Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 14. Mai 2013
Aktenzeichen: II ZB 1/11
(BGH: Beschluss v. 14.05.2013, Az.: II ZB 1/11)
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 4. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 4. Januar 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 200.000 €
Gründe
I. Die Beklagte ist ein Unternehmen der Bauwirtschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft. Die Anteile an der Beklagten werden mittelbar über eine Holding von den beiden Firmengründern E. H. und B. H. gehalten. Zwischen den Brüdern bzw. den Familienstämmen gibt es erhebliche Spannungen. Die Kläger sind am 6. Juli 2007 - wie der erkennende Senat mit seiner Entscheidung vom 17. Juli 2012 (II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750) bestätigt hat - wirksam zu Mitgliedern des Vorstands der Beklagten bestellt worden. 1 Am 26. Oktober 2009 fand eine Sitzung des Aufsichtsrats der Beklagten statt. Tagesordnungspunkt war unter anderem die Abberufung der Kläger als Vorstandsmitglieder. Den Klägern wurde vorgeworfen, im Zusammenhang mit der Erweiterung des Geschäftsfelds der Beklagten auf T. den dortigen Bauminister bestochen zu haben. Von den sechs Mitgliedern des Aufsichtsrats waren drei auf den Vorschlag von E. H. und drei auf den Vorschlag von B. H. bestellt worden. Der Aufsichtsrat stimmte mit 3 : 3 Stimmen ab. Die dem Stamm B. H. zuzuordnenden Aufsichtsratsmitglieder verneinten das Vorliegen eines wichtigen Grundes und lehnten die Abberufung der Kläger als Vorstandsmitglieder ab. Gemäß § 10 Abs. 4 S. 5 der Satzung der Beklagten führt Stimmengleichheit bei der Abstimmung im Aufsichtsrat zur Ablehnung eines Beschlussantrags. Der damalige Aufsichtsratsvorsitzende war der Ansicht, die drei gegen eine Abberufung stimmenden Aufsichtsratsmitglieder hätten ihr Stimmrecht missbräuchlich ausgeübt, so dass ihre Stimmen bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses nicht zu berücksichtigen seien; damit sei die Abberufung der Kläger als Vorstandsmitglieder der Beklagten beschlossen. Dementsprechend stellte der Aufsichtsratsvorsitzende die Abberufung der Kläger durch den Aufsichtsratsbeschluss vom 26. Oktober 2009 fest. Die beiden abberufenen Vorstandsmitglieder haben mit ihrer am 2. Dezember 2009 gegen die Beklagte, vertreten durch den Aufsichtsrat, erhobenen Klage die Feststellung beantragt, dass ein Abberufungsbeschluss in der Aufsichtsratssitzung am 26. Oktober 2009 nicht ergangen, hilfsweise, dass er nichtig oder für ungültig zu erklären ist; weiter haben sie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, einen Schaden zu ersetzen, der ihnen aus dem unwirksamen Widerruf ihrer Vorstandsämter entstanden ist und noch entsteht.
In einem weiteren Verfahren hatten die Kläger mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung begehrt, der Beklagten zu untersagen, den 2 Widerruf ihrer Bestellung als Vorstandsmitglieder festzustellen oder zu vollziehen und sie daran zu hindern oder zu stören, ihrer Tätigkeit als Vorstandsmitglieder nachzukommen. Das Landgericht Frankenthal (Pfalz) erließ die einstweilige Verfügung.
Am 19. Juni 2010 stimmte der Aufsichtsrat der Beklagten über den Antrag des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden ab, "die Prozessführung vor dem Landgericht Frankenthal (Pfalz) und dem OLG Zweibrücken zu genehmigen". Anlass hierfür war, dass die für die Beklagte im einstweiligen Verfügungsverfahren sowie in dem über die Klage gegen die Abberufung der Kläger anhängigen Verfahren auftretenden Rechtsanwälte lediglich von dem Aufsichtsratsvorsitzenden bevollmächtigt worden waren. Drei Aufsichtsräte stimmten für den Antrag, die drei Aufsichtsratsmitglieder aus dem Lager B. H. stimmten auch diesmal dagegen.
