VerfGH des Landes Berlin:
Beschluss vom 21. März 2002
Aktenzeichen: 130/00

(VerfGH des Landes Berlin: Beschluss v. 21.03.2002, Az.: 130/00)

Tenor

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen zwei die Kostenfestsetzung in einem sozialgerichtlichen Rechtsstreit betreffende Beschlüsse.

Der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin hatte als deren Prozessbevollmächtigter vor dem Sozialgericht Berlin in einer rentenversicherungsrechtlichen Angelegenheit Klage gegen die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erhoben sowie Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts eingelegt. Der Rechtsstreit in der Hauptsache wurde in der Berufungsinstanz durch übereinstimmende Erledigungserklärungen der Beteiligten beendet, nachdem die Beklagte den angefochtenen Bescheid zurückgenommen und sich bereit erklärt hatte, die außergerichtlichen Kosten zu übernehmen. Mit Schriftsatz vom 2. Juni 1999 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin, seine Kosten auf 1.508 DM (einschließlich Mehrwertsteuer) festzusetzen. Zur Begründung wies er darauf hin, dass er das erste juristische Staatsexamen besitze und seine Kosten gemäß dem Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Oktober 1995 € S 10 U 819/94 KE € analog zur Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) festzusetzen seien. Nach Anhörung der Beklagten, die sich gegen eine Kostenfestsetzung nach der BRAGO wandte, setzte die Urkundsbeamtin des Sozialgerichts durch Beschluss vom 17. Dezember 1999 die zu erstattenden Kosten auf 16 DM fest, wies den Antrag im Übrigen zurück und gab zur Begründung an: Gemäß § 193 Abs. 2 SGG seien im sozialgerichtlichen Verfahren Pauschbeträge nicht erstattungsfähig; die Aufwendungen müssten im Einzelnen dargelegt werden und zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig gewesen sein. Nach Aktenlage handele es sich bei dem Prozessvertreter weder um einen zur geschäftsmäßigen Besorgung von Angelegenheiten im Sozialversicherungsrecht zugelassenen Rechtsbeistand noch um einen zugelassenen Rechtsanwalt. Allein von diesen Personen könnten Gebühren und Auslagen nach der BRAGO beansprucht werden; die anderen Personen könnten die Erstattung der im Verfahren tatsächlich entstandenen notwendigen Auslagen für Porto, Fotokopien, Schreibwerk und ähnliches beantragen.

Zur Begründung seines Antrags auf Entscheidung des Gerichts gab der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin an, er habe auf eine rechtskräftige Entscheidung verwiesen, die einen ähnlichen Fall betreffe; es gebe auch weitere Rechtsprechung, derzufolge die Vertretung durch einen Referendar nach der BRAGO abgerechnet werden könne. Der Beklagten entstehe dadurch keinerlei Nachteil, da sie durch Einschaltung eines Rechtsanwalts, den sie unstreitig zu bezahlen habe, keine Vorteile habe. Mit Beschluss vom 20. Juli 2000, zugestellt am 31. August 2000, wies das Sozialgericht die Erinnerung des Bevollmächtigten der Beschwerdeführerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss mit der Begründung zurück, die Erinnerung sei zwar zulässig, aber nicht begründet; die Kammer stimme mit den Ausführungen der Urkundsbeamtin, deren Kostenfestsetzung nicht zu beanstanden sei, voll überein.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung des Eigentumsrechts (Art. 23 Abs. 1 VvB), des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 15 Abs. 1 VvB), des Gleichheitsrechts (Art. 10 Abs. 1 VvB) und des Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 15 Abs. 5 Satz 2 VvB) i. V. m. der Bestimmung des Art. 79 Abs. 1 VvB über die richterliche Unabhängigkeit. Durch die Entscheidungen werde ihr Eigentum, welches auch vermögenswerte Ansprüche umfasse, verletzt. Inhalt und Schranken dieses Rechts dürften sich nur aus dem Gesetz ergeben. § 193 SGG regele, dass die notwendigen Kosten einer Partei zu erstatten seien. Sofern ein Bevollmächtigter € wie hier € nicht nach der BRAGO abrechnen könne, seien seine Kosten bis zur Höhe der gesetzlichen Gebühren zu erstatten; dieses allgemein geltende Rechtsprinzip sei für das finanzgerichtliche Verfahren in § 139 Abs. 3 Satz 2 FGO ausdrücklich normiert. Eine Prüfung, ob die Kosten für die Vertretung notwendig gewesen seien, habe weder der Urkundsbeamte noch das Sozialgericht vorgenommen; die Vertretung durch einen Juristen sei notwendig gewesen, weil es um schwierige Fragen der Rentenversicherung gegangen sei. In den Beschlüssen werde der Sachverhalt verfälscht und wahrheitswidrig behauptet, es seien Kosten gemäß der BRAGO geltend gemacht worden. Die Beschwerdeführerin werde durch die Versagung der Erstattung der von ihr geschuldeten Beträge in ihrem durch Gesetz geregelten Eigentumsrecht und zugleich in ihrem Anspruch aus Art. 1 ZPI-MRK verletzt.

