Verwaltungsgericht Köln:
Urteil vom 11. Juli 2003
Aktenzeichen: 11 K 2220/02

(VG Köln: Urteil v. 11.07.2003, Az.: 11 K 2220/02)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.

Tatbestand

Die Beklagte erließ am 14. Juni 2000 gegenüber der Klägerin auf der Grundlage

des § 3 Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung (TKLGebV a.F.) vom

28. Juli 1997 (BGBl. I S. 1936) einen Lizenzgebührenbescheid in Höhe von

10.600.000,- DM (5.419.693,94 EUR) für die Erteilung einer Lizenz der Klasse 3.

Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.

Durch Urteile vom 19. September 2001 (Az.: 6 C 13/00 u.a.) hob das

Bundesverwaltungsgericht mehrere fristgerecht angefochtene

Lizenzgebührenbescheide für Lizenzen der Klassen 3 und 4 auf, da die

Lizenzgebührenverordnung von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nicht

gedeckt und damit nichtig sei.

Die Klägerin stellte daraufhin bei der Beklagten unter dem 19. Dezember 2001

einen Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Aufhebung des

Lizenzgebührenbescheides sowie auf Rückerstattung der gezahlten Lizenzgebühren.

Diesen Anspruch verfolgt sie nunmehr mit ihrer am 21. März 2002 erhobenen Klage

weiter.

Die Beklagte hörte die Klägerin während des laufenden Gerichtsverfahrens mit

Schreiben vom 20. August 2002 an. Entsprechend der Aufforderung der Beklagten

nahm die Klägerin mit Schreiben vom 25. Oktober 2002 und vom 28. November

2002 u.a. zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen Stellung. Die Beklagte lehnte den

Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 2. April 2003 ab.

Zur Begründung der Klage wird von der Klägerin sowie von anderen Klägerinnen

in Parallelverfahren ausgeführt, dass ein Anspruch auf Aufhebung des

Lizenzgebührenbescheides sowie auf Rückerstattung der gezahlten Lizenzgebühren

bestehe. Die Klägerin könne ein Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51

Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) verlangen, da durch die Entscheidung des

Bundesverwaltungsgerichts eine Änderung der Rechtslage eingetreten sei.

Zumindest stehe ihr aber ein Anspruch auf Rücknahme der

Lizenzgebührenbescheide aus § 48 VwVfG zu, da das Rücknahmeermessen der

Beklagten auf Null reduziert sei. Das ergebe sich zunächst aus den in §§ 1 und 2

Telekommunikationsgesetz (TKG) normierten Wertungen des Telekommu-

nikationsrechts, das nach seiner Zielsetzung gerade den Wettbewerb ermöglichen

und fördern solle. Nur durch eine Rückerstattung der gezahlten Lizenzgebühren

könne angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung auf dem

Telekommunikationsmarkt eine unterschiedliche Behandlung der Unternehmen und

damit eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung verhindert werden. Des Weiteren

ergebe sich eine Ermessensreduzierung auf Null aus den Vorgaben des

Europäischen Gemeinschaftsrechts. Die Lizenzgebührenerhebung sei mit Art. 11 der

Richtlinie 97/13/EG unvereinbar und verstoße somit gegen die

gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsordnung. In der Rechtsprechung zum

Beihilfenrecht sei anerkannt, dass das nationale Recht so angewendet werden

müsse, dass Ziele und Vorgaben des europäischen Rechts durchgesetzt werden

könnten; sei dies nicht möglich, gebiete der Grundsatz der praktischen Wirksamkeit

des Gemeinschaftsrechts den Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts. Dies

lasse sich auf das Telekommunikationsrecht übertragen, da sich nur durch

Rücknahme und Erstattung der gezahlten Lizenzgebühren die

gemeinschaftsrechtliche Wettbewerbsordnung durchsetzen lasse. Zudem ergebe

sich eine Ermessensreduzierung auf Null aus dem Grundsatz der Selbstbindung der

Verwaltung. Die Beklagte differenziere bei der Rückerstattung von Lizenzgebühren

danach, ob eine Klagevermeidungsvereinbarung abgeschlossen worden sei. Dies

stelle hier ausnahmsweise jedoch kein sachliches Differenzierungskriterium dar, da

