Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 11. September 2006
Aktenzeichen: AnwZ 1/06
(BGH: Beschluss v. 11.09.2006, Az.: AnwZ 1/06)
Tenor
Der Antrag des Antragstellers auf gerichtliche Entscheidung gegen die Wahlentscheidung des Antragsgegners zu 2 vom 21. Juni 2006 wird als unzulässig zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen und den Antragsgegnern sowie den Beigeladenen die ihnen im Verfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Gegenstandswert des Verfahrens wird auf 25.000 € festgesetzt.
Gründe
A.
Am 12. September 2004 unterrichtete der Präsident des Bundesgerichtshofs die Präsidenten der Bundesrechtsanwaltskammer und der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof über seine Absicht, in absehbarer Zeit den Wahlausschuss für Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof einzuberufen und ihm die Neuwahl von Rechtsanwälten vorzuschlagen. Zugeich bat er um Vorschlagslisten. Hierbei bewarb sich auch der im Jahre 1964 geborene Antragsteller, der seit 1993 zur Rechtsanwaltschaft und seit 1998 bei dem Oberlandesgericht Karlsruhe zugelassen ist, um Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof; er wurde in die Vorschlagsliste der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 166 Abs. 2 Nr. 1 BRAO) aufgenommen.
Zur Vorbereitung der auf den 21. Juni 2006 anberaumten Wahl wurden für jeden der vorgeschlagenen Bewerber ein Erst- und ein Zweitberichterstatter bestimmt, die jeden Bewerber zu einem persönlichen Gespräch einluden, ihm Gelegenheit gaben, schriftliche Arbeitsproben vorzulegen, und mit ihm eingegangene Stellungnahmen von Präsidenten der Oberlandesgerichte besprachen. Die Stellungnahmen der Berichterstatter wurden den Mitgliedern des Wahlausschusses übersandt. Diese erhielten zusätzlich eine von dem Ausschuss erbetene Aufstellung des Präsidenten des Bundesgerichtshofs über die allgemein anerkannten materiellen Kriterien für die Bewertung der fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerber und statistische Unterlagen. Diese Unterlagen wiesen unter anderem die Entwicklung der Eingangszahlen bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs und der Geschäftswerte der bei diesen Senaten anhängigen Verfahren sowie eine Übersicht über die langjährige Entwicklung der Zahlen und der Altersstruktur der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof aus.
An der Wahl am 21. Juni 2006 wirkten neben dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs die Vorsitzenden der zwölf Zivilsenate des Bundesgerichtshofs, die sechs Mitglieder des Präsidiums der Bundesrechtsanwaltskammer und die fünf Mitglieder des Präsidiums der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof mit. Der Wahlausschuss befasste sich zunächst mit dem Bedarf an Neuzulassungen (§ 168 Abs. 2 BRAO). In der Aussprache zu diesem Punkt wies der Präsident des Bundesgerichtshofs auf die deutlich gesunkenen Eingangszahlen bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs und auf den Umstand hin, dass das durchschnittliche Lebensalter der Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof mit derzeit etwas über 62 Jahren das bislang höchste sei und eine Verjüngung nahe lege. Der Ausschuss beschloss einstimmig, den Bedarf in einem Wahlgang zu ermitteln. Hierbei sollte (wie bei früheren Wahlen) die höchste Zahl als beschlossen gelten, für die sich eine Mehrheit fand. Stimmen für höhere Zahlen, für die sich die erforderliche Mehrheit nicht fand, sollten den niedrigeren Zahlen hinzugezählt werden. Als Ergebnis der Wahl stellte der Ausschuss einen Bedarf von sieben neuen Rechtsanwälten fest.