Am 23. Juni 2010 verwarf das Oberlandesgericht Zweibrücken (AG 2010, 918) die Berufung der Beklagten im einstweiligen Verfügungsverfahren als unzulässig, weil die Beklagte nicht ordnungsgemäß vertreten gewesen sei.
Das Landgericht Frankenthal (Pfalz) hat auf die Klage gegen die Abberufung der Kläger antragsgemäß festgestellt, dass in der Aufsichtsratssitzung vom 26. Oktober 2009 ein Beschluss, die Kläger aus wichtigem Grund abzuberufen, nicht ergangen und die Beklagte verpflichtet sei, den Klägern einen Schaden zu ersetzen, der ihnen aus dem unwirksamen Widerruf ihrer Vorstandsämter entstanden sei und noch entstehen werde.
Die Beklagte hat gegen das landgerichtliche Urteil Berufung beim Oberlandesgericht Zweibrücken eingelegt. Innerhalb der laufenden Berufungsfrist trat die Nebenintervenientin zu 1 dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten bei, schloss sich den Anträgen der Beklagten aus der ersten Instanz an und legte 4 gleichfalls Berufung ein. Mit Schriftsatz vom 19. Juli 2010 begründete sie die Berufung.
Das Berufungsgericht hat auch diese Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen, weil die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur Einlegung des Rechtsmittels nicht wirksam - da nur durch den Aufsichtsratsvorsitzenden - bevollmächtigt gewesen seien. Der Antrag auf Genehmigung der Prozessführung sei abgelehnt worden. Es sei auch nicht so, dass die ablehnende Stimme des Aufsichtsratsmitglieds B. H. nicht zähle, weil dessen Wahl in den Aufsichtsrat nichtig gewesen sei. Träfe dies zu, wäre lediglich der die Genehmigung ablehnende Beschluss nichtig, damit stünde aber nicht zugleich ein positives Beschlussergebnis fest. Die Berufung der Nebenintervenientin zu 1 sei unzulässig, weil sie nicht wirksam beigetreten sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die von der Beklagten und der Nebenintervenientin zu 1 eingelegte Rechtsbeschwerde. Innerhalb der Rechtsbeschwerdefrist ist der Nebenintervenient zu 2 auf Seiten der Beklagten dem Verfahren als Streithelfer beigetreten und hat gleichfalls Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Berufungsgerichts eingelegt. Mit Zwischenurteil vom 29. Januar 2013 (ZIP 2013, 483) hat der erkennende Senat den Beitritt des Nebenintervenienten zu 2 auf Seiten der Beklagten im Rechtsbeschwerdeverfahren zugelassen.
II. Die sich gegen die Verwerfung der Berufung der Beklagten als unzulässig richtende Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Soweit mit dem angefochtenen Beschluss der Beitritt der Nebenintervenientin zu 1 zurückgewiesen wurde, ist ein statthaftes Rechtsmittel nicht eingelegt worden. 8 1. Die kraft Gesetzes (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO) statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten gegen den Verwerfungsbeschluss ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, § 575 ZPO). Insbesondere ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Rechtsbeschwerdeverfahren wirksam bevollmächtigt, nämlich jedenfalls durch den Nebenintervenienten zu 2.
a) Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, von der Nebenintervenientin zu 1 zur Durchführung einer Rechtsbeschwerde gegen den Verwerfungsbeschluss bevollmächtigt worden zu sein, weil deren Nebenintervention durch das Berufungsgericht rechtskräftig zurückgewiesen wurde.
aa) Das Berufungsgericht hat die Nebenintervention der Nebenintervenientin zu 1 mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Die Kläger hatten ausdrücklich beantragt, die Nebenintervention zurückzuweisen, weil das erforderliche rechtliche Interesse am Beitritt nicht gegeben sei. Das Berufungsgericht hat, ohne das an sich gebotene Verfahren nach § 71 ZPO einzuhalten, durch Beschluss "die Berufungen der Beklagten und ihrer Streithelferin ... als unzulässig verworfen". Die Gründe des angefochtenen Beschlusses und des ihm vorangegangenen Hinweisbeschlusses ergeben aber, dass das Berufungsgericht ungeachtet des mehrdeutigen Beschlusstenors (nur) die Berufung der Beklagten verworfen hat. Daneben hat es die Wirksamkeit des Beitritts geprüft, ein Interventionsinteresse verneint und damit den Beitritt der Nebenintervenientin zu 1 zurückgewiesen.
bb) Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts, die Nebenintervention der Nebenintervenientin zu 1 zurückzuweisen, hat diese ein statthaftes Rechtsmittel nicht eingelegt.