Die Entscheidungen verletzten zudem den Anspruch auf rechtliches Gehör. Die überwiegende Ansicht wende diesen Anspruch auch bei der Kostenfestsetzung durch den Urkundsbeamten an; verneine man dies, so greife Art. 6 Abs. 1 EMRK

mit der Pflicht zu einem fairen Verfahren ein. Der Urkundsbeamte sei darauf hingewiesen worden, dass die BRAGO nicht direkt zur Anwendung komme und es eine Parallelentscheidung des Sozialgerichts Freiburg gebe, wonach die Kosten analog zur BRAGO bei einem Vertreter mit erstem Staatsexamen zu erstatten seien. Dennoch sei der Sachverhalt weiterhin verfälscht und die unveröffentlichte Entscheidung nicht beigezogen worden. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin und die Entscheidung des Sozialgerichts Freiburg seien bei beiden Entscheidungen einfach nicht zur Kenntnis genommen worden. Man habe die Ausführungen der Beklagten zum Teil wörtlich übernommen und dann als gerichtliche Entscheidung deklariert.

Ferner liege eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vor. Es komme öfter vor, dass in rechtlich zulässiger Weise eine Prozessvertretung durch Personen erfolge, die nicht nach der Gebührenordnung abrechnen dürften. In diesen Fällen sei es ständige Rechtsprechung, dass die nach dem BGB geschuldeten Kosten bis zur Höhe der Gebührenordnung erstattet werden müssten; man wende die BRAGO analog an. Hiervon mache die angefochtene Entscheidung zum Nachteil der Beschwerdeführerin keinen Gebrauch, sondern behandele sie abweichend von der ständigen Rechtsprechung in gleichgelagerten Fällen. Es sei gefestigte Rechtsprechung, dass bei willkürlicher Entscheidung € wie sie hier gegeben sei € das Gleichbehandlungsgebot verletzt werde; die ständig grob unrichtige Sachverhaltsfeststellung werde sachgerecht als ein Verstoß gegen das Willkürverbot angesehen.

Schließlich sei die beschließende Richterin am Sozialgericht nicht gesetzliche Richterin. Sie sei nicht unabhängig, sondern stets nur parteiisch gewesen und habe mit allen Mitteln versucht, die Beschwerdeführerin zu schädigen und um ihr Recht zu bringen. Ihr Hass gegen die Beschwerdeführerin werde verstärkt durch die z. T. aggressive Ablehnung ihres Bevollmächtigten, gegen den bei den Sozialgerichten Berlins Hass geschürt werde, da er bereits zweimal dafür gesorgt habe, dass die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung der Menschenrechte durch das Sozialgericht Berlin verurteilt worden sei. Als verfassungsmäßiger Richter könne nicht angesehen werden, wer € wie bei dem Sozialgerichten Berlins € nicht die notwendige Gewähr für eine unabhängige Beurteilung der Streitsache biete. Bei der Richterin sei wegen Erkrankung der Beschwerdeführerin eine Vertagung beantragt worden, ohne dass hierauf eine Antwort oder Terminsaufhebung erfolgt sei. Im Urteil habe sie behauptet, die Klägerin habe gegen den angefochtenen Bescheid im Jahr 1986 Widerspruch eingelegt, womit sie eine Fälschung in einem anderen Punkt durch die Beklagte habe als verständlich hinstellen wollen. Der Sachverhalt sei in der Hauptsache entgegen § 103 SGG nie aufgeklärt, sondern ebenso wie bei der angegriffenen Entscheidung das Vorbringen der Beklagten übernommen worden. Im Hauptsacheverfahren sei der Antrag der Beschwerdeführerin zu ihrem Nachteil verfälscht und sogar entschieden worden, dass die außergerichtlichen Kosten nicht zu erstatten seien. Vor Erlass des Beschlusses vom 20. Juli 2000 sei ihr unbekannt gewesen, dass wieder die gleiche Richterin entscheiden werde, so dass die Beschwerdeführerin diese nicht habe ablehnen können.