die Beklagte in jüngerer Zeit - nach den ersten Erkenntnissen des

Verwaltungsgerichts Köln - mehreren Lizenznehmern von sich aus Klage-

vermeidungsvereinbarungen angeboten habe, während andere Unternehmen den

risikoreicheren Weg einer Klage hätten gehen müssen. Im Übrigen habe die

Beklagte in Einzelfällen Bescheide auch ohne Klage oder

Klagevermeidungsvereinbarung aufgehoben. Ferner spreche für eine

Ermessensreduzierung auf Null, dass ohne Aufhebung der angefochtenen

Lizenzgebührenbescheide schlechthin unerträgliche Folgen für die Klägerin

einträten. Die Beklagte habe schließlich gegen Treu und Glauben verstoßen, da sie

aufgrund der erheblichen Bedenken gegen die Wirksamkeit der Bescheide die

Einziehung der Lizenzgebühren hätte aussetzen oder die Bescheide unter einen ent-

sprechenden Vorbehalt hätte stellen müssen. Zumindest wiesen die Bescheide, mit

denen ein Wiederaufgreifen abgelehnt worden sei, Ermessensfehler auf. Es stelle

keinen entscheidungserheblichen Belang dar, aus welchen Gründen die Klägerin

keinen Primärrechtsschutz in Anspruch genommen habe; sie habe auf die

Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns vertrauen dürfen. Die Rechtswidrigkeit der

Bescheide sei erstmals durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom

19. September 2001 festgestellt worden und nunmehr offensichtlich. Die Beklagte sei

ferner ermessensfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Klägerin durch die

geleisteten Zahlungen nicht in erheblichem Umfang belastet sei. Ein

unverhältnismäßig hoher Verwaltungsaufwand bei der Rückerstattung sei angesichts

einer Zahl von 500 bis 600 Lizenzen nicht ersichtlich. Das fiskalische Interesse an

der Einbehaltung der Lizenzgebühren sei nicht schutzwürdig.

Des Weiteren folge ein Anspruch auf Rückerstattung der gezahlten Gebühren aus

§ 21 Abs. 1, 2. Halbsatz VwKostG, da das der Beklagten insofern zustehende

Ermessen ebenfalls auf Null reduziert sei.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.04.2003 zu

verpflichten, den Lizenzgebührenbescheid der Beklagten,

2. Aktenzeichen 000-0- 0 0000/00000000, vom 14.06.2000

(Kassenzeichen 000 00 000000 0) über DM 10.600.000,00 bzw.

EUR 5.419.693,94 für die Zuteilung der Lizenz Klasse 3, Nr. 00 00 0000,

aufzuheben,

hilfsweise,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.04.2003 zu verpflich-

ten, den Antrag der Klägerin auf Rücknahme des

Lizenzgebührenbescheides der Beklagten, Aktenzeichen 000-0- 0

0000/00000000, vom 14.06.2000 (Kassenzeichen 000 00 000000 0) über

DM 10.600.000,00 bzw. EUR 5.419.693,94 für die Zuteilung der Lizenz

Klasse 3, Nr. 00 00 0000, unter Beachtung der Rechtsauffassung des

Gerichts zu bescheiden.

