Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 2. September 1999
Aktenzeichen: 4 O 263/98

(LG Düsseldorf: Urteil v. 02.09.1999, Az.: 4 O 263/98)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 35.000,-- DM vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer in Deutschland ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin zugelassenen Bank oder Sparkasse erbracht werden.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus dem deutschen Anteil des europäischen Patents 02 54 375 (nachfolgend: Klagepatent; Anlage K1; deutsche Übersetzung; Anlage K3) auf Unterlassung, Rechnungslegung, Auskunft und Feststellung der Schadenersatzpflicht in Anspruch.

Das Klagepatent wurde unter Beanspruchung der Priorität der niederländischen Patentanmeldung 86 01 910 vom 23. Juli 1986 beim Europäischen Patentamt am 22. Juli 1987 angemeldet. Die Veröffentlichung der Anmeldungsschrift erfolgte am 27. Januar 1988. Die Bekanntmachung der Erteilung des Klagepatents erfolgte am 9. Oktober 1991.

Beim Deutschen Patent- und Markenamt wird das Klagepatent unter der Patentrollennummer P 37 73 568 geführt.

Ansprüche 1 bis 3 in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldungsschrift lauten in der Verfahrenssprache Englisch wie folgt:

1. Plastic pipe part made of thermoplastic material with soundproofing properties suitable for transporting liquids in waste pipe systems, the inside of the plastic pipe part coming into contact with the liquid, characterized in that the weight per unit area of the plastic pipe part is at least 8 kg/m².

2. Plastic pipe part according to Claim 1, characterized in that the density of the plastic pipe part is at least 1.4 g/cm³.

3. Plastic pipe part according to Claim 1 or 2, characterized in that the density of the plastic pipe part is 1.4 to 2.7 g/cm³.

Anspruch 1 in der von der Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts erteilten Fassung des Klagepatents (Anlage B2) lautet in deutscher Sprache wie folgt:

Extrudiertes oder spritzgußgeformtes Kunststoffrohrteil aus thermoplastischem Material mit schalldämmenden Eigenschaften zum Fördern von Flüssigkeiten in Abwasserrohrsystemen, wobei die Innenseite des Kunststoffrohrteils mit der Flüssigkeit in Berührung kommt, dadurch gekennzeichnet, daß dem Kunststoffrohrteil ein Gewicht pro Flächeneinheit von zumindest 8 kg/m² durch Einarbeitung eines Füllstoffes und eine Dichte von 1,6 bis 2,7 g/cm³ verliehen ist.

Gegen die Erteilung des Klagepatents wurde von mehreren Unternehmen Einspruch eingelegt. Die Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts hat die Auffassung vertreten, die Patentinhaberin habe keine Beschränkung von 1,4 auf 1,6 g/cm³ des Anspruches vornehmen können, da der Wert von 1,6 g/cm³ in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart gewesen sei. Auf den Hilfsantrag der Patentinhaberin hat sie das Klagepatent mit Beschluß vom 14. Januar 1994 in folgender Fassung des Anspruchs 1 aufrechterhalten:

Ein extrudiertes oder spritzgußgeformtes Kunststoffrohrteil aus thermoplastischem Material mit schalldämmenden Eigenschaften geeignet zum Fördern von Flüssigkeiten in Abwasserrohrsystemen, wobei die Innenseite des Kunststoffrohrteils mit der Flüssigkeit in Berührung kommt, dadurch gekennzeichnet, daß dem Kunststoffrohrteil ein Gewicht pro Flächeneinheit von zumindest 8 kg/m² und eine Dichte von 1,8 bis 2,7 g/cm³ durch Aufnahme eines Bariumsulfat-Füllers in das thermoplastische Material verliehen ist.

Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Klägerin Beschwerde eingelegt, mit der sie ihren Hauptantrag weiter verfolgt hat. Die Technische Beschwerdekammer hat in einer Mitteilung vom 13. Februar 1995 (Anlage B4; deutsche Übersetzung Anlage B4a) zum Ausdruck gebracht, daß sie eine Dichte von 1,6 g/cm³ als ursprünglich offenbart ansehe, aber daß Bariumsulfat ein bekannter Füllstoff für Kunststoffe sei, insbesondere mit Blick auf die Verbesserung der Schallabsorptionseigenschaften, daß die beanspruchte Wanddicke der Abflußrohre von 5 mm bei einer Dichte von 1,6 g/cm³ und 8 kg Gewicht je Flächeneinheit innerhalb des üblichen Bereichs der Wandstärke für Abwasserrohre liege. Sie hat weiter ausgeführt, die Frage, ob der Fachmann ein Vorurteil gegen Bariumsulfat als Füllstoff bei der Herstellung von Kunststoffzusammensetzungen habe, müsse in der mündlichen Verhandlung erörtert werden. Nachdem auch die letzte Einsprechende ihre Beschwerde zurücknahm, hat die Technische Beschwerdekammer mit Bescheid vom 20. September 1995 (Anlage B5) darauf hingewiesen, daß hinsichtlich des von der Klägerin begehrten Anspruchs ein erfinderischer Schritt vorliegen müsse. Ausweislich des Verhandlungsprotokolls vom 10. Oktober 1995 (Anlage B6) über die Sitzung der Technischen Beschwerdekammer nahm die Patentinhaberin ihre Beschwerde nach Erörterung der Sach- und Rechtslage zurück. Die Veröffentlichung der Klagepatentschrift (Anlage K1) unter Hinweis auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 14. Januar 1994 (Anlage B3) erfolgte am 13. März 1996.

Die Beklagte ist ein in Italien ansässiges Unternehmen, das sich mit der Herstellung von Kunststoffohren, unter anderem auch von Abwasserrohren, beschäftigt. Unter der Bezeichnung ”Silereschalldämmende Abflußrohre” bietet die Beklagte Kunststoffrohre auch in der Bundesrepublik Deutschland an, wie sie in dem als Anlage K 5 von der Klägerin überreichten Gesamtkatalog abgebildet sind. Die erste angegriffene Ausführungsform (nachfolgend: Ausführungsform I) besitzt einen Durchmesser von weniger als 100 mm, die zweite angegriffene Ausführungsform besitzt einen Durchmesser von 100 bis 150 mm (nachfolgend: Ausführungsform II). Das Gewicht pro Flächeneinheit der Ausführungsform I beträgt 6,8 bis 7,2 kg/m². Die Ausführungsform II weist ein Gewicht pro Flächeneinheit von 8 kg/m² bis 10,5 kg/m² auf. Die Dichte beider Ausführungsformen schwankt zwischen 1,53 bis 1,65 g/cm³. Der allgemeinen bauaufsichtlichen Zulassung vom 1. Dezember 1998 des Deutschen Instituts für Bautechnik ist zu entnehmen, daß die Abwasserrohre mit einer mittleren Dichte von 1,6 g/cm³ + 0,1 g/cm³ zugelassen wurden.

Die Klägerin sieht in den von der Beklagten in der Bundesrepublik Deutschland angebotenen Abwasserrohren eine Verletzung ihres Klagepatents.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

I.

1.

es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu Deutsche Mark 500.000,--, ersatzweise Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Falle wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, zu unterlassen,

extrudierte oder spritzgußgeformte Kunststoffrohrteile aus thermoplastischem Material mit schalldämmenden Eigenschaften, die zum Fördern von Flüssigkeiten in Abwasserrohrsystemen geeignet sind, wobei die Innenseite des Kunststoffrohrteils mit der Flüssigkeit in Berührung kommt,

anzubieten, in Verkehr zu bringen, gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,

bei denen den Kunststoffrohrteilen ein Gewicht pro Flächeneinheit in kg/m² und eine Dichte in g/cm³ durch Aufnahme eines Bariumsulfat-Füllers in das thermoplastische Material wie folgt verliehen ist:

a) Kunststoffrohrteile mit einem Durchmesser unter 100 mm (Ausführungsform I ):

Gewicht/pro Flächeneinheit: 6,8 bis 7,2 kg/m²

Dichte: 1,5 -1,65 g/cm³

b) Kunststoffrohrteile mit einem Durchmesser von 100 mm bis 150 mm (Ausführungsform II):

Gewicht pro Flächeneinheit: zumindest 8 kg/m²

Dichte: 1,5 - 1,65 g/cm³,

hilfsweise zu b):

Gewicht pro Flächeneinheit: zumindest 8 kg/m²

Dichte: von mehr als 1,6 - 1,65 g/cm³.