II.

Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

Es kann dahinstehen, ob die Verfassungsbeschwerde insgesamt schon deshalb unzulässig ist, weil der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin nicht zu den in § 20 VerfGHG aufgeführten Kreis der vor dem Verfassungsgerichtshof vertretungsberechtigten Personen gehört

Soweit die Beschwerdeführerin rügt, ihr Recht auf den gesetzlichen Richter sei durch das Tätigwerden einer als befangen anzusehenden Richterin am Sozialgericht im Verfahren über ihre Erinnerung verletzt, ist sie bereits deshalb unzulässig, weil der aus § 49 Abs. 2 VerfGHG herzuleitende Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegensteht. Der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde verlangt, dass ein Beschwerdeführer über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus auch sonstige prozessuale Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. Beschlüsse vom 16. Dezember 1993 € VerfGH 104/93 € LVerfGE 1, 199 <201>, vom 8. Februar 1998 € VerfGH 80/96 € LVerfGE 8, 45 <51 f.> und vom 31. Juli 1998 € VerfGH 80/97 € LVerfGE 9, 33 <35>). Eine Verfassungsbeschwerde ist deshalb nicht zulässig, wenn der Beschwerdeführer eine nach Lage der Sache bestehende Möglichkeit, die behauptete Grundrechtsverletzung in einem fachgerichtlichen Verfahren ohne Inanspruchnahme des Verfassungsgerichtshofs zu beseitigen oder zu verhindern, nicht genutzt hat. Die Beschwerdeführerin hat die Inanspruchnahme von im Hinblick auf den Verlauf des Ausgangsverfahrens zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zur Verhinderung der nunmehr gerügten Grundrechtsverletzung unterlassen, indem sie kein Ablehnungsgesuch gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 SGS i. V. m. § 44 ZPO gegen die Richterin angebracht hat. Die Anbringung eines derartigen Gesuchs war vor Wirksamwerden des (gemäß § 197 Abs. 2 SGG unanfechtbaren) Beschlusses vom 20. Juli 2000 auch möglich und zumutbar. Da eine Befassung der bereits im Hauptsacheverfahren tätig gewordenen Richterin mit der Kostenerinnerung nicht als ausgeschlossen oder auch nur fernliegend anzusehen war, hätte es der Beschwerdeführerin bei Besorgnis der Befangenheit in Bezug auf diese Richterin obgelegen, sich nach der Gerichtsbesetzung zu erkundigen und sodann ein Ablehnungsgesuch anzubringen. Zudem hat die Richterin in einem am 15. August 2000 € also zwei Wochen vor ihrem vorliegend angegriffenen Beschluss € abgesandten Schreiben vom 20. Juli 2000 mitgeteilt, dass der Beschluss bereits abgesetzt sei, aber infolge ihres Sommerurlaubs erst Mitte bis Ende August zur Unterschrift gelangen werde. Spätestens nach diesem, in der Sachverhaltsdarstellung der Verfassungsbeschwerde mit der Ergänzung, der Inhalt der Entscheidung sei nicht mitgeteilt worden, ausdrücklich erwähnten Schreiben hätte die Beschwerdeführerin bei Besorgnis der Befangenheit Anlass gehabt, unverzüglich ein Ablehnungsgesuch einzureichen.

Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde nicht begründet.