Der Wahlausschuss beschloss sodann einstimmig, die dem Bundesjustizministerium zu benennenden 14 Bewerber (§ 168 Abs. 2 BRAO) - wie auch bei früheren Wahlen - nach einer Rangliste zu wählen, und zwar einzeln für jeden Rangplatz. In der Aussprache zu diesem Teil der Wahl wies der Präsident des Bundesgerichtshofs darauf hin, dass neben dem grundsätzlichen Prinzip der Bestenauslese auch die Gesichtspunkte einer Verjüngung der Rechtsanwaltschaft, einer Mischung von Bewerbern nach beruflichen Erfahrungsbereichen und einer Erhöhung des Anteils von Frauen berücksichtigenswert erschienen. Bei der anschließenden Wahl wurden die Beigeladenen zu 1 bis 7 auf die Rangplätze 1 bis 7, der Antragsteller auf den Rangplatz 8 und die Beigeladenen zu 8 bis 13 auf die Rangplätze 9 bis 14 gewählt.
Das Wahlergebnis teilte der Präsident des Bundesgerichtshofs als Vorsitzender des Antragsgegners zu 2 (fortan: Wahlausschuss) noch am selben Tag dem Antragsgegner zu 1 (fortan: Bundesjustizministerium) mit. Am 23. Juni 2006 unterrichtete er die Bewerber über den Ausgang der Wahl. Am 27. Juni 2006 legte er dem Bundesjustizministerium die Liste der vom Wahlausschuss benannten Rechtsanwälte (im Folgenden: Bewerberliste) mit deren Bewerbungen und Bewerbungsunterlagen sowie den über sie erstellten Stellungnahmen der Berichterstatter einschließlich deren wertender Teile vor.
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung strebt der Antragsteller eine Erhöhung der Zahl der Neuzulassungen auf mindestens acht und seine Platzierung in der ersten Hälfte der Liste an, hilfsweise, den Wahlausschuss unter Aufhebung seiner Entscheidung zu einer entsprechenden neuen Entscheidung zu verpflichten.
B.
Der Antrag ist unzulässig, weil das Bundesjustizministerium über den Zulassungsantrag des Antragstellers noch nicht entschieden hat und diese Entscheidung durch die Zwischenentscheidungen des Wahlausschusses bei Listenbewerbern inhaltlich nicht präjudiziert wird.
I.
Die von dem Wahlausschuss nach § 168 Abs. 2 BRAO durch Wahl zu treffenden Entscheidungen können nach der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht selbständig angegriffen werden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus § 223 Abs. 1 Satz 1 BRAO. Danach können Verwaltungsakte, die nach der Bundesrechtsanwaltsordnung ergangen sind, mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angefochten werden, auch wenn das nicht ausdrücklich bestimmt ist. Um solche Verwaltungsakte handelt es sich bei der Bestimmung des Bedarfs und der Benennung der Bewerber durch den Wahlausschuss indessen nicht. Beide Entscheidungen führen zwar zu einer weiteren Begrenzung des Kreises der berücksichtigungsfähigen Bewerber und damit zu einer Verengung des Spielraums des Bundesjustizministeriums bei seiner Entscheidung über die Anträge der Listenbewerber auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof. Das ändert aber nichts daran, dass sie lediglich verwaltungsinterne Zwischenentscheidungen in einem gestuften Verwaltungsverfahren (BGHZ 162, 199, 204 f.) sind. Die Entscheidung über die Zulassungsanträge ist nach § 170 Abs. 1 BRAO nicht dem Wahlausschuss, sondern allein dem Bundesjustizministerium zugewiesen. Deshalb ist es auch erst und nur das Bundesjustizministerium, das verbindlich gegenüber den Bewerbern über ihre Zulassungsanträge entscheidet. Erst seine abschließende Entscheidung ist Maßnahme der Justizverwaltung im Sinne von § 23 Abs. 1 EGGVG, die etwaige Rechte des Antragstellers beeinträchtigt, und damit ein nach § 223 Abs. 1 Satz 1 BRAO anfechtbarer Verwaltungsakt (vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl., § 223 Rdn. 7 einerseits, Feuerich/Weyland, BRAO, 6. Aufl., § 223 Rdn. 6 andererseits).
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist auch nicht in entsprechender Anwendung von § 223 Abs. 1 Satz 1 BRAO als Wahlanfechtung statthaft.
