Amtsgericht Kassel:
Urteil vom 28. April 2015
Aktenzeichen: 410 C 2591/14

(AG Kassel: Urteil v. 28.04.2015, Az.: 410 C 2591/14)

Der wegen eines Filesharingvorhaltes in Anspruch genommene Inhabereines Internetanschlusses genügt seiner sekundären Darlegungslast zur Widerlegung der Täterschaftsvermutung dann nicht, wenn er zwar einen Geschehensablauf verfolgt, der für die Täterschaft eines Dritten spricht, er jedoch zugleich dessen Täterschaft selbst in Abrede stellt. Ergibt die Beweisaufnahme durch Vernehmung des Alternativtäters, dass dieser glaubhaft bekundet, selbst nicht für den Filesharing Vorfall verantwortlich zu sein, lebt die Täterschaftsvermutung zu Lasten des Anschlussinhabers wieder auf. Sind mehrere Personen zugleich Inhaber des Internetanschlusses, so haften sie als Gesamtschuldner gemäß §§ 830, 840 BGB. Bei Unaufklärbarkeit der Tatbeiträge dieser mehrerer Anschlussinhaber gilt für die Vermutung des § 830 Abs. 1 S. 2 BGB zu Lasten aller Anschlussinahber, weil die urheberrechtliche Täterschaftsvermutung einem Fall der Unaufklärbarkeit darstellt. Der Gegenstandswert für den der vorangegangenen Abmahnung zu Grunde liegenden Unterlassungsanspruchs als Grundlage des Aufwendungsersatzanspruches aus § 37a UrhG a.F. ist in Filesharingfällen auf das Zehnfache des zuzusrprechenden Lizenzanalogieschadensersatzanspruches zu bemessen ( Anschluss an OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.08.2013 - 6 W 31/13O.

Tenor

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 743,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.03.2013 zu bezahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 22 % und die Beklagten 78 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Zwangsvollstreckung der jeweiligen Gegenpartei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Schadensersatz aufgrund eines Filesharing-Vorfalles.

Die Klägerin stellte aufgrund einer Internetrecherche der von ihr beauftragten Firma ... fest, dass am 13.11.2010 im Zeitraum zwischen 21.04 Uhr und 21.06 Uhr in einer Internet-Tauschbörse der Musiktitel €Music for Men€ des Künstlers € im Wege des Filesharing zum Download angeboten wurde. Aufgrund eines gem. § 101 Abs. 9 UrhG durchgeführten Auskunftsverfahrens teilte die € der Klägerin mit, dieser Vorfall sei von dem Internetanschluss der Beklagten erfolgt. Mit Schreiben vom 17.12.2010 ihrer Prozessbevollmächtigten mahnte die Klägerin die Beklagten ab und forderte die Erstattung von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 506,00 € und Schadensersatz in Höhe von 350,00 € mit Frist zum 05.01.2011. Mit Schreiben vom 21.12.2010 gaben die Beklagten ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Unterlassungserklärung ab. Zahlungen erfolgten nicht.

Die Klägerin behauptet, aufgrund eines Repertoireaustauschvertrages mit ihrer amerikanischen Muttergesellschaft Trägerin der Urheberrechte für den Musiktitel €Music for Men€ des Künstlers ...zu sein. Die Klägerin meint, die Beklagten hafteten für die mit der Klage weiter verfolgten Zahlungsansprüche - wobei sie nunmehr 450,00 € als Schadensersatzbetrag fordert - als Täter bzw. Störer. Die Vermutung der Täterschaft sei nicht widerlegt.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 956,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.03.2013.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Vorab rügen die Beklagten die fehlende Aktivlegitimation der Klägerin. Sie stellen weiter ihre Täterschaft in Abrede. Sie selbst seien in dem oben genannten Zeitraum nicht in ihrer Wohnung gewesen, sondern hätten in einem Restaurant bis ca. 22.30 Uhr zu Abend gegessen. Zuhause sei ihre zum damaligen Zeitpunkt etwa zwölfeinhalbjährige Tochter, die Zeugin ...€, gewesen. Diese hätten sie zuvor über den sachgerechten Gebrauch des Internets einschließt der Risiken und der Rechtswidrigkeit der Teilnahme an Tauschbörsen belehrt. Die Tochter habe nur über Kommunikationsforen wie Schüler-VZ das Internet benutzt oder sich auf Kanälen wie beispielsweise YouTube Musikvideos ansehen dürfen und angesehen. Nach Erhalt der Abmahnungen hätten sie weder auf dem von der Familie benutzten PC noch auf dem Laptop der Zeugin Anhaltspunkte für den Gebrauch eines Tauschbörsenprogrammes gefunden. Auf Befragen habe sie erklärt, einen Vorfall wie den abgemahnten nicht begangen zu haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin ... Auf die Sitzungsniederschrift vom 25.04.2015 wird Bezug genommen.