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 5.419.693,94 nebst Zinsen

in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Dis-

kontüberleitungsgesetzes vom 09.06.1998 seit dem 13.07.2000 zu zahlen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 5.419.693,94 nebst Zinsen

in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Dis-

kontüberleitungsgesetzes vom 09.06.1998 seit dem 19.12.2000 zu zahlen,

hilfsweise,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 5.419.693,94 nebst Zinsen

in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Dis-

kontüberleitungsgesetzes vom 09.06.1998 seit Rechtshängigkeit der Klage

zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie vertritt in dem angefochtenen Bescheid die Ansicht, dass ein Anspruch auf

Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG mangels

Änderung der Rechtslage ausscheide. Ein Anspruch auf Rücknahme der

Erstbescheide gemäß § 48 Abs. 1 VwVfG bestehe ebenfalls nicht. Die

Ermessensentscheidung sei weder durch deutsches Verwaltungsrecht noch durch

Gemeinschaftsrecht in dem Sinne eingeschränkt, dass nur die vollständige

Rücknahme des Bescheides Ergebnis einer fehlerfreien Ausübung des

pflichtgemäßen Ermessens sein könne. Der Programmsatz des § 1 TKG sei in der

Ermessensabwägung nicht berücksichtigungsfähig. Durch die Verweigerung der

Erstattung trete keine Wettbewerbsverzerrung ein. Eine Erstattung der Gebühren sei

ferner nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG geboten, da die Beklagte Erstattungen nur in den

Fällen vorgenommen habe, in denen die Lizenzgebührenbescheide erfolgreich

angefochten oder entsprechende Klagevermeidungsvereinbarungen abgeschlossen

worden seien; ferner seien diejenigen Bescheide aufgehoben worden, die im

Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht

bestandskräftig gewesen seien. In den Fällen, in denen Bescheide versehentlich

aufgehoben worden seien, sei zwischenzeitlich ein Rücknahmebescheid erlassen

worden. Schließlich habe die Gebührenerhebung zwar gegen sekundäres

Gemeinschaftsrecht verstoßen; es sei aber nicht ersichtlich, dass durch die

Aufrechterhaltung des Erstbescheides das Gemeinschaftsrecht in seiner Wirksamkeit

beeinträchtigt werde. Gegen eine Rücknahme sprächen die eingetretene

Bestandskraft und die durch sie geschützten öffentlichen Interessen sowie die

sorgfaltswidrige Versäumung des Primärrechtsschutzes durch die Klägerin. Das

Rechtsprinzip der Einzelfallgerechtigkeit trete zurück, weil die festgestellten

finanziellen Belastungen einen berücksichtigungspflichtigen, aber klar nachrangigen

Belang bildeten. Schließlich bestehe auch kein Anspruch auf Erstattung der Gebühr

nach § 21 Abs. 1, 2. Halbsatz VwKostG, da weder sachliche noch persönliche

Billigkeitsgründe vorlägen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt

der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge

verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren

Rechten. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erstattung der Lizenzgebühren

noch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens (§ 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsge-

richtsordnung - VwGO -).

Die Klägerin hat zunächst keinen Anspruch auf Rückerstattung der

Lizenzgebühren aus einem öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruch, da der

bestandskräftig gewordene Gebührenbescheid einen Rechtsgrund für die Zahlung

bildet. Dieser Rechtsgrund ist auch nicht deshalb entfallen, weil die Klägerin einen

Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und auf Aufhebung des

rechtswidrigen Gebührenbescheides hat.

Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG für einen Anspruch der

Klägerin auf ein Wiederaufgreifen des bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens

liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift hat die Behörde auf Antrag des Betroffenen

über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu

entscheiden, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder

Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Eine derartige

Änderung der Rechtslage ist durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts

vom 19. September 2001 nicht eingetreten. Verwaltungsbehörden sind nicht

verpflichtet, ein durch unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakt abgeschlossenes

Verfahren deshalb wieder aufzugreifen, weil sich der unanfechtbar gewordene

Verwaltungsakt nachträglich aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung als

rechtswidrig erweist; die Änderung der Rechtsprechung ist keine Änderung der

Rechtslage.

Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 25. Mai 1981 - 8 B

89, 93/80 -, NJW 1981, S. 2595, st. Rspr.

Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens

im Ermessenswege gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, da eine

Ermessensreduzierung auf Null nicht vorliegt.

Eine solche ergibt sich zunächst nicht aus dem Sinn und Zweck des TKG.

