Bundesgerichtshof:
Urteil vom 9. Oktober 2012
Aktenzeichen: X ZR 2/11
(BGH: Urteil v. 09.10.2012, Az.: X ZR 2/11)
Tenor
Die Berufung gegen das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentgerichts vom 14. Oktober 2010 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des am 20. Oktober 1998 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 923 886 (Streitpatents), das die Priorität der französischen Patentanmeldung 97 16 290 vom 17. Dezember 1997 in Anspruch nimmt. Das Streitpatent umfasst sieben Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet in der Verfahrenssprache Französisch wie folgt:
"Chaussure de sport comprenant une semelle externe (10) sur laquelle est montee une tige (11) delimitant une zone centrale d'introduction (9) du pied, et comportant une zone de laage (16) constituee d'un lacet ou cble (15) formant deux brins (15a,15b) qui relient entre eux par un parcours determine des elements de renvoi (1 à 8) de la zone de laage (16), et qui sont en liaison à proximite de leurs extremites libres avec un dispositif d'immobilisation ou bloqueur (20), caracterisee en ce qu'elle comporte , à proximite de la zone d'introduction (9) du pied, à l'extremite de la zone de laage (16), une poche de rangement (30) apte à recevoir à la fois les extremites libres des brins (15a, 15b) du lacet (15), s'etendant audelà du bloqueur (20) aprs serrage des quartiers (12, 13), ainsi que le bloqueur (20) proprement dit."
In der deutschen Übersetzung der Patentschrift lautet er:
"Sportschuh aufweisend eine äußere Sohle (10), auf welcher ein Schaft (11) montiert ist, welcher eine zentrale Einführzone (9) des Fußes begrenzt und aufweisend eine Schnürzone (16), welche durch einen Schnürsenkel oder ein Kabel (15) gebildet wird, wobei zwei Enden (15a, 15b) gebildet werden, welche zwischen sich Umkehrelemente (1 bis 8) der Schnürzone (16) durch einen festgelegten Verlauf verbinden, und welche in der Nähe ihrer freien Enden mit einer Feststell-Einrichtung oder einem Blockierer (20) in Verbindung sind, dadurch gekennzeichnet, dass er in der Nähe der Einführzone (9) des Fußes am Ende der Schnürzone (16) eine Verstauungstasche (30) aufweist, die angepasst ist, gleichzeitig die freien Enden der Enden (15a, 15b) des Schnürsenkels (15) aufzunehmen, die sich oberhalb des Blockierers (20) nach dem Spannen der Abschnitte (12, 13) erstrecken, wie auch den Blockierer (20) selbst."
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig; er sei weder neu noch beruhe er auf erfinderischer Tätigkeit. 1 Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Sie verteidigt das Streitpatent zudem mit zwei Hilfsanträgen.
Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Gründe
Die Berufung bleibt ohne Erfolg.
I. Das Streitpatent betrifft einen mit Schnürsenkeln oder Kabeln gebundenen Sportschuh, bei dem die Bindung durch eine Feststelleinrichtung oder einen Blockierer fixiert wird.
Nach der Beschreibung bieten die Blockierer mit der schnellen Spannbarkeit und Dauerhaftigkeit der Fixierung Vorteile auf dem Gebiet der Sportschuhe. Sie führten aber zu dem Nachteil, dass die Schnürsenkelenden oberhalb des Blockierers frei seien und damit beim Gehen und Laufen die Möglichkeit des Hängenbleibens eröffneten. Es seien Blockierer bekannt, in denen auch die Schnürsenkelenden verstaut werden könnten. Diese seien aber voluminös und könnten damit zu einer Behinderung bei gewissen Sportarten führen. Das deutsche Gebrauchsmuster 88 10 872 (NK4) zeige einen Sportschuh mit einer Verstauungseinrichtung für die Schnürsenkelenden und -schlaufen, die mit selbsthaftenden Mitteln wie einem Klettverschluss verschlossen seien. Wegen der selbsthaftenden Mittel seien indessen spezielle Schnürsenkel erforderlich. Die Verstauungseinrichtung sei aber nicht an einen Blockierer angepasst, der ein größeres Volumen erfordere und mit den selbsthaftenden Mitteln nicht zusammenwirken könne. Zudem beschreibe das Gebrauchsmuster einen Sportschuh, der konventionell ohne Blockierer gebunden werde.