Gründe

Die Klage hat teilweise Erfolg.

Der Klägerin kann von den Beklagten Schadensersatz gemäß § 97 UrhG im Wege der Lizenzanalogie für den Filesharing-Vorfall vom 13.11.2010 verlangen.

Der Klägerin ist aktivlegitimiert.

Zwar die Klägerin keinen Beweis dafür angetreten, dass sie Urheberrechtsträgerin ist. Für sie spricht jedoch die Vermutung des § 10 Abs. 2 UrhG. Nach dieser Vorschrift wird diejenige Person als Urheber angesehen, die auf Vervielfältigungsstücken in typischer Weise als Urheber bezeichnet ist. Eine übliche Bezeichnung erfolgt bei Tonträgern beispielsweise auf den so genannten Label oder der Hülle (Dreyer in HK-UrhR, § 10 UrhG Rdnr. 21 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat mit der Anlage K1 (Bl. 46 d.A.) eine Kopie des Tonträgers präsentiert, auf dem sie als Rechteträgerin genannt ist. Hiergegen hat die beklagte Partei keine substantiierten Einwendungen erhoben. Die Beklagten haben lediglich bemängelt, die Klägerin hätte keinen Beweis für das von ihr behauptete Vertragswerk angetreten. Dies genügt jedoch nicht, um die Vermutungswirkung zu erschüttern. Die Beklagte hätten näher dazu vortragen müssen, dass gegebenenfalls auch andere Rechtsträger in Betracht kommen. Ebenso wenig genügt es, dass sich die Beklagten auf die Entscheidung des OLG Köln vom 15.01.2013 (6 W 12/13, zit. n. juris) berufen. Denn den dort aufgestellten Anforderungen an den Vortrag der die Urheberrechte verfolgenden Partei hat die Klägerin hier entsprochen. Jener Entscheidung lässt sich lediglich entnehmen, dass es nicht genügt, sich der Rechte €an einer Vielzahl€ von Musiktiteln zu berühmen, die lediglich €beispielhaft€ teilweise aufgelistet werden, ohne diese Titel näher zu konkretisieren. Die dortige Problematik spielt hier aber deswegen gar keine Rolle, weil sich dieser Rechtsstreit lediglich um einen konkret bezeichneten Musiktitel dreht. Folglich waren die Beklagten ohne weiteres in der Lage, etwaigen andere mögliche Urheberrechtsträger (etwa mittels Internetrecherche) ausfindig zu machen, um die Vermutung zu widerlegen.

Dies führt dazu, dass die Klägerin als Tonträgerherstellerin im Sinne des § 85 UrhG anzusehen ist. Dies führt dazu, dass der Klägerin exklusiv das Vervielfältigungs-und Verbreitungsrecht zusteht. Dies gilt unabhängig davon, ob eine weitere Vervielfältigung sich im Internet abspielt oder nicht. Zwar ist eine im Internet vorhandene Datei, die das streitgegenständliche Musikstück ganz oder teilweise entwickelt, selbst nicht als Tonträger zu verstehen. Sobald diese Datei jedoch auf einem festen Medium, beispielsweise einer Festplatte, einem MP3-Player oder einer SD-Karte abgespeichert wird, entsteht dadurch ein neuer Tonträger. Sollte von diesem neuen Tonträger wiederum eine erneute Vervielfältigungshandlung aus stattfinden, ist dieser Vorgang vom Schutzbereich des § 85 UrhG erfasst. Bietet der Teilnehmer einer Tauschbörse das Musikstück im Wege des Filesharing dort an, setzt dies denklogisch voraus, dass er über ein solches Medium verfügt, auf dem er die entsprechende Datei wenigstens zwischengespeichert hat (vgl. zum Ganzen Fromm/Nordemann/Boddien, § 85 UrhG Rdnr. 10,12).

