Verwaltungsgericht Freiburg:
Urteil vom 16. September 2015
Aktenzeichen: 7 K 942/14
(VG Freiburg: Urteil v. 16.09.2015, Az.: 7 K 942/14)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens, einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt den Zugang zu Stellungnahmen, die der beigeladene Rechtsanwalt zu den Beschwerden der Klägerin gegenüber der beklagten Rechtsanwaltskammer abgegeben hat.
Der Beigeladene vertrat in verschiedenen zivilgerichtlichen Verfahren der Klägerin die Gegenseite. Die Klägerin erhob seit dem Jahre 2009 zahlreiche Beschwerden über das Verhalten des Beigeladenen bei der Beklagten. Diese forderte den Beigeladenen jeweils auf, zu den Beschwerden Stellung zu nehmen. Im Jahr 2010 leitete die Beklagte der Klägerin eine Reihe von Stellungnahmen zu, unter anderem die vom 04.09.2009 im Beschwerdeverfahren ... . Darin führte der Beigeladene abschließend aus:
"Die Antragstellerin behelligt ihre gesamte Umgebung seit Jahren mit zahllosen Rechtsstreitigkeiten und Eingaben; es besteht die Besorgnis, dass die Antragstellerin nicht (mehr) in der Lage ist, ihre eigenen Angelegenheiten zu besorgen und der Betreuung bedarf."
In mindestens einem späteren zivilgerichtlichen Verfahren bezweifelte der Beigeladene für die dortigen Beklagten die Prozessfähigkeit der Klägerin (AG ... Az.: YYY WEG). Dabei trug er vor, die Klägerin leide an einem ausgeprägten, krankhaften Querulantenwahn, weil sie Beschlüsse der WEG ohne Sinn und Verstand anfechte, einer "fixen Idee" nachhänge und sich verfolgt fühle. Er beantragte die Einholung eines Sachverständigengutachtens. Über die von der Klägerin daraufhin in subjektiver Klagehäufung in dieses Verfahren einbezogene Klage auf Unterlassung dieser Äußerungen ist noch nicht entschieden worden.
Bereits am 07.06.2013 hatte die Klägerin eine Klageschrift entwerfen lassen, in der dem Beigeladenen die Unterlassung dieser und ähnlicher Äußerungen untersagt werden sollte. Zu einer Klageerhebung ist es nicht gekommen. Dabei verwahrte sich die Klägerin auch dagegen, vom Beigeladenen im Rubrum als Pensionärin bezeichnet zu werden. Die Angabe der Berufsbezeichnung nach § 130 Nr. 1 ZPO sei völlig antiquiert und werde bewusst herabsetzend eingesetzt.
In der Folge änderte die Beklagte ihre Rechtsauffassung und verweigerte der Klägerin hinsichtlich weiterer Stellungnahmen mit einem mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid vom 07.02.2011 die Zusendung bzw. die Akteneinsicht. Diese Stellungnahmen seien, worauf die von der Beklagten befragten anderen Kammern hingewiesen hätten, bei der gebotenen materiellen Betrachtungsweise Bestandteil der Personalakte. In diese dürfe gem. § 58 BRAO aber nur dem betroffenen Rechtsanwalt selbst Einsicht gewährt werden. Rechtsbehelfe gegen diese Ablehnung legte die Klägerin nicht ein.
Mit Schreiben vom 28.10.2013 begehrte die Klägerin unter anderem erneut die Bekanntgabe der anwaltlichen Stellungnahmen in allen bis dahin von ihr angestoßenen Beschwerdeverfahren gegen den Beigeladenen. Die Beklagte lehnte dieses Gesuch mit Bescheid vom 28.01.2014 ab. Wegen der Regelung des § 58 BRAO komme eine Übermittlung der Stellungnahmen nur in Betracht, wenn der betroffene Anwalt dem ausdrücklich zustimme, was vorliegend jedoch nicht der Fall sei. Den hiergegen am 05.02.2014 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.03.2014 zurück. Alle Beschwerdeverfahren wurden € soweit ersichtlich € eingestellt.