1. Eine Anfechtung der Wahlentscheidungen des Wahlausschusses hat der Senat in entsprechender Anwendung von § 223 Abs. 1 Satz 1 BRAO bislang nur bei Bewerbern zugelassen, die bei der Wahl nicht die erforderliche Mehrheit für ihre Aufnahme in die dem Bundesjustizministerium vorzulegende Bewerberliste gefunden haben (Beschl. v. 14. Mai 1975, AnwZ 7/75, unveröff., Umdruck S. 5; Beschl. v. 10. Mai 1978, AnwZ 11/78, unveröff., Umdruck S. 4; Beschl. v. 23. Juni 1980, AnwZ 2/80, unveröff., Umdruck S. 3). Diesen Bewerbern kann anders der effektive Rechtsschutz nicht gewährt werden, den sie nach Art. 19 Abs. 4 GG von Verfassungs wegen beanspruchen können. Der Senat hat dies aus § 169 Abs. 2 BRAO abgeleitet, wonach dem Bundesjustizministerium die Bewerbungen und Bewerbungsunterlagen der gewählten (Listen-) Bewerber vorzulegen sind. Damit aber erfahren die Bewerber, die vom Wahlausschuss nicht benannt worden sind, keine Bescheidung ihrer Zulassungsanträge. Das Bundesjustizministerium kann diesen Anträgen nicht entsprechen, weil es nach § 164 BRAO an die Benennung durch den Wahlausschuss gebunden ist und keine Möglichkeit hat, die Bewerberliste selbst zu verändern.
2. In einer vergleichbaren Lage befinden sich Bewerber, die wie der Antragsteller einen Platz in der Bewerberliste gefunden haben, selbst dann nicht, wenn es sich hierbei um einen ungünstigen Platz in der zweiten Hälfte dieser Liste handelt.
a) Ihre Bewerbungen sind nämlich, anders als die der übrigen Bewerber, nach § 169 Abs. 2 BRAO dem Bundesjustizministerium vorzulegen. Dieses ist deshalb in der Lage und nach § 21 Abs. 1, § 163 Satz 1, § 170 Abs. 1 BRAO auch verpflichtet, über die Zulassungsanträge aller Listenbewerber zu entscheiden und den erfolglosen Listenbewerbern einen abschlägigen Bescheid zu erteilen (Feuerich/Weyland, aaO, § 170 Rdn. 9; Gerrit Krämer, Die Rechtsanwaltschaft beim BGH, 2004, S. 100). Dieser Bescheid kann nach § 21 Abs. 2 BRAO mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung angegriffen werden (Gerrit Krämer, aaO, S. 101), über den nach § 163 Satz 2 BRAO der Senat zu entscheiden hätte. Diesen Bescheid müssen Listenbewerber abwarten.
Darin liegt auch keine sinnlose Förmelei. In seinem Bescheid hat das Bundesjustizministerium nämlich auch formelle und inhaltliche Einwände gegen die Bewerberliste des Wahlausschusses zu überprüfen und berechtigten Einwänden Rechnung zu tragen. Das ist ihm auch möglich, weil es weder an eine in der Bewerberliste bestimmte Rangfolge noch an den von dem Wahlausschuss festgelegten Bedarf gebunden oder hierdurch inhaltlich präjudiziert ist.
b) An die seit jeher und auch im vorliegenden Fall bestimmte Rangfolge der Benennungen in der Bewerberliste des Wahlausschusses ist das Bundesjustizministerium nicht gebunden. Der Wahlausschuss soll dem Ministerium doppelt so viele Bewerber benennen, wie er für angemessen erachtet, damit es die Möglichkeit einer Auswahl hat. Diese Vorgabe des Gesetzes würde unterlaufen, könnte der Ausschuss das Ministerium durch eine im Gesetz zudem gar nicht vorgesehene (Schimansky, Festschrift für Odersky, 1996, S. 1083, 1085) Rangfolge präjudizieren. Eine solche Präjudizierung verschaffte den Bewerbern auf der ersten Hälfte der Liste zudem im Ergebnis einen Zulassungsanspruch, den sie nach § 168 Abs. 3 BRAO aber gerade nicht haben sollen. Die rechtliche Unverbindlichkeit der Rangfolge steht deshalb außer Streit (Feuerich/Weyland, aaO, § 170 Rdn. 1; Hartung in: Henssler/Prütting, BRAO, 2 Aufl., § 170 Rdn. 3; Gerrit Krämer, aaO, S. 58; Schimansky, aaO, S. 1085).
