Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 23. Mai 2006
Aktenzeichen: 18 U 50/05

(OLG Köln: Urteil v. 23.05.2006, Az.: 18 U 50/05)

Soweit die Gesellschaft einen Aufsichtsrat hat, wird sie in Rechtsstreitigkeiten mit (früheren) Geschäftsführern durch diesen vertreten (§ 112 AktG). Eine Zustellung der Klage an die Gesellschaft vertreten durch die Geschäftsführung ist unwirksam, kann aber durch Genehmigung des Aufsichtsrats geheilt werden.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 11.2.2005 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 7 O 104/04 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger war aufgrund Geschäftsführerdienstvertrages vom 24.9.1997 Geschäftsführer der Beklagten. Das Anstellungsverhältnis war Ende 2002 nicht mehr ordentlich kündbar.

Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten sieht eine Gesamtvertretungsbefugnis mehrerer Geschäftsführer vor. Zudem besteht gemäß § 11 des Gesellschaftsvertrages ein Aufsichtsrat. Nach § 11 Nr. 7 des Gesellschaftsvertrages finden die in § 52 GmbHG angeführten Vorschriften des AktG auf den Aufsichtsrat entsprechende Anwendung, soweit in der Satzung nichts Abweichendes bestimmt ist. Weges der weiteren Inhaltes des Gesellschaftsvertrages wird auf die Anlage B1 zur Klageerwiderungsschrift vom 4.6.2004 (Bl. 30 ff. d.A.) Bezug genommen.

Am 10.12.2002 wurde der Kläger durch Beschlüsse der Gesellschafterversammlung und des Aufsichtsrats der Beklagten rückwirkend zum 30.11.2002 als Geschäftsführer abberufen und Dr. C zum neuen Geschäftsführer neben dem weiteren Geschäftsführer Dr. B bestellt.

Am selben Tag schlossen die Parteien zunächst eine Vereinbarung, wonach der Kläger sein Amt als Geschäftsführer der Beklagten rückwirkend zum 30.11.2002 niederlegte und das Anstellungsverhältnis mit Ablauf des 31.3.2002 enden sollte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Vertrag vom 10.12.2002 Bezug genommen (Bl. 14 ff. d.A.).

Im Anschluss hieran kam es am selben Tag, nachdem Gesellschafterversammlung und Aufsichtsrat der Beklagten zugestimmt hatten, zur Unterzeichnung eines auf acht Jahre bis zum 31.3.2001 befristeten Beratervertrages zwischen den Parteien, der nach seiner Ziffer 8 nur wegen solcher Umstände außerordentlich seitens der Beklagten gekündigt werden konnte, die die Abwicklung des Beratervertrages durch den Kläger betreffen. Aufgrund einer entsprechenden Vorgabe durch den damaligen Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Beklagten, der die Vertretung der Beklagten durch die im Zeitpunkt der Vornahme des Geschäfts im Handelsregister ausgewiesenen Geschäftsführer für erforderlich hielt, wurde der Vertrag auf Seiten der Beklagten durch den Kläger und den weiteren Geschäftsführer Dr. B unterzeichnet. Zudem unterschrieb der Vorsitzende des Aufsichtsrats selbst unter dem handschriftlichen Zusatz "Kenntnisnahme: AR-Vorsitzender". Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Fotokopie der Vertragsurkunde (Bl. 6 ff. d.A.) sowie - bezüglich der Zustimmungen von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung - auf den Auszug aus dem Protokoll der Sitzung vom 10.12.2002 (Anlage B2 zur Klageerwiderungsschrift vom 4.6.2004) Bezug genommen.

Mit Anwaltsschreiben vom 1.4.2004 (Bl. 11 ff. d.A.) erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger die außerordentliche fristlose Kündigung des Beratervertrages wegen angeblicher Pflichtverletzungen des Klägers im Jahre 2002 während seiner Zeit als Geschäftsführer der Beklagten.