Am 13.04.2014 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen ausführt, sie befürchte, dass die vom Beigeladenen in den Beschwerdeverfahren abgegebenen Stellungnahmen Falschdarstellungen und Schmähungen ihrer Person enthielten, wie dies schon bei denjenigen der Fall gewesen sei, die ihr früher zugeleitet worden waren. Diese seien zum einen der Grund dafür, dass die Beklagte sämtliche Beschwerdeverfahren zur Einstellung bringe. Nur wenn sie die Stellungnahmen korrigieren könne, sei eine wirksame Berufsaufsicht durch die Beklagte möglich. Mangels hinreichender Transparenz des Beschwerdeverfahrens bestehe derzeit Raum für einen Ermessensfehlgebrauch durch die Beklagte zu Gunsten ihrer Mitglieder. Zum anderen habe sie nur bei Kenntnis der Stellungnahmen die Möglichkeit, wegen darin enthaltener Schmähungen gerichtlichen Rechtsschutz zu suchen. Es verstoße im Übrigen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, dass Stellungnahmen der Rechtsanwälte anders als die dienstlichen Stellungnahmen der von ihr wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richter nicht den Beschwerdeführern zugeleitet, sondern als Teil der vertraulich zu behandelnden Personalakte verstanden würden.
Die Klägerin beantragt zuletzt wörtlich,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin die anwaltlichen Stellungnahmen des Beigeladenen zu folgenden vor der Beklagten geführten Beschwerdeverfahren zur Kenntnis zu bringen: [€]. Die Art der Kenntniserlangung wird in das Ermessen des Gerichts gestellt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, dass alle im Zusammenhang mit einem Beschwerdeverfahren anfallenden Vorgänge, einschließlich der vom betroffenen Rechtsanwalt eingereichten Stellungnahmen, Bestandteile der Personalakte i. S. v. § 58 BRAO seien. Weil der Begriff der Personalakte materiell zu verstehen sei, komme es nicht darauf an, wie diese Vorgänge verwahrt würden. Die Personalakte unterliege der Verschwiegenheitspflicht nach § 76 BRAO, die auch nicht gegenüber dem Beschwerdeführer durchbrochen sei, wie § 73 Abs. 3 S. 3 BRAO klarstelle. Auf § 116 S. 2 BRAO i. V. m. § 475 StPO könne sich die Klägerin deshalb nicht stützen, weil die Stellungnahmen nicht zu den Akten eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens geworden seien. Der Klägerin stehe auch kein Akteneinsichtsrecht nach § 29 VwVfG zu, weil die Geheimhaltungsverpflichtungen vorrangig seien. Außerdem sei, wenn überhaupt, der Einspruch nach § 73 Abs. 3 i. V. m. § 73 Abs. 2 Nr. 4 BRAO der richtige Rechtsbehelf, um eine Akteneinsicht zu erstreiten. Auch aus dem IFG könne die Klägerin nichts für sich herleiten, da dieses auf die Beklagte nicht anwendbar sei. Sie bestreite nicht, dass sie früher die Stellungnahmen der betroffenen Anwälte an die Beschwerdeführer weitergeleitet habe, wenn die Anwälte nicht ausdrücklich widersprochen hätten. Sie habe diese Praxis jedoch geändert, nachdem sie zu der dargelegten Rechtsauffassung gekommen sei. Nachdem der Bundesgerichtshof im Jahr 2011 festgestellt habe, dass die anwaltlichen Stellungnahmen Teil der Personalakte seien, habe sich etwa auch die hanseatische Rechtanwaltskammer daran gehindert gesehen, ihre bisherige Praxis beizubehalten.
Mit Beschluss vom 02.10.2014 hat das Gericht den betroffenen Rechtsanwalt zum Verfahren beigeladen. Der Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist darauf, dass es der Klägerin hinsichtlich der bereits übermittelten Stellungnahmen am Rechtsschutzbedürfnis, im Übrigen an einer Anspruchsgrundlage fehle. Wie die Beklagte zurecht ausgeführt habe, seien seine Stellungnahmen Teil seiner vertraulich zu behandelnden Personalakte.
Zuletzt hat die Klägerin angeregt, das Verfahren im Hinblick auf eine Eingabe beim Justizministerium des Landes Baden-Württemberg als Rechtsaufsichtsbehörde der Beklagten, ihre noch nicht beschiedenen Beschwerden gegen den Beigeladenen und das alsbald zu erwartende Inkrafttreten eines Informationsfreiheitsgesetzes für das Land Baden-Württemberg auszusetzen. Beklagte und Beigeladener sind dem entgegengetreten.
Auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze wird wegen des weiteren Vorbringens verwiesen.
Gründe
I.
Die Kammer kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierauf verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Für ein Aussetzen des Rechtsstreits nach § 94 VwGO besteht kein Anlass. Selbst wenn man davon ausgeht, dass sowohl die Entscheidung über die Eingabe der Klägerin beim Justizministerium als Aufsichtsbehörde der Beklagten, als auch die Entscheidung der Beklagten über weitere Beschwerden der Klägerin gegen den Beigeladenen im Kern dieselbe Rechtsfrage - nämlich die nach dem Bestehen eines Einsichtsrechts - betreffen, ist nichts dafür ersichtlich, dass es alsbald zu einer für die Klägerin günstigen Änderung der Entscheidungspraxis kommen wird. Die bloße Erwartung der Klägerin genügt nicht, um die Vorgreiflichkeit einer Behördenentscheidung zu begründen (vgl. Schmid, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl., § 94 Rn. 19 w. N.). Gleiches gilt für das mögliche Inkrafttreten eines Informationsfreiheitsgesetzes für das Land Baden-Württemberg, auf das die Klägerin hofft, ihren Anspruch stützen zu können. Die Entscheidungsreife wird durch die vage Aussicht auf zukünftige Gesetzesänderungen nicht berührt, da maßgeblich allein die geltende Rechtslage ist. Der Klägerin ist es unbenommen, nach Inkrafttreten einer neuen Anspruchsgrundlage ihren Anspruch erneut zu verfolgen.
II.
Die Klage ist unzulässig. Zwar ist der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet (1.) und die Klage als Verpflichtungsklage statthaft (2.), der Klägerin fehlt es aber an der Klagebefugnis (3.).
1. Der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten ist gem. § 40 Abs. 1 S. 1 HS. 1 VwGO eröffnet. Insbesondere greift nicht die abdrängende Sonderzuweisung des § 112a BRAO ein. Obgleich vom Wortlaut her erfasst, ergibt die (teleologische) Auslegung, dass Streitigkeiten zwischen Nichtrechtsanwälten und Rechtsanwaltskammern auch dann nicht den Anwaltsgerichten zugewiesen sein sollen, wenn die Nichtrechtsanwälte einen Anspruch aus der BRAO geltend machen (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 16.02.1982 - 9 S 242/80 -, NJW 1982, S. 2011; AnwGH Stuttgart, Beschl. v. 08.01.2008 - AGH 34/07 (I) -, juris, Rn. 4; Deckenbrock, in: Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 112a Rn. 5; Schmidt-Räntsch, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 112a BRAO Rn. 5a). Die Beschränkung der Rechtswegzuweisung auf kammerinterne Streitigkeiten ist ferner den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Anwaltsgerichtsbarkeit als Gerichte für besondere Sachgebiete i. S. d. Art. 101 Abs. 2 GG geschuldet (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.06.1969 - 2 BvR 518/66 -, BVerfGE 26, 186, juris, Rn. 21).
2. Statthafte Rechtsschutzform ist die Verpflichtungsklage. Die statthafte Rechtsschutzform bestimmt sich nach dem Klagebegehren (§ 88 VwGO). Vorliegend erstrebt die Klägerin die Weiterleitung von Stellungnahmen, die der Beigeladene gegenüber der Beklagten in Bezug auf Beschwerden der Klägerin abgegeben hat.
