Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 26. August 2010
Aktenzeichen: L 6 AS 1301/10 B
(LSG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 26.08.2010, Az.: L 6 AS 1301/10 B)
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 11.06.2010 geändert. Der Klägerin wird Rechtsanwalt L zu ihrer Vertretung beigeordnet.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt in dem zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Duisburg höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Für das erstinstanzliche Klageverfahren ist ihr mit Beschluss des SG vom 29.10.2009 Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt T gewährt worden. Mit Schreiben vom 17.12.2009 schrieb die Klägerin an ihren Bevollmächtigten:
"( ...) Erst vor Kurzem wurde mir bekannt, dass PKH gewährt wurde. Wären Sie bereit, den Fall an den Rechtsanwalt L in E abzutreten€ Ihnen sind die ARGE-Sachen ja nicht so angenehm und (Sie) vielleicht ganz froh, wenn sich ein Fachanwalt mit dem "Hartz-Dschungel" auseinandersetzt. ( ...)"
Mit weiterem an den Rechtsanwalt gerichteten Schreiben vom 22.12.2009 führte sie aus:
"Meines Wissens ist nur noch der Arge-Rechtsfall anhängig, für den bereits PKH gewährt wurde. Von anderen Fällen ist mir nichts bekannt. Sollten dennoch andere Arge-Fälle offenstehen, dann wäre es am Besten, wenn Sie diese gleich mitabgäben, sofern mir dabei keine Kosten entstehen. Wie ja auch in Ihrer Kanzlei besprochen, sind die Hartz-Gesetze das reinste Dschungelbuch und mit dem bewährten BSHG nicht zu vergleichen. Der Anwaltswechsel richtet sich nicht gegen Sie, es geht nur um den anwaltlichen Schwerpunktsbereich. ( ...)"
Rechtsanwalt T kündigte im Folgenden das Mandatsverhältnis und zeigte dem Sozialgericht dessen Beendigung an. Das Mandatsverhältnis sei einvernehmlich beendet. Es bestehe kein Vertrauensverhältnis mehr. Die Klägerin halte ihn offenkundig nicht für hinreichend kompetent, ihre Sache angemessen zu vertreten. Zugleich sei sie der (wenn auch unzutreffenden) Meinung, er habe grundsätzlich an Sachen der vorliegenden Art kein Interesse. Eine sinnvolle Zusammenarbeit scheine bei diesen Vorgaben nicht möglich zu sein.
Die Klägerin wendete sich mit Schreiben vom 31.03.2010 erneut an ihren Bevollmächtigten und schrieb:
"Es scheint ein Missverständnis bezüglich unserer Zusammenarbeit zu geben. Leider hatten Sie mir nicht mitgeteilt, dass sie die Klagen begründet und daraufhin auch PKH gewährt bekommen haben. Ich hätte dann selbstverständlich keinen anderen Anwalt beauftragt. Da Sie mich in Ihrem Schreiben zitieren, so möchte ich doch den humorvollen Aspekt hervorheben, der, wie ich dachte, in der umgangssprachlichen Wortwahl wie z.B. "Hartz-Dschungel" zum Ausdruck kommt. Es sollte keinesfalls Ihre Kompetenz in Frage stellen, die Sie ja auch bewiesen haben, als Ihnen PKH zuerkannt wurde. Ich musste leider schon öfters die Erfahrung machen, dass Anwälte über die kompliziert liegenden Hartz-IV-Fälle alles andere als erfreut sind. Ich schlage deshalb vor, dass Sie die beiden Fälle weiterbearbeiten."
Am 20.05.2010 beantragte Rechtsanwalt T die Entpflichtung der Beiordnung.
Das SG hat mit Beschluss vom 11.06.2010 die Beiordnung von Rechtsanwalt T aufgehoben und die Beiordnung von Rechtsanwalt L abgelehnt. Zur Begründung hat es angeführt, dass die Beiordnung nach § 48 Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) aufgehoben werden könne, wenn hierfür ein wichtiger Grund vorliege. Als solcher sei eine wie hier vorliegende Störung des Vertrauensverhältnisses anzusehen. Eine Änderung der Beiordnung setze voraus, dass keine Mehrkosten für die Staatskasse entstünden oder der Kläger auch dann, wenn er die Kosten selbst tragen müsste, vernünftigerweise einen anderen Anwalt beauftragen würde. Ein Anspruch auf Beiordnung eines anderen Anwalts bestehe danach nicht, wenn das Vertrauensverhältnis zu dem beigeordneten Rechtsanwalt durch sachlich nicht gerechtfertigtes und mutwilliges Verhalten der Partei zerstört worden sei. Dies sei hier der Fall. Aufgrund der Schreiben der Klägerin habe der ihr beigeordnete Rechtsanwalt T zu Recht davon ausgehen können, dass die Klägerin seine Kompetenzen sowie sein Interesse an der Bearbeitung der Streitigkeit in Frage stellen wollte. Eine solche Einschätzung stehe einer vertrauensvollen Zusammenarbeit entgegen.
