Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 23. Juni 2004
Aktenzeichen: XII ZB 61/04
(BGH: Beschluss v. 23.06.2004, Az.: XII ZB 61/04)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden die Beschlüsse des 5. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken als Familiensenat vom 8. September 2003 und des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 16. Juli 2003 aufgehoben.
Dem Antragsteller wird für das Verfahren in erster Instanz im Rahmen der mit Beschluß vom 1. April 2003 bewilligten Prozeßkostenhilfe Rechtsanwalt S. in Frankenthal zur Wahrnehmung des Verhandlungstermins vom 12. Juni 2003 beigeordnet.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Beschwerdewert: bis 300 €.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt die Beiordnung eines weiteren -unterbevollmächtigten -Rechtsanwalts im Rahmen der ihm für sein Scheidungsverbundverfahren bewilligten Prozesskostenhilfe.
Die Parteien sind italienische Staatsangehörige. Mit Urteil vom 11. Februar 1999 hatte das Amtsgericht Mannheim (3C F 181/98) die Trennung der Ehegatten von Tisch und Bett festgestellt. Das Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) hat dem Antragsteller für das Scheidungsverbundverfahren Prozeßkostenhilfe bewilligt und ihm den an seinem Wohnsitz in Hattingen (Nordrhein-Westfalen) niedergelassenen Rechtsanwalt K. zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet. In der mündlichen Verhandlung vom 12. Juni 2003 ist für den Antragsteller der am Ort des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) niedergelassene Rechtsanwalt S. aufgetreten und hat beantragt, die dem Antragsteller bewilligte Prozeßkostenhilfe "auf seine Beiordnung zu erstrecken". Das Amtsgericht hat die Folgesachen Versorgungsausgleich und Kindesunterhalt vom Scheidungsverbund abgetrennt und ausgesprochen, daß die zivilrechtlichen Wirkungen der kirchlich geschlossenen Ehe der Parteien beendet sind.
Den Antrag des Rechtsanwalts S. auf zusätzliche Beiordnung hat das Amtsgericht abgewiesen. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die -zugelassene -Rechtsbeschwerde, für die der Senat Prozeßkostenhilfe bewilligt hat.
II.
Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde (vgl. BGH vom 31. Juli 2003 -III ZB 7/03 -NJW-RR 2003, 1438) führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur zusätzlichen Beiordnung des Rechtsanwalts S. zur Wahrnehmung des Verhandlungstermins am 12. Juni 2003.
1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2004, 707 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, daß nach § 121 ZPO in der Regel ein am Prozeßgericht zugelassener Rechtsanwalt beizuordnen sei. Falls ein nicht beim Prozeßgericht zugelassener Rechtsanwalt beigeordnet werden solle, dürften hierfür nach § 121 Abs. 3 ZPO keine Mehrkosten entstehen. Die Beiordnung eines Unterbevollmächtigten zur Terminswahrnehmung würde diese gesetzliche Regelung unterlaufen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 16. Oktober 2002 (VIII ZB 30/02 -FamRZ 2003, 441). Danach sei zwar -von Ausnahmen abgesehen -die Zuziehung eines in der Nähe des Wohnoder Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwalts durch eine am auswärtigen Gericht klagende oder verklagte Partei eine Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. ZPO. Da der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der gesetzlichen Änderung im Recht der Postulationsfähigkeit § 121 Abs. 3 ZPO unverändert gelassen habe, sei diese Rechtsprechung aber nicht auf das Verfahren der Prozesskostenhilfe übertragbar. Ein Anspruch der auf Prozeßkostenhilfe angewiesenen Partei auf Gleichstellung könne auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitet werden.
2. Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde mit Erfolg.
a) Allerdings geht das Oberlandesgericht zunächst zutreffend davon aus, daß im Rahmen der bewilligten Prozeßkostenhilfe nach § 121 Abs. 1 und 3 ZPO in der Regel ein bei dem Prozeßgericht niedergelassener Rechtsanwalt beizuordnen ist. Grundsätzlich kann ein nicht bei dem Prozeßgericht niedergelassener Rechtsanwalt nur dann beigeordnet werden, wenn dadurch keine weiteren Kosten entstehen. Entsprechend sind nach § 126 Abs. 1 Satz 2 1. Halbs. BRAGO Mehrkosten nicht zu vergüten, die dadurch entstehen, daß der am Prozessgericht zugelassene Rechtsanwalt seinen Wohnsitz oder seine Kanzlei nicht an dem Ort hat, an dem sich das Prozeßgericht oder eine auswärtige Abteilung dieses Gerichts befindet.
b) Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Oberlandesgericht auch erkannt, daß nach § 121 Abs. 4 ZPO ausnahmsweise ein weiterer Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozeßbevollmächtigten beigeordnet werden kann, wenn besondere Umstände dies erfordern. Denn wenn der Partei -wie es dem Regelfall des § 121 Abs. 1 und 3 ZPO entspricht ein Rechtsanwalt am Ort des Prozeßgerichts beigeordnet wurde, kann es in besonders gelagerten Einzelfällen erforderlich sein, ihr einen zusätzlichen Rechtsanwalt zur Wahrnehmung eines auswärtigen Termins zur Beweisaufnahme (§ 362 ZPO) oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Hauptbevollmächtigten beizuordnen. Diese Vorschrift geht mit der kostenrechtlichen Vorschrift des § 126 BRAGO einher. Ist ein am Ort des Prozeßgerichts niedergelassener Rechtsanwalt beigeordnet worden, stehen ihm nach § 126 Abs. 1 Satz 2 1. Halbs. BRAGO keine Reisekosten zu; dafür kann in besonders gelagerten Einzelfällen ein zusätzlicher Verkehrsanwalt beigeordnet werden (§ 121 Abs. 4 BRAGO). Wurde hingegen ein nicht am Ort des Prozeßgerichts niedergelassener Rechtsanwalt als Hauptbevollmächtigter beigeordnet, besteht kein Bedarf für die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts; dafür ist der auswärtige Rechtsanwalt grundsätzlich berechtigt, seine Reisekosten abzurechnen (§ 126 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. BRAGO; vgl. OLG Koblenz, NJW-RR 2002, 420, OLG Frankfurt, OLGR Frankfurt 2002, 340 und KG, KGR 2004, 17; a.A. OLG Naumburg, OLGR Naumburg 2001, 486).
Ordnet das Gericht der Partei im Rahmen der bewilligten Prozeßkostenhilfe ausnahmsweise einen nicht in seinem Bezirk niedergelassenen Rechtsanwalt bei, was ihr zugleich die Möglichkeit nimmt, die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO zu erlangen, kann es dem Prozeßbevollmächtigten deswegen nicht stets durch die beschränkte Beiordnung "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" zugleich die Möglichkeit der Erstattung von Reisekosten nach § 126 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. BRAGO nehmen. Eine solche Beiordnung ist vielmehr nur dann möglich, wenn auch sonst nur Kosten eines am Prozeßgericht niedergelassenen Rechtsanwalts entstehen könnten, weil "besondere Umstände" im Sinne von § 121 Abs. 4 ZPO nicht vorliegen. Bei der Entscheidung über die Beiordnung eines nicht am Prozeßgericht niedergelassenen Rechtsanwalts hat das Gericht also immer auch zu prüfen, ob die Voraussetzungen des § 121 Abs. 4 ZPO vorliegen. Nur wenn dieses nicht der Fall ist, darf es einen von der Partei nach § 121 Abs. 1 ZPO gewählten auswärtigen Prozeßbevollmächtigten "zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" mit den Folgen des § 126 Abs. 1 Satz 2 1. Halbs. BRAGO beiordnen. Das haben das Amtsgericht und das Oberlandesgericht hier verkannt.
c) Bei der Prüfung, ob die Beiordnung eines weiteren Verkehrsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO wegen besonderer Umstände erforderlich ist, ist auf die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten des Rechtsstreits und die subjektiven Fähigkeiten der Parteien abzustellen (Zöller/Philippi ZPO 24. Aufl. § 121 Rdn. 18). Solche besonderen Umstände können etwa dann vorliegen, wenn die Partei schreibungewandt ist und ihr auch eine Informationsreise zu ihrem Rechtsanwalt am Sitz des Prozeßgerichts nicht zugemutet werden kann (OLG Naumburg FamRZ 2003, 107; OLG Zweibrücken <2. Zivilsenat> FamRZ 2002, 107). Gleiches ist der Fall, wenn der Partei eine schriftliche Information wegen des Umfangs, der Schwierigkeit oder der Bedeutung der Sache nicht zuzumuten ist und eine mündliche Information unverhältnismäßigen Aufwand verursachen würde (OLG Brandenburg FamRZ 2002, 107 und FamRZ 2001, 1533). Dabei ist im Rahmen der verfassungsgemäßen Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der besonderen Umstände eine zusätzliche Beiordnung nach § 121 Abs. 4 ZPO auch dann geboten, wenn die Kosten des weiter beizuordnenden Rechtsanwalts die sonst entstehenden Reisekosten des nicht am Prozessgericht zugelassenen Hauptbevollmächtigten nach § 126 Abs. 1 Satz 2 2. Halbs. BRAGO) nicht wesentlich übersteigen. Im Rahmen der durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Rechtsstaatsprinzip gebotenen weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung ihres Rechtsschutzes (BVerfG Beschluß vom 4. Februar 2004 -1 BvR 596/03 -NJW 2004, 1789) ist bei der Auslegung auch die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Erstattung der Kosten für Verkehrsanwälte zu beachten. Danach ist im Falle der Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts am Sitz des Gerichts auch die Zuziehung eines am Wohnoder Geschäftsort der auswärtigen Partei ansässigen Verkehrsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen (Beschlüsse vom 16. Oktober 2002 -VIII ZB 30/02 -FamRZ 2003, 441, vom 9. Oktober 2003 -VII ZB 45/02 -BGH-Report 2004, 70, 71, vom 11. November 2003 -VI ZB 41/03 -NJW-RR 2004, 430; vom 18. Dezember 2003 -I ZB 18/03 BGH-Report 2004, 637 und vom 25. März 2004 -I ZB 28/03 -BB 2004, 1023).
