Bundesgerichtshof:
Urteil vom 11. Dezember 2006
Aktenzeichen: II ZR 243/05

(BGH: Urteil v. 11.12.2006, Az.: II ZR 243/05)

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. August 2005 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als es die Berufung des Klägers zurückgewiesen hat.

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Koblenz vom 1. Dezember 2004 abgeändert. Die Beklagten zu 2 bis 4 werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 227.080,32 € nebst 4 % Zinsen seit dem 17. Oktober 2000 zu zahlen.

Von den Gerichtskosten erster Instanz und den außergerichtlichen Kosten des Klägers erster Instanz haben die Beklagten zu 2 bis 4 als Gesamtschuldner 2/3 zu tragen; im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung für die erste Instanz dem Schlussurteil vorbehalten. Die Beklagten zu 2 bis 4 haben als Gesamtschuldner die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungs- und Revisionsverfahren zu tragen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger, Verwalter in dem am 1. August 1997 über das Vermögen der M. GmbH (nachfolgend: Gemeinschuldnerin) eröffneten Konkursverfahren, nimmt - das Verfahren gegen den Beklagten zu 1 ist unterbrochen - den Beklagten zu 2 als Mitglied und die Beklagten zu 3 und 4 als Rechtsnachfolger eines Mitglieds wegen der Verletzung von Aufsichtsratspflichten auf Schadensersatzleistung in Anspruch. Aufgabe des fakultativen Aufsichtsrats der Gemeinschuldnerin war insbesondere die Überwachung der Geschäftsführung; seiner Zustimmung bedurften nach Nr. 7. (10) d) ee) der Satzung zudem "Rechtsgeschäfte mit einer Verpflichtung von mehr als 100.000,00 DM".

Der Mehrheitsgesellschafter und Alleingeschäftsführer L. A. beabsichtigte, die Gemeinschuldnerin zu einem Multimediakonzern auszubauen. Auf seinen Vorschlag gab der Aufsichtsrat in der Sitzung vom 9. November 1994 einen Betrag von 250.000,00 DM für Sondierungen mit der noch zu gründenden i. GmbH frei, die sich auf dem Geschäftsfeld des callback-Verfahrens betätigen wollte. In der Sitzung vom 14. Juni 1995 stellte der Aufsichtsrat auf Anregung des Geschäftsführers A. für die Zusammenarbeit mit einer i-T. GmbH einen Betrag in der Größenordnung von 100.000,00 DM bis 200.000,00 DM zur Verfügung, lehnte aber die weitergehende Empfehlung ab, bei diesem Unternehmen eine Beteiligung von 10 % einzugehen. Anläßlich der Sitzung vom 25. September 1995 erlangte der Aufsichtsrat Kenntnis davon, dass A. bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich Mittel der Gemeinschuldnerin in Höhe von insgesamt 800.000,00 DM an die i. GmbH bzw. i-T. GmbH transferiert hatte. Da A. im Innenverhältnis zur Gemeinschuldnerin das Ausfallrisiko übernahm, erklärte der Aufsichtsrat in den Sitzungen vom 19. Oktober und 15. November 1995 sein Einverständnis, der i-T. GmbH insgesamt weitere 500.000,00 DM (je Beschluss 250.000,00 DM) zu überlassen.

Im Zeitraum vom 2. Oktober 1995 bis 22. Januar 1996 bewirkte A. durch sieben Überweisungen zugunsten der i-T. GmbH Zahlungen in Höhe von insgesamt 288.435,35 € (564.130,53 DM). Der Kläger nimmt die Beklagten wegen dieser Beträge, welche die Gemeinschuldnerin weder von der - insolventen - i-T. GmbH noch von dem im Zusammenhang mit diesen Vorgängen wegen Veruntreuung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Geschäftsführer A. zurückerlangen konnte, auf Schadensersatzleistung in Anspruch. Nach Abweisung der Klage durch das Landgericht hat das Oberlandesgericht die Beklagten zur Zahlung von 61.355,03 € (120.000,00 DM) verurteilt. Mit seiner von dem erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den Differenzbetrag in Höhe von 227.080,32 € (444.130,53 DM) weiter.

Gründe

Die Revision des Klägers ist begründet und führt zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten.

