Verwaltungsgericht Cottbus:
Beschluss vom 13. Februar 2012
Aktenzeichen: 6 L 226/11
(VG Cottbus: Beschluss v. 13.02.2012, Az.: 6 L 226/11)
Das behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 6 VwGO ist kein Vorverfahren im Sinne des § 162 Abs. 2 S 2 VwGO, für das das Verwaltungsgericht in einem gerichtlichen Verfahren auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 VwGO) die Zuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erklären kann.
Tenor
Der Antrag, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären, wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Dem (hilfsweise gestellten) Antrag, eine Entscheidung dahingehend zu treffen, dass die dem Antragsteller entstandenen Rechtsanwaltskosten im Vorverfahren für notwendig erklärt werden, über den zu entscheiden ist, nachdem die Kostenbeamtin mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom heutigen Tage eine Festsetzung der begehrten Geschäftsgebühr ohne eine solche gerichtliche Entscheidung abgelehnt hat, konnte nicht stattgegeben werden. Dem Antragsteller bleibt es insoweit unbenommen, gegen den genannten Kostenfestsetzungsbeschluss Erinnerung einzulegen, wenn er die (zutreffende) Auffassung der Kostenbeamtin für falsch hält.
Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistandes erstattungsfähig, wenn das Gericht die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt.
Ein Beschluss über die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren kann nicht im Rahmen eines - hier anhängig gewesenen - Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO gefasst werden, sondern nur im Rahmen eines Klageverfahrens. Ein Ausspruch des Gerichts, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren notwendig war, setzt voraus, dass dieser Ausspruch im Rahmen eines Hauptverfahrens erfolgt. Eine gerichtliche Entscheidung i.S.v. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist nur dann möglich, wenn das Gericht auch über die Kostentragungspflicht selbst entscheidet. Zwar sind gemäß § 162 Abs. 1 VwGO Kosten des Verfahrens nicht nur die Gerichtskosten, sondern auch die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen einschließlich der Kosten des Vorverfahrens. Dies gilt jedoch nur dann, wenn das gerichtliche Verfahren ein Vorverfahren erfordert. Der Begriff des Vorverfahrens i.S.d. § 162 VwGO wird dabei durch die Vorschriften der §§ 68 ff. VwGO bestimmt.
Die im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Kostenentscheidung enthält hiernach zunächst keine Entscheidung über die Kostentragungspflicht in Bezug auf das Widerspruchsverfahren. Nach § 68 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO bedürfen lediglich die Anfechtungsklage und die Verpflichtungsklage des Vorverfahrens. Der Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO bedarf eines solchen Vorverfahrens indes nicht. Zwar setzt ein Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs einen solchen denknotwendig voraus. Die Widerspruchserhebung als solche ist aber nicht "Vorverfahren" i.S.v. § 162 Abs. 1 VwGO. Vielmehr beginnt nach § 69 VwGO das Vorverfahren mit der Erhebung des Widerspruchs, es endet erst mit dem Widerspruchsbescheid. Dass - anders als beim gerichtlichen Aussetzungsantrag - das Vorverfahren für die Klage nicht nur die Erhebung des Widerspruchs voraussetzt, sondern auch dessen Bescheidung, ergibt sich aus § 75 VwGO, wonach die Klage nur ausnahmsweise "abweichend von § 68 VwGO zulässig ist", wenn über den Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht entschieden worden ist. Die Zulässigkeit eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO hat demgegenüber lediglich die - von hier nicht interessierenden Fällen abgesehen - Erhebung des Widerspruchs, nicht jedoch die Durchführung des Widerspruchsverfahrens zur Voraussetzung. Ein Widerspruchsverfahren kann daher kostenmäßig nur einem nachfolgenden gerichtlichen Verfahren zur Hauptsache (Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage), nicht aber einem gerichtlichen Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO zugerechnet werden. Zudem