Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Mai 2008
Aktenzeichen: 19 W (pat) 311/05
(BPatG: Beschluss v. 14.05.2008, Az.: 19 W (pat) 311/05)
Tenor
Das Patent DE 196 06 006 wird in folgender Fassung aufrecht erhalten:
Bezeichnung: Antrieb für einen Flügel eines Kipp-, Klapp- oder Drehfensters und Rauch- und Wärmeabzugsanlage und/oder Lüftungsanlage in einem Gebäude.
Patentansprüche 1 bis 12 vom 14. Mai 2008 wie überreicht, Angepasste Beschreibung vom 14. Mai 2008 wie überreicht, Zeichnungen wie Patentschrift.
Gründe
I.
Für die am 17. Februar 1996 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Anmeldung wurde die Erteilung des nachgesuchten Patents am 19. August 2004 veröffentlicht.
Das Patent betrifft einen Antrieb für einen Flügel eines Fensters, eine Klappe oder dergleichen.
Gegen das Patent hat die A... GmbH in A..., am 17. November 2004, eingegangen per Fax am selben Tag, Einspruch erhoben mit der Begründung, dass der Patentgegenstand im Blick auf einen im einzelnen genannten Stand der Technik nicht neu sei, zumindest aber nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Die Einsprechende stellt den Antrag, das Streitpatent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Streitpatent in folgender Fassung aufrecht zu erhalten:
Bezeichnung: Antrieb für einen Flügel eines Kipp-, Klapp- oder Drehfensters und Rauch- und Wärmeabzugsanlage und/oder Lüftungsanlage in einem Gebäude Patentansprüche 1 bis 12 vom 14. Mai 2008 wie überreicht, Angepasste Beschreibung vom 14. Mai 2008 wie überreicht, Zeichnungen wie Patentschrift.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet mit einer eingefügten Merkmalsgliederung:
"a) Antrieb für einen Flügel eines Kipp- Klapp- oder Drehfensters einer Rauch- und Wärmeabzugsanlage in einem Gebäudeb) mit einem am Flügel oder ortsfest am Blendrahmen angeordneten Antriebsmotor zum Öffnen und/oder Schließen des Flügels, dadurch gekennzeichnet, c) dass der Antriebsmotor (3) mindestens ein Zahnrad als Drehabtriebsglied (4, 12) aufweist, d) das im Eckbereich des Flügels (2) oder des Blendrahmens (1)
e) mit einen am Blendrahmen (1) bzw. am Flügel (2) abgestützten Kraftübertragungsglied (5, 13) zusammenwirkt, f) wobei das Zahnrad (4, 12) im Eckbereich des Flügels (2) oder des Blendrahmens (1) angeordnet ist, undg) wobei das Kraftübertragungsglied (5, 13) als Zahnstange ausgebildet ist, h) die an ihrem oberen Ende U-förmig abgebogen und mit ihrem kurzen Schenkel (13a) am Blendrahmen (1) bzw. am Flügel (2) um eine Achse (A) schwenkbar gelagert ist, derart, i) dass die U-förmige Abbiegung das Zahnrad (4, 12) umschließt und der lange Schenkel (13b) der Zahnstange (5, 13) auf seiner dem Blendrahmen (1) zugewandten Seite mit dem Zahnrad (4, 12) kämmt."
Die Einsprechende ist der Ansicht, dass es hinsichtlich der Funktion des Antriebs lediglich auf die - im Übrigen aus der DE 92 07 269 U1 bekannte - 3-Lager-Anordnung ankomme, nicht aber auf die konkrete Gestalt des Kraftübertragungsgliedes und dessen Verlauf, die jeweils beliebig seien, so dass die nunmehr beanspruchte U-förmige Gestalt der Zahnstange eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen könne.
Darüberhinaus seien aus der Beschreibung nicht alle funktionsnotwendigen Merkmale des mit U-förmiger Zahnstange versehenen beispielsgemäßen Antriebs aufgenommen. Hierzu zählten insbesondere noch der ein Abheben der Zahnstange verhindernde Anschlagbügel 16 und auch der die Zahnstange lagernde Halterungsbügel 15.