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem durch Art. 23 Abs. 1 Satz 1 VvB geschützten Recht auf Eigentum. Der Eigentumsbegriff des Art. 23 VvB ist identisch mit dem des Art. 14 GG (vgl. Beschluss vom 3. Mai 2001 € VerfGH 39/00 € NZM 2001, 746 = ZMR 2001, 694 <695>). Dabei kann dahinstehen, ob durch die aus dem Prozessrechtsverhältnis fließende (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl. 1998, § 193 Rn. 1) Erstattungspflicht wegen der außergerichtlichen Kosten gemäß § 193 SGG Rechtspositionen begründet werden, die unter den verfassungsrechtlichen Begriff des Eigentums fallen, da es an einer Grundrechtsverletzung auch dann fehlt, wenn man diese Frage bejaht. Es ist Sache des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des verfassungsrechtlich geschützten Eigentums und die konkrete Reichweite der Eigentumsgarantie im Sinne des Art. 23 Abs. 1 Satz 2 VvB zu bestimmen; der verfassungsrechtliche Schutz einer Eigentumsrechtsposition reicht mithin nicht weiter als die mit ihr in zulässiger Weise verbundenen, gesetzlich definierten Befugnisse (vgl. Beschluss vom 23. November 2000 € VerfGH 72/00 € GE 2001, 50 <51>). Soweit Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde gerichtliche Entscheidungen sind, besteht die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofs nur in engen Grenzen. Die Gestaltung des Verfahrens, die Würdigung des Sachverhalts, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch den Verfassungsgerichtshof entzogen (Beschluss vom 30. Juni 1992

€ VerfGH 9/92 € LVerfGE 1, 7 <8 f.> st. Rspr., s. auch Beschluss vom 3. Mai 2001, a.a.0.). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, gerichtliche Entscheidungen und ihnen zugrunde liegende Verfahren € ähnlich wie eine Revisionsinstanz € in jeder Hinsicht auf ihre Übereinstimmung mit einfachem Recht zu prüfen. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle von Gerichtsentscheidungen beschränkt sich auf die Frage, ob die fachgerichtlichen Entscheidungen Fehler aufweisen, die auf einer grundsätzlichen Verkennung der Bedeutung eines Grundrechts oder des Umfangs seines Schutzbereiches beruhen. Gemessen an diesen Voraussetzungen ist der den Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten bestätigende Beschluss des Sozialgerichts vom 20. Juli 2000 nicht zu beanstanden. Die Vorschrift des § 193 SGG, auf die das Sozialgericht seine Entscheidung stützt, stellt € die Eigentumsqualität des Anspruchs auf Kostenerstattung unterstellt € eine Inhaltsbestimmung des Eigentums im Sinne von Art. 23 Abs. 1 Satz 2 VvB (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) dar. Gemäß § 193 Abs. 2 SGG sind Kosten die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten. § 193 Abs. 3 SGG bestimmt, dass die gesetzlichen Gebühren und die notwendigen Auslagen eines Rechtsanwalts (§§ 25 bis 30 BRAGO) oder eines Rechtsbeistands stets erstattungsfähig sind.

Nach dem vom Verfassungsgerichtshof anzulegenden Prüfungsmaßstab beruht die Auslegung und Anwendung von § 193 Abs. 2 und 3 SGG durch das Sozialgericht nicht auf einer grundsätzlichen Verkennung der Bedeutung des Eigentumsrechts oder des Umfangs seines Schutzbereichs; sie erscheint auch nicht als willkürlich oder sachlich unvertretbar. Die von der Beschwerdeführerin angegriffene Handhabung der Kostenerstattung durch das Sozialgericht kann sich auf eine in der höchstrichterlichen Rechtsprechung und Teilen der Literatur vertretenen Auffassung stützen. Die Frage, ob gemäß § 193 Abs. 2 SGG die Kosten anderer als der in § 193 Abs. 3 SGG genannten Prozessbevollmächtigten erstattungsfähig sind, ist umstritten (vgl. Knittel in: Henning, SGG, Stand: September 2001, § 193 Rnrn. 57, 79 einerseits und Meyer-Ladewig, a.a.O., § 193 Rn. 10c andererseits, der für die Erstattungsfähigkeit tatsächlich geschuldeter und gezahlter Entgelte für derartige Bevollmächtigte eintritt.