Der Kläger hält den Abschluss des Beratervertrages für wirksam und die Kündigung aus Rechtsgründen für unwirksam. Nach erfolgloser Aufforderung an die Beklagte, die Kündigung zurückzunehmen, hat er Klage gegen die Beklagte, vertreten durch ihren Geschäftsführer, vor dem Landgericht erhoben. Nach Erhebung der Klage wurde unter dem 11.5.2004 der Geschäftsbericht der Beklagten für das 1. Quartal 2004 (Bl. 284 ff. d.A.) erstellt. Darin heißt es:

"Der Beratervertrag mit Herrn Dr. H wurde zum 1. April 2004 gekündigt. Herr Dr. H hat dagegen Klage beim Landgericht Aachen eingereicht, die der Geschäftsführung inzwischen zugestellt wurde. In Abstimmung mit dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats, Herrn Landrat T, wird die Kanzlei S mit der Wahrung unserer Interessen beauftragt werden."

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, dass die von der Beklagten mit Schreiben der Rechsanwälte S U E & X aus A vom 1.4.2004 ausgesprochene außerordentliche Kündigung des zwischen den Parteien geschlossenen Beratervertrages vom 10.12.2002 unwirksam ist und das Vertragsverhältnis deshalb unverändert fortbesteht;

hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, einen Beratervertrag nachfolgenden Inhalts (siehe die mit dem Urteil des Landgerichts verbundene Anlage, Bl. 177-181 d.A.) abzuschließen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, der Kläger habe in seiner Zeit als Geschäftsführer der Beklagten im Zusammenhang mit dem Bau der "High Tech Mall" in K erhebliche Pflichtverletzungen begangen. Wegen der Einzelheiten wird auf den diesbezüglichen Sachvortrag der Beklagten, insbesondere S. 4 ff. der Klageerwiderungsschrift (Bl. 33 ff. d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat mit Urteil vom 11.2.2005 der Klage nach dem Hauptantrag stattgegeben.

Es hat angenommen, die Beklagte sei bei Abschluss des Beratervertrages durch ihren Geschäftsführer Dr. B wirksam vertreten worden. Der Unterschrift des zweiten, soeben bestellten Geschäftsführers Dr. C habe es nicht bedurft, weil die Bestellung des Dr. C weder in das Handelsregister eingetragen gewesen noch nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme dem Kläger bekannt gewesen sei. Auch sei eine Vertretung der Beklagten durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrats nicht erforderlich gewesen, weil der Kläger im Zeitpunkt des Abschlusses des Beratervertrages nicht mehr Geschäftsführer der Beklagten war. Bei Verträgen mit ehemaligen Geschäftsführern sei der Aufsichtsrat nur insoweit zur Vertretung der Gesellschaft berufen, als es um das frühere Anstellungsverhältnis gehe.

Die Kündigung vom 1.4.2004 sei unwirksam, weil die Beklagte sie nicht auf Umstände gestützt habe, die die Abwicklung des Beratervertrages betreffen, sondern auf angebliche frühere Pflichtverletzungen des Klägers in seiner Zeit als Geschäftsführer. Dies sei aber nach dem Beratervertrag rechtswirksam ausgeschlossen worden. Zudem sei die Kündigung gemäß § 626 Abs. 2 ZPO verfristet, weil der Beklagten die Verfehlungen des Klägers, auf die die Kündigung gestützt wird, jedenfalls seit dem Bericht der Geschäftsführung an den Aufsichtsrat vom 1.10.2003 bekannt gewesen seien.

Nach Zustellung des Urteils an die Beklagte am 15.2.2005 kam es am 5.4.2005 zu einer Sitzung des Aufsichtsrats der Beklagten, in welcher der Geschäftsführer N über den Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens berichtete und durch Rechtsanwältin Dr. I zu den Erfolgsaussichten der zur Fristwahrung bereits eingelegten Berufung vorgetragen wurde. Im Anschluss daran wurden folgende Beschlüsse gefasst:

"Beschluss des Aufsichtsrats:

Der Aufsichtsrat genehmigt bei 9 Ja-Stimmen, einer Enthaltung und einer Gegenstimme die von der Kanzlei S eingelegte Berufung und beauftragt die Geschäftsführung der F gemeinsam mit der Kanzlei S mit der Fortführung des Verfahrens.