Die Patentinhaberin trägt im Wesentlichen vor, dass nicht alles naheliegend sei, was technisch möglich ist hinsichtlich der konkreten Gestalt des Kraftübertragungsliedes. Auch sei die nun beanspruchte U-Form nicht willkürlich, sondern ermögliche eine im Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel beschriebene gleiche Achsenhöhe der Lagerachsen von Zahnstange und Zahnrad mit dem Vorteil eines sicheren Verschlusses des Flügels.
Hinsichtlich der aus der Beschreibung aufzunehmenden Merkmale ist sie der Ansicht, dass sich lediglich die Grundidee der nun beanspruchten Ausführungsform in den Anspruchsmerkmalen wiederfinden müsse. So wisse der Fachmann, dass anstelle eines Bügels zur Führung der Zahnstange die zum bleibenden Eingriff mit dem Zahnrad erforderlichen Kräfte auch mit anderen Mitteln aufgebracht werden könnten, und dass der im Ausführungsbeispiel vorgesehen Halterungswinkel nur eine besonders vorteilhafte Möglichkeit zur Lagerung der Zahnstange sei.
Im Übrigen sei die nun beanspruchte Gestaltung des Kraftübertragungsgliedes und deren Zusammenwirken mit dem Drehabtriebsglied ohne Vorbild im Stand der Technik; auch fehle dem Fachmann auch jeder Anlass, die bekannte Zahnstange patentgemäß abzuwandeln und anzuordnen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
1. Einspruchsverfahren Gemäß der eindeutigen Zuständigkeitsregelung in § 147 Abs. 3 PatG in der Fassung vom 9. Dezember 2004 liegt die Entscheidungsbefugnis über den unstreitig zulässigen, am 30. Juni 2006, d. h. vor der Aufhebung des § 147 Abs. 3 PatG noch anhängigen Einspruch bei dem hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts (vgl. auch BGH Beschluss vom 27. Juni X ZB 6/05 - Informationsübermittlungsverfahren II).
Dieser hatte aufgrund mündlicher Verhandlung zu entscheiden.
Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.
Der zulässige Einspruch konnte keinen über die beantragte Beschränkung hinausgehenden Erfolg haben.
Als für die Beurteilung der Lehre des Streitpatents und des Standes der Technik zuständigen Fachmann sieht der Senat einen Techniker der Fachrichtung Maschinenbau mit Berufserfahrungen in der Entwicklung und dem Betrieb von Antrieben für Flügel von Türen und Fenstern aller Art an.
2. Offenbarung und Lehre der geltenden Ansprüche Der geltende Patenanspruch 1 basiert auf den erteilten Ansprüchen 1 und 2.
Ein Zahnrad als Drehabtriebsglied bzw. eine Zahnstange als Kraftübertragungsglied entnimmt der Fachmann den erteilten Ansprüchen 2 und 4 bzw. dem erteilten Anspruch 5, die mit den entsprechenden ursprünglichen Ansprüchen übereinstimmen.
Die im weiteren beanspruchte U-förmige Gestalt der Zahnstange und deren Anordnung, Lagerung und Zusammenwirken mit dem Zahnrad entnimmt der Fachmann dem Absatz [0027] der Streitpatentschrift als zur Erfindung gehörend, die insoweit mit den ursprünglichen Unterlagen übereinstimmt.
Denn in den Absätzen [0029] und [0030] der Patentbeschreibung ist auf die besonderen Vorteile eines sicheren Verschlusses mit einer solchen Anordnung verwiesen.
Die auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 11 und der die vorangehenden Ansprüche inhaltlich einschließende, nebengeordnete Anspruch 12 entsprechen inhaltlich den erteilten Ansprüchen 3 und 6 bis 15.
Entgegen der Auffassung der Einsprechenden musste weder der Anschlagbügel 16 noch der Halterungswinkel 15 in den Patentanspruch 1 aufgenommen werden.