Die Beklagten haften für den klägerseits behaupteten Urheberrechtsverstoß als Täter.

Der Verstoß an sich ist von der Beklagten nicht in Abrede gestellt worden. Sie haben nicht bestritten, dass in dem von der Klägerin genannten Zeitraum am 13.11.2010 von ihrem Internetanschluss der Musiktitel €Music for Men€ des Künstlers ...zum Download angeboten worden ist. Ihr Bestreiten einer Haftung zielt vielmehr darauf, dass sie selbst für den Verstoß weder als Täter noch als Störer in die Haftung zu nehmen sind. Denn sie haben als potentielle Alternativtäterin ihre zum Tatzeitpunkt zwölfeinhalbjährige Tochter ..., der Zeugin, benannt.

Dieses Vorbringen genügt zunächst dafür, dass die Beklagten ihrer so genannten sekundären Darlegungslast in hinreichender Weise nachgekommen sind. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (grundlegend Urteil vom 12.05.2010 € I ZR 121/08, Sommer unseres Lebens, zit n. juris = GRUR 210, 693), der sich das erkennende Gericht anschließt, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass bei Urheberrechtsverstößen über das Internet der jeweilige Anschlussinhaber hierfür verantwortlich ist. Diese sekundäre Darlegungslast ist dann erfüllt, wenn plausibel dargelegt wird, dass der Anschlussinhaber nicht in der Lage war, zum Verletzungszeitpunkt der Verletzungshandlung vorzunehmen und eine andere Person für die Verletzungshandlung in Betracht kommt , mithin ein anderweitiger Geschehensablauf vorgetragen ist, der eine Alleintäterschaft eines anderen zumindest ernsthaft in Betracht kommen lässt (BGH, Urteil vom 15.11.2012 € I ZR 74/12 € Morpheus, zit. n. juris = GRUR 2013, 511; OLG Köln, Urteil v. 14.03.2014 € 6 U 109/13 € Walk This Way, zit. n. juris). Dies ist hier der Fall. Die Beklagten haben vorgetragen, zum Tatzeitpunkt am 13.11.2010 kurz nach 21.00 Uhr in einem Restaurant gewesen zu sein, um dort zu speisen. Die Klägerin hat dies zwar bestritten. Dieses Bestreiten führt aber allenfalls dazu, dass diese Behauptung auf der Ebene der Beweiserhebung weiter nachgegangen werden muss. Darüber hinaus haben sie ihre Tochter, die Zeugin, als diejenige Person bezeichnet, die zu jedem Zeitpunkt in der Lage gewesen war, den Computer der Beklagten zu bedienen.

Dabei kann es das Gericht dahingestellt sein lassen, ob das konkrete Vorbringen der Beklagten seinem Inhalt nach überhaupt ausreicht, um die Zeugin als Alternativtäterin betrachten zu können. Diese Frage stellt sich deswegen, weil die Beklagten vorgetragen haben, die Zeugin habe auf die entsprechende Frage der Beklagten hin selbst in Abrede gestellt, für den besagten Vorfall verantwortlich zu sein. Das Gericht merkt lediglich an, dass spätestens dann, wenn sich eine Partei, die als Täter für einen Filesharing-Vorfall in Anspruch genommen wird, eine entsprechende Aussage des potentiellen Alternativtäters zu Eigen macht, diese Person nicht mehr als Alternativtäter ernsthaft in Betracht kommen kann. Denn Alternativtäter kann nur eine Person sein, der dieser Vorwurf auch gemacht werden kann. Daran fehlt es dann, wenn die in Anspruch genommene Person zwar einen Geschehensablauf vorträgt, der zwar ihre eigene Täterhaftung in Frage stellt, jedoch gerade auch nach ihrem eigenem Dafürhalten diese Person aus anderen Gründen ebenfalls nicht der Täterhaftung unterliegen soll. Im vorliegenden Fall bedarf es jedoch keiner Entscheidung darüber, ob vor diesem Hintergrund das Vorbringen der Beklagten ausreicht, die Täterschaftsvermutung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu erschüttern. Denn die Zeugin hat zur vollen Überzeugung des Gerichts bekundet, dass sie nicht diejenige Person war, die für den Vorfall verantwortlich ist.