Die Nebenintervenientin zu 1 hat insbesondere gegen die Zurückweisung ihres Beitritts keine Rechtsbeschwerde eingelegt, die im Übrigen nur dann statthaft wäre, wenn sie zugelassen worden wäre (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO; BGH, Beschluss vom 24. Januar 2006 - VI ZB 49/05, NJW-RR 2006, 644; vgl. ferner BGH, Beschluss vom 26. Mai 2008 - II ZB 23/07, ZIP 2008, 1398). Vielmehr hat die Nebenintervenientin zu 1, soweit sie gemeinsam mit der Beklagten Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Berufungsgerichts eingelegt hat, lediglich das gegen die Verwerfung deren Berufung gerichtete Rechtsmittel der Beklagten unterstützt. Denn die gemeinsame Begründung der Rechtsbeschwerde durch die Beklagte und die Nebenintervenienten hat sich nur - vorsorglich - im Rahmen der Begründung der gegen den Verwerfungsbeschluss gerichteten Angriffe mit dem fehlerhaften Verfahren des Berufungsgerichts betreffend die Zurückweisung der Nebenintervention befasst.
cc) Die Zurückweisung der Nebenintervention der Nebenintervenientin zu 1 durch das Berufungsgericht ist somit mit der Folge rechtskräftig geworden, dass die Nebenintervenientin zu 1 nicht mehr am Prozess beteiligt ist (vgl. § 71 Abs. 3 ZPO) und die Befugnis verloren hat, Prozesshandlungen für die von ihr unterstützte Partei vorzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 1982 - III ZR 184/80, NJW 1982, 2070; Beschluss vom 12. Juni 1989 - II ZB 2/89, juris Rn. 15; Beschluss vom 10. Januar 2006 - VIII ZB 82/05, BGHZ 165, 358, 363; Beschluss vom 1. Juni 2011 - VIII ZB 96/10 Rn. 4 juris). Dies bedeutet insbesondere, dass sie durch einen von ihr bevollmächtigten Rechtsanwalt im Rechtsbeschwerdeverfahren über den Beschluss, mit dem die Berufung der Hauptpartei als unzulässig verworfen worden ist, keine Prozesshandlungen mit Wirkung für die Hauptpartei vornehmen kann.
b) Die Rechtsbeschwerde ist aber zulässig, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten jedenfalls vom Nebenintervenienten zu 2 wirksam bevollmächtigt worden ist. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob der 15 Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Berufungsverfahren wirksam bevollmächtigt war, so dass er nach § 81 ZPO zur Bestellung eines Prozessbevollmächtigten für die höhere Instanz ermächtigt gewesen wäre (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 15. März 2006 - XII ZR 138/01, NJW 2006, 2334 Rn. 14). Denn jedenfalls hat der Nebenintervenient zu 2 zugleich mit seinem wirksamen Beitritt (vgl. BGH, Zwischenurteil vom 29. Januar 2013 - II ZB 1/11, ZIP 2013, 483) in zulässiger Weise Rechtsbeschwerde eingelegt, so dass das einheitlich zu betrachtende Rechtsmittel insgesamt zulässig ist.
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Berufung der Beklagten hätte nicht mit der Begründung als unzulässig verworfen werden dürfen, ihr Prozessbevollmächtigter sei zur Einlegung des Rechtsmittels vor dem Oberlandesgericht nicht wirksam bevollmächtigt gewesen.
Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, dass die Nebenintervenientin zu 1 bis zur rechtskräftigen Zurückweisung ihres Beitritts durch das Berufungsgericht gemäß § 71 Abs. 3 ZPO die Stellung und die Befugnisse einer Nebenintervenientin hatte (vgl. BGH, Urteil vom 9. März 1983 - IVa ZR 211/81, NJW 1983, 2378; Beschluss vom 10. Januar 2006 - VIII ZB 82/05, BGHZ 165, 358, 363). Sie konnte daher mit Wirkung für die Beklagte Berufung einlegen und Anträge stellen. Die von einem Nebenintervenienten bis zur Zurückweisung seines Beitritts wirksam vorgenommenen Prozesshandlungen behalten auch nach Rechtskraft der Zurückweisungsentscheidung ihre Wirksamkeit (BGH, Beschluss vom 20. März 1985 - IVa ZB 1/85, VersR 1985, 551; Dressler in BeckOK ZPO, Stand 30.10.2012, § 71 Rn. 12; Saenger/Bendtsen, ZPO, 5. Aufl., § 71 Rn. 7; Musielak/Weth, ZPO, 10. Aufl., § 71 Rn. 8; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 71 Rn. 10 mwN; MünchKomm-ZPO/Schultes, 4. Aufl., § 71 Rn. 11).
III. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
1. Die durch den Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten erteilte Prozessvollmacht ist ohne Genehmigung durch den Aufsichtsrat unwirksam. Der Aufsichtsratsvorsitzende einer Aktiengesellschaft kann in einem Rechtsstreit der Gesellschaft mit dem Vorstand grundsätzlich ohne einen ihn hierzu ermächtigenden Aufsichtsratsbeschluss keine wirksame Prozessvollmacht erteilen.
a) Die Aktiengesellschaft wird in einem Prozess mit einem Vorstandsmitglied - auch nach dessen Ausscheiden - gemäß § 112 AktG durch ihren Aufsichtsrat als Organ vertreten (BGH, Urteil vom 9. Oktober 1986 - II ZR 284/85, ZIP 1986, 1381, 1382; Urteil vom 22. April 1991 - II ZR 151/90, ZIP 1991, 796; Urteil vom 16. Oktober 2006 - II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 Rn. 5; Urteil vom 16. Februar 2009 - II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 Rn. 7; Zwischenurteil vom 29. Januar 2013 - II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 10). Die im Zusammenhang mit der Prozessführung erforderliche Willensbildung des Aufsichtsrats erfolgt durch ausdrücklichen Beschluss nach § 108 Abs. 1 AktG (BGH, Urteil vom 16. Oktober 2006 - II ZR 7/05, ZIP 2006, 2213 Rn. 8; Urteil vom 16. Februar 2009 - II ZR 282/07, ZIP 2009, 717 Rn. 12; Zwischenurteil vom 29. Januar 2013 - II ZB 1/11 Rn. 11). In die Entscheidungsbefugnis des Aufsichtsrats fallen im Passivprozess mit dem Vorstand die der Erteilung einer Prozessvollmacht vorgelagerten, vorliegend relevanten Fragen, ob sich die Gesellschaft gegen die Klage überhaupt verteidigen will und ob im Falle des Unterliegens in erster Instanz von einem Rechtsmittel Gebrauch gemacht werden soll. Der in einem hierüber gefassten Beschluss zum Ausdruck kommende einheitliche oder mehrheitliche Wille der abstimmenden Aufsichtsratsmitglieder stellt den Willen des Aufsichtsrats dar (BGH, Urteil vom 6. April 1964 - II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 286; Zwischenurteil vom 29. Januar 2013 - II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 11). Dieser Vorgang einheitlicher Willensbildung kann nicht durch die Entscheidung eines Aufsichtsratsmitglieds oder des Aufsichtsratsvorsitzenden er-20 setzt werden, weil diese ihren Willen abweichend vom Aufsichtsrat bilden könnten (BGH, Urteil vom 17. März 2008 - II ZR 239/06, ZIP 2008, 1114 Rn. 11; Zwischenurteil vom 29. Januar 2013 - II ZB 1/11, ZIP 2013, 483 Rn. 11).