Denn auch ohne dass es in der Patentschrift angegeben sein musste - der im Streitpatent als "Anschlagbügel" bezeichnete Bügel 16 ist dort selbstverständlich auch als Stangenführung wirksam - weiß der Fachmann, dass er mit geeigneten Mitteln für einen permanenten Eingriff von Zahnrad und Zahnstange sorgen muss, der aber nicht nur durch die gezeichnete bügelförmige Stangenführung sondern auch mit anderen einfachen Mitteln (z. B. Gewichts- oder Federkräften) erzielt werden kann.
Deshalb musste auch in der nächstkommenden DE 92 07 269 U1 die Stangenführung nicht im dortigen Hauptanspruch aufgenommen werden, sondern konnte erst im dortigen Anspruch 5 als besondere Ausgestaltung unter Schutz gestellt werden.
Entsprechendes gilt auch für den Halterungswinkel 15, der - wie die Patentinhaberin zutreffend ausgeführt hat - lediglich eine von verschiedenen technischen Möglichkeiten betrifft, eine Lagerstelle für die U-förmig gebogene Zahnstange im Eckbereich des Flügels vorzusehen.
3. Neuheit Der Gegenstand gemäß dem Patentanspruch 1 ist neu.
Die DE 92 07 269 U1 offenbart in Übereinstimmung mit Merkmalen des geltenden Anspruchs 1 einena) Antrieb für einen Flügel eines Kipp- Klapp- oder Drehfensters (S. 1 Abs. 1 und S. 6 Abs. 2 i. V. m. Fig. 1 bis 3) in einem Gebäudeb) mit einem am Flügel 4 (Fig. 1) oder ortsfest am Blendrahmen 3 (S. 2 Abs. 2 le. Satz) angeordneten Antriebsmotor 7 zum Öffnen und/oder Schließen des Flügels (PA 1), wobeic) der Antriebsmotor 7 ein Zahnrad 15 als Drehabtriebsglied aufweist (S. 3 le. Abs), dase) mit einen am Blendrahmen (1) bzw. am Flügel (2) abgestützten Kraftübertragungsglied 12 (Fig. 1-3) zusammenwirkt, undg) wobei das Kraftübertragungsglied 12 als Zahnstange ausgebildet ist (S. 3 le. Abs.), hteilweise) die am Blendrahmen (1) bzw. am Flügel (2) um eine Achse 13 schwenkbar gelagert ist (Fig. 1 bis 3 i. V. m. S. 2 Abs. 2), derart, iteilweise ) dass die Zahnstange (5, 13) mit dem Zahnrad (4, 12) kämmt (S. 3 le. Abs.).
Um eine einfache und in Schließstellung flache Schließvorrichtung zu erreichen (S. 1a Abs. 3), ist das Lager des Motors 7 näher an der Schwenkachse 6 des Flügels angeordnet als das Lager der Zahnstange (Anspr. 1). Eine besonders flache Bauweise wird offensichtlich dadurch erreicht, dass das Zahnrad 15 auf der dem Flügel abgewandten sichtbaren Seite der Zahnstange mit dieser kämmt.
Der Antrieb gemäß dem geltenden Anspruch 1 unterscheidet sich demnach von dem bekannten dadurch, dassd) das Zahnrad im Eckbereich des Flügels (2) oder des Blendrahmens (1) mit der Zahnstange zusammenwirkt, f) wobei das Zahnrad (4, 12) im Eckbereich des Flügels (2) oder des Blendrahmens (1) angeordnet ist, unddass die ZahnstangehRestmerkale) an ihrem oberen Ende U-förmig abgebogen und mit ihrem kurzen Schenkel (13a) gelagert ist, wobeiiRestmerkmake) die U-förmige Abbiegung das Zahnrad (4, 12) umschließt und der lange Schenkel (13b) der Zahnstange auf seiner dem Blendrahmen (1) zugewandten Seite mit dem Zahnrad kämmt.