Das Bundessozialgericht hat zu der Regelung des § 63 SGB X entschieden, dass Zeit- und Arbeitsaufwand eines Bevollmächtigten, der nicht nach einer gesetzlichen Gebührenordnung abrechnen kann, im Widerspruchsverfahren nicht als €notwendige Aufwendung€ erstattungsfähig seien (Urteil vom 24. April 1996 € 5 RJ 44/95 € BSGE 78, 159 <160 ff.>). Die Kostenerstattungspflicht nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X umfasse keine Entgelte für die Arbeitskraft und die Arbeitszeit von Personen, die anstelle des Widerspruchsführers oder für ihn Arbeitszeit und Arbeitskraft aufgewandt haben; auf den unterlegenen Gegner könnten die Aufwendungen für den Einsatz fremder Arbeitskraft und Arbeitszeit nur abgewälzt werden, soweit der von dem Verfahrensbeteiligten eingesetzte Bevollmächtigte berechtigt sei, seine Mühewaltung aufgrund gesetzlicher Gebühren entlohnen zu lassen. Innerhalb der außergerichtlichen Kosten sei zwischen Parteikosten, nämlich Aufwendungen, die der Partei in eigener Person entstanden seien, und Kosten einer zulässigen Vertretung zu unterscheiden. Aus der Gleichartigkeit der Erstattungsregelung des § 63 Abs. 1 und 2 SGB X mit der Vorschrift des § 91 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO folge, dass Vertretungskosten nur erstattungsfähig seien, wenn sie auf einer gesetzlichen Ordnung des Kostenrahmens € einer "Gebührenordnung€ € beruhten. Dem unterlegenen Gegner könne nicht zugemutet werden, all das zu erstatten, was sich als Entgelt für die Mühewaltung aus dem Vertrag eines siegreichen Gegners mit dem von ihm Beauftragten ergebe. Eine gesetzliche Gebührenordnung, die den in § 63 Abs. 2 SGB X auch vorgesehenen Fall der Vertretung durch einen €sonstigen Bevollmächtigten€ erfasse, sei im deutschen Recht in einer für jede Art der Bevollmächtigten geltenden Formulierung nicht gegeben. Die Bevorzugung, die der Rechtsanwalt dadurch genieße, dass für ihn die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte vorhanden sei und seine danach berechneten Gebühren erstattungsfähig seien, ergebe sich aus seiner Stellung als ein unabhängiges Organ der Rechtspflege und berufener und unabhängiger Berater in allen Rechtsangelegenheiten. Die Unabhängigkeit des Rechtsanwalt erscheine aber nur dann gewährleistet, wenn seine wirtschaftliche Lage gesichert sei. Entsprechendes gelte auch für Rechtsbeistände, Patentanwälte und Verbandsvertreter. Andere Personen, die nicht berufene Vertreter in Rechtsangelegenheiten und nicht berechtigt seien, nach einer gesetzlichen Gebührenordnung abzurechnen, würden allein dadurch, dass sie eine nach dem Rechtsberatungsgesetz erlaubte Tätigkeit ausübten, noch nicht den Rechtsanwälten gleichgestellt.

Diese zu § 63 SGB X ergangene Rechtsprechung kann nach den ihr zugrundeliegenden Erwägungen auch für die Auslegung und Anwendung von § 193 Abs. 2 und 3 SGG herangezogen werden (vgl. insofern übereinstimmend Knittel, a.a.0., Rnrn. 57 und 79 sowie Meyer-Ladewig, Rn. 10 c), zumal da in § 193 Abs. 3 SGG der in § 63 Abs. 2 SGB X enthaltene Begriff der €sonstigen Bevollmächtigten€ fehlt und in Entsprechung zu § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausdrücklich und ausschließlich auf die €gesetzlichen Gebühren€ und notwendigen Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistand abgestellt wird. Die kontroverse Würdigung dieser Rechtsprechung in der Literatur (vgl. kritisch z. B. Meyer-Ladewig, a.a.0. Rn. 10 c und Philipp, in: Giese/Krahmer, Sozialgesetzbuch, 19. Lieferung 1999, X § 63 Rn. 9.2.2; dem BSG folgend: Knittel, a.a.0. sowie Roos in: von Wulffen, SGB X, 4. Aufl., 2001, § 63 Rnrn. 12 f.) sowie die abweichende Behandlung der Erstattungsfähigkeit von Kosten sonstiger Prozessbevollmächtigter im Zusammenhang mit Parallelvorschriften anderer Prozessordnungen (vgl. zu § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO z. B. Beschluss des OVG NW vom 8. Januar 1971 € II B 389/70 € OVGE 26, 144 betr. einen Referendar) vermag nichts daran zu ändern, dass es sich um eine nach Wortlaut und Sinnzusammenhang vertretbare Auslegung von § 193 Abs. 2 und 3 SGG handelt.