Beschluss der Gesellschafterversammlung:

Die Gesellschafterversammlung genehmigt mit den Stimmen der … bei Enthaltung der Stadt … die von der Kanzlei S eingelegte Berufung und beauftragt die Geschäftsführung der F gemeinsam mit der Kanzlei S mit der Fortführung des Verfahrens."

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte den Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Sie macht - erstmals im zweiten Rechtszug - geltend, die Klage sei unzulässig. Sie, die Beklagte, könne in dem Prozess mit dem Kläger nicht von ihren Geschäftsführern vertreten werden. In einem Prozess mit - auch ausgeschiedenen - Geschäftsführern werde eine GmbH, bei der ein fakultativer Aufsichtsrat besteht, von diesem, nicht von den Geschäftsführern vertreten. Eine Genehmigung der Prozessführung des Geschäftsführers durch den Aufsichtsrat habe es nicht gegeben. Die Geschäftsführung sei im Wesentlichen nur angewiesen worden, das Berufungsverfahren zu führen, um den Eingriff in die Kompetenz des Aufsichtsrats abzuwehren. Ein anderer Angriff gegenüber der Entscheidung des Landgerichts habe demgegenüber weniger Erfolg versprochen.

Zudem hält die Beklagte daran fest, dass sie beim Abschluss des Beratervertrages nicht wirksam vertreten wurde. Nach dem Gesellschaftsvertrag hätte sie durch den Vorsitzenden der Gesellschafterversammlung, jedenfalls aber durch den Aufsichtsrat vertreten werden müssen. Schließlich behauptet sie, dass der Aufsichtsrat der Beklagten dem Abschluss des Beratervertrages nicht mit der nach § 17 des Gesellschaftsvertrages erforderlichen Mehrheit von ¾ der Kapitalanteile zugestimmt habe. Die von ihr ausgesprochene Kündigung sei wirksam.

Sie beantragt,

das Urteil des Landgerichts Aachen vom 11.2.2005 (7 O 104/04) abzuändern und die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet, abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass die Klage sich gegen die Beklagte, vertreten durch den Aufsichtsrat, dieser vertreten durch den Geschäftsführer N, richtet.

Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Die Klage sei zulässig. Die Beklagte könne sich nicht darauf berufen, dass sie im Prozess durch den Aufsichtsrat vertreten werden müsse. Der Geschäftsführer habe, wie der Geschäftsbericht für das 1. Quartal 2004 sowie das Protokoll der Aufsichtsratssitzung vom 5.4.2005 zeigten, alle Prozesshandlungen mit dem Aufsichtsrat abgesprochen, so dass von einer Genehmigung der Prozessführung des Geschäftsführers durch den Aufsichtsrat auszugehen sei. Im übrigen wiederholt und vertieft der Kläger sein erstinstanzliches Vorbringen.

Wegen der weitergehenden Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien und die zu den Akten gereichten Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

1. Die Klage ist zulässig. Die Beklagte wird durch ihren Geschäftsführer, der den Prozess in Vertretung des Aufsichtsrats führt, ordnungsgemäß vertreten.

a) Grundsätzlich ist allerdings davon auszugehen, dass die Beklagte in dem vorliegenden Rechtsstreit durch den Aufsichtsrat vertreten werden muss. Dass dieser Punkt von den Parteien in erster Instanz nicht problematisiert worden ist, ist unerheblich, denn die Frage der ordnungsgemäßen Vertretung ist in jeder Instanz von Amts wegen zu prüfen (Roth / Altmeppen, GmbHG, 5. Aufl. 2005, § 52 Rn. 27; Gummer / Heßler, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 24. Aufl. 2004, § 532 Rn. 3).