Gegenüber dem aus der schwedischen Patentschrift 57548 bekannten Antrieb für einen Flügel eines um eine Achse A drehbaren Tores (Fig. 1 und 2) ist der patentgemäße Antrieb schon deshalb neu, weil das dortige Kraftübertragungsglied C (Fig. 1) nicht U-förmig ausgebildet ist mit einem kurzen und einem langen Schenkel, sondern mit auf seiner gesamten Länge veränderlicher Krümmung, auf deren Zahnung das Zahnrad D kämmt.
Die übrigen noch im Verfahren befindlichen - in der mündlichen Verhandlung weder von den Beteiligten noch vom Senat aufgegriffenen - Druckschriften liegen in Bezug den Gegenstand des nunmehr geltenden Anspruchs 1 weiter ab als der vorgenannte Stand der Technik und konnten außer Acht gelassen werden.
4. Erfinderische Tätigkeit Die Vorrichtung gemäß dem Patentanspruch 1 ergibt sich für den Fachmann auch nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.
Zwar stellt sich die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe, einen Antrieb für einen Flügel eines Kipp-, Klapp- oder Drehfensters einer Rauch- und Wärmeabzugsanlage zu schaffen, der für schmale Blendrahmen geeignet und dessen Platzbedarf minimiert ist ([0011] der geltenden Beschreibung), dem Fachmann in der Praxis von selbst, wenn die von der Gebäudearchitektur vorgegebenen Platzverhältnisse einen klein bauenden Antrieb erfordern.
Und es mag auch für den aus der DE 92 07 269 U1 bekannten Antrieb lediglich üblichen fachmännischen Handelns des Fachmanns bedürfen, dessen Zahnrad mit der Zahnstange im Eckbereich des Flügels für ein Zusammenwirken in diesem Bereich anzuordnen (Unterschiedsmerkmale d) und f)). Denn eine Verlegung des Zahnstangenlagers nach oben - d.h. in den in der Streitpatentschrift nirgends definierten "Eckbereich" hinein - kann schon für eine geänderte Öffnungskinematik des Flügels oder umgedrehte Anbaurichtung des Antriebsmotors zielführend sein.
Dem Fachmann fehlt aber im Stand der Technik jedes Vorbild und Anregung, anstelle der flach bauenden bekannten Zahnstange eine an ihrem oberen Ende U-förmig abgebogene Zahnstange vorzusehen, die in der in der Restmerkmalen h) und i) angegebenen Weise gelagert und in Eingriff mit der Zahnstange ist, und die den in der Patentschrift ([0029] und [0030]) beschriebenen Vorteil eines sicheren Verschlusses bietet durch eine - aus Figur 1 und 2 ersichtliche - Anordnung der Lagerachsen von Zahnstange und Zahnrad auf gleicher Höhe.
Die aus der schwedischen Patentschrift 57548 bekannte gekrümmte Zahnstange C gibt dem Fachmann schon deshalb keinen Hinweis auf die patentgemäße Zahnstangenform, weil dort der seitliche Abstand einer am Tor fest montierten Zahnstange zu den Lagerachsen von Zahnrad und Tor eine kontinuierliche Krümmungsänderung erfordert, damit diese für jede Torstellung in Eingriff miteinander bleiben.
Eine derartige spezielle Gestaltung der Zahnstange gehört auch nicht zu den von der Einsprechenden angesprochenen Gestaltvariationen eines Lenkers unter Beibehaltung der bekannten Drei-Achsen-Anordnung.
Um zum Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 zu gelangen, bedurfte es deshalb einer über bloßes fachmännisches Handeln hinausgehenden erfinderischen Tätigkeit.
Das Streitpatent hat auch hinsichtlich des nebengeordneten Anspruchs 12 Bestand, da sich dessen Patentfähigkeit aus der Ausbildung des Antriebs nach einem der vorangehenden Ansprüche ergibt.
Die geltenden Unteransprüche 2 bis 11 können sich an den Hauptanspruch anschließen. Die Patentbeschreibung ist an die geltenden Ansprüche angepasst.
Bertl Gutermuth Dr. Kaminski Groß
Pr
BPatG:
Beschluss v. 14.05.2008
Az: 19 W (pat) 311/05
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