Die Zeugin berichtete detailliert von der Nutzung des Internets über den Computer, den ihre Eltern, die Beklagten, ihr seinerzeit zur Benutzung freigegeben hatten. Insbesondere machte sie Angaben dazu, welche Seiten im Internet sie üblicherweise benutzte. Hierbei handelt es sich um Seiten, die typischerweise von Kindern bzw. Jugendlichen dieser Altersklasse aufgesucht werden. Neben dem Rechercheportal Google nannte die Zeugin Kommunikationsseiten wie Schüler-VZ oder die Musik- und Filmseite YouTube. Vor der Nutzung von Programmen, über die Peer-to-Peer-Netzwerke und Tauschbörsen erreicht werden können, bekundete die Zeugin hingegen nichts. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung des Abteilungsrichters stellt die Kenntnis um solche Tauschbörsen und die Art und Weise, wie diese zu erreichen und Filesharing Aktionen technisch zu bewerkstelligen sind, bei zwölfjährigen Mädchen regelmäßig die Ausnahme dar. Dies führt dazu, dass die Angaben der Zeugen glaubhaft sind. Darüber hinaus gab es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugin nicht der Wahrheit gemäß aussagte. Zwar ist die Zeugin vor ihrer Aussage darüber belehrt worden, dass sie möglicherweise selbst als Anspruchsgegner in Betracht kommt oder ihr ein strafbares Verhalten zur Last gelegt werden könnte. Das Gericht vermochte jedoch nicht festzustellen, dass dies die Zeugen dazu veranlasste, ihr Aussageverhalten entsprechend einzustellen. Ebenso ist plausibel, dass sie an den konkreten Abend des hier streitgegenständlichen Vorfalles auch keine konkrete Erinnerung mehr hat. Dies ist alleine durch den Zeitablauf unschwer zu erklären. Im Ergebnis ist deswegen auch die Aussage der Zeugin uneingeschränkt glaubhaft, dass sie den streitgegenständlichen Filesharingvorfall nicht begangen hat (wie ihrem Bekunden nach auch nicht ähnliche andere Vorgänge). Die Glaubhaftigkeit der Zeugin ist auch nicht deswegen eingeschränkt, weil sie die Tochter der Beklagten ist. Ihr Aussageverhalten führt weder zu der Annahme einer Entlastungs- noch zur derjenigen einer Belastungstendenz. Die Zeugin war aufgrund ihres Lebensalters bei der Vernehmung von 16 Jahren und ihres erkennbaren Reifestandes ohne weiteres in der Lage, die Tragweite des Aussagenverweigerungsrechts aufgrund der Belehrung durch das erkennende Gericht selbst einzuschätzen und darüber zu entscheiden, so dass es der Beiordnung eines Ergänzungspfleger hierzu nicht bedurfte. Darüber hinaus haben die Parteien übereinstimmend geäußert, keine Bedenken dagegen zu haben, dass von der Bestellung eines Ergänzungspflegers Abstand genommen wurde.

Steht danach fest, dass die Tochter der Beklagten nicht als Alternativtäterin in Betracht kommt, so lebt die Täterschaftsvermutung zu Lasten der Beklagten wieder auf.

Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht dem nicht entgegen. Soweit der Bundesgerichtshof mit der Problematik der Täterschaftsvermutung in Filesharingfällen beschäftigt war, war stets geklärt, dass eine dritte Person Täter war (s. Urteile vom 12.05.2010 - I ZR 121/08 - Sommer unseres Lebens, zit n. juris = GRUR 210, 693, vom 15.11.2012 € I ZR 74/12 - Morpheus, zit. n. juris = GUR 2013, 511 und vom 08.01.2014 € I ZR 169/12 € Bear Share, zit. n. juris = GRUR 2014, 657). Im vorliegenden Fall besteht jedoch nach der durchgeführten Beweisaufnahme die Besonderheit, dass die angebotene Person des Alternativtäters - hier die Zeugin - nicht als Täterin feststeht.

Ungeachtet des Umstandes, dass die Beklagten zwar ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen sind, ist die Täterfrage damit nicht in der Weise geklärt, dass eine konkrete Person als Täter feststeht. Zwar führt die sekundäre Darlegungslast nicht dazu, dass die eigentlich nicht beweisbelastete Partei beweispflichtig wird. Für die Frage, wer als Täter für den durch den Urheberrechtsverstoß entstandenen Schaden haftet, ist grundsätzlich der Urheberrechtsträger, hier die Klägerin, beweisbelastet. Steht jedoch fest, dass der Rechtsverstoß vom Internetanschluss einer konkret bezeichneten Person aus begangen wurde, so greift die vom Bundesgerichtshof entwickelte Täterschaftsvermutung. Es obliegt dann dem insoweit in Anspruch genommenen Personen, hier den Beklagten, diese Vermutung zu widerlegen. Die Rechtsfigur des sekundären Darlegungslast soll nur dazu führen, dass die beweisbelastete Partei trotz ihrer generellen Unkenntnis über die Vorgänge jenseits des Übergabepunktes, betrachtet vom öffentlichen Netz aus, in die Lage versetzt wird, Beweis anzutreten. Dies war hier der Fall. Führt jedoch das Beweisergebnis dazu, dass die durch das Vorbringen der Beklagten indizierte Widerlegung der Täterschaftsvermutung sich gerade nicht bestätigt, kann dies keine andere Rechtsfolge haben als diejenige des Wiederauflebens dieser Vermutung. Denn anderenfalls wäre dann eine Situation geschaffen, in der niemand den Rechtsverstoß hätte begehen können. Steht aber - wie hier - der Rechtsverstoß als solcher fest (weil er unstreitig geblieben ist), muss es auch eine Person geben, die diesen Verstoß begangen hat.

Da die Beklagten nichts vorgetragen haben, was auf das Vorhandensein eines weiteren Täters schließen lassen könnte, sind sie folglich als Täter anzusehen (so im Ergebnis auch OLG Köln, Urteil vom 14.03.2014 € 6 U 109/13- Walk This Way, zit. n. juris, welches zumindest Mittäterschaft annimmt).

Die Täterschaftsvermutung entfällt nicht bereits deswegen wieder, weil die Beklagten behauptet haben, sie seien zur Tatzeit in einem Restaurant gewesen. Zwar haben sie hierzu eine Rechnung des Hotels ... vorgelegt, aus der sich ein Verzehr für zwei Personen und das Datum 13.11.2010 ergeben. Dies genügt jedoch nicht zur Erschütterung der Vermutung, weil sich daraus eine Uhrzeit nicht entnehmen lässt. Darüber hinaus kann das Gericht nicht ausschließen, dass Initialisierung eines Filesharingvorganges bereits erhebliche Zeit vor dem Zeitpunkt möglich ist, in dem das Angebot in der Tauschbörse durch den Recherchedienst feststellbar ist. Vor diesem Hintergrund hätte es insbesondere nach dem entsprechenden Vorbringen der Klägerin weiterer Darlegungen seitens der Beklagten bedurft, um die Vermutung zu erschüttern. Daran fehlt es indes.