Bei der Beklagten besteht ein fakultativer Aufsichtsrat, dessen Stellung in § 11 des Gesellschaftsvertrages geregelt ist. Nach § 11 Nr. 7 des Gesellschaftsvertrags finden die in § 52 GmbHG angeführten Vorschriften des AktG auf den Aufsichtsrat entsprechende Anwendung, soweit in der Satzung nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 52 Abs. 1 GmbHG sind u.a. die Vorschriften der §§ 110 bis 114 AktG entsprechend anzuwenden. Bei entsprechender Anwendung bedeutet § 112 AktG, dass der Aufsichtsrat der GmbH die Gesellschaft gegenüber den Geschäftsführern gerichtlich und außergerichtlich vertritt (BGH, NJW-RR 2004, 330 f., BGH, NJW-RR 1990, 739 f.). Eine abweichende Bestimmung ist in dem Gesellschaftsvertrag nicht getroffen; eine solche liegt insbesondere nicht darin, dass Bestellung, Anstellung, Abberufung und Entlastung der Geschäftsführer nach § 17k des Gesellschaftsvertrags der Gesellschafterversammlung obliegt. Über die Vertretung der Gesellschaft sagt die Bestimmung, die offenkundig (nur) festlegen soll, welches Gremium der Beklagten die jeweilige Entscheidung in der Sache zu treffen hat, nichts aus, so dass es bei den ausdrücklichen Regelungen über die Vertretung in §§ 11 des Gesellschaftsvertrags, 52 GmbHG, 112 AktG bleibt.

Die Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats besteht ungeachtet der Tatsache, dass der Kläger seit dem 10.12.2002 bzw. 30.11.2002 nicht mehr Geschäftsführer der Beklagten ist:

Über den Wortlaut des § 112 AktG hinaus besteht die Vertretungszuständigkeit des Aufsichtsrats auch gegenüber ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern (der AG) bzw. Geschäftsführern (der GmbH), vgl. BGH, NJW-RR 1990, 739 f. mit weiteren Nachweisen zur Rspr. des 2. Zivilsenats des BGH in Abs. 6 (juris), Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, 2. Aufl. 2004, § 112 Rn. 21; Zöllner / Noack, in: Baumbach / Hueck, GmbH-Gesetz, 18. Auflage 2006, § 52 Rn. 107; Lutter / Hommelhoff, in: dies., GmbH-Gesetz, 16. Auflage 2004, § 52 Rn. 47. Entscheidend ist danach, ob bei typisierender Betrachtung die abstrakte Gefahr einer nicht unbefangenen Vertretung durch die Geschäftsführer besteht. Die bei einem Rechtsgeschäft mit einem ehemaligen Vorstandsmitglied unterstellte Befangenheit des Vorstands folgt aus der vermuteten solidarischen Haltung des Vorstands gegenüber dem früheren Vorstandskollegen, die sich aus der Dauer und Intensität der bisherigen Zusammenarbeit und den hierbei entstandenen engen persönlichen Beziehungen ergibt (Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, 2. Aufl. 2004, § 112 Rn. 21) und hat zum Ziel, eine unbefangene Vertretung der Gesellschaft sicherzustellen, die von sachfremden Erwägungen unbeeinflusst ist und sachdienliche Gesellschaftsbelange wahrt (BGH a.a.O., Abs. 6 bei juris). Hinzu kommt, dass die im Rechtsstreit zwischen der Gesellschaft und dem früheren Geschäftsführer erheblichen Fragen möglicherweise auch im Verhältnis der Gesellschaft zu ihrem derzeitigen Geschäftsführer von Bedeutung sind oder werden können (vgl. BGH, NJW-RR 1991, 926; OLG Köln - 22. Zivilsenat - DStR 1992, 991 f.). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es insbesondere auch nicht darauf an, ob mit der Rückkehr des Vorstandes der Aktiengesellschaft nicht zu rechnen ist oder wegen Ablaufs der Amtsperiode persönliche Kontakte des aktuellen zu dem früheren Vorstand noch eine nennenswerte Rolle spielen (BGH, NJW-RR 1991, 926, Abs. 5 bei juris).