Gegen den ihr am 30.06.2010 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 15.07.2010 Beschwerde erhoben und die Beiordnung von Rechtsanwalt L beantragt. Das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt T könne nicht als "derart gestört" bezeichnet werden, wenn es dazu nicht den geringsten Anlass gegeben habe. Ihre freundlichhumorvolle Ausdrucksweise als Argument hierfür heranzuziehen, halte sie für übertrieben. Hätte sie Kenntnis über die Klagebegründung und den PKH-Beschluss gehabt, hätte sie keinen anderen Anwalt beauftragt. Ihr würden immer wieder - polizeibekannt - Schriftsachen aus ihrem Briefkasten entwendet. Nachdem alle ihre Versuche, Rechtsanwalt T zur Fortsetzung des Mandats zu bewegen, gescheitert seien und ihr Verhalten keinen Anlass zu seiner Haltung gegeben habe, halte sie es nicht für gerechtfertigt, dass Rechtsanwalt T die Prozesskostenhilfe einbehalte, obwohl er das Mandat nicht fortführe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese sind Gegenstand der Beratung gewesen.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Beiordnung von Rechtsanwalt L. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts hat sie die - nunmehr rechtskräftige - Entpflichtung von Rechtsanwalt T nicht durch unsachliches oder mutwilliges Verhalten herbeigeführt. Die Äußerungen in den an Rechtsanwalt T gerichteten Schreiben stellten keinen wichtigen Grund für die Beendigung des Mandats dar, denn sie waren nicht geeignet, diesen annehmen zu lassen, das Vertrauensverhältnis zur Klägerin sei tiefgreifend gestört und eine weitere Zusammenarbeit nicht möglich.
Wendet sich ein Kläger mit dem Antrag an seinen beigeordneten Anwalt, den Fall an einen anderen Bevollmächtigten abzugeben, so ist diese Anfrage allein nicht geeignet, das Vertrauen in die Zusammenarbeit zu erschüttern. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Mandant nicht zum Ausdruck bringt, dass er das Mandat in jedem Falle kündigen will, sondern wenn seine Anfrage lediglich dazu dient, in Erfahrung zu bringen, ob ein solcher Anwaltswechsel - ohne Zusatzkosten - durchführbar ist. Nichts anderes aber ergibt sich aus den Schreiben der Klägerin. Diese hat bei Rechtsanwalt T (höflich) angefragt, ob er bereit sei, den Fall abzutreten und darüber hinaus zum Ausdruck gebracht, dass sie einen Anwaltswechsel nur wünsche, wenn ihr dadurch keine Kosten entstünden.
Auch soweit die Klägerin - möglicherweise fälschlich - angenommen hat, dass Rechtsanwalt T "die ARGE-Sachen nicht so angenehm seien und er vielleicht ganz froh, wenn sich ein Fachanwalt mit dem "Hartz-Dschungel" auseinandersetze", genügt dies nicht, um von einer gravierenden Störung des Vertrauensverhältnisses auszugehen. Die Klägerin hat damit nicht - wie von Rechtsanwalt T angenommen - seine Kompetenz und sein Interesse an der Bearbeitung der Angelegenheit unüberwindbar in Frage gestellt. Vielmehr hat die Klägerin lediglich ihre diesbezügliche Sorge geäußert, die wohl auf Gesprächen in der Kanzlei und dem Umstand beruhte, dass sie - wegen Problemen mit ihrem Briefkasten - erst spät Kenntnis von der bis dahin entfalteten Tätigkeit ihres Anwalts erlangt hat. Es hätte dem beigeordneten Rechtsanwalt oblegen, der erstmalig geäußerten Sorge der Klägerin entgegenzutreten und die aufgetretenen Missverständnisse hinsichtlich seines Interesse an der Bearbeitung des Falles auszuräumen. Da die Klägerin in ihren Schreiben ausdrücklich betont hat, dass sich der Anwaltswechsel nicht gegen Rechtsanwalt T richte, sondern es ihr nur um den anwaltlichen Schwerpunktsbereich gehe, wäre es dem Anwalt offenkundig möglich gewesen, die Sorge der Klägerin durch Hinweis auf bisherige Erfahrungen im Tätigkeitsbereich des SGB II zu zerstreuen.
Auch nach Beendigung des Mandats durch Rechtsanwalt T hat sich die Klägerin im Weiteren zunächst bemüht, diesen zur Fortführung der Vertretung zu bewegen und ausdrücklich betont, dass sie seine Kompetenz nicht in Frage stelle und von ihrer Seite einer Zusammenarbeit nichts im Wege stehe. Da Rechtsanwalt T bei seiner Auffassung geblieben ist, ist der von der Klägerin anschließend beantragte Anwaltswechsel sachlich gerechtfertigt. Auch ein verständiger Prozessbeteiligter, der den Prozess auf eigene Kosten führen müsste, wäre im Hinblick auf die Weigerung des bisherigen Anwalts, das Mandat fortzuführen, genötigt gewesen, einen anderen Anwalt zu beauftragen. Ob und in welchem Umfang Rechtsanwalt T, der das Mandatsverhältnis ohne einen wichtigen Grund i.S.v. § 48 Bundesrechtsanwaltsordnung gekündigt hat, Gebühren für seine bisherige Tätigkeit im Verfahren geltend machen kann, wird im Lichte von § 54 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und § 628 Bürgerliches Gesetzbuch zu prüfen sein.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73 a Abs. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).
Die Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
LSG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 26.08.2010
Az: L 6 AS 1301/10 B
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