c) Das Bundesjustizministerium ist durch die von dem Wahlausschuss bestimmte Rangfolge auch nicht inhaltlich präjudiziert. Es hat eigenständig zu entscheiden, welche der vom Wahlausschuss benannten Bewerber für die Zulassung als Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof am besten geeignet sind (BGHZ 162, 199, 205). Bei seiner Entscheidung hat es zwar die von dem Ausschuss bestimmte Rangfolge der Bewerber als wesentlichen Gesichtspunkt zu berücksichtigen. Denn der Ausschuss hat sich mit der fachlichen und persönlichen Eignung der Bewerber eingehend befasst und hat hierfür aufgrund seiner Zusammensetzung besonderen Sachverstand. Zu prüfen hat das Ministerium aber - ähnlich wie der Richterwahlausschuss des Bundes (dazu: VG Schleswig, NJW 2002, 2657, 2659) - auch, ob die Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof im Fall einer Zulassung der auf die erste Hälfte der Bewerberliste gewählten Bewerber auch in ihrer Gesamtheit den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht (vgl. Senatsbeschl. v. 7. November 1983, AnwZ 21/83, NJW 1984, 1042, 1043 zur Zweiersozietät). Es hat dabei der Frage nachzugehen, ob es sachlich geboten ist, im Rahmen des auch ihm zukommenden Beurteilungsspielraums eigene Akzente zu setzen, etwa um eine stärkere Verjüngung der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof oder eine Verstärkung ihres Frauenanteils zu erreichen. Daran ändert es nichts, dass das Bundesjustizministerium bislang mit einer einzigen Ausnahme stets der Rangfolge der Bewerber in den Bewerberlisten des Wahlausschusses gefolgt ist (Schimansky, aaO S. 1085) und nur Bewerber als Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof zugelassen hat, die einen Platz in der ersten Hälfte dieser Listen gefunden haben. Dies beruhte jeweils auf einer eigenständigen Prüfung und kann in der Sache auch nicht überraschen, weil sich der Wahlausschuss und das Ministerium an den gleichen Kriterien auszurichten haben.
d) Das Bundesjustizministerium ist schließlich auch nicht an die Zahl von Rechtsanwälten gebunden, deren Zulassung der Wahlausschuss für angemessen erachtet.
aa) Eine solche Bindung des Bundesjustizministeriums wird allerdings in der Literatur weitgehend angenommen (Feuerich/Weyland, aaO, § 170 Rdn. 7; Hartung in Henssler/Prütting, aaO, § 168 Rdn. 7; Gerrit Krämer, aaO, S. 57; a. M. Tilmann, BRAK-Mitt. 1994, 118, 120). Hiervon gehen, wie die mündliche Verhandlung vor dem Senat ergeben hat, auch der Wahlausschuss und das Bundesjustizministerium selbst seit jeher aus. Diese Bindung wird aus § 168 Abs. 2 BRAO abgeleitet. Aus der Pflicht des Wahlausschusses, die doppelte Zahl von Rechtsanwälten zu benennen, die er für angemessen hält, ergebe sich zugleich auch seine alleinige Kompetenz, diese Zahl festzulegen (Hartung aaO; vgl. auch Senatsbeschl. v. 14. Mai 1975, AnwZ 7/75, unveröff., Umdruck S. 12).
bb) Dem vermag der Senat nicht zu folgen.