Darauf, ob in der Person des jetzigen Geschäftsführers der Beklagten die entsprechenden Besorgnisse begründet sind, kommt es nach der typisierenden Betrachtungsweise nicht an. Die abstrakte Gefahr reicht aus (vgl. BGH, NJW-RR 1991, 926). Diese besteht vorliegend darin, dass auch für den derzeitigen Geschäftsführer die Frage eine Rolle spielt, ob im Falle seines Ausscheidens ein Anschlussberatervertrag auf Seiten der Gesellschaft von der Geschäftsführung oder vom Aufsichtsrat abzuschließen ist, ist aber auch ohne eine entsprechende Feststellung anzunehmen (die Entscheidung BGH, NJW-RR 2004, 330 f. enthält keine Ausführungen zur näheren Begründung der abstrakten Gefahr). Die Entscheidung OLG Köln DStR 1992, 991, die die abstrakte Gefahr für den Fall abgelehnt hat, dass Gegenstand des Rechtsstreits eine individuell mit dem früheren Geschäftsführer ausgehandelte Abfindungsvereinbarung ist, ist vereinzelt geblieben und nach Auffassung des Senats nicht überzeugend: für den aktuellen Vorstand / Geschäftsführer können die in einem solchen Verfahren ausgeloteten Grenzen einer solchen Vereinbarung auch persönlich von Bedeutung sein oder es jedenfalls werden.

Gegen die Notwendigkeit einer Vertretung der Beklagten durch den Aufsichtsrat spricht entgegen der vom Kläger vertretenen Rechtsauffassung auch nicht der Umstand, dass das vorliegende Verfahren nicht die - seit 2002 beendete - Stellung des Klägers als Geschäftsführer oder seinen Geschäftsführeranstellungsvertrag betrifft, sondern vielmehr Abschluss und Fortbestand des nach seinem Ausscheiden als Geschäftsführer abgeschlossenen Beratervertrages.

Entscheidend für eine Bejahung der Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrates ist, ob die Angelegenheit mit der Tätigkeit des früheren Vorstandsmitgliedes (bzw. Geschäftsführers) in Zusammenhang steht (Semler, in: Münchener Kommentar zum AktG, 2. Aufl. 2004, § 112 Rn. 21). Das ist am ehesten anzunehmen bei Streitigkeiten über die Bestellung oder Abberufung oder ihre Folgen, aber nicht auf diese Fälle beschränkt. Semler a.a.O., Rn. 31 (sowie in der Festschrift für Rowedder [1994], S. 441/448) hält den notwendigen Zusammenhang bei einem Beratungsvertrag mit einem ausgeschieden Vorstandsmitglieder grundsätzlich für gegeben (vorwiegend unter dem Aspekt, dass Ruhegehalt oder Abfindung nur durch den Aufsichtsrat zugesagt werden können und ein Beratervertrag häufig eine verdeckte Leistung in diesem Sinne darstellt. Aber auch dann, wenn es darum geht, die Erfahrungen und Fähigkeiten des ausgeschiedenen Vorstandes weiter für die Gesellschaft zu sichern, handele es sich um einen Vertrag, der in Nachwirkung des Vorstandsverhältnisses vom Aufsichtsrat abzuschließen sei.

Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Sie wird für den vorliegenden Fall maßgeblich durch folgenden Umstand abgesichert:

Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass die Auflösung des ordentlich nicht kündbaren Geschäftsführeranstellungsvertrages und der Abschluss des Beratervertrages im Zusammenhang zu sehen sind und eine Einheit darstellen. Ohne den Abschluss des Beratervertrages hätte der Kläger nicht freiwillig seine Position als angestellter Geschäftsführer aufgegeben, weil der Beratervertrag ihm die Fortentrichtung seiner Bezüge garantierte; dieser ist auch als eine "Ratenzahlungsvereinbarung über eine Abfindung" bezeichnet worden. In dieser Situation ist die Frage des wirksamen Abschlusses des Beratervertrages von Bedeutung auch für die (für den vorliegenden Rechtsstreit unerhebliche) Frage, ob der Anstellungsvertrag mit dem Kläger wirksam beendet worden ist. Stellen sich beide Verträge nämlich als Einheit dar, so dürften auch nur beide gemeinsam Bestand haben, wie sich aus § 139 BGB ergibt. Zwar besteht bei der Aufnahme zweier Verträge in getrennte Urkunden eine Vermutung für die Selbständigkeit beider Verträge, wenn die Vereinbarungen aber "miteinander stehen und fallen" sollen, bilden sie aber trotz getrennter Beurkundung eine Einheit (Heinrichs, in: Palandt, BGB, 65. Aufl. 2006, § 139 Rn. 5 mit Nachw.). Das ist nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien für den vorliegenden Fall jedenfalls nicht auszuschließen.