findet die in § 162 Abs. 1 VwGO für die Vorverfahrenskosten getroffene Regelung ihre innere Rechtfertigung nicht im bloßen Aufeinanderfolgen zweier Verfahren. Als sachgerecht erweist sich die Einbeziehung der Vorverfahrenskosten in die des gerichtlichen Verfahrens mit der Konsequenz, dass auch sie von demjenigen zu tragen sind, der aufgrund des Prozessausgangs in Anwendung der §§ 154 ff. VwGO in die Kosten verurteilt worden ist, vielmehr allein deswegen, weil mit dem Richterspruch auch der Streit im Vorverfahren so entschieden ist, wie er rechtens schon dort zu entscheiden war. Dies setzt indessen voraus, dass beide Verfahren den gleichen Streitgegenstand haben. Gerade daran aber fehlt es im Verhältnis des Vorverfahrens zum Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO doppelt. Während im Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (lediglich) um die Voraussetzungen für den sofortigen Vollzug eines Verwaltungsaktes gestritten wird, geht es im Widerspruchsverfahren um seine Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit, also um eine Rechtsentscheidung zur Sache selbst. Dabei ist nicht von Bedeutung, dass im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO das Gericht auch die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes in summarischer Weise prüft; denn diese Prüfung geschieht nicht zum Zwecke der (endgültigen) Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, sondern ausschließlich zum Zwecke der Abwägung des privaten und des öffentlichen Interesses entweder am Aufschub oder an der vorzeitigen Durchsetzung der angefochtenen Maßnahme. Von daher sind ohne weiteres sich widersprechende Kostenentscheidungen im Verfahren zur Sache selbst (Vor- oder Klageverfahren) und im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO denkbar: So kann, etwa wenn die Vollziehungsanordnung entgegen § 80 Abs. 3 VwGO nicht hinreichend begründet wurde oder wenn bei summarischer Prüfung, insbesondere bei gebotener weiterer Sachaufklärung, die Erfolgsaussichten des Widerspruchs offen erscheinen und danach dem privaten Aufschubinteresse Vorrang zukommt, ein Aussetzungsantrag durchaus Erfolg haben; gleichwohl aber der Widerspruch oder eine nachfolgende Anfechtungsklage kostenpflichtig abzuweisen sein. Die Divergenz der Streitgegenstände mit der Folge unter Umständen unterschiedlicher Kostenentscheidungen steht mithin der Erstreckung der Kostenentscheidung im Aussetzungsverfahren über § 162 Abs. 1 VwGO auf das Widerspruchsverfahren und damit der Anwendbarkeit von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ebenfalls entgegen (vgl. zum ganzen: OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 2. Mai 1989 - 13 B 27/89 -, DÖV 1990, S. 159 f.; OVG Nordrhein- Westfalen, Beschluss vom 15. Februar 1993 - 4 B 1917/92 -, DVBl. 1993, S. 889 f.; VG Greifswald, Beschluss vom 5. März 1998 € 2 B 1643/96 -, zit. nach juris).
Die vom Antragsteller begehrte Erklärung nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist entgegen seiner Auffassung auch nicht mit Blick auf das behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Abse. 4 und 6 VwGO möglich. Dieses ist kein Vorverfahren im Sinne des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Vorverfahren im Sinne des § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO ist € wie ausgeführt - nur das in den §§ 68 ff. VwGO als Sachurteilsvoraussetzung anzusehende Widerspruchsverfahren, das vor Erhebung der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erfolglos durchgeführt worden sein muss. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 162 Abse. 1 und 2 Satz 2 VwGO sowie dem Sinn und Zweck dieser Regelung, die insoweit auch keinen Raum für eine Analogie lassen. Die Kosten des Vorverfahrens sind als "Aufwendungen" zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in die Gesamtkosten des Verfahrens einbezogen. Es handelt sich hierbei um Kosten im Vorstadium und zur Vorbereitung des Klageverfahrens. Dazu zählen die Kosten nicht, die im Zusammenhang mit der Stellung eines Antrags nach § 80 Abse. 4, 6 VwGO entstehen.