Zu einer anderen Beurteilung gibt auch der von der Beschwerdeführerin herangezogene Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 26. April 2001 € 11 WF 730/01 € (MDR 2001, 958 f.), demzufolge die Kosten für die Vertretung durch einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Rahmen von § 91 ZPO grundsätzlich bis zur Höhe der entsprechenden Gebühren eines Rechtsanwalts zu erstatten seien (a. A. LG Münster, Beschluss vom 8. Dezember 1994 € 5 T 1045/94 € ZMR 1996, 385 f.), keinen Anlass, zumal im Ausgangsverfahren die Kostenerstattung nicht im Hinblick auf die Vertretung durch einen Hochschullehrer, sondern allein unter Hinweis auf das erste juristische Staatsexamen des Prozessbevollmächtigten beantragt worden war.

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen demnach auch nicht Art. 10 Abs. 1 VvB in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Eine Grundrechtsverletzung liegt in dieser Hinsicht erst vor, wenn die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts unter keinem denkbaren Gesichtspunkt mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Willkür liegt danach dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm in krasser Weise missdeutet wird, wenn die Rechtslage mithin in krasser Weise verkannt wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall, da das Sozialgericht € wie dargelegt € die einschlägigen Normen im Ergebnis vertretbar angewendet hat. Da diese Gesetzesauslegung eine Stütze in der höchstrichterlichen Rechtsprechung der betreffenden Fachgerichtsbarkeit findet, ist auch kein Widerspruch zu einer € einschlägigen € ständigen Rechtsprechung dargetan, so dass die Bedeutung einer derartigen Abweichung für die Frage der Willkür dahinstehen kann.

Schließlich ist auch das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör nicht verletzt. Der Anspruch auf rechtliches Gehör, der in Art. 15 Abs. 1 VvB in Übereinstimmung mit Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet wird, gewährt den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu den der gerichtlichen Entscheidung zugrundeliegenden Tatsachen und zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Verfahrensbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. Beschluss vom 16. November 1995 € VerfGH 48/94 € LVerfGE 3, 113 <116> st. Rspr.). Dies bedeutet indessen nicht, dass das Fachgericht jedes Vorbringen ausdrücklich bescheiden müsste; grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat (Beschluss vom 18. Juni 1998 € VerfGH 97/97 € JR 1999, 234 <235> m. w. N.). Ein Verstoß gegen die Berücksichtigungspflicht ist demnach nur dann anzunehmen, wenn im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen oder Rechtsausführungen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden sind; ein solcher Umstand ist gegeben, wenn das Gericht zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, trotz entsprechenden Parteivortrags in den Entscheidungsgründen nicht Stellung nimmt (vgl. Beschlüsse vom 16. November 1995, a.a.0. S. 117 und vom 24. August 2000 € VerfGH 73/99 € NZM 2001, 87, 88 = MM 2000, 415, 416). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Das Sozialgericht hat ausweislich der Sachdarstellungen in beiden Beschlüssen zur Kenntnis genommen, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin Gebühren und Auslagen €analog€ zu Bestimmungen der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte berechnet hat. Mit der Begründung, allein Rechtsbeistände und Rechtsanwälte könnten Gebühren und Auslagen nach der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte beanspruchen, während andere Personen nur die Erstattung der im Verfahren tatsächlich entstandenen Auslagen für Porto, Fotokopien, Schreibwerk und ähnliches beantragen könnten, wird hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass das Gericht eine € auch analoge € Anwendung der Bestimmungen der Gebührenordnung auf Bevollmächtigte mit erstem juristischen Staatsexamen ablehnt, ohne dass der Formulierung (€nach€ statt €analog€) entscheidende Bedeutung zukäme. Da zu den Voraussetzungen der geltend gemachten Analogie keine näheren Ausführungen unterbreitet worden waren, liegt im Fehlen einer eingehenden Behandlung dieser Frage ebensowenig ein Gehörsverstoß wie im Unterlassen der Beiziehung einer unveröffentlichten erstinstanzlichen Entscheidung eines Sozialgerichts eines anderen Bundeslandes, zumal diese vor dem vorgenannten Urteil des Bundessozialgerichts ergangen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 33, 34 VerfGHG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.






VerfGH des Landes Berlin:
Beschluss v. 21.03.2002
Az: 130/00


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