2.

der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu I 1 bezeichneten Handlungen seit dem 9. November 1991 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der jeweiligen Abnehmer,

b) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten, -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Namen und Anschriften der jeweiligen Angebotsempfänger,

c) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

d) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

wobei

sich die Verpflichtung zur Rechnungslegung für die vor dem 1. Mai 1992 begangenen Handlungen auf solche im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt,

der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften ihrer nicht gewerblichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von ihr zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist;

II.

festzustellen,

daß die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I 1 bezeichneten, seit dem 9. November 1991 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird, wobei sich die Verpflichtung zum Schadensersatz für die vor dem 1. Mai 1992 begangenen Handlungen auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in den bis zum 2. Oktober 1990 bestehenden Grenzen beschränkt.

Die Beklagte bittet, die Klage abzuweisen,

hilfsweise im Falle der Verurteilung zur Rechnungslegung ihr, der Beklagten, nach ihrer Wahl vorzubehalten, die Namen und Anschriften ihrer Abnehmer und Angebotsempfänger nur einem von der Klägerin zu bezeichnenden, zur Verschwiegenheit gegenüber der Klägerin verpflichteten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern sie diesen ermächtigt, der Klägerin darüber Auskunft zu geben, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnungslegung enthalten ist.

Die Beklagte stellt eine Verletzung des Klagepatents in Abrede.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten und zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin stehen keine Ansprüche auf Unterlassung, Rechnungslegung, Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht aus Art. 64 Abs. 1 und Abs. 3 Europäisches Patentübereinkommen (EPÜ), §§ 9, 14, 139 Abs. 1 und Abs. 2, 140b Patentgesetz (PatG), §§ 242, 259 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 256 Zivilprozeßordnung, denn die Beklagte verletzt das Klagepatent nicht.

I.

Die Beschreibung des Klagepatents führt einleitend aus, daß die Erfindung ein extrudiertes oder spritzgußgeformtes Kunststoffrohrteil aus thermoplastischen Material mit schalldämmenden Eigenschaften zum Fördern von Flüssigkeiten in Abwasserrohrsystemen betrifft, wobei die Innenseite des Kunststoffrohrteils mit der Flüssigkeit in Berührung kommt. Ein derartiges Kunststoffrohrteil aus Polyvinylchlorid mit schalldämmenden Eigenschaften zum Fördern von Flüssigkeiten in Abwasserrohrsystemen ist aus der niederländischen Offenlegungsschrift 78 03 343 (= deutsche Offenlegungsschrift 27 14 576; Anlage K4) bekannt.

Zur Verringerung der Geräuschbelästigung muß das Kunststoffrohrteil jedoch mit einer Schalldämmschicht aus einem weichen Schaumkunststoff mit offenen Poren und einem anorganischen Füllstoff ummantelt werden, wobei der Schaumkunststoff eine ununterbrochene äußere Oberfläche besitzt.

Ein derartiges Kunststoffrohrteil, so kritisiert die Klagepatentbeschreibung, weist den großen Nachteil auf, daß die Herstellungskosten sehr hoch sind, da einerseits zu seiner Herstellung ein in der üblichen Weise hergestelltes Kunststoffrohrteil und andererseits eine in einem gesonderten Schritt herzustellende Verkleidung aus Schaumkunststoff verwendet werden muß.