I. Das Oberlandesgericht hat gemeint, ein Pflichtverstoß des Aufsichtsrats könne nicht darin erblickt werden, dass im Rahmen der Sitzungen vom 9. November 1994, 14. Juni, 19. Oktober und 15. November 1995 Mittel zugunsten der i-T. GmbH freigegeben worden seien. Die mit diesen Finanzierungsentscheidungen verbundene Übernahme von Risiken bedeute für sich genommen keine Verletzung der Sorgfaltspflicht, weil der von seinem früheren Mitglied S. I. und dem künftigen Geschäftsführer der i-T. GmbH, R. D. , beratene Aufsichtsrat den Bereich der Telefondienstleistungen als zukunftsträchtigen und vielversprechenden Markt habe einstufen dürfen. Eine Besicherung der Kredite sei nicht notwendig gewesen, weil es sich - wie bei einer Beteiligung am Stammkapital - der Sache nach um eine Investition in ein anderes Unternehmen gehandelt habe. Der Aufsichtsrat sei zur Vermeidung eines Konkurses der i-T. GmbH und des damit verbundenen Verlusts bereits investierter Gelder berechtigt gewesen, vorangegangene, ohne sein Wissen geleistete Zahlungen nachträglich zu genehmigen. Da ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten nur für nicht bewilligte und nicht nachträglich genehmigte Zahlungen bestehe, gehöre die fehlende Genehmigung zu den Anspruchsvoraussetzungen. Ohne vorherige oder nachträgliche Zustimmung des Aufsichtsrats seien Überweisungen des Geschäftsführers A. in Höhe von 120.000,00 DM erfolgt. Da diese Zahlungen durch hinreichende Vorkehrungen zur Kontrolle des Geschäftsführers hätten vermieden werden können, sei die Klage in diesem Umfang (61.355,03 €) begründet.

II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand.

Dem Kläger steht gemäß § 93 Abs. 2, §§ 116 AktG, 52 Abs. 1 GmbHG gegen die Beklagten über den von dem Berufungsgericht zuerkannten Betrag hinaus ein Schadensersatzanspruch in Höhe von weiteren 227.080,32 € (444.130,53 DM) zu.

1. a) Verfehlt, weil zu eng ist der rechtliche Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, ein Schadensersatzanspruch des Klägers komme nur für solche Zahlungen in Betracht, die der Geschäftsführer A. ohne Genehmigung des Aufsichtsrats der i-T. GmbH gewährt habe. Vielmehr haben die Beklagten der Gesellschaft, zu deren Überwachungsorgan sie berufen worden sind, auch dafür einzustehen, dass und soweit sie pflichtwidrig den Geschäftsführer A. zu den Zahlungen an die i-T. GmbH ermächtigt haben.

b) Zustimmungsvorbehalte, wie sie die Satzung der Gemeinschuldnerin auf der Grundlage des § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG für Geschäfte in einer Größenordnung von mehr als 100.000,00 DM vorsieht, sind das Instrument vorbeugender Kontrolle des Aufsichtsrats (vgl. Hüffer, AktG 7. Aufl. § 111 Rdn. 16), Maßnahmen der Geschäftsleitung, die möglicherweise nicht mehr rückgängig gemacht werden können, von vornherein zu unterbinden. Die Aufsichtsratsmitglieder trifft eine - ggfs. neben die Haftung der geschäftsführenden Organe tretende - Schadensersatzpflicht, wenn sie die Zustimmung zu einem Geschäft erteilen, die sie bei pflichtgemäßem Handeln hätten verweigern müssen (MünchKomm-AktG/Semler 2. Aufl. § 111 Rdn. 431; Großkomm.z.AktG/Hopt/Roth 4. Aufl. § 111 Rdn. 700, 717).

2. Ein solcher Fall liegt hier nach den revisionsrechtlich einwandfreien Feststellungen des Berufungsgerichts vor. Die Beklagten waren verpflichtet, geeignete Vorkehrungen zu treffen, dass A. keine weiteren Verfügungen zugunsten der i-T. GmbH treffen konnte, nachdem ihnen in der Aufsichtsratssitzung vom 25. September 1995 bekannt geworden war, dass dieser unter Überschreitung seiner Kompetenzen Zahlungen von mehr als 350.000,00 DM an die ihm und seinen Familienmitgliedern zuzuordnende i-T. GmbH geleistet hatte. Ferner haben die Beklagten es versäumt, vor Erteilung der Freigabe für die weiteren Zahlungen die erforderlichen Erkundigungen über die i-T. GmbH einzuholen und vor der Auszahlung weiterer Gelder dafür zu sorgen, daß die Rückzahlungsansprüche der Gemeinschuldnerin in geeigneter Weise gesichert wurden.

a) Der Aufsichtsrat hat in seiner Sitzung vom 25. September 1995 nicht nur beanstandet, dass der Geschäftsführer A. das ihm für Investitionen gesetzte Limit von maximal 450.000,00 DM durch Zahlungen von tatsächlich 800.000,00 DM weit überschritten hatte; er hat auch mit seiner Erklärung, "sich von der Geschäftsführung hintergangen" zu fühlen, gegenüber A. in aller Deutlichkeit sein Misstrauen bekundet. Außerdem äußerte ein Aufsichtsratsmitglied die Befürchtung, dass A. , der im Verlauf der Aussprache eine Mitbeteiligung seiner Familie an der i-T. GmbH einräumte, mit Hilfe dieser Gelder privat ein neues Geschäft initiiere. Da A. durch die Missachtung des vorgegebenen Investitionsvolumens um nahezu das doppelte selbst mittelbar begünstigt wurde, stand die Vermutung krimineller Handlungen zum Nachteil der Gemeinschuldnerin im Raum. Allein wegen dieser Verdachtslage war der Aufsichtsrat verpflichtet, bis zu einer umfassenden Klärung des Sachverhalts die Hingabe weiterer Investitionsmittel - notfalls durch Abberufung des Geschäftsführers - zu unterbinden.