b) Der der eingereichten Klage deswegen anhaftende prozessuale Mangel ist aber dadurch geheilt, dass der zunächst nicht zur Vertretung der Beklagten berufene Geschäftsführer den Rechtsstreit von Anfang an in Abstimmung mit dem Aufsichtsrat führt. Der Vertretungsmangel kann in jeder Lage des Verfahrens geheilt werden (vgl. BGH, WM 1998, S. 308, Absatz 4 bei Juris, mit weiteren Nachweisen).

Die Prozessführung des Geschäftsführers kann durch den Aufsichtsrat genehmigt werden (BGH, NJW 1999, S. 3263 f., Absatz 9 bei Juris, mit weiteren Nachweisen). Eine solche Genehmigung, die auch konkludent erklärt werden kann, ist nach der zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs anzunehmen, wenn der Aufsichtsrat über das Verfahren unterrichtet ist, über die Fortführung des Verfahrens entsprechend der Zuständigkeitsregelung in dem Gesellschaftsvertrag - etwa durch die Entscheidung über den Widerruf eines Vergleichs - entscheidet, sowie weiter den Prozess verfolgt und in ihn steuernd eingreift, ihn als Gegenstand von Aufsichtsrats-Sitzungen behandelt etc. Ein solches Verhalten kann, so der Bundesgerichtshof, vom Empfängerhorizont aus nur als zumindest konkludente Genehmigung des gerichtlichen Verfahrens verstanden werden, die nicht widerruflich ist (BGH a.a.O.).

Eine Einbeziehung des Aufsichtsrats der Beklagten in das Verfahren in dem vorstehend geschilderten Sinne ist durch die vorgelegten Urkunden (Geschäftsbericht der Beklagten für das 1. Quartal 2004 sowie Protokoll der Aufsichtsrats-Sitzung vom 5.4.2005) belegt und von der Beklagten letztlich nicht bestritten worden. Sie hat allein eingewandt, die Geschäftsführung sei im Wesentlichen nur angewiesen worden, das Berufungsverfahren zu führen, um den Eingriff in die Kompetenz des Aufsichtsrats abzuwehren. Diese Darstellung findet indes in dem im Tatbestand wiedergegebenen Inhalt der vorgelegten Unterlagen keine Stütze. Vielmehr ist entsprechend einer Äußerung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 25.4.2006 davon auszugehen, dass die Frage der ordnungsgemäßen Vertretung der Beklagten in dem vorliegenden Verfahren erst nach der Aufsichtsratssitzung vom 5.4.2005 zu Tage getreten ist, nachdem dieser die Sachbearbeitung von Rechtsanwältin Dr. I übernommen hat. Widerlegt ist durch den Inhalt der vorgenannten Unterlagen auch die Darstellung des Geschäftsführers der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 16.3.2006, wonach es zwischen ihm und dem Aufsichtsrat keinerlei Verständigung über das Vorgehen in dem vorliegenden Rechtsstreit gegeben habe.

Indem der Aufsichtsrat der Beklagten das Vorgehen in dem Rechtsstreit mit dem Geschäftsführer bereits unmittelbar nach der Klageerhebung "abgestimmt" (Geschäftsbericht für das 1. Quartal 2004) bzw. zu Beginn des Berufungsverfahrens die Geschäftsführung mit der Fortführung des Verfahrens "beauftragt" hat (Protokoll der Aufsichtsrats-Sitzung vom 5.4.2005), ist darin eine Beauftragung des Geschäftsführers mit der Prozessführung zu sehen, die gleichzeitig - soweit erforderlich - eine Genehmigung der bisherigen - vollmachtlosen - Geschäftsführung beinhaltet. Durch dieses Verhalten hat der Aufsichtsrat, der von Anfang an Herr des Verfahrens war, die Vertretung der Beklagten in dem vorliegenden Verfahren übernommen (vgl. BGH, NJW 1999, S. 3263 f., Abs. 9 bei Juris).