Eine solche Übermittlung wäre - isoliert betrachtet - mangels Regelungsgehalt kein Verwaltungs- sondern ein Realakt und damit tauglicher Gegenstand einer Leistungsklage. Allerdings ist zuvor eine regelnde Entscheidung darüber zu treffen, ob dem Verlangen vor dem Hintergrund der Regelungen des § 58 BRAO und der Verschwiegenheitspflicht aus § 76 BRAO, die gerade auch gegenüber dem Beschwerdeführer gilt (vgl. § 73 Abs. 3 S. 2 BRAO), stattgegeben werden kann. Hierbei handelt es sich, weil das geltend gemachte Informationszugangsrecht nicht einfachgesetzlich geregelt ist, nicht um eine reine Routineentscheidung, sondern eine solche, die eine umfassendere Prüfung voraussetzt. Vor diesem Hintergrund ist nicht nur die den Informationszugang versagende, sondern auch die ihn gewährende Entscheidung eine solche mit Regelungswirkung, mithin ein Verwaltungsakt. (vgl. Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35 Rn. 63 m. w. N.; ferner, ohne nähere Begründung, BGH, Urt. v. 10.03.2014 - AnwZ [Brfg] 67/12 -, juris, Rn. 19; AnwGH Hamm, Beschl. v. 12.04.2013 - 2 AGH 13/12 -, juris, Rn. 13.; VG Hamburg, Gerichtsbesch. v. 06.01.2011 - 15 K 1352/10 -, juris, Rn. 41).
Gem. § 88 VwGO ist das Gericht nicht an die Formulierung des Antrags gebunden, sondern hat das erkennbare Rechtsschutzziel zu würdigen. Im Interesse effektiven Rechtsschutzes ist das Gericht gehalten, das Vorbringen dahingehend auszulegen, dass der in der Sache in Betracht kommenden Rechtsbehelf eingelegt werden sollte (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl., § 88 Rn. 3). Vorliegend kann das Klagebegehren der nicht anwaltlich vertretenen Klägerin dahingehen reformuliert werden, dass sie € unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids und des Widerspruchsbescheids € die Verpflichtung der Beklagten begehrt, eine positive Entscheidung über ihr Gesuch zu treffen.
3. Allerdings fehlt es der Klägerin an der Klagebefugnis (§ 42 Abs. 2 VwGO).
a) Die Sachentscheidungsvoraussetzung der Klagebefugnis bezweckt die Entlastung der Gerichte wie der Beklagten und mittelbar betroffener Dritter vor einer eingehenden Sachprüfung, wenn dies zum Schutz klägerischer Rechte nicht erforderlich ist (Wahl/Schütz, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: 28. Erg.-Lfg., § 42 Rn. 67). Die Klagebefugnis ist zum einen dann nicht gegeben, wenn offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise das vom Kläger behauptete Recht bereits als solches nicht besteht (Kopp/Schenke, a. a. O., § 42 Rn. 66 m. w. N. zur st. Rspr.) oder die Möglichkeit einer Verletzung des Rechts in der Person des Klägers mit gleicher Gewissheit verneint werden muss (Kopp/Schenke, a. a. O., § 42 Rn. 60 f. m. w. N.). Dabei muss die abstrakte Eignung eines Rechtssatzes zur Begründung von subjektiv-öffentlichen Rechten realiter bestehen; nur wenn dies der Fall ist, genügt die Möglichkeit, dass der zur erfolgreichen Subsumtion erforderliche Sachverhalts vorliegt (Kopp/Schenke, a. a. O., § 42 Rn. 66). Unzureichend ist daher die bloße Behauptung, es bestehe ein entsprechendes subjektiv-öffentliches Recht oder dieses sei verletzt worden (vgl. Wahl/Schütz, a. a. O., § 42 Rn. 65).
b) Es existiert kein Rechtssatz, der dem Beschwerdeführer im aufsichtsrechtlichen Verfahren vor der Rechtsanwaltskammer einen Anspruch auf Zugang zu den vom betroffenen Rechtsanwalt abgegebenen Stellungnahmen vermittelt. Ein solcher Anspruch kann weder aus § 116 S. 2 BRAO i. V. m. § 475 StPO (aa.), noch aus § 32 BRAO i. V. m. § 29 VwVfG (bb.) oder aus § 1 Abs. 1 IFG (cc.) hergeleitet werden.
Soweit sich die Klägerin auf die vorherige Verwaltungspraxis der Beklagten bezieht und auf die Bekanntgabe der dienstlichen Stellungnahmen der von ihr abgelehnten Richter vor den Zivilgerichten verweist, existiert zwar mit Art. 3 Abs. 1 GG ein subjektiv-öffentlicher Rechtssatz des Inhalts, dass vergleichbare Sachverhalte nicht willkürlich bzw. nicht ohne hinreichenden sachlichen Grund ungleich behandelt werden dürfen. Eine Verletzung der Klägerin erscheint indes auf Grundlage ihres Vorbringens offensichtlich nach keiner Betrachtungsweise als möglich (dd.).