Es handelt sich bei diesen Kosten auch nicht um Aufwendungen, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Zwar kann es sich dabei auch um Kosten (i. d. R. Sachaufwendungen) handeln, die der Vorbereitung des Prozesses gedient haben, also auf die Prozessführung gerichtet waren. Kosten die im Zusammenhang mit der Durchführung eines Aussetzungsverfahrens nach § 80 Abse. 4, 6 VwGO entstanden sind, beziehen sich jedoch nicht konkret auf das ggf. nachfolgende Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO, auch wenn deren Einleitung/Durchführung Zugangsvoraussetzung für die Anrufung des Gerichts ist. €Notwendig€ i. S. v. § 162 Abs. 1 VwGO beschreibt ausgehend von dem das Kostenrecht beherrschenden Grundsatz der €Kostengeringhaltungspflicht€ lediglich den Umfang (Grund und Höhe) der erstattungsfähigen Kosten, trifft jedoch keine Aussage dahingehend, dass alle Kosten, die entstanden sind, um die rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung gerichtlichen Rechtsschutzes zu erfüllen, gleichsam erstattungsfähig sind. Dafür spricht auch, dass sich - jedenfalls in den Fällen anwaltlicher Vertretung - bei anderer Auslegung ein gesetzlich nicht beabsichtigter Wertungswiderspruch zwischen den Kosten des Vorverfahrens und denen des Aussetzungsverfahrens ergeben würde. Denn § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO stellt die Erstattungsfähigkeit von Kosten für die Beauftragung eines Rechtsanwaltes im Vorverfahren unter den ausdrücklichen Vorbehalt einer (positiven) gerichtlichen Entscheidung. Gleiches wäre mangels gesetzlicher Regelung für das Aussetzungsverfahren jedoch nicht erforderlich, so dass diese Kosten immer erstattungsfähig wären (§162 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Auch aus der Neuregelung der Gebührentatbestände im Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz € RVG) lässt sich nicht herleiten, dass § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO auf das behördliche Aussetzungsverfahren nach § 80 Abse. 4, 6 VwGO anzuwenden ist. Nach früherem Recht (§ 119 Abs. 3 Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung - BRAGO) war das Verwaltungsverfahren auf Aussetzung der Vollziehung oder auf Beseitigung der aufschiebenden oder hemmenden Wirkung unter anderem zusammen mit dem Verwaltungsverfahren, das dem Rechtsstreit vorangeht und der Nachprüfung des Verwaltungsakts dient (Vorverfahren), eine Angelegenheit. Nunmehr bestimmt § 17 Nr. 1 RVG zwar unter anderem, dass das Verwaltungsverfahren, das einem gerichtlichen Verfahren vorausgehende und der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienende weitere Verwaltungsverfahren und das Verwaltungsverfahren auf Aussetzung oder Anordnung der sofortigen Vollziehung jeweils verschiedene Angelegenheiten sind. Aus dieser Aufspaltung in verschiedene gebührenrechtliche Angelegenheiten lässt sich aber nicht folgern, dass ein seinem bevollmächtigten Rechtsanwalt gebührenpflichtiger Antragsteller die jeweils entstandene Gebühr auch von einem unterlegenem Gegner erstattet verlangen kann. Ein solch weitreichender Regelungsgehalt lässt sich § 17 Nr. 1 RVG nicht entnehmen. Es gibt keinen Grundsatz, dass die einem Beteiligten in einem Verwaltungsverfahren entstandenen (Anwalts-) Kosten von der unterlegenen Behörden zu erstatten sind (vgl. OVG Nordrhein- Westfalen, Beschluss vom 10. Mai 2006 € 14 E 252/06 -, zit. nach juris; VGH Baden- Württemberg, Beschluss vom 18. September 2000 € 2 S 2012/00 -, zit. nach juris Rn. 3; VG Minden, Beschluss vom 26. Januar 2007 € 11 L 615/05 -, zit. nach juris; VG Magdeburg, Beschluss vom 22. Juni 2006 € 9 B 105/06 -, zit. nach juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
VG Cottbus:
Beschluss v. 13.02.2012
Az: 6 L 226/11
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