Die Klagepatentbeschreibung bezeichnet es als das technisch zu lösende Problem (die Aufgabe) der Erfindung, ein extrudiertes oder spritzgußgeformtes Kunststoffrohrteil zu schaffen, bei dem es nicht mehr notwendig ist, eine gesonderte Schaumkunststoffschicht auf das Kunststoffrohrteil aufzubringen, und dennoch die bisher bei der Durchströmung derartiger Kunststoffrohrteile mit Flüssigkeiten aufgetretene Belästigung erheblich verringert wird.

Dieses Problem löst Patentanspruch 1 durch folgend Merkmalskombination:

1. Extrudiertes oder spritzgußgeformtes Kunststoffteil,

a) das aus thermoplastischem Material mit schalldämmenden Eigenschaften besteht,

b) das geeignet zum Fördern von Flüssigkeiten in Abwasserrohrsystemen ist,

c) wobei die Innenseite des Kunststoffrohres mit der Flüssigkeit in Berührung kommt.

2. Durch Aufnahme eines Bariumsulfat-Füllers in das thermoplastische Material ist dem Kunststoffrohrteil ein Gewicht pro Flächeneinheit von zumindest 8 kg/ m² und eine Dichte von 1,8 - 2,7 g /cm³ verliehen.

Die Klagepatentbeschreibung hebt hervor, daß, wenn ein Gewicht pro Flächeneinheit von zumindest 8 kg/m² durch Einarbeitung eines Füllstoffes verwendet wird, ein Kunststoffleitungssystem aus Rohren und Zubehörteilen gebildet werden kann, in dem die Rohrwand nicht nur das abzuführende Wasser fördert, sondern auch das unter solchen Umständen erzeugte Geräusch merklich herabsetzt.

Das Geräuschniveau nimmt im logarithmischen Verhältnis in dem Maße ab, wie das Gewicht pro Flächeneinheit zunimmt.

Die Klagepatentbeschreibung bezeichnet es als vorteilhaft, eine Dichte von 1,8 bis 2,7 zu verwenden, so daß auf diese Weise das geforderte Gewicht pro Flächeneinheit des Kunststoffrohrteils mit verhältnismäßig dünnen Wänden erreicht werden kann und daß ein derartiges Kunststoffrohrteil für Abwassersysteme verwendet werden kann, die die Anforderungen von Temperaturschwankungen, der Förderung von Wasser bei erhöhter Temperatur und der mechanischen Haltbarkeit erfüllen.

Vorzugsweise beträgt die Dichte des Kunststoffes des Kunststoffrohrteils 1,8 bis 2,0 g/cm.

Das Gewicht pro Flächeneinheit der Rohrwand des Kunststoffrohrteils wird zweckmäßig durch die richtige Wahl des Verhältnisses von thermoplastischem Material und Füllstoff eingestellt, in welchem Zusammenhang Bariumsulfat insbesondere als Füllstoff erwähnt werden kann, da dieser Füllstoff nicht toxisch ist. Bariumsulfat, hergestellt auf chemischem Wege (sog. "blanc fixe”) ist vorrangig geeignet, insbesondere wegen der besseren Verarbeitungseigenschaften für die Extrusion von Rohren aus thermoplastischem Material und für die Spritzgußformung von Zubehörteilen aus derartigen thermoplastischen Materialien.

Weiter führt die Klagepatentschrift aus, daß die Mengen auf eine solche Weise gewählt werden sollen, daß das Gewicht pro Flächeneinheit und das spezifische Gewicht nach der Erfindung gewahrt bleibt.

Das Klagepatent befaßt sich daher nicht mit der Herstellung von Kunststoffrohrteilen unter Verwendung von Bariumsulfat als Füllstoff zwecks Erhöhung des Gewichtes und der Dichte des Kunststoffrohres, sondern lehrt, die Menge des zuzusetzenden Füllstoffes so zu wählen, daß das Gewicht pro Flächeneinheit und die Dichte bestimmte Mindest- und Höchstgrenzen nicht unter- bzw. überschreitet, so daß die schalldämmenden Eigenschaften des mit dem Füllstoff Bariumsulfat versetzten thermoplastischen Materials bei verhältnismäßig dünnen Wänden des Kunststoffrohres erreicht werden.