2. Das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht von der Begründetheit der Klage ausgegangen.

a) Der Beklagten ist es verwehrt, sich auf eine mögliche Unwirksamkeit des Vertragsschlusses wegen des von ihr vorgetragenen Vertretungsmangels zu berufen.

Allerdings ist nach den Ausführungen zur Zulässigkeit davon auszugehen, dass die Beklagte auch bei Abschluss des Beratervertrages mit dem Kläger nicht durch ihre Geschäftsführung, sondern durch den Aufsichtsrat vertreten werden musste, wobei nach dem Parteivorbringen zu Grunde gelegt werden kann, dass der Aufsichtsrat nach den hierfür maßgeblichen Regelungen seinerseits durch seinen Vorsitzenden vertreten wird.

Daraus folgt zunächst, dass es unerheblich ist, ob der Kläger von der Bestellung des zweiten Geschäftsführers Dr. C bei Unterzeichnung des Vertrages Kenntnis hatte. Selbst bei vollständiger Unterzeichnung durch alle Geschäftsführer war die Beklagte nicht wirksam vertreten, weil Vertretung durch den Aufsichtsrat gesetzlich bzw. durch den Gesellschaftsvertrag vorgeschrieben war.

Offen bleiben kann letztlich, ob die Beklagte dadurch wirksam vertreten wurde, dass der Vorsitzende des Aufsichtsrats den Vertrag unter dem Zusatz "Kenntnisnahme" unterzeichnet hat. Denn auf eine daraus folgende mögliche Unwirksamkeit des Vertragsschlusses kann sich die Beklagte nicht berufen.

Nach dem insoweit unwidersprochen gebliebenen Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 2.9.2004 (Bl. 95 d.A.) hat er den Vertrag maßgeblich mit dem seinerzeitigen Aufsichtsratsvorsitzenden V ausgehandelt. Dieser hat einerseits "zur Kenntnisnahme" für den Aufsichtsrat selbst unterschrieben, andererseits dem Geschäftsführer Dr. B und dem Kläger als zwar abberufenen, aber noch im Handelsregister eingetragenen Geschäftsführer vorgegeben, dass sie zu unterschreiben hätten. In dieser Situation beruht die Unwirksamkeit des Vertragsschlusses allein auf einem Rechtsirrtum des vormaligen Aufsichtsratsvorsitzenden.

Damit korrespondiert, dass die Beklagte an keiner Stelle vorträgt, der Vertragsschluss sei am 10.12.2002 ihrerseits nicht beabsichtigt gewesen. Im Gegenteil steht fest, dass der auf den Vertragsschluss gerichtete Wille der Beklagten fehlerfrei gebildet worden ist, wie sich aus der Anlage B2 zur Klageerwiderungsschrift ergibt. Soweit die Beklagte im zweiten Rechtszug erstmals vorträgt, die für die Billigung des Beratervertrages erforderliche Mehrheit im Aufsichtsrat sei nicht erreicht worden, ist dies zum einen unsubstanziiert, weil nicht mitgeteilt wird, welches Stimmenverhältnis sich bei einer Auszählung nach Kapitalanteilen ergeben hätte. Die Beklagte trägt auch nur vor, es sei "eher davon auszugehen", dass die Mehrheit nicht ausreiche. Zum anderen ist das - bestrittene - Vorbringen auch in zweiter Instanz neu und kann damit nach § 531 ZPO nicht berücksichtigt werden.