Schließlich kann dahinstehen, ob sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Anspruch auf Kenntnis vermutlich ehrverletzender Äußerungen ergeben könnte, weil vorliegend hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht dargetan sind (ee.).
aa.) Zwar kann ein potentiell Geschädigter im anwaltsgerichtlichen Verfahren Akteneinsicht nach § 116 S. 2 BRAO i. V. m. § 475 StPO verlangen (vgl. nur Johnigk, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 117b BRAO, Rn. 11 ff.; Dittmann, in: Hessler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., Rn. 7 f.). Allerdings sind die von der Klägerin benannten Stellungnahmen des Beigeladenen nicht Bestandteil der Akten eines anwaltsgerichtlichen Verfahrens gegen diesen. Ein solches wird gem. § 121 BRAO erst durch Einreichung einer Anschuldigungsschrift der Staatsanwaltschaft beim Anwaltsgericht eingeleitet. Beschwerdeverfahren vor der Kammer können zwar zur Anregung eines solchen Schritts führen. Allein deshalb rechnen sie jedoch noch nicht zum anwaltsgerichtlichen Verfahren (vgl. auch Güldenzoph, BRAK-Mitt. 1/2011, S. 4 [6]).
bb.) Gem. § 32 Abs. 1 S. 1 BRAO gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz (des Bundes) für "Verwaltungsverfahren nach diesem Gesetz". Mit dem Begriff des Verwaltungsverfahrens wird auf § 9 VwVfG rekurriert. Die Verweisung greift also nur ein, wenn die vom Beschwerdeführer angestoßene Tätigkeit der Kammer auf die Prüfung der Voraussetzungen für den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet ist. Das ist der Fall, weil das aufsichtsrechtliche Mittel jedenfalls im Fall der Rüge ein Verwaltungsakt ist (vgl. Siegmund, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 32 BRAO, Rn. 19b). Allein der Umstand, dass dieses Mittel vom Organ der Selbstverwaltungskörperschaft gegenüber dem Mitglied erlassen wird, nimmt der Regelung nicht die Außenwirkung (a. A. Güldenzoph, a. a. O., S. 4 [8]). Denn anders als in kommunalverfassungsrechtlichen Rechtsverhältnissen leitet das Mitglied seine Rechte, in die die Rüge eingreift, nicht aus einem öffentlichen Amt ab, sondern bleibt auch im Verhältnis zur Kammer stets Träger eigener, privater Rechte. Es wird also niemals als Teil der öffentlichen Gewalt betroffen, was allein Grund dafür ist, im Kommunalorganstreit eine Außenwirkung zu verneinen (vgl. Windoffer, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 35 Rn. 124; Kopp/Ramsauer, 14. Aufl., VwVfG, § 35 Rn. 144). Das Beschwerdeverfahren mag zwar als "berufsintern" zu qualifizieren sein, ein Internum im Sinne der Lehre vom Sonderstatusverhältnis ist es nicht (a. A. Güldenzoph, a. a. O., S. 4 [8]): Der Vorstand der Rechtsanwaltskammer ist weder Lehrer noch Vorgesetzter des Rechtsanwalts; er weist den Rechtsanwalt nicht an und ist nicht für dessen Handeln verantwortlich. Es gibt daher kein "Betriebsverhältnis" zwischen Mitglied und Kammer bzw. deren Vorstand.