Gemäß § 1 TKG ist es Zweck des Gesetzes, durch Regulierung im Bereich der

Telekommunikation den Wettbewerb zu fördern und flächendeckend angemessene

und ausreichende Dienstleistungen zu gewährleisten sowie eine Frequenzordnung

festzulegen. Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 TKG ist Ziel der Regulierung die Sicherstellung

eines chancengleichen und funktionsfähigen Wettbewerbs auf den Märkten der

Telekommunikation.

Entgegen der Auffassung der Klägerin lässt sich hieraus keine

Ermessensreduzierung auf Null ableiten. Dagegen spricht bereits, dass sich aus der

Zielsetzung des TKG nicht ohne Weiteres Folgerungen für die Gebührenerhebung

und -rückzahlung ableiten lassen. Denn das Gebot der Wettbewerbsförderung soll

nach der Konzeption des Telekommunikationsgesetzes durch die Regulierung

verwirklicht werden, nicht aber durch die Gestaltung der Lizenzgebühren, die sich

ausdrücklich allein am Kostendeckungsprinzip orientieren.

Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW),

Beschluss vom 27. Oktober 1999 - 13 B 843/99 -, MMR 2000, S. 115 f.

Darüber hinaus sind weder die Chancengleichheit noch der funktionsfähige

Wettbewerb durch die Aufrechterhaltung der Lizenzgebührenbescheide gefährdet.

Das Gebot der Chancengleichheit ist gerade nicht mit dem in Art. 3 GG verankerten

Gleichbehandlungsgrundsatz identisch, sondern meint die Angleichung der

tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Teilnahme am Wettbewerb.

Derartig vergleichbare Ausgangsbedingungen lagen hinsichtlich der Lizenzgebühren

vor, da allen Lizenznehmern bei Erlass der Bescheide dieselben

Rechtsschutzmöglichkeiten offenstanden. Ob diese wahrgenommen wurden, ist

keine Frage der Chancengleichheit, sondern eine an wirtschaftlichen Erwägungen

ausgerichtete autonome Entscheidung des jeweiligen Lizenznehmers, bei der im

Übrigen auch das Verhalten der Wettbewerber berücksichtigt werden musste. Die

Aufrechterhaltung der Bescheide gefährdet daher nicht die Funktionsfähigkeit des

Wettbewerbs, sondern trägt gerade umgekehrt dem Umstand Rechnung, dass einige

Lizenznehmer unter Inkaufnahme eines erheblichen Prozesskostenrisikos die

Bescheide angefochten haben, während andere dies - aus welchen Gründen auch

immer - unterlassen haben.

Europarechtliche Grundsätze reduzieren das Ermessen ebenfalls nicht auf Null.

Die Erwägungen, die im Falle rechtswidriger staatlicher Beihilfen im Interesse der

Wahrung der Wettbewerbsordnung dazu führen, dass dem öffentlichen

Rücknahmeinteresse ein größeres Gewicht zukommt als dem privaten

Vertrauensschutzinteresse des Begünstigten,

vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 17. Februar 1993 - 11 C 47/92 -, BVerwGE

92, S. 81 ff. = NJW 1993, S. 2764 ff.,

sind auf den Fall der Wiederaufnahme bestandskräftiger rechtswidriger

Verwaltungsakte nicht übertragbar. Denn die Festsetzung von angemessenen

Ausschlussfristen für die Rechtsverfolgung im abgabenrechtlichen Bereich ist kein

Problem des Vertrauensschutzes, sondern ein Anwendungsfall des grundlegenden

Prinzips der Rechtssicherheit. Es ist insofern in der Rechtsprechung geklärt, dass

das Gemeinschaftsrecht es nicht verbietet, einem Bürger, der vor einem

innerstaatlichen Gericht die abgabenrechtliche Entscheidung einer innerstaatlichen

Stelle wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht anficht, den Ablauf der im

innerstaatlichen Recht vorgesehenen Fristen für die Rechtsverfolgung entgegen-

zuhalten.