Dem Streitpatent liegt demnach das technische Problem zugrunde, ein Schutzsystem für einen Blockierer an einem Sportschuh und die Schnürsenkel-4 enden zu liefern, das insbesondere die beschriebenen Nachteile im Stand der Technik vermeidet.
Zur Lösung dieses Problems schützt Patentanspruch 1 einen Sportschuh mit folgenden Merkmalen (kursiv die zusätzlichen Merkmale gemäß Hilfsantrag I, in eckigen Klammern die abweichende Gliederung des Patentgerichts):
1. einer äußeren Sohle, [2]
2. auf der ein Schaft montiert ist, der eine zentrale Einführzone des Fußes begrenzt, 3. einer Schnürzone, die durch einen Schnürsenkel oder ein Kabel gebildet wird 3.1 mit zwei Schnurabschnitten ("brins"), die zwischen sich Umkehrelemente der Schnürzone durch einen festgelegten Verlauf verbinden, [4] und 3.2 die in der Nähe ihrer freien Enden mit einer Feststelleinrichtung oder einem Blockierer verbunden sind, [5]
4. einer Verstauungstasche in der Nähe der Einführzone des Fußes am Ende der Schnürzone, [6]
4.1 die so angepasst ist, dass sie die freien Enden des Schnürsenkels aufnehmen kann, die nach dem Spannen der seitlichen Schaftteile (Quartiere) aus dem Blockierer hinausragen, [7] und 4.2 den Blockierer selbst aufnehmen kann, [8] und 4.3 die aus einem nachgiebigen, deformierbaren Material realisiert ist, 4.4 das rittlings an dem oberen Ende der Schnürzone aufgesetzt ist, um sie zu überdecken und mit ihr eine geschlossene Aufnahme, die von außen über ein Öffnungssystem zugänglich ist, zu begrenzen. 10 II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
Eine Vorrichtung entsprechend Patentanspruch 1 des erteilten Patents sei zwar zum Prioritätszeitpunkt neu, dem Fachmann aber aufgrund des deutschen Gebrauchsmusters 88 10 872 (NK4) in Verbindung mit seinem Fachwissen nahegelegt gewesen.
Aus der NK4 sei ein Sportschuh bekannt, der entsprechend Figur 1 die Merkmale 1 bis 3.1 (Sohle, Schaft, Schnürzone mit Schnurabschnitten) aufweise. Bei diesem Schuh würden im Unterschied zum Gegenstand des Streitpatents die Schnürsenkel nicht mit einem Blockierer, sondern als Schleife gebunden.
Dem Fachmann seien jedoch Verschlusseinrichtungen wie Blockierer bekannt gewesen. Die NK4 sehe für die Schlingen und die Enden der Schnürsenkel eine Tasche vor, um der Lockerungsneigung des Schnürsenkelknotens entgegenzuwirken. Damit betreffe die NK4 zwar ein anderes Problem als die Erfindung des Streitpatents. Gleichwohl führe die in der NK4 gefundene Lösung direkt zum Gegenstand des Streitpatents, denn der Fachmann erkenne ohne Weiteres, dass auf diese Weise festgehaltene Schnürsenkelenden bei sportlicher Betätigung auch nicht an einem anderen Gegenstand hängenbleiben könnten. Die Figur 1 der NK4 zeige, dass die Verstauungstasche am oberen 11 Ende der Schnürzone angebracht sei. Damit finde auch das Merkmal 4 in dieser Entgegenhaltung ein Vorbild.
Weil diese Tasche in der NK4 zum Unterbringen der Schlingen und der Enden der Schnürsenkel diene, sei sie zugleich auch angepasst, diese Abschnitte des Schnürsenkels aufzunehmen. Damit sei das Merkmal 4.1 vorweggenommen.