Obgleich das aufsichtsrechtliche Verfahren daher als Verwaltungsverfahren i. S. v. § 9 VwVfG zu qualifizieren ist, greift die Verweisung des § 32 BRAO nicht ein. Denn anders als bei den Verfahren im Zweiten Teils der BRAO, in dem § 32 BRAO steht, handelt es sich um ein Verfahren, für das in §§ 56 f., 74 BRAO spezifische verfahrensrechtliche Regelungen vorliegen, die als € abschließende € Spezialvorschriften denjenigen des VwVfG vorgehen (vgl. Siegmund, a. a. O., § 32 BRAO, Rn. 19b). Diese Sonderstellung zeigt sich nicht zuletzt auch daran, dass mit Blick auf die erteilte Rüge nicht Widerspruch und Anfechtungsklage, sondern Einspruch (§ 73 Abs. 5 BRAO) und Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 74a Abs. 1 BRAO) statthaft sind und verfahrensrechtlich ergänzend die Grundsätze der Beschwerde herangezogen werden (§ 74a Abs. 2 S. 2 BRAO). Erfasst werden von der Verweisung des § 32 Abs. 1 S. 1 BRAO folglich nur bestimmte verwaltungsrechtlichen Vorgänge der Kammer, wie insbesondere Zulassung, Kammerwechsel, Verleihung der Fachanwaltsbezeichnung usw. (Siegmund, a. a. O., § 32 BRAO, Rn. 17).
Und selbst wenn man auch im Zusammenhang mit dem aufsichtsrechtlichen Verfahren im Grundsatz von einer Verweisung auf das VwVfG durch § 32 Abs. 1 S. 1 BRAO ausginge, lägen mit §§ 58, 117b BRAO gegenüber § 29 VwVfG speziellere und abschließende Sonderregelungen für die Einsicht in die Personalakte vor, die Dritte € von der im Beschwerdeverfahren nicht einschlägigen Ausnahme des § 116 S. 2 BRAO i. V. m. § 475 StPO abgesehen € hiervon ausschlössen (Siegmund, a. a. O., § 32 BRAO, Rn. 67; Hartung, in: Henssler/Prütting, BRAO, 4. Aufl., § 74 Rn. 19). Die gesamten Vorgänge eines aufsichtsrechtlichen Verfahrens sind Bestandteil der Personalakte, da hierbei eine materielle Betrachtung zu Grunde zu legen ist (vgl. nur BGH, Beschl. v. 02.03.2011 - AnwZ [B] 50/10 -, Rn. 11; Urt. v. 25.11.2013 - AnwZ [Brfg] 39/12 -, Rn. 5; Hartung, a. a. O., § 74 Rn. 16).
cc.) Der geltend gemachte Anspruch kann auch nicht auf das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes gestützt werden. § 1 Abs. 1 IFG eröffnet den Informationszugang nur gegenüber Bundesbehörden sowie gegenüber Organen und Einrichtungen des Bundes, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Die Beklagte fällt nicht hierunter. Sie ist gem. § 62 BRAO Körperschaft des öffentlichen Rechts und untersteht der Staatsaufsicht der Landesjustizverwaltung. Folglich ist sie weder Behörde noch Organ oder Einrichtung des Bundes.
dd.) Für eine Verletzung der Klägerin in ihrem in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgten Anspruch auf Gleichbehandlung besteht nicht einmal eine entfernte Möglichkeit.
(i.) So kann sich die Klägerin nicht auf die bis zum Jahr 2011 geübte Verwaltungspraxis der Beklagten berufen, um eine rechtswidrige Ungleichbehandlung zu begründen. Zwar ist es mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) unvereinbar, von einer allgemein geübten Verwaltungspraxis ohne hinreichenden Grund zum Nachteil einzelner Betroffener abzuweichen.
Dies gilt jedoch nur, wenn sich diese Verwaltungspraxis innerhalb des geltenden Rechts hält. Eine sachlich nicht gerechtfertigte Verwaltungspraxis vermag keine Ansprüche auf "Gleichheit im Unrecht", d. h. auf Wiederholung einer rechtswidrigen Begünstigung, zu begründen (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 13.12.2013 - 2 B 37/13 -, juris, Rn. 9, und v. 04.04.2013 - 2 B 87.12 -, juris, Rn. 10, jeweils m. w. N.). Die Verwaltung ist nach Art. 20 Abs. 3 GG an die Gesetze gebunden. Sie hat die maßgebliche Rechtslage beim Vollzug zu beachten und kann diese nicht aus eigenem Recht ändern, auch nicht im Wege einer ständigen Praxis (VGH Bad.-Württ., Urt. v. 12.08.2014 - 9 S 1722/13 -, juris, Rn. 117). Wegen der Geheimhaltungsverpflichtung des § 76 BRAO, die € wie § 73 Abs. 3 S. 3 BRAO klarstellt € auch gegenüber dem Beschwerdeführer Geltung beansprucht, kommt eine Offenbarung der anwaltlichen Stellungnahme nur in Betracht, wenn hierfür eine gesetzliche Ermächtigung besteht.