b) Über diese bereits für sich genommen haftungsbegründende grobe Pflichtwidrigkeit hinaus ist dem Aufsichtsrat als Sorgfaltspflichtverstoß vor allem anzulasten, Investitionen in erheblichem Umfang gebilligt zu haben, ohne irgendeine Erkundigung über den konkreten Unternehmensgegenstand des geförderten Unternehmens, seine wirtschaftliche Situation, die von ihm verfolgten Geschäftsziele und das für deren Verwirklichung benötigte Kapital einzuholen.

Eine Prüfungspflicht drängte sich angesichts der die Vertrauensgrundlage zu dem Geschäftsführer zerstörenden Eigenmächtigkeiten des A. schon deshalb auf, weil das Partnerunternehmen zunächst als i. GmbH und später als i-T. GmbH firmierte. Allein die - allen Wettbewerbern zustatten kommende - günstige Entwicklung des Marktes für Telefondienstleistungen enthob die Beklagten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht der Verpflichtung, sich - zumal es um erhebliche Beträge ging - über die Seriosität der i-T. GmbH genauestens zu vergewissern. Die Beklagten durften sich auf die günstige Einschätzung des früheren Aufsichtsrats I. nicht verlassen, weil er ebenfalls lediglich über externes Wissen verfügte und über die tatsächlichen Verhältnisse der i-T. GmbH nicht im Bilde war. Noch weniger durften die Beklagten den Auskünften von R. D. vertrauen, der als künftiger Geschäftsführer der i-T. GmbH keineswegs die Gewähr für eine neutrale und nicht von eigenen Interessen gelenkte Beurteilung der Geschäftschancen bot. Da dem Aufsichtsrat in der Sitzung vom 25. September 1995 obendrein eröffnet wurde, dass monatlichen Kosten von 200.000,00 DM ein Umsatz von lediglich 4.500,00 DM gegenüberstand und dieses Missverhältnis auf absehbare Zeit anhalten würde, musste sich dem Aufsichtsrat die Erkenntnis aufdrängen, dass einer Fortsetzung der - sich als "Fass ohne Boden" darstellenden - Investitionen jede wirtschaftliche Grundlage fehlte.

c) Schließlich ist den Beklagten vorzuwerfen, Zahlungen gebilligt zu haben, obwohl Rückerstattungsansprüche der Gemeinschuldnerin gegen die i-T. GmbH sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich gänzlich ungesichert waren.

Zum einen flossen die Darlehenszahlungen ersichtlich lediglich auf der Basis mündlicher Absprachen, so dass im Streitfall schon beim Nachweis der Forderungen ernste Schwierigkeiten nicht auszuschließen waren. Zum anderen entbehrten die umfänglichen Darlehen jeder üblichen und gebotenen Absicherung. Zu Unrecht meint das Berufungsgericht, die Zahlungen hätten als "Investition in ein anderes Unternehmen" keiner Sicherung bedurft. Das geht schon deshalb fehl, weil der Aufsichtsrat in der Sitzung vom 14. Juni 1995 eine gesellschaftsrechtliche Beteiligung an der i-T. GmbH als Äquivalent einer Investition gerade abgelehnt hatte. Der Umstand, dass die Beklagten in der Schlussphase des Engagements weitere Zahlungen an die i-T. GmbH von der - offfensichtlich ebenfalls nicht mit werthaltigen Sicherheiten unterlegten - Übernahme des Ausfallrisikos durch A. abhängig machten, unterstreicht, dass sie das Sicherungsbedürfnis der Gemeinschuldnerin erkannt, aber nicht im gebotenen Umfang durchgesetzt haben.

3. Ohne Erfolg bleibt schließlich die von den Beklagten erhobene - im Revisionsrechtszug nicht mehr näher ausgeführte - Einrede der Verjährung. Die fünfjährige Verjährungsfrist (§ 52 Abs. 3 GmbHG) für den mit der ersten Überweisung vom 2. Oktober 1995 entstandenen Schadensersatzanspruch ist nicht abgelaufen. Die Verjährung wurde mit der rechtzeitigen Klageeinreichung am 29. August 2000 unterbrochen, weil die Klage im Anschluss an die am 13. September 2000 bewirkte Vorschusszahlung den Beklagten am 16. bzw. 23. Oktober 2000 und folglich demnächst (§ 270 Abs. 3 ZPO a.F.) zugestellt wurde.

Goette Kurzwelly Gehrlein Strohn Reichart Vorinstanzen:

LG Koblenz, Entscheidung vom 01.12.2004 - 3 HKO 149/00 -

OLG Koblenz, Entscheidung vom 11.08.2005 - 6 U 41/05 -






BGH:
Urteil v. 11.12.2006
Az: II ZR 243/05


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