d) Solche besonderen Umstände, die eine zusätzliche Beiordnung des am Sitz des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) niedergelassenen Rechtsanwalts S. begründen, liegen hier vor.
Der Antragsteller ist italienischer Staatsangehöriger und mußte seinen Rechtsanwalt im Scheidungsverbundverfahren nicht nur über den nach italienischem Recht zu beurteilenden Sachverhalt, sondern auch zu den Folgesachen des Versorgungsausgleichs und des Kindesunterhalts informieren. Hinsichtlich des Scheidungsverfahrens traten besondere tatsächliche Schwierigkeiten auf, weil zunächst ungeklärt war, ob die (in Bigamie) wieder verheiratete Antragsgegnerin schon in Italien vom Antragsteller geschieden worden war. Das Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) hätte die Beiordnung des vom Antragsteller gewählten Prozeßbevollmächtigten wegen des komplexen Sachverhalts und der rechtlich schwierigen Prozeßlage deswegen nicht auf die "Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts" beschränken dürfen. Die gleichwohl in dem früheren Beschluß vom 1. April 2003 ausgesprochene Beschränkung entfaltet schon deswegen keine Bindung, die der Beiordnung eines weiteren Rechtsanwalts nach § 121 Abs. 4 ZPO entgegensteht, weil solches erst später beantragt wurde. Im übrigen erlangt selbst ein die Prozesskostenhilfe versagender Beschluß auch bei Unanfechtbarkeit nach der Neufassung des § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO keine materielle Rechtskraft, die einer Ausweitung der bewilligten Prozeßkostenhilfe entgegenstünde (BGH, Beschluß vom 3. März 2004 -IV ZB 43/03 -FamRZ 2004, 940). Den Antrag auf zusätzliche Beiordnung des Rechtsanwalts S. hat der Antragsteller auch noch rechtzeitig zu Beginn der mündlichen Verhandlung vom 12. Juni 2003 gestellt.
e) Im Einklang mit der zitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Erstattungsfähigkeit von Prozesskosten ist auch im Rahmen der bewilligten Prozeßkostenhilfe ein Unterbevollmächtigter beizuordnen, wenn dessen Kosten die sonst entstehenden Reisekosten nur unerheblich übersteigen. Das ist hier für die Kosten zur Wahrnehmung des Verhandlungstermins vom 12. Juni 2003 der Fall. Wegen der besonderen Umstände im Sinne des § 121 Abs. 4 ZPO durfte die Beiordnung des auswärtigen Rechtsanwalts nicht auf die Kosten eines ortsansässigen Rechtsanwalts beschränkt werden, so daß ihm grundsätzlich Reisekosten zur Wahrnehmung des Verhandlungstermins vor dem Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) zugestanden hätten. Diese Reisekosten wären mit 200,56 € (144,56 € Fahrtkosten und 56 € Abwesenheitsgeld) annähernd so hoch, wie die Gebühr eines Unterbevollmächtigten mit 204 € (10/10-Gebühr nach 4.000 €). Auch im Rahmen der Prozesskostenhilfe ist es deswegen zu billigen, daß sich die Partei ohne gravierende Mehrkosten (§ 121 Abs. 3 ZPO) im Verhandlungstermin von einem Unterbevollmächtigten vertreten lässt. Dem Antragsteller ist deswegen der ortsansässige Rechtsanwalt S. zusätzlich zur Terminswahrnehmung beizuordnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO, § 11 GKG in Verbindung mit Nr. 1956 des Kostenverzeichnisses.
Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Dose
BGH:
Beschluss v. 23.06.2004
Az: XII ZB 61/04
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/1946a4b7fcf3/BGH_Beschluss_vom_23-Juni-2004_Az_XII-ZB-61-04