Bundespatentgericht:
Beschluss vom 3. Februar 2005
Aktenzeichen: 10 W (pat) 711/02
(BPatG: Beschluss v. 03.02.2005, Az.: 10 W (pat) 711/02)
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Anmelderin wird der Beschluss des Deutschen Patent- und Markenamts - Musterregister - vom 20. Juni 2002 aufgehoben.
2. Der Anmelderin wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Inanspruchnahme der Priorität der früheren Anmeldung USA 29/139977 vom 10. April 2001 gewährt.
3. Der Antrag auf Feststellung, dass mit dieser Wiedereinsetzung eine Verlegung des Anmeldetags der vorliegenden Anmeldung auf den 10. Oktober 2001 verbunden sei, wird zurückgewiesen.
4. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.
5. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
I Die Anmelderin hat das vorliegende Geschmacksmuster mit der Bezeichnung "Tragbare Computervorrichtung" am 29. Januar 2002 unter Beifügung einer graphischen Darstellung des Musters beim Deutschen Patent- und Markenamt (DPMA) angemeldet. Für die Anmeldung hat sie am 8. Februar 2002 die Priorität ihrer US-Voranmeldung 29/139977 vom 10. April 2001 in Anspruch genommen. Gleichzeitig hat sie "Wiedereinsetzung in die Prioritätsfrist, d.h. in die Frist zur Einreichung der vorliegenden Geschmacksmusteranmeldung innerhalb des Prioritäts-Halbjahres ausgehend von der oben genannten ausländischen Erstanmeldung" beantragt.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Anmelderin unter Vorlage von eidesstattlichen Versicherungen angegeben, ihr Auftrag zur Hinterlegung eines Geschmacksmusters auf der Grundlage der US-Voranmeldung sei von einer Auszubildenden in der Kanzlei ihrer Verfahrensbevollmächtigten versehentlich als Patentanmeldung behandelt worden. Dementsprechend sei dort nicht die für eine Geschmacksmusteranmeldung geltende Sechsmonatsfrist, sondern die für eine Patentanmeldung maßgebliche Zwölfmonatsfrist notiert worden. Die mit der Überwachung der Tätigkeit der Auszubildenden beauftragte Patentanwaltsfachangestellte habe den Fehler übersehen, obwohl sie seit Jahren derartige Fristen zuverlässig ermittelt und notiert habe, und obwohl in dem Auftragsschreiben ausdrücklich darauf hingewiesen worden sei, dass es sich um einen Geschmacksmusterfall ("design case") handele. Der Fehler sei erst im Zusammenhang mit der Übersetzung der Anmeldung bemerkt und den Verfahrensbevollmächtigten am 28. Januar 2002 zur Kenntnis gebracht worden. Ein Organisationsverschulden liege nicht vor. Die Fristenorganisation in der Kanzlei sei derart akkurat, dass seit Bestehen der Kanzlei trotz sicherlich weit mehr als 100 000 überwachter Fristen niemals ein Wiedereinsetzungsantrag erforderlich gewesen sei.
Das DPMA - Musterregister - hat am 20. Juni 2002 einen Beschluss mit folgendem Tenor erlassen: "Der Anmelderin wird Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung einer Abschrift der Priorität USA, 29/139977 vom 10. April 2001 gewährt".
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Anmelderin gegen diesen Beschlusstenor. Sie meint, er sei offenkundig falsch, weil er sich nicht an ihrem Antrag orientiere. Dieser Antrag habe nämlich eine Verschiebung des Anmeldetags auf den letzten Tag der sechsmonatigen Prioritätsfrist zum Inhalt gehabt. Ausweislich der Begründung im Regierungsentwurf zur Neuregelung des § 123 PatG gehe die Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Nachanmeldung innerhalb der Prioritätsfrist notwendigerweise mit einer Verschiebung des Anmeldetags auf den letzten Tag der Prioritätsfrist einher.
Die Anmelderin stellt die Anträge,
- den angefochtenen Beschluss vom 20. Juni 2002 aufzuheben;
- Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der vorliegenden Geschmacksmusteranmeldung innerhalb des Prioritätshalbjahres zu gewähren;
- der vorliegenden Geschmacksmusteranmeldung den Anmeldetag 10. Oktober 2001 zuzuerkennen;
- die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten.
II 1. Die Beschwerde ist zulässig. Insbesondere ist die Anmelderin formell beschwert, weil das DPMA - Musterregister - ihrem Antrag vom 8. Februar 2002 nicht entsprochen hat. Beantragt war die Wiedereinsetzung in die sechsmonatige Prioritätsfrist des Art. 4 C Abs. 1 PVÜ. Dabei handelt es sich um die mit Hinterlegung der ausländischen Voranmeldung beginnende Frist zur Einreichung einer inländischen Nachanmeldung. Der Beschluss vom 20. Juni 2002 gewährt dagegen Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung einer Abschrift der US-Voranmeldung, d.h. in die (hier gar nicht versäumte) 16-monatige Frist des § 7b Abs. 1 GeschmMG (in der bis 31. Mai 2004 geltenden Fassung) i.V.m. Art. 4 D Abs. 1 und 3 PVÜ.