EuGH, Urteil vom 16. Dezember 1976 - 33/76 -, Juris-Dok.Nr. 676J0033;

BVerwG, Urteil vom 26. August 1977 - VII C 71.74 -, NJW 1978, S. 508.

Wer das Risiko eines Prozesses scheut oder einen Verwaltungsakt annimmt,

kann daher - auch bei Verstößen gegen europäisches Recht - nicht verlangen,

demjenigen gleichgestellt zu werden, der fristgemäß von seinen prozessualen

Rechten Gebrauch gemacht hat.

BVerwG, Urteil vom 26. August 1977, a.a.O.

Eine Ermessensreduzierung auf Null folgt ferner nicht aus einer Selbstbindung

der Beklagten. Die Beklagte hat ihre Entscheidung über die Rückerstattung von

Lizenzgebühren an sachgerechten Kriterien ausgerichtet und es ist weder dargelegt

noch ersichtlich, dass es in Fällen der vorliegenden Art abweichend von diesen

Kriterien zu einem Wiederaufgreifen gekommen ist.

Die Beklagte hat lediglich solche Bescheide aufgehoben, die im Zeitpunkt der

Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht bestandskräftig waren oder

die Gegenstand einer Klagevermeidungs- oder Gleichbehandlungsvereinbarung

gewesen sind. Beides ist unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten nicht zu

beanstanden. Im Falle der nicht bestandskräftig gewordenen Bescheide stellt sich

die Frage des Wiederaufgreifens nicht, so dass keine Ungleichbehandlung mit der

hier zu beurteilenden Fallkonstellation gegeben ist. Auch der Abschluss von

Klagevermeidungs- oder Gleichbehandlungsvereinbarungen stellt ein sachliches

Differenzierungskriterium dar. Denn wenn mehrere gleichgelagerte Prozesse

vorliegen, ist es - vor allem im Hinblick auf die entstehenden Prozesskosten - im

wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten, Vereinbarungen zur Vermeidung von

Rechtsstreiten zu treffen und die strittigen Rechtsfragen lediglich in einem oder

einigen wenigen Klageverfahren klären zu lassen; wer dagegen einen

Gebührenbescheid bestandskräftig werden lässt, kann hieraus später keine

Rücknahmeverpflichtung der Behörde wegen in anderen Fällen getroffener

Vereinbarungen herleiten.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2003 - 9 B 756/03 -.

Soweit in einzelnen Fällen Bescheide versehentlich aufgehoben worden sind, hat

die Beklagte die Aufhebungsbescheide ausnahmslos zurückgenommen.

Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte abweichend von den genannten Kriterien

Lizenzgebührenbescheide aufgehoben hat, liegen nicht vor; aufgehobene

Bescheide, die nicht unter eine der Kategorien fallen, sind von der Klägerin auch

nicht benannt worden. In dem in der mündlichen Verhandlung erörterten Verfahren

11 K 8147/98 lag der Aufhebung des Bescheides eine Gleichbehandlungszusage

zugrunde, die im Hinblick auf die Umstände der versehentlichen Klagerücknahme

und eines etwaigen Antrages auf Fortsetzung des Verfahrens zur Vermeidung eines

weiteren Prozesskostenrisikos ebenfalls sachgerecht war.

Schließlich ist ein Wiederaufgreifen des Verfahrens auch nicht deswegen

geboten, weil ein Aufrechterhalten des Verwaltungsaktes schlechthin unerträglich

wäre oder weil Umstände vorgelegen hätten, die ein Festhalten am Verwaltungsakt

als Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen ließen.

Die Höhe der Lizenzgebühren stellt keine derart unerträgliche Folge dar. Zwar mag

es zutreffen, dass nach heutiger Rechtslage Lizenzgebühren nur in einem deutlich

geringeren Umfang erhoben werden können.

Gemäß § 2 Abs. 3 Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung

(TLGebV n.F.) vom 9. September 2002 beträgt die Gebühr für Lizenzen der

Lizenzklasse drei oder vier 4.260,- EUR; sie kann bis auf 1.000 EUR ermäßigt

werden.