(1) Schon dem Wortlaut des § 168 Abs. 2 BRAO ist eine Bindung des Bundesjustizministeriums nicht zu entnehmen. Die Vorschrift legt lediglich fest, wie viele Rechtsanwälte der Wahlausschuss dem Ministerium zu benennen hat. Dieses darf zwar nach § 164 BRAO nur Bewerber aus der Bewerberliste des Wahlausschusses zulassen. Dem Wortlaut des Gesetzes ist indessen nicht zu entnehmen, dass das Bundesjustizministerium weder weniger noch mehr als die Hälfte der benannten Bewerber zulassen dürfte (Tilmann, BRAK-Mitt. 1994, 118, 120). Auch das Bundesverfassungsgericht ist, wenn auch ohne nähere Begründung, davon ausgegangen, dass § 168 Abs. 2 BRAO eine zusätzliche Prüfung durch das Bundesjustizministerium eröffne (Beschl. v. 24. März 1982, 1 BvR 278/75 u. a., unveröff., Umdruck S. 4 oben).
(2) Eine Beschränkung der Entscheidungskompetenz des Bundesjustizministeriums war von dem Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt. § 168 BRAO geht auf § 182 des Regierungsentwurfs einer Bundesrechtsanwaltsordnung vom 8. Januar 1958 zurück. Darin war eine zahlenmäßige Begrenzung der Bewerberliste des Wahlausschusses nicht vorgesehen. Dieser sollte in geheimer Mehrheitswahl frei entscheiden, welche Bewerber aus den ihm vorgelegten Vorschlagslisten er dem Bundesjustizministerium benennt (BT-Drucks. III/120 S. 32, 111). Die heutige Fassung des § 168 Abs. 2 BRAO beruht auf einer Änderung, die der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens beschlossen hat. Ziel der Änderung war es, "die Anzahl der Vorschläge, die der Wahlausschuss dem Bundesminister der Justiz vorlegt, ... zu begrenzen" (BT-Drucks. III/778 S. 9 zu § 182 BRAO-E). Bei dem Verfahren zur Begrenzung der Liste hat sich der Gesetzgeber an den Vorschriften über die Bestimmung der anwaltlichen Beisitzer für das Anwaltsgericht, den Anwaltsgerichtshof und den Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs in den damaligen § 107 Abs. 2 und § 120 Abs. 2 BRAO-E orientiert, die sich heute in § 94 Abs. 2 Sätze 3 und 4, § 103 Abs. 2 Satz 1 und § 107 Abs. 2 Sätze 2 und 3 BRAO finden. Danach müssen die Vorschlagslisten für das Anwaltsgericht und den Anwaltsgerichtshof mindestens die Hälfte mehr als die erforderliche Zahl von Rechtsanwälten enthalten, die Vorschlagsliste für den Senat für Anwaltssachen des Bundesgerichtshofs sogar die doppelte Anzahl. Die Anzahl der erforderlichen Rechtsanwälte haben in diesen Fällen die Landesjustizverwaltungen und für den Bundesgerichtshof das Bundesministerium der Justiz zu bestimmen. Bei der Übertragung dieses Modells auf den Wahlausschuss für Rechtsanwälte ergab sich die Schwierigkeit, dass es hier an einer vorherigen Bestimmung der erforderlichen Anzahl zuzulassender Rechtsanwälte durch das Bundesjustizministerium und damit an einem Maßstab fehlte, anhand dessen die doppelte Anzahl berechnet werden kann. Diesen Maßstab sollte der Ausschuss selbst festlegen. Das bedeutet die Formulierung in § 168 Abs. 2 BRAO, dass der Ausschuss die doppelte Zahl von Rechtsanwälten benennt, die er für angemessen hält.
(3) Allerdings führt die Begrenzung der Bewerberliste im Ergebnis auch zu einer Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Bundesjustizministeriums, das an die in der Liste benannten Rechtsanwälte gebunden ist. Das ist aber nur ein Nebeneffekt, nicht der eigentliche Zweck der Regelung, die, wie ausgeführt, nur ein Ausufern der Bewerberliste verhindern soll (BT-Drucks. III/778, aaO). Anhaltspunkte dafür, dass das Ministerium in seiner Entscheidungsfreiheit auch insoweit eingeschränkt werden sollte, dass es im Rahmen der Bewerberliste nicht mehr und nicht weniger Rechtsanwälte zulassen dürfte, als der Wahlausschuss für erforderlich gehalten hat, lassen sich den Materialien und dem hieraus ersichtlichen Zweck der Regelung nicht entnehmen.