II.

Die angegriffenen Ausführungsformen I und II erfüllen die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 des Klagepatents weder wortsinngemäß noch in äquivalenter Weise.

Bei der angegriffenen Ausführungsform I liegt das Gewicht pro Flächeneinheit mit 6,8 bis 7,2 kg/m² unter den geforderten "zumindest 8 kg/m²”, so daß das erste Merkmal des kennzeichnenden Teils nicht wortsinngemäß verwirklicht ist.

Die angegriffene Ausführungsform II verwirklicht ein Gewicht pro Flächeneinheit von 8 kg bis 10,5 kg/m², so daß das erste Merkmal des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 wortsinngemäß gegeben ist. Mit einer Dichte von 1,53 bis 1,65 g/cm³ bzw. von mehr als 1,6 bis 1,65 g/cm³ erfüllen beide Ausführungsformen das zweite Merkmal des kennzeichnenden Teils nicht wortsinngemäß.

Entgegen der Auffassung der Klägerin fallen die angegriffenen Ausführungsformen auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Äquivalenz in den Schutzbereich des Klagepatents, denn es sich handelt sich bei den im Patentanspruch 1 genannten Maßangaben zum Flächengewicht und zur Dichte um Mindest- bzw. Höchstwerte, die nach dem Verständnis des Fachmannes nicht über- oder unterschritten werden dürfen (vgl. Benkard/Ullmann, Patentgesetz, 9. Aufl., § 14 PatG, Rdnr. 74).

Hinsichtlich der Angabe des Flächengewichts ergibt sich dies bereits daraus, daß der Anspruch 1 selbst davon spricht, daß ”zumindest ein Flächengewicht von 8 kg/m²” erreicht werden soll. Die Beschreibung des Klagepatents wiederholt dies auf Seite 2 im zweiten Absatz. Dort heißt es, daß, wenn ein Gewicht pro Flächeneinheit von zumindest 8 kg/m² durch Einarbeitung eines Füllstoffes verwendet wird, ein Kunststoffleitungssystem gebildet werden kann, in dem die Rohrwand nicht nur das abzuführende Wasser fördert, sondern auch das unter solchen Umständen erzeugte Geräusch merklich herabsetzt.

Zahlenangaben im Patentanspruch sind aus dem Wesen der Erfindung, das heißt nach Problemstellung und Lösung des Erfindungsgedankens zu verstehen, insbesondere nach dem erstrebten Zweck und den erstrebten Wirkungen. In der Regel handelt es sich um ungefähre Werte. In diesen Fällen darf der Schutzbereich eines Patents, dessen Patentanspruch Zahlen oder Maßangaben enthält, nicht in Bereiche erstreckt werden, die wesentlich von denen des Patentanspruchs abweichen, wenn in diesen Zahlen- oder Maßangaben das erfinderisch Neue der Lehre des Patents zu sehen ist (vgl. BGH GRUR 1984, 425, 427-Bierklärmittel).

Eine derart wesentliche Abweichung liegt bei beiden angegriffenen Ausführungsformen vor, denn die Dichte beträgt 1,5 bis 1,65 g/cm³ bzw. mehr als 1,6 bis 1,65 g/cm³ statt 1,8 bis 2,7 g/cm³. Hierbei handelt es sich um wesentliche Abweichungen von den Zahlenangaben des Patentanspruchs, nämlich um Abweichungen von 0,15 bis 0,3 g/cm³ bzw. von 8,3 bis 16,6% des vorgegebenen spezifischen Gewichtes von 1,8 g/m². Diese Abweichung ist für den Fachmann auch nicht ohne nähere erfinderische Überlegung aus der Patentschrift herleitbar, denn die Patentschrift selbst nennt sechs bevorzugte Ausführungsformen, bei denen das spezifische Gewicht zwischen 1,8 und 2,0 g/cm³ liegt. Der Fachmann kann aus der Klagepatentschrift keinen Hinweis darauf entnehmen, daß das spezifische Gewicht von 1,8 g/cm³ auch unterschritten werden könnte und schlechtere Schallpegelwerte in Kauf genommen werden können.