Bei sportlicher Betätigung würden Fuß und Schuh stark bewegt und damit Beschleunigungskräften in Richtung der Schuhspitze ausgesetzt. Ein Blockierer, der nicht wie die Schnürsenkelenden in der Tasche untergebracht sei, werde, verursacht durch die auftretenden Kräfte, hinauf- und herunterklappen und dabei zugleich die in der Tasche untergebrachten Schnürsenkel herausziehen. Damit wäre wieder die Gefahr verbunden, dass die Schnürsenkel hängenbleiben könnten, was gerade vermieden werden solle. Zudem könne die Bewegung des Blockierers zur Lockerung der Schnürung führen. Um dies zu verhindern, liege es im Bereich fachmännischen Handelns, auch den Blockierer zu fixieren und in der Tasche mit unterzubringen. Dass hierbei die Tasche an die Abmessungen des Blockierers entsprechend dem Merkmal 4.2 angepasst werden müsse, sei eine Selbstverständlichkeit.
III. Dies hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.
1. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 des Streitpatents ist nicht patentfähig, denn er beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).
a) Dem Fachmann, den das Patentgericht zutreffend als einen Schuhtechniker mit langjähriger Erfahrung in der Konstruktion und Herstellung von Sportschuhen definiert hat, war ein Sportschuh bekannt, der die allgemeinen Merkmale 1 bis 3.1 (Sohle, Schaft, Schnürzone mit Schnurabschnitten) eines Schuhs aufweist (vgl. nur die NK4).
b) Weiterhin war dem Fachmann bekannt, dass bei einem Sportschuh die Schnürsenkel anstatt durch eine Schleife mit einem Blockierer fixiert werden 15 können (vgl. etwa die US-Patentschrift 3 845 575, NK5). Wie das Patentgericht zutreffend angenommen hat, war vom Fachmann zu erwarten, diese Möglichkeit in seine Überlegungen für eine technische Weiterentwicklung mit einzubeziehen, denn die Vorteile der Verwendung eines Blockierers im Sinne einer schnellen und sicheren Bindung der Schnürsenkel waren im Stand der Technik bekannt, wie es auch die Beschreibung des Streitpatents hervorhebt (Sp. 1, Abs. 3 und 4). Angesichts der Bedeutung für die Sportausübung, die der Blockierer durch ein Verhindern des unbeabsichtigten Lösens der Schnürsenkelbindung bewirkt, durfte sich der Fachmann diesen Vorteilen nicht verschließen (Merkmal 3.2).
c) Darüber hinaus kannte der Fachmann das Problem mit losen Schnürsenkelschlaufen und -enden, die sich beim Laufen verhaken oder am anderen Schuh hängenbleiben könnten und damit ein Stolper- und Sturzrisiko darstellen. Ihm war hierzu aus der NK4 bekannt, dass die Schnürsenkelschlaufen und -enden in einer Verstauungstasche untergebracht werden können. Auch wenn die NK4 als Grund für die Verstauung der Schnürsenkel das Verhindern der Lockerung des Knotens angibt, konnte sich der Fachmann nicht über die sich ihm aufdrängende Überlegung hinwegsetzen, auf diese Weise auch ein Verhaken oder Hängenbleiben mit den Schnürsenkelschlaufen und -enden vermeiden zu können, zumal die NK4 selbst hervorhebt, dass mit der Verstauungstasche der Schnürsenkel nicht mehr herumschleudern kann (NK4 S. 2 Z. 14 bis 24). Um der Gefahr eines Verhakens und Hängenbleibens des Schnürsenkels während der sportlichen Betätigung zu begegnen, war deshalb vom Fachmann zu erwarten, für die Schnürsenkelschlaufen und -enden am Ende der Schnürzone eine Verstauungstasche vorzusehen (Merkmale 4 und 4.1).
Um dem Sportschuhnutzer beide Vorteile, schnelle und sichere Spannung der Schnürsenkel durch einen Blockierer sowie sicheres Verstauen der ansonsten herumschleudernden Schnürsenkel in einer Tasche, bieten zu können, war vom Fachmann weiter zu erwarten, beides in einem Schuh zu kombinieren. 21 d) Für einen solchen Sportschuh, der eine Verstauungstasche und einen Blockierer aufweist, lag für den Fachmann schon aus der Konstruktion des Schuhs heraus auch ohne ausdrücklichen Hinweis im Stand der Technik (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - X ZB 6/10, GRUR 2012, 378 - Installiereinrichtung II) die Überlegung nahe, die Tasche so zu dimensionieren, dass darin nur die Schlingen und Enden der Schnürsenkel Platz finden oder zudem auch der Blockierer.