Die Beklagten haften als Gesamtschuldner gem. §§ 830, 840 BGB. Eine Haftung nach diesen Vorschriften setzt voraus, dass beide Beklagten als Täter für Tat und Tatfolge verantwortlich sind. Nach § 830 Abs. 1 S. 2 BGB wird diese Haftung aber insoweit verschärft, dass es nicht zur Haftungsvoraussetzung fehlt, dass die Tatbeiträge im Einzelnen ermittelt werden müssen. Folglich hat nach dem Sinn und Zweck der Norm der jeweilige Schädiger das Aufklärungsrisiko zu tragen (MüKo/Wagner, § 830 BGB Rdnr. 38). Dieses Aufklärungsrisiko betrifft auch diejenigen Fallkonstellationen, in denen eine alternative Kausalität in Betracht kommt (MüKo/Wagner, § 830 BGB Rdnr. 52 m.w.N.). Dies trifft auch auf die vorliegende Fallgestaltung zu.

Beide Beklagten sind Inhaber des Internetanschlusses, von dem der hier gegenständliche Vorfall aus begangen wurde. Zwar entspricht es der allgemeinen Lebenserfahrung, dass regelmäßig nur eine Person die entsprechenden Befehle in denen jeweiligen Computer mittels Tastatur oder Maus eingibt. Es sind jedoch auch Ausnahmen hierzu vorstellbar sowohl dergestalt, dass mehrere Personen die Befehle geben oder dass zwar nur eine Person die Befehle gibt, den anderen jedoch Vorbereitungs-und Unterstützungshandlungen vorzuwerfen sind. Im Hinblick auf die oben ausgeführte Täterschaftsvermutung kann nichts anderes gelten. Diese Vermutung betrifft bei mehreren Anschlussinhabern alle von ihnen. Dies gilt bereits deswegen, weil alle Anschlussinhaber potentiell in der Lage sind, einen Rechtsverstoß zu begehen. Auch hier obliegt es dann wiederum den solchermaßen als Mittäter im Sinne des § 830 BGB in Anspruch genommenen Personen, hiervon abweichendes vorzutragen und gegebenenfalls nachzuweisen (vgl. Spindler in BeckOK BGB, § 830 Rdnr. 18, MüKo/Wagner, § 830 BGB Rdnr. 38). Erforderlich ist seitens des Geschädigten lediglich der Nachweis, dass das Geschehen unaufklärbar ist. Dies ist aber der Standardfall einer Haftungsvermutung wie hier. Folglich hätten die Beklagten dann, wenn nur einer von ihnen tatsächlich als Täter in Betracht kommen sollten, solches wenigstens vortragen, notfalls auch nachweisen müssen. Dies habe sie dies nicht getan. Ihr Vorbringen zielt vielmehr darauf, dass die Zeugin, ihre Tochter, Täterin gewesen sein soll. Dies trifft jedoch die Problematik des § 830 BGB nicht.

Dies bedeutet mit anderen Worten: Die Beklagten hätten die aus § 830 Abs. 1 S. 2 BGB folgende mit Tätervermutung im Rahmen der urheberrechtlichen Tätervermutung aufgrund des gemeinschaftlichen Internetanschlusses erschüttern müssen. Dies haben sie nicht getan.

Der Lizenzanalogieschadensersatzanspruch der Klägerin ist der Höhe nach unbestritten geblieben. Zwar haben die Beklagten gemeint, nach dem In-Kraft-Treten des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken könne nur noch von einem Schadensersatzbetrag in Höhe von 50,00 € ausgegangen werden. Gegen einen solchen Ansatz spricht aber bereits, dass sich dafür im UrhG i.d.F. des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken nichts entnehmen lässt. Darüber hinaus geht dieser Rechtsstreit um einen Vorfall, der sich vor In-Kraft-Treten dieses Gesetzes im Oktober 2013 ereignet hatte. Dies führt dazu, dass eine derartige Annahme auch wegen des Rückwirkungsverbotes nicht in Betracht kommt. Gängige Praxis ist es vielmehr, bei Musiktiteln sich für die Höhe des Lizenzanalogieschadens an Tarifen der GEMA zu orientieren. Darüber hinaus sind dem erkennenden Gericht verschiedene andere Ansätze der Schadensbemessung bekannt geworden. Vor dem Hintergrund, dass die Beklagten im Übrigen die Schadensbemessung durch die Klägerin nicht angegriffen haben, schätzt das Gericht vor diesem Hintergrund gemäß § 287 ZPO den Schadensersatzbetrag auf die Höhe des geltend gemachten Betrages von 450,00 €.

