichtigen, der den Datenzugriff nicht dadurch unterbinden kann, dass er seine "Hausaufgaben" nicht erledigt. Vor diesem Hintergrund ist der Datenzugriff nach allgemeiner Auffassung nicht deshalb ermessenswidrig, weil bei dem Steuerpflichtigen eine Trennung zwischen steuerlich relevanten und nicht relevanten Daten nicht möglich ist (vgl. BFH, Beschluss v. 26.09.2007, I B 53 u. 54/07, BStBl. II 2008, 415; FG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 20.01.2005, 4 K 2167/04, EFG 2005, 667; FG Düsseldorf, Beschluss v. 05.02.2007, 16 V 3454/06 AO, EFG 2007, 892; FG Münster, Urteil v. 16.05.2008, 6 K 879/07, EFG 2008, 1592; FG Nürnberg, Urteil v. 30.07.2009, 6 K 1286/2008, EFG 2009, 1991; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 147 AO Tz. 71 ff.).
Die Pflicht zur Trennung steuerlich relevanter von steuerlich irrelevanten Daten kommt für die Kl. auch nicht überraschend. Bereits nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer DV-gestützter Buchführungssysteme (GoBS, BStBl. I 1995, 738) ist der Steuerpflichtige zur Einrichtung eines effizienten Kontrollsystems verpflichtet, nach dem sensible Informationen des Unternehmens gegen unberechtigte Kenntnisnahme zu schützen und unberechtigte Veränderungen durch wirksame Zugriffs- und Zugangskontrollen zu unterbinden sind. Auf eine entsprechende Verpflichtung des Steuerpflichtigen zum Schutz unternehmensinterner Daten weist auch das Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen über die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU) vom 16.07.2001 hin (BStBl. I 2001, 415). Darüber hinaus verlangt auch das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) die Trennung von Daten nach Verwendungszwecken und deren zweckgebundene Verarbeitung. Die Unternehmen haben zu gewährleisten, dass die zur Benutzung des Datenverarbeitungssystems Berechtigten ausschließlich auf die ihrer Zugriffsberechtigung unterliegenden Daten zurückgreifen können (vgl. § 9 BDSG mit der dazu ergangenen Anlage).
Schließlich geht das Gericht auch davon aus, dass das von der Kl. unterhaltene Dokumentenmanagementsystem über ausreichende Möglichkeiten verfügt, um den Zugriff der Finanzbehörde auf prüfungsrelevante Bereiche im Sinne des § 147 Abs. 1 AO zu beschränken. Es kann als gerichtsbekannt unterstellt werden, dass heute nahezu alle am Markt zugänglichen Dokumentenmanagementsysteme eine Datentrennung mittels eines Zugriffsberechtigungssystems ermöglichen. Darüber hinaus hat die Kl. im Rahmen der mündlichen Verhandlung selbst geschildert, dass das im Jahr 2006 in ihrem Unternehmen implizierte Dokumentenmanagementsystem nutzerorientiert ausgestaltet ist (mithin auf unterschiedlichen Ebenen einen beschränkten Zugriff von Nutzern ermöglicht) und über eine Suchfunktion verfügt. Aber selbst die fehlende Möglichkeit einer Trennung von Daten mangels eines Zugriffsberechtigungssystems würde nicht zur Unzulässigkeit des Datenzugriffs führen. Denn ansonsten könnten Steuerpflichtige, die eine nicht den allgemeinen Anforderungen entsprechende Hard- und Software-Ausstattung benutzen, eine praktisch wirksame Außenprüfung (willkürlich) verhindern (zutreffend FG Nürnberg, Urteil v. 30.07.2009, 6 K 1286/2008, EFG 2009, 1991).
d) Das von der Kl. in Bezug genommene Urteil des FG Rheinland-Pfalz vom 13.06.2006 (1 K 1743/05, EFG 2006, 1634) ist nach Ansicht des erkennenden Senats auf den Streitfall nicht übertragbar. In der Entscheidung wurde der Datenzugriff des Finanzamts aus § 147 Abs. 6 AO auf Kostenstellen, die nicht der Aufbewahrungspflicht des § 147 Abs. 1 AO unterlagen, als unverhältnismäßig und ermessenswidrig angesehen. Der Sachverhalt ist insofern mit dem vorliegenden Sach- und Streitstand nicht vergleichbar.
3) Lediglich hilfsweise weist das Gericht darauf hin, dass die Aufforderung des Bekl. zur Einräumung eines unmittelbaren Datenzugriffs auf das Dokumentenmanagementsystem der Kl. als Minus auch die Aufforderung umfasst, die dort erfassten Eingangsrechnungen lesbar zu machen und insofern von § 147 Abs. 5 AO gedeckt wäre.
Nach dieser Vorschrift ist derjenige, der aufzubewahrende Unterlagen in der Form einer Wiedergabe auf einem Bildträger oder auf anderen Datenträgern vorlegt, verpflichtet, auf seine Kosten diejenigen Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, die erforderlich sind, um die Unterlagen lesbar zu machen. Der erkennende Senat legt den Begriff des "Vorlegens" im Sinne eines "Vorhaltens von Unterlagen auf Bild- oder Datenträgern" aus. Diese Voraussetzung erfüllt die Kl. mit ihrem Dokumentenmanagementsystem im Hinblick auf die streitbefangenen Eingangsrechnungen. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofes vom 26.09.2007 (I B 53 u. 54/07, BStBl. II 2008, 514) verwiesen.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
III. Die Revision war nicht zuzulassen. Die Sache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (§ 115 Abs. 2 FGO).
FG Münster:
Urteil v. 01.07.2010
Az: 6 K 357/10 AO
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/175f668e3df1/FG-Muenster_Urteil_vom_1-Juli-2010_Az_6-K-357-10-AO