Unerheblich ist daher, ob der vormalige Aufsichtsratsvorsitzende seine Unterschrift mit dem erforderlichen Rechtsbindungswillen geleistet hat, was aufgrund der Wortwahl ("Kenntnisnahme") eher fern liegt. Die Frage kann aber offen bleiben, denn aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 241 Abs. 2 BGB folgt, dass die Beklagte den Kläger jedenfalls so zu stellen hat, wie er bei wirksamem Vertragsschluss stünde:

Beruht bei unwirksamem Vertragsschluss die Unwirksamkeit auf einem Wirksamkeitshindernis, das aus der Sphäre einer Partei stammt, kann diese wegen Verursachung der Unwirksamkeit aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss schadensersatzpflichtig sein (BGHZ 62, S. 164 ff.; Heinrichs, in: Palandt, BGB, 65. Aufl. 2006, § 311 Rn. 41). Die Unwirksamkeit des Vertragsschlusses beruht aber allein auf einem Rechtsirrtum des vormaligen Aufsichtsratsvorsitzenden, für dessen Verschulden die Beklagte gemäß § 278 BGB einzutreten hat. Der Zeuge handelte auch fahrlässig im Sinne von § 276 BGB, indem er sich über die Rechtsgrundlagen der Vertretung der Beklagten bei dem Vertragsschluss unzureichend informiert hatte und damit die verkehrserforderliche Sorgfalt außer Acht ließ.

Der Anspruch aus § 311 BGB ist im vorliegenden Fall auf Abschluss des Vertrages gerichtet. Der Kläger ist so zu stellen, wie er ohne das vorvertragliche Verschulden stünde, also so, wie wenn das zur Vertretung der Gesellschaft berufene Organ unterschrieben hätte. Der Erfüllungsschaden ist zu ersetzen, wenn der Vertrag ohne das Verschulden mit dem Schädiger zu günstigeren Bedingungen zu Stande gekommen wäre (BGH, NJW 1998, S. 2900 ff., Abs. 15 bei juris; BGHZ 108, S. 200 ff., Abs. 17 bei juris; Heinrichs a.a.O., § 311 Rn. 58). Das Gleiche gilt, wenn der Vertrag wegen des Verschuldens nicht wirksam zu Stande gekommen ist.

Da der Kläger daher den Abschluss eines formwirksamen Beratervertrages (entsprechend dem Hilfsantrag) verlangen kann, verstößt die Berufung auf die Unwirksamkeit durch die Beklagte gegen Treu und Glauben.

b) Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die seitens der Beklagte erklärte Kündigung des Beratervertrages unwirksam ist.

Es kann dahin stehen, ob gegen die Wirksamkeit des in § 8 II 1 des Beratervertrages geregelte Ausschluss von Kündigungsgründen, die vor Abschluss des Beratervertrages bereits vorlagen, entsprechend der Auffassung der Beklagten Bedenken bestehen. Denn jedenfalls war der Beklagten nach den unerwidert gebliebenen Ausführungen in der landgerichtlichen Entscheidung gemäß § 626 Abs. 2 BGB verfristet, weil die maßgeblichen Tatsachen der Beklagten spätestens im Oktober 2003 bekannt waren. Auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Beklagte zu einer hinreichend gesicherten rechtlichen Einschätzung zur Frage der Pflichtverletzung gekommen war, kommt es nicht an. Das von der Beklagten angeführte Urteil des Bundesarbeitsgerichts (NJW 1985, S. 3096 ff.) befasst sich nicht mit der Frage, wie eine später erlangte Kenntnis über Rechtsfragen sich auf die Frist des § 626 Abs. 2 BGB auswirkt, sondern behandelt die Frage, ob nach einer zunächst ausgesprochenen Verdachtskündigung der Ausgang eines Strafverfahrens abgewartet werden kann, bevor erneut gekündigt wird.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Der Senat hat schließlich von einer Zulassung der Revision abgesehen. Weder kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern Belange der Rechtsfortbildung oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung der Bundesgerichtshofs (§ 543 Abs. 2 ZPO). Es handelt sich vielmehr um eine an den tatsächlichen Gegebenheiten orientierte Einzelfallentscheidung.

V. Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 150.336 € festgesetzt (dreifaches Jahresgehalt, § 43 Abs. 3 GKG, abzüglich 20 % [Feststellungsklage]).






OLG Köln:
Urteil v. 23.05.2006
Az: 18 U 50/05


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