Auch eine Gleichwirkung hinsichtlich der Schallabsorption der angegriffenen Ausführungsformen erscheint zumindest fraglich. Die von der Klägerin hinsichtlich der Ausführungsform II vorgelegten Schallpegelmessungen (vgl. Anlage K9) zeigen Abweichungen, die in einem Rahmen von 0,7 bis 6,0 dB(A) liegen, und damit nicht mehr als geringfügig anzusehen sind.

Das Wesen der Erfindung des Klagepatentes liegt in den im Stand der Technik nicht genannten Zahlenangaben hinsichtlich der Dichte der Kunststoffmischung. Der Schutz des Anspruchs 1 des Klagepatents kann jedoch auch deshalb nicht auf eine Dichte von 1,6 bzw. mehr als 1,6 bis 1,65 g/cm³ erweitert werden, weil Anspruch 1 im Laufe des Erteilungs-, des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens auf eine Dichte von mindestens 1,8 g/cm³ beschränkt worden ist und diese Beschränkung ihren Niederschlag in der Klagepatentschrift gefunden hat. Die Übernahme bestimmter Zahlenwerte in den Hauptanspruch bedeutet in der Regel eine Einschränkung des Schutzbereichs auf die angegebenen Grenzwerte (vgl. Benkard/Ullmann, Patentgesetz, 9. Aufl., § 14 PatG, Rdnr. 83, BGH GRUR 1967, 241, 244), insbesondere dann, wenn aus dem Erteilungsverfahren erkennbar wird, daß die Zahlenwerte als erfindungswesentlich angesehen werden.

Daß das erfinderisch Neue der Lehre des Klagepatents in den Zahlen- und Maßangaben des Anspruchs 1 liegt, und der Patentanspruch 1 des Klagepatents entgegen der Auffassung der Klägerin nicht über seine Maßangaben unter Erstreckung auf Äquivalente ausgelegt werden kann, zeigt der Gang des Erteilungs-, des Einspruchs- und des Beschwerdeverfahrens vor dem Europäischen Patentamt. Der Gang des Erteilungsverfahrens oder der Inhalt der Erteilungsakten sind für die Bestimmung des Gegenstandes der Erfindung nach § 14 PatG zwar grundsätzlich ohne Bedeutung; dies gilt jedoch nicht, wenn er zu Beschränkungen führt, die in der Patentschrift ihren Niederschlag gefunden haben. Dies ist vorliegend der Fall. Im Laufe des Erteilungs-, des Einspruchs- und Beschwerdeverfahrens ist der Schutzumfang des Klagepatents auf die im Anspruch 1 angegebenen Grenzwerte im Hinblick auf den erörterten Stand der Technik vom Europäischen Patentamt beschränkt worden. Die Beschränkung hat ihren Niederschlag auch in der am 13. März 1996 neu veröffentlichten Klagepatentschrift gefunden (vgl. Benkard/Ullmann, a.a.O., § 14 PatG, Rdnr. 80), da diese ausdrücklich auf die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 14. Januar 1994 (Anlage B3) verweist. In der am 27. Januar 1988 veröffentlichten Patentanmeldung hat die Klägerin zunächst in Anspruch 1 keine konkret angegebene Dichte und erst in den auf Anspruch 1 rückbezogenen Unteransprüchen 2 und 3 eine Dichte von 1,4 g/m² bis 2,7 g/cm³ beansprucht. Die Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts hat den Anspruch 1 des Klagepatents mit einer Dichte von 1,6 bis 2,7 g/m² erteilt. In der Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 14. Januar 1994 auf Seite 6 hat diese hierzu ausgeführt, daß die Beschränkung auf den Mindestwert von 1,6 g/cm³ nicht eine freiwillige Beschränkung der Patentanmelderin gewesen sei, sondern sie sei im Hinblick darauf erfolgt, um die ursprünglich offenbarte Dichte von 1,4 g/cm³ im Hinblick auf die DIN 8062 zu unterscheiden, die bereits ebenfalls eine Dichte von 1,4 g/m² vorschlug, nämlich um die Neuheit der beanspruchten Kunststoffrohrteile zu begründen. Die Einspruchsabsteilung hat auf den Hilfsantrag der Klägerin den Anspruch 1 des Klagepatents mit einer Dichte von 1,8 bis 2,7 g/cm³ gewährt, da sie die Auffassung vertreten hat, eine Dichte von 1,6 g/cm³ stelle eine unzulässige Erweiterung im Sinne des Art. 123 Abs. 2 EPÜ dar, denn sie liege zwar innerhalb des ursprünglich offenbarten Zahlenrahmens von 1,4 bis 2,7 g/cm³, es fehle aber an der Offenbarung, daß die Erfindung gerade durch diesen Zahlenbereich von 1,6 g/cm³ bis 2,7 g/cm³ charakterisiert werde. An dieser von der Einspruchsabteilung geäußerten Auffassung hat die Technische Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts zwar nicht mehr festgehalten, wie sich aus der Mitteilung vom 13. Februar 1995 (Anlage B4 und B4a) ergibt, und den Hauptanspruch für formal zulässig angesehen. Trotzdem hat sie den Anspruch 1 mit einer Dichte von 1,6 g/m³ für nicht gewährbar gehalten, da bei einer Dichte von 1,6 g/m³ und einem Gewicht je Flächeneinheit von 8 kg/m² sich nur eine Mindestwandstärke von 5 mm ergebe, diese Wandstärke aber im üblichen für Abwasserrohre vorgegebenen Bereich liege.