Weiterhin hat die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung der ihr durch die in dieser Sache ausgebrachte Abmahnung entstandenen Kosten, da die Beklagten für den der Abmahnung zu Grunde liegenden Urheberrechtsverstoß wie ausgeführt verantwortlich sind.

Dieser Anspruch ergibt sich aus § 97a Abs. 1 S. 2 UrhG in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung. Maßgeblich für die Rechtsanwendung ist insoweit nicht der Schluss der mündlichen Verhandlung, sondern der Zeitpunkt der Ausbringung der Abmahnung, um dem Rückwirkungsverbot zu entgehen. Denn der Kostenaufwand für die Abmahnung ist bereits im Zeitpunkt ihrer Ausbringung entstanden und nicht später. Dies war vorliegend am 17.12.2010 und damit vor dem Inkrafttreten der Neufassung des § 97a UrhG in der Gestalt des Gesetzes gegen unseriöse Geschäftspraktiken am 07.10.2013. § 97a Abs. 2 UrhG a.F. (Deckelung des Aufwendungsersatzanspruches auf 100,00 €) ist nicht anzuwenden, da es sich vorliegend nicht um einen einfach gelagerten Fall handelt. Dies ergibt sich bereits daraus, dass eine aufwändige Internetrecherche zur Anschlussermittlung mit anschließendem Auskunftsverfahren nach § 101 Abs. 9 UrhG durchzuführen war und dem Anspruch eine komplexe Tatsachen- und Rechtsmaterie zugrunde liegt.

Der Aufwendungsersatzanspruch bezüglich der Abmahnkosten ist jedoch anders zu bemessen, als es die Klägerin vorgenommen hat.

Erstattungsfähig sind diejenigen Kosten, die vernünftigerweise im Rahmen zweckentsprechender Rechtsverfolgung aufgewendet werden dürfen. Dazu gehören auch die Kosten für die Einschaltung eines Rechtsanwalts. Ohne weiteres erstattungsfähig ist danach die Geltendmachung einer 1,0-fachen Gebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG zzgl. Auslagenpauschale gem. Nr. 7002 VV RVG. Dieser von der Klägerin gewählte Ansatz ist nicht zu beanstanden, da er unterhalb der Mittelgebühr liegt. Im Hinblick auf die Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin bleibt die Erstattung von Umsatzsteueranteilen indes außer Betracht.

Für die Höhe der Gebühr ist der hierfür anzusetzende Gegenstandswert maßgeblich. Dieser ist bei urheberrechtlichen Unterlassungsansprüchen (um einen solchen ginge es indes hier gegenständlichen Abmahnung) nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Gerichts auf das Zehnfache des geschuldeten Lizenzanalogieschadensersatzes zu bemessen. Insoweit schließt sich das erkennende Gericht der Rechtsprechung des OLG Brandenburg an (Beschluss vom 22.08.2013 € 6 W 31/13, zit. n. juris). Im vorliegenden Fall führt dies zu einem Gegenstandswert als Grundlage der Gebührenberechnung in Höhe von 4.500,00 €. Nach den Werten des RVG in der zum Zeitpunkt der Ausbringung der Abmahnung geltenden Fassung führt dies bei Anwendung der oben genannten Gebührentatbestände zu einem erstattungsfähigen Nettobetrag in Höhe von 293,00 €. Die darüber hinaus geltend gemachten Gebühren sind nicht zuzusprechen.

Die Entscheidung über die Zinsen beruht auf §§ 280, 286, 288 BGB.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 956,00 € festgesetzt.






AG Kassel:
Urteil v. 28.04.2015
Az: 410 C 2591/14


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