b) Durch die Entscheidungszuständigkeit des Aufsichtsrats als Ganzes ist die Verteidigungsmöglichkeit der Aktiengesellschaft gegen Klagen ihrer Vorstandsmitglieder nicht gefährdet. Bevollmächtigt der Aufsichtsratsvorsitzende in Eilfällen einen Rechtsanwalt, ohne zuvor eine Mehrheitsentscheidung des Aufsichtsrats herbeizuführen, handelt er entsprechend § 177 BGB als Vertreter ohne Vertretungsmacht (Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 112 Rn. 7; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 122 Rn. 44; K. Schmidt/Lutter/Drygala, AktG, 2. Aufl., § 112 Rn. 19; MünchKommAktG/Habersack, 3. Aufl., § 107 Rn. 61; KK-AktG/Mertens/Cahn, 3. Aufl., § 107 Rn. 55; Hopt/Roth in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 107 Rn. 125, § 112 Rn. 108). Der Aufsichtsrat kann diese Handlungsweise durch Mehrheitsbeschluss genehmigen.
2. Sollte es im weiteren Verfahren darauf ankommen, ob die vollmachtlose Prozessführung vom Aufsichtsrat der Beklagten mit Beschluss vom 19. Juni 2010 genehmigt worden ist, wird zu beachten sein, dass die drei Aufsichtsratsmitglieder aus dem Lager B. H. bei dieser Beschlussfassung keinem Stimmverbot unterlagen, weil sie in der Aufsichtsratssitzung vom 26. Oktober 2009 gegen die Abberufung der Kläger gestimmt hatten. Ein Stimmverbot unter dem Gesichtspunkt des Verbots des Richtens in eigener Sache (vgl. dazu BayObLG, ZIP 2003, 1194, 1196; Grigoleit/Tomasic, AktG, § 108 Rn. 28; Hopt/Roth, Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 108 Rn. 55) kann hier nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass im Rahmen der Klage der abberufenen Vorstandsmitglieder die Frage eine Rolle spielen könnte, ob bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Abberufung drei Aufsichtsratsmitglieder ihr Stimmrecht - wie der Aufsichtsratsvorsitzende angenommen hat - rechtsmissbräuchlich ausgeübt haben. Wegen der Aufgabenverteilung zwischen Vorstand 23 und Aufsichtsrat wird häufig in Prozessen mit Vorstandsmitgliedern die Wirksamkeit eines den Vorstand betreffenden Aufsichtsratsbeschlusses zu klären sein. Es widerspräche der Kompetenzzuweisung des § 112 AktG, wollte man bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Vertretung der Gesellschaft in einem Prozess gegen Vorstandsmitglieder ein Stimmverbot von Aufsichtsratsmitgliedern allein schon deshalb annehmen, weil diese an einer früheren, für den Gegenstand des Prozesses (möglicherweise) bedeutsamen Beschlussfassung des Aufsichtsrats beteiligt waren.
3. Sollte es im Zusammenhang mit der Beschlussfassung des Aufsichtsrats vom 19. Juni 2010 auf die Wirksamkeit der Stimmabgabe des B. H. ankommen, wird zu prüfen sein, ob die Wahl des B. H. zum Aufsichtsratsmitglied nichtig war. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts würde die Nichtigkeit der Wahl dazu führen, dass auch die Stimmabgabe des B. H. nichtig, nicht zu zählen und damit die Genehmigung der bisherigen Prozessführung beschlossen gewesen wäre.
a) Ist der Beschluss über die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds nichtig, wird die gewählte Person für die Stimmabgabe und Beschlussfassung im Aufsichtsrat wie ein Nichtmitglied behandelt (BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - II ZR 56/12, ZIP 2013, 720 Rn. 20). War die Stimme des als Nichtmitglied zu behandelnden Aufsichtsratsmitglieds für die Beschlussfassung oder die Ablehnung eines Beschlussantrags ursächlich, ist ein entsprechender Beschluss nicht gefasst worden oder kommt sogar die Umkehrung des Beschlussergebnisses in Betracht (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - II ZR 56/12, ZIP 2013, 720 Rn. 21). Die Lehre vom faktischen Organ, nach der die Handlungen des nichtig bestellten Aufsichtsratsmitglieds als wirksam anzusehen sind, ist auf die Stimmabgabe bei der Beschlussfassung des Aufsichtsrats über die Genehmigung einer vollmachtlosen Prozessführung im Prozess mit dem Vorstand 25 nicht anwendbar. Der Vorstand ist als Organ der Gesellschaft nicht schutzwürdig, weil er die Nichtigkeit der Wahl kennen muss (vgl. BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - II ZR 56/12, ZIP 2013, 720 Rn. 23).