Die Höhe des Gebührenbescheides war der Klägerin jedoch bereits bei dessen

Erlass bekannt und konnte daher bei der Entscheidung über eine mögliche

Anfechtung des Bescheides berücksichtigt werden. Das Missverhältnis zwischen den

von der Klägerin gezahlten Gebühren und den nunmehr erhobenen Gebühren ist

daher lediglich Folge des unterlassenen Primärrechtsschutzes und begründet für

sich genommen keine schlechthin unerträglichen Folgen.

Ebensowenig ergeben sich unerträgliche Folgen aufgrund der schlechten

wirtschaftlichen Lage auf dem Telekommunikationsmarkt und den damit

verbundenen Belastungen der Klägerin. Insofern handelt es sich um Umstände, die

bereits bei der Entscheidung über die Beantragung der Lizenz im Rahmen einer

wirtschaftlichen Prognoseentscheidung zu berücksichtigen waren; einzubeziehen

war dabei insbesondere die Frage, ob die Lizenzen wirtschaftlich überhaupt rentabel

sind, ob also die entstehenden Kosten auf die Kunden umgelegt werden können.

Sofern sich diese Prognose aufgrund der Veränderungen auf dem

Telekommunikationsmarkt nicht als zutreffend erwiesen hat, stellt dies keine mit der

Gebührenerhebung verbundene Härte dar, sondern es realisiert sich hierin nur das

mit einer Fehleinschätzung des Marktes verbundene normale unternehmerische

Risiko.

Die nunmehr geltend gemachte "offensichtliche" Rechtswidrigkeit des

Lizenzgebührenbescheides begründet für sich genommen ebenfalls keinen Anspruch

auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens; sie ist vielmehr lediglich eine

Voraussetzung für die Ermessensentscheidung der Behörde. Dem Grundsatz der

materiellen Gerechtigkeit kommt nämlich prinzipiell kein größeres Gewicht zu als

dem Grundsatz der Rechtssicherheit, wenn dem anzuwendenden Recht nicht

ausnahmsweise eine ausdrückliche andere gesetzliche Wertung zu entnehmen ist,

st. Rspr., vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 22. Oktober 1984 - 8 B 56/84 -,

NVwZ 1985, S. 265; OVG NRW, Beschluss vom 30. April 2003 - 9 B 756/03 -,

was - wie oben dargelegt - im TKG nicht der Fall ist.

Fehler im Ermessensgebrauch der Beklagten lassen sich ebenfalls nicht

feststellen. Ein Wiederaufgreifensantrag gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1

VwVfG vermittelt einen Anspruch auf sachgerechte Ermessensentscheidung der

Behörde darüber, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Verwaltungsverfahren

wieder neu eröffnet wird. Die sachliche Entscheidung der Beklagten, das

bestandskräftig abgeschlossene Verfahren nicht wiederaufzugreifen, ist jedoch nicht

ermessensfehlerhaft.

Es kann dahinstehen, ob die wirtschaftliche Belastung der Klägerin durch den

Lizenzgebührenbescheid, die die Beklagte durch ihre Anhörungsschreiben zu

ermitteln versucht hat, bei der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden durfte

oder ob nicht vielmehr eine solche an wirtschaftlichen Umständen orientierte

Entscheidung dem Ziel der Wettbewerbsregulierung widerspräche und zu einer

Wettbewerbsverzerrung |führen könnte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass gerade

eine Erstattung aller Lizenzgebühren zu einer - gemeinschaftsrechtlich unzulässigen

- staatlichen Beihilfe führen würde.