2. Die Beschwerde ist ohne weiteres begründet, soweit die Anmelderin die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses verlangt. Das ergibt sich bereits daraus, dass das DPMA eine Wiedereinsetzung ausgesprochen hat, die nicht beantragt war und für die auch die gesetzlichen Voraussetzungen (insbesondere was das Vorliegen einer Fristversäumnis angeht) nicht vorgelegen haben. Da nicht nur im Tenor, sondern auch in den Gründen des angefochtenen Beschlusses stets von der Frist zur Einreichung einer Abschrift die Rede ist, war auch kein Raum für eine bloße Berichtigung des Tenors entsprechend § 319 ZPO.
3. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in die sechsmonatige Prioritätsfrist des Art. 4 C PVÜ ist begründet.
a) Die Wiedereinsetzung ist statthaft. Dies ergibt sich aus § 123 Abs. 1 PatG i.V.m. § 10 Abs. 6 GeschmMG in der bis 31. Mai 2004 geltenden Fassung (die hier trotz fehlender einschlägiger Übergangsvorschrift im neuen GeschmMG vom 12. März 2004, BGBl. I S. 390, anzuwenden ist, weil sämtliche Vorgänge, die für die Beurteilung der Wiedereinsetzung von Belang sind, vor Inkrafttreten des neuen Rechts abgeschlossen waren, vgl. Senatsbeschluss vom 28. Januar 2005, Az. 10 W (pat) 718/03 - zur Veröffentlichung vorgesehen; Baumbach/Lauterbach, ZPO, 63. Aufl., Einl III Rn. 78). Bei der Frist des Art 4 C PVÜ handelt es sich seit der Änderung des § 123 PatG durch das 2. PatGÄndG um eine wiedereinsetzungsfähige Frist (vgl Begründung zum Regierungsentwurf des 2. PatGÄndG, BlPMZ 1998, 393, 407; Schulte, PatG, 7. Aufl, § 123 Rn 62 für die patentrechtliche Prioritätsfrist).
b) Auch die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für die Wiedereinsetzung (Antragstellung und Begründung sowie Nachholung der Handlung innerhalb der Zweimonatsfrist des § 123 Abs 2 Satz 1 PatG) liegen vor.
c) Die Anmelderin hat in ausreichender Weise dargelegt und durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen glaubhaft gemacht, dass sie ohne eigenes bzw. ohne ihr entsprechend § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares fremdes Verschulden die Einhaltung der Prioritätsfrist versäumt hat. Seitens ihrer Verfahrensbevollmächtigten kann weder von einem Organisationsverschulden noch von einem Auswahl-, Anleitungs- und Überwachungsverschulden im Hinblick auf die fehlerhaft handelnden Kanzleikräfte ausgegangen werden.
4. Soweit die Anmelderin beantragt, der vorliegenden Geschmacksmusteranmeldung den Anmeldetag 10. Oktober 2001 zuzuerkennen, geht es ihr ersichtlich nicht um eine eigenständige (konstitutive) Entscheidung über die Verlegung des Anmeldetags, sondern um die (lediglich deklaratorische) Feststellung, dass der Anmeldetag infolge der Wiedereinsetzung in die Prioritätsfrist von Gesetzes wegen ohne weiteres auf den letzten Tag der Sechsmonatsfrist verlegt worden sei. Diese Feststellung kann nicht getroffen werden.
Anmeldetag ist hier der 29. Januar 2002, weil die Anmelderin an diesem Tag ihre Anmeldung mit einem Eintragungsantrag und einer graphischen Darstellung des Musters eingereicht und somit den Voraussetzungen des (nach den oben unter 3 a) genannten Gründen hier anwendbaren) § 7 Abs. 3 GeschmMG a.F. genügt hat.
Der Anmeldetag, der für das Geschmacksmuster, seinen Beginn und seine Schutzdauer von konstitutiver Bedeutung ist, wird durch die Inanspruchnahme einer Priorität nicht berührt (zur patentrechtlichen Priorität vgl BGH, Urt. v. 6. Oktober 1994 - X ZR 50/93, Schulte-Kartei PatG 81-85 Nr 181 - Wischtuch; Schulte aaO § 16 Rn 5 und § 35 Rn 52). Auch die Wiedereinsetzung in die Prioritätsfrist ändert dementsprechend nicht den Anmeldetag als solchen, sondern führt nur dazu, dass der Anmelder . obwohl der Anmeldetag erst nach Ablauf der Prioritätsfrist zu liegen kommt - die Priorität noch in Anspruch nehmen kann.