Das ist, wie vorstehend erläutert, nicht der Fall. Ist die Versagung des geltend gemachten Anspruchs danach die einzig rechtmäßige Entscheidung, ist der Gleichbehandlungsanspruch durch eine entsprechende Praxis nicht verletzt.
(ii.) Schließlich verweist die Klägerin ohne Erfolg auf den Umstand, dass ihr die Stellungnahmen des von ihr wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnten Richters am Amtsgericht ... zugeleitet worden sind, während ihr diejenigen des Beigeladen vorenthalten werden. Art. 3 Abs. 1 GG verbietet selbst in seiner stärksten Ausprägung (der sog. "neuen Formel") nur, wesentlich Gleiches ohne hinreichenden, sachlichen Grund ungleich zu behandeln. Bei der Richterablehnung im Zivilprozess handelt es sich jedoch um ein von der Beschwerde bei der Rechtsanwaltskammer wesentlich Verschiedenes. Während der Zivilprozess ein kontradiktorisches Verfahren zur Durchsetzung der subjektiven Rechte der Parteien ist, weshalb diesen rechtliches Gehör zu gewähren ist, handelt es sich bei dem Beschwerdeverfahren vor der Rechtsanwaltskammer um ein ausschließlich im öffentlichen Interesse von Amts wegen durchgeführtes Verfahren (Hartung, a. a. O., § 73, Rn. 38). Personen, die, wie die Klägerin, der Rechtsanwaltskammer Hinweise auf ein mögliches Fehlverhalten eines Anwalts mitteilen, sind daher lediglich Informationsquellen (Lauda, in: Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 2. Aufl., § 73 BRAO, Rn. 45 f.). Die Beschwerde erschöpft sich in dieser Anstoßfunktion. Weil das aufsichtsrechtliche Verfahren nicht zugleich der Durchsetzung und Wahrung individueller Rechte der Beschwerdeführer dient, kommt dem Anzeigenden auch verfahrensrechtlich keine eigene Rechtsposition, insbesondere auch kein rechtliches Gehör, zu. Ist das Beschwerdeverfahren damit erheblich anders ausgestaltet als der Zivilprozess, liegt offensichtlich keine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor, so dass € über die Nichtidentität der für den Vergleich herangezogenen Rechtsträger hinaus € eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes nicht konkret möglich erscheint.
ee.) Ob sich aus dem von der Beklagten gem. Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar zu achtenden, in Art. 2 Abs. 1 GG (i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) wurzelnden allgemeinen Persönlichkeitsrecht gegenüber öffentlichen Stellen ein Recht auf Kenntnisgabe solcher Äußerungen Dritter ableiten lässt, die möglicherweise ehrverletzenden Inhalt haben, kann offen bleiben.
Denn Voraussetzung dafür, dass eine Verletzung eines solchen Rechts möglich erschiene, wären in jedem Falle tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Persönlichkeitsverletzung in den Äußerungen, über die Auskunft begehrt wird. Daran fehlt es hier. Die von der Klägerin beanstandeten Äußerungen des Beigeladenen enthalten keine Persönlichkeitsverletzungen:
(i.) Die Bezeichnung als Pensionärin ist von § 130 Nr. 1 ZPO gedeckt, im Übrigen sachlich offenbar zutreffend und in keiner Weise geeignet, den sozialen Geltungswert der Klägerin herabzusetzen.
(ii.) Die Prozessfähigkeit der Klägerin hat der Beigeladene zum einen als Prozessvertreter in einem zivilrechtlichen Rechtsstreit, zum anderen als Betroffener eines Beschwerdeverfahrens vor der Beklagten in Abrede gestellt. Damit hat er in beiden Fällen zur Verteidigung von (fremden bzw. eigenen) Rechten i. S. d. § 193 StGB gehandelt. Denn aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt eine Privilegierung von Äußerungen, die der Rechtsverteidigung in einem gerichtlichen oder behördlichen Verfahren dienen, soweit die fragliche Äußerung zur Rechtswahrung geeignet und erforderlich sowie der Rechtsgüter- und Pflichtenlage angemessen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.03.2009 - 1 BvR 2650/05 -, juris, Rn. 33 m. w. N.).