Denn diese Erwägungen sind für die von der Beklagten getroffene Entscheidung

nicht ursächlich geworden. Wie sie in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat,

beruht ihre Entscheidung vielmehr tragend darauf, dass die Bestandskraft der

Gebührenbescheide und der unterlassene Primärrechtsschutz überwogen und

entgegenstehende Individualgründe nicht erkennbar waren. Diese Erwägung ist

sachgerecht. Es begegnet insbesondere rechtlich keinen Bedenken, wenn sich eine

Behörde im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen auf die Bestandskraft und damit

letztlich auf das Prinzip der Rechtssicherheit beruft und nicht dem Gesichtspunkt der

materiellen Gebührengerechtigkeit den Vorzug gibt. Ausnahmen kommen lediglich

dann in Betracht, wenn individuelle Härten gegeben sind, die nicht alle

Gebührenschuldner gleichermaßen betreffen, die nicht bereits bei Erlass des

Gebührenbescheides berücksichtigungsfähig waren und die über die bloße

Versäumung des Primärrechtsschutzes hinausgehen. Andernfalls könnten in

Ermangelung einzelfallbezogener Besonderheiten alle Gebührenschuldner, deren

Bescheide ebenfalls in Bestandskraft erwachsen sind, Gleichbehandlung verlangen

und es würde damit für alle vergleichbaren Fälle das Institut der Bestandskraft be-

seitigt.

So bereits VG Köln, Beschluss vom 20. März 2003 - 11 K 178/03 -; OVG

NRW, Beschluss vom 30. April 2003 - 9 B 756/03 -.

Derartige einzelfallbezogene Härten sind im Fall der Klägerin weder vorgetragen

noch sonst ersichtlich.

Ein Anspruch auf Rückzahlung der Lizenzgebühren ergibt sich auch nicht aus

§ 21 Abs. 1, 2. Halbsatz Verwaltungskostengesetz (VwKostG). Nach dieser Norm

können nach dem Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit zu Unrecht erhobene Kosten nur

aus Billigkeitsgründen erstattet werden.

Die von der Beklagten getroffene Entscheidung ist auch insofern nicht zu

beanstanden. Es kann dabei offenbleiben, ob § 21 Abs. 1, 2. Halbsatz von

vorneherein nur eine Ermessensentscheidung ermöglicht,

so wohl Gerhardt, Verwaltungskostenrecht, Stand: Mai 1999, 3.2 / § 21

VwKostG Rn. 11,

oder ob der Begriff der Billigkeit als unbestimmter Rechtsbegriff einzuordnen ist,

da auch in letzterem Fall aufgrund der Koppelung mit einer Kann-Bestimmung die

Beklagte nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat.

BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 1959, BVerwGE 9, 238 ff. zum Begriff der

unbilligen Härte i.S.d. § 131 Abs. 1 Satz 1 Reichsabgabenordnung;

Susenberger, Gebührengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen, 2000, zur

gleichlautenden Norm des § 21 GebG NRW, § 21 Nr. 6 i.V.m. § 6 Nr. 4.

Es wird insofern zwischen der Erstattung aus persönlichen und aus sachlichen

Billigkeitsgründen unterschieden. Persönliche Billigkeitsgründe beruhen auf den

wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen des Gebührenschuldners, während

sachliche Billigkeitsgründe sich aus der Sache selbst, also insbesondere aus dem

gebührenpflichtigen Tatbestand, ergeben sollen.

Gerhard, Verwaltungskostenrecht, § 21 Rn. 12; Susenberger,

Gebührengesetz, § 6 Nr. 9.

Im Ergebnis bestehen aber jedenfalls keine Unterschiede zu den im Rahmen des

§ 48 VwVfG anzustellenden Erwägungen, insbesondere zu der dortigen Prüfung, ob

ein Aufrechterhalten des Bescheides zu schweren unerträglichen Folgen für den

Gebührenschuldner führt. Da individuelle Härten in dem dort dargestellten Sinn bei

der Klägerin nicht ersichtlich sind, konnte sich die Beklagte auch im Rahmen des

§ 21 VwKostG ermessensfehlerfrei auf die Prinzipien der Bestandskraft und der

Rechtssicherheit berufen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.






VG Köln:
Urteil v. 11.07.2003
Az: 11 K 2220/02


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