b) Die Wahl von B. H. zum Aufsichtsratsmitglied könnte nichtig sein, weil er bei seiner Wahl am 7. Juli 2007 und auch danach Geschäftsführer der P. GmbH war, deren Anteile sich mehrheitlich im Eigentum der Beklagten befanden.
Nach § 250 Abs. 1 Nr. 4 AktG ist die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds nichtig, wenn die gewählte Person nach § 100 Abs. 1 und 2 AktG bei Beginn ihrer Amtszeit nicht Aufsichtsratsmitglied sein kann. Nach § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG kann Mitglied eines Aufsichtsrats nicht sein, wer gesetzlicher Vertreter eines von der Gesellschaft abhängigen Unternehmens ist. Nach § 17 Abs. 2 AktG wird vermutet, dass ein im Mehrheitsbesitz stehendes Unternehmen abhängig im Sinne des § 17 Abs. 1 AktG und damit im Sinne des § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AktG ist.
Die Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG kann widerlegt sein, wenn der Mehrheitsgesellschafter seinen ihm sonst zukommenden Einfluss nicht entfalten kann (vgl. hierzu Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien und GmbH-Konzernrecht, 6. Aufl., § 17 Rn. 39 f.; Hüffer, AktG, 10. Aufl., § 17 Rn. 21 f.; MünchKommGmbHG/Liebscher, § 13 Anh. Rn. 114). Die Kläger haben im Rechtsbeschwerdeverfahren geltend gemacht, die P. GmbH sei im relevanten Zeitraum nicht im Sinne der § 100 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 17 AktG von der Beklagten abhängig gewesen. Das Berufungsgericht wird sich gegebenenfalls mit dem Vortrag der Kläger zur Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 AktG - eventuell nach ergänzendem Vorbringen der Parteien - befassen müssen. 27 4. Schließlich wird darauf hingewiesen, dass in einem Fall wie dem vorliegenden die Ablehnung des Antrags, durch Beschluss des Aufsichtsrats die Prozessführung der Gesellschaft gegen eine Klage von Vorstandsmitgliedern zu genehmigen, schon deshalb treuwidrig und damit nichtig sein kann, weil die Klage gegen einen Beschluss des Aufsichtsrats (hier: auf Abberufung der Kläger als Vorstandsmitglieder) gerichtet ist. Die Weigerung des Aufsichtsrats, der Aktiengesellschaft die Möglichkeit zu geben, sich gegen vom Vorstand erhobene Klagen, die die Wirksamkeit von Aufsichtsratsbeschlüssen zum Gegenstand haben, zu verteidigen, wird nur in ganz besonders gelagerten Ausnahmefällen dem Unternehmenswohl entsprechen. Es liegt vielmehr regelmäßig nahe, dass die Aufsichtsratsmitglieder sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen, wenn sie der Gesellschaft in einem solchen Fall die Rechtsverteidigung unmöglich machen. Dies gilt insbesondere, wenn wie hier gerade die Aufsichtsratsmitglieder, deren Stimmrechtsausübung bei der Fassung des von den Vorstandsmitgliedern beanstandeten Aufsichtsratsbeschlusses durch den Aufsichtsratsvorsitzenden als missbräuchlich gewertet worden ist, durch die Verweigerungder Genehmigung der Prozessführung die gerichtliche Überprüfung des Aufsichtsratsbeschlusses verhindern.
Bergmann Caliebe Drescher Born Sunder Vorinstanzen:
LG Frankenthal, Entscheidung vom 11.05.2010 - 1 HKO 50/09 -
OLG Zweibrücken, Entscheidung vom 04.01.2011 - 4 U 94/10 -
BGH:
Beschluss v. 14.05.2013
Az: II ZB 1/11
Link zum Urteil:
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