Etwas anderes lässt sich - entgegen der Meinung der Anmelderin - auch nicht der Begründung zum Regierungsentwurf des 2. PatGÄndG entnehmen. Wenn es dort heißt, die Wiedereinsetzung solle Anmeldern zugute kommen, die ohne Verschulden "die Frist zur Einhaltung einer Nachanmeldung in Deutschland nicht einhalten" konnten (BlPMZ 1998 S 407), dann kann daraus nicht gefolgert werden, dass diese Anmelder exakt so gestellt werden müssten, als ob sie diese Frist (gerade noch) eingehalten hätten. Die Wiedereinsetzung soll auch nach dieser Gesetzesbegründung lediglich die Inanspruchnahme der Priorität ermöglichen. Dies ist nicht zwingend mit einer Verlegung des Anmeldetags verbunden. Da der Anmeldetag für das Geschmacksmuster - wie bereits erwähnt - von grundlegender Bedeutung ist, hätte der Gesetzgeber - wenn er die Wiedereinsetzung in die Frist zur Wahrnehmung einer ausländischen Priorität mit einer Rückverlegung des Anmeldetags hätte verbinden wollen - dies unmissverständlich zum Ausdruck gebracht.
Auch der Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit Anmeldern, die die Nachanmeldung innerhalb der Prioritätsfrist getätigt haben, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar beginnt die Laufzeit des erst nach Ablauf der Prioritätsfrist angemeldeten Geschmacksmusters entsprechend später, mit der Folge, dass auch seine Schutzdauer später endet. Die Laufzeit des Schutzrechts ist aber in Fällen, in denen ein Anmelder die Prioritätsfrist versäumt hat und später in diese Frist wieder eingesetzt wird, insgesamt nicht länger als in anderen Fällen, in denen ein Anmelder die Prioritätsfrist eingehalten hat (aA Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl, § 35 Rn 17, wo von einer durch die Wiedereinsetzung bewirkten, durch Verschiebung des Anmeldetags auf den letzten Tag der Prioritätsfrist zu entgegnenden "Verlängerung der Patentlaufzeit" die Rede ist).
Allerdings führt die Wiedereinsetzung faktisch zu einer Verlängerung der Prioritätsfrist. Dies ist jedoch die unmittelbare, durch das Gesetz angeordnete Folge der Wiedereinsetzung, wie sie sich in Bezug auf andere wiedereinsetzungsfähige Fristen ebenso einstellt (faktische Verlängerung einer Beschwerdefrist, Gebührenzahlungsfrist usw).
Zu bedenken ist auch, dass die Rückdatierung des Anmeldetags in Fällen, in denen die ausländische Priorität nur für einen Teil der Nachanmeldung in Anspruch genommen werden kann (siehe hierzu Eichmann/v. Falckenstein, GeschmMG, 2. Aufl, § 7b Rn 8), möglicherweise zu Problemen führen würde. Man müsste in diesen Fällen für verschiedene Teile der Anmeldung u.U. verschiedene Anmeldetage bestimmen, mit unübersehbaren Konsequenzen etwa für die Laufzeit des Geschmacksmusters oder für die Fälligkeit von Gebühren.
5. Eine Zurückzahlung der Beschwerdegebühr (§ 23 Abs 2 Satz 3 GeschmMG nF iVm 80 Abs 3 PatG) kommt nicht in Betracht. Zwar ist der Beschluss des DPMA in Tenor und Inhalt fehlerhaft, soweit er Wiedereinsetzung in die Frist zur Einreichung der Abschrift der Voranmeldung und nicht - wie beantragt - in die Frist zur Einreichung der Nachanmeldung gewährt. Dem Hauptanliegen der Anmelderin, nämlich dem Wunsch nach Rückdatierung des Anmeldetags, hat er jedoch zu Recht nicht entsprochen.
6. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt gemäß § 23 Abs. 3 GeschmMG n.F. i.V.m. § 100 Abs. 2 Nr. 1 PatG im Hinblick auf die hier entscheidungsrelevante und in der höchstrichterlichen Rechtsprechung - soweit ersichtlich - bislang noch nicht entschiedene Frage, ob die Wiedereinsetzung in die mit Hinterlegung eines ausländischen Geschmacksmusters beginnende sechsmonatige Frist des Art. 4 C PVÜ zur Einreichung einer prioritätsbegünstigten inländischen Geschmacksmusteranmeldung mit einer Rückverlegung des Anmeldetags dieser Anmeldung auf den letzten Tag der Prioritätsfrist verbunden ist. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.
Schülke Püschel Rauch Be
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Beschluss v. 03.02.2005
Az: 10 W (pat) 711/02
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