Das Bundesjustizministerium darf allerdings die Zahl der Neuzulassungen im Rahmen der Bewerberliste des Wahlausschusses nicht nach Belieben festlegen. Nicht anders als der Wahlausschuss in seiner vorläufigen Entscheidung nach § 168 Abs. 2 BRAO hat es sich bei der abschließenden Festlegung der Zahl der zuzulassenden Rechtsanwälte daran zu orientieren, dass einerseits eine ausreichende Versorgung der Rechtsuchenden an revisionsanwaltlicher Beratung und Vertretung garantiert sein muss, andererseits die bei dem Bundesgerichtshof singular zugelassenen (§ 172 BRAO) Rechtsanwälte im Hinblick auf ihre Berufsausübungsfreiheit, vor allem aber auch im Hinblick auf die mit der Singularzulassung verfolgten Interessen des Gemeinwohls ausreichende Möglichkeiten revisionsanwaltlicher Betätigung haben müssen (dazu Senat, BGHZ 162, 199, 208 f.). Deshalb wird das Bundesjustizministerium von der Einschätzung des Wahlausschusses über die erforderliche Anzahl von Neuzulassungen, der wegen dessen Sachnähe und hoher Kompetenz großes Gewicht zukommt, nicht ohne sachlichen Grund abweichen.
Das ändert aber nichts daran, dass das Bundesjustizministerium bei der Zulassung von Rechtsanwälten bei dem Bundesgerichtshof auch in Ansehung der erforderlichen Zahl von Neuzulassungen einen Beurteilungsspielraum hat, innerhalb dessen es die heranzuziehenden Gesichtspunkte in gewissem Umfang anders gewichten kann als der Wahlausschuss. Dabei kann es im Interesse der Rechtspflege etwa auch darauf hinwirken, durch eine begrenzte Ausweitung der von dem Wahlausschuss für erforderlich gehaltenen Neuzulassungen weitere besonders qualifizierte Rechtsanwälte für die Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof zu gewinnen.
3. Das Verfahren des Bundesjustizministeriums ist so gestaltet, dass der Antragsteller seine Rechte im Fall einer Zurückweisung seines Zulassungsantrags effektiv wahrnehmen kann. Das Ministerium würde zwar, hielte es ebenfalls sieben Neuzulassungen für erforderlich, bei Ablehnung des Antragstellers durch eine gleichzeitige Bescheidung aller Zulassungsanträge das Kontingent der von ihm für erforderlich gehaltenen Zulassungen erschöpfen und damit die Chance des Antragstellers jedenfalls nachhaltig vermindern, seine Zulassung durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung an den Senat durchzusetzen. Das Ministerium hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aber verbindlich zugesichert, es werde zunächst diejenigen Bewerber bescheiden, deren Zulassungsanträge zurückgewiesen werden sollen, und die vorgesehenen Zulassungen erst zwei Wochen später vornehmen, um den unterlegenen Bewerbern Gelegenheit zu geben, einstweiligen Rechtschutz zu beantragen. Das reicht zur Sicherung der Rechte des Antragstellers aus.
4. Der Antragsteller kann damit als Listenbewerber erst durch eine etwaige abschlägige Entscheidung des Bundesjustizministeriums in seinen Rechten verletzt werden. Diese muss er abwarten. Ein Bedürfnis, ihm als Listenbewerber zusätzlich die Wahlanfechtung zu eröffnen, ist, anders als bei einem Bewerber, der keine Aufnahme in die Liste gefunden hat, nicht erkennbar. Sein hierauf gerichteter Antrag ist deshalb als unzulässig zurückzuweisen.
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BGH:
Beschluss v. 11.09.2006
Az: AnwZ 1/06
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