Eine Auslegung des Schutzbereiches des Klagepatents über den im Erteilungs-, Einspruchs- und Beschwerdeverfahren beanspruchten, aber rechtskräftig versagten Gegenstand des Patents hinaus ist im vorliegenden Verletzungsstreit nicht möglich (vgl. Benkard-Ullmann, a.a.O., § 14 Rdnr. 81, 82). Dem steht auch das bei der Auslegung eines Patentanspruchs stets zu berücksichtigenden Gebot der Rechtssicherheit entgegen. Dieses Gebot steht gleichwertig neben dem der angemessenen Belohnung des Erfinders; seine Beachtung soll den Schutzbereich des Patents für Außenstehende hinreichend sicher vorhersehbar machen (vgl. hierzu BGH, GRUR 1992, 594, 596 - Mechanische Betätigungsvorrichtung). Diese sollen sich darauf verlassen und darauf einrichten können, daß die im Patent unter Schutz gestellte Erfindung mit den Merkmalen des Patentanspruchs vollständig umschrieben ist. Der Anmelder hat dafür zu sorgen, daß das, wofür er Schutz begehrt hat, sorgfältig in den Merkmalen des Patentanspruches niedergelegt ist (BGH, a.a.O.). Dies muß insbesondere dann gelten, wenn, wie im Streitfall, die Öffentlichkeit aus der Patentschrift selbst eindeutig entnehmen kann, daß Beschränkungen des Anspruchs erfolgt sind.

In diesem Zusammenhang kann es dahingestellt blieben, ob das Europäische Patentamt, wie die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, die Schutzrechtslage bzw. den Stand der Technik richtig eingeschätzt hat oder nicht, denn die Berechtigung der erfolgten Einschränkung kann das Verletzungsgericht aus Gründen der Rechtssicherheit nicht nachprüfen (vgl. Benkard/Ullmann, Patentgesetz, 9. Aufl., § 14 PatG, Rdnr. 83, 90 m.w.N.; BGH GRUR 1961, 77, 79 Blinkleuchte).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 709, 108 ZPO.

Der Streitwert beträgt 2 Millionen DM.

Dr. Becker

Dieck-Bogatzke

Fricke






LG Düsseldorf:
Urteil v. 02.09.1999
Az: 4 O 263/98


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