Die Rüge der Prozessfähigkeit wurde nicht ohne hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte erhoben. Das Verhalten der Klägerin in den zivilgerichtlichen Verfahren, soweit es sich aus den Gerichtsakten ersehen lässt, lässt es zumindest nachvollziehbar erscheinen, die vom Beigeladenen gezogenen Schlussfolgerungen dem Prozessgericht zu unterbreiten und anzuregen, die Frage der Prozessfähigkeit entsprechend der Prozessordnung zu klären. Auch gegenüber der Beklagten war der Beigeladene frei, sich angesichts der Vielzahl der € erfolglos € gegen ihn mit sich wiederholenden Begründungen erhobenen Beschwerden die Frage der Prozessfähigkeit der Klägerin € und damit der weiteren Sachbehandlung dieser und zukünftiger Beschwerden € in den Raum zu stellen.
Die Ausführungen enthalten auch keine Schmähkritik. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellen auch überzogene oder gar ausfällige Äußerungen nicht ohne Weiteres eine Schmähung dar. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (vgl. wiederum nur BVerfG, Beschl. v. 10.03.2009 - 1 BvR 2650/05 -, juris, Rn. 31). Die aus Sicht der Klägerin sicherlich unangenehmen Wertungen des Beigeladenen beziehen sich in beiden Konstellationen auf das Verhalten der Klägerin in konkreten Rechtsstreitigkeiten, in denen der Beigeladene selbst oder als Rechtsbeistand beteiligt ist. Sie sind mit sachlich gehaltenen Schilderungen untermauert, die keine zur Begründung der vorgebrachten Zweifel an der Prozessfähigkeit der Klägerin nicht erforderlichen Bloßstellungen oder Verächtlichmachungen enthalten. Dabei ist auch zu bedenken, dass es sich um Äußerungen handelt, die lediglich zwischen den am jeweiligen Verfahren Beteiligten gewechselt werden, es sich also um Äußerungen im "Kampf um das Recht" handelt, bei denen besonders großzügige Maßstäbe anzulegen sind (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 10.03.2009 - 1 BvR 2650/05 -, juris, Rn. 31).
(iii.) Sind mithin keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Stellungnahmen des Beigeladenen Äußerungen enthalten, die die Klägerin in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzen könnten, ist nicht einmal die entfernte Möglichkeit gegeben, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kenntnisverschaffung aus Art. 2 Abs. 1 (i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) - so er denn überhaupt anzuerkennen ist - im konkreten Fall gegeben sind. Auch aus dem Gesichtspunkt des Ehrschutzes kann die Klägerin folglich keine Klagebefugnis für sich herleiten.
4. Ist nach alledem eine Klagebefugnis der Klägerin nicht zu erkennen, kann offenbleiben, ob hinsichtlich der während des laufenden Klageverfahrens in den Klageantrag aufgenommenen Stellungnahmen zu den Beschwerden ... und YYY die Unzulässigkeit der Klage (auch) daraus folgt, dass ein Vorverfahren nicht durchgeführt worden ist. Gleiches gilt für die Frage, ob die Versagung der Einsicht hinsichtlich der vor Erlass des Bescheides vom 07.02.2011 eingereichten Stellungnahmen bereits deshalb bestandskräftig geworden ist, weil die Klägerin diesen Bescheid nicht angefochten hat.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, der Klägerin auch die Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, weil dieser einen Antrag gestellt und damit selbst ein Kostenrisiko eingegangen ist.
Die Kammer sieht gemäß § 167 Abs. 2 VwGO davon ab, die Entscheidung hinsichtlich der Kosten für vorläufig vollstreckbar zu erklären.
Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO, aus denen die Berufung vom Verwaltungsgericht zuzulassen wäre, sind nicht gegeben.
Beschluss
Der Streitwert für das Verfahren wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf
5.000,- Euro
festgesetzt.
Wegen der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 GKG verwiesen.
VG Freiburg:
Urteil v. 16.09.2015
Az: 7 K 942/14
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