Auf dieser Grundlage musste es sich dem Fachmann geradezu aufdrängen, dass in der Verstauungstasche auch der Blockierer seinen Platz finden soll. Der Fachmann hatte der Gefahr eines Hängenbleibens aufgrund von losen Enden der Schnürsenkel entgegenzuwirken und deshalb darauf bei der Dimensionierung der Verstauungstasche zu achten. Hierfür boten sich aufgrund der Beschaffenheit des Sportschuhs mit Schnürsenkeln und einem Blockierer an diesen im Wesentlichen nur die erkennbaren Alternativen an, lediglich die Schnürsenkelschleifen und -enden in der Tasche zu verstauen oder auch den Blockierer, der sich mit seinem Körper etwas von der Schnürzone und den Schaftteilen abhebt und leicht beweglich ist. Wie das Patentgericht zutreffend ausführt, war dabei vom Fachmann die Erkenntnis zu erwarten, dass die Drehbeweglichkeit des Blockierers um die Achse der von ihm in das Schnürsystem führenden Schnürsenkelabschnitte zu einem fortschreitenden Herausziehen der Schnürsenkelschlingen und -enden aus der Verstauungstasche führen kann, wenn nur diese Abschnitte des Schnürsenkels in der Tasche verstaut sind. Mit dem Herausziehen der Schnürsenkel aus der Tasche wären deren Enden frei beweglich, was wiederum die Gefahr eines Hängenbleibens während der sportlichen Betätigung begründen kann. Um dies zu vermeiden, war der Fachmann deshalb veranlasst, auch die Beweglichkeit des Blockierers einzuschränken, damit die Drehkräfte, die zu einem Herausziehen des Schnürsenkels aus der Verstauungstasche führen können, von vorneherein nicht auftreten.
Aufgrund dieser sich aus der Konstruktion und dem Ziel, ein Hängenbleiben der Schnürsenkelenden zu vermeiden, ergebenden Überlegungen, die 23 sämtlich durch den Stand der Technik und das Fachwissen nahegelegt waren und mit keinen technischen Schwierigkeiten verbunden sind, war es auch naheliegend, die Verstauungstasche entsprechend dem Merkmal 4.2 so anzupassen, dass diese auch den Blockierer mit aufnimmt.
e) Im Hinblick darauf war es auch insgesamt vom Fachmann zu erwarten, ausgehend von einem Sportschuh gemäß der NK4 diesen mit einem Blockierer zu kombinieren und die Verstauungstasche so anzupassen, dass darin auch der Blockierer seinen Platz findet. Die Weiterentwicklung hin zum Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents war somit insgesamt naheliegend und beruhte nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der Fassung nach den Hilfsanträgen I und II beruht ebenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
a) Mit Hilfsantrag I sollen die Merkmale 4.3 (Verstauungstasche aus nachgiebigem Material) und 4.4 (Überdecken des oberen Endes der Schnürzone nebst Öffnungssystem) hinzugefügt werden.
Mit Hilfsantrag II soll zusätzlich hierzu das folgende Merkmal hinzugefügt werden:
"wobei die Öffnung der Verstauungstasche sich durch Anheben ihres vorderen, unteren elastischen Randes bewerkstelligt mittels eines Greifelements, das fest verbunden ist mit der vorderen, freien Wand der Verstauungstasche."
b) Die mit diesen Hilfsanträgen beschriebene technische Weiterentwicklung beruht indessen weder für sich noch in Verbindung mit den weiteren Merkmalen des Patentanspruchs auf erfinderischer Tätigkeit. Insoweit kann auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des Patentgerichts zu diesen bereits in erster Instanz gestellten Hilfsanträgen verwiesen werden; entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine widersprüchliche Begründung darin nicht zu erkennen. Ein Griffelement entsprechend dem Hilfsantrag II war im Stand der Tech-26 nik allgemein bekannt, wie es beispielsweise in der Figur 1 des deutschen Gebrauchsmusters 93 15 640 (NK14) gezeigt wird.
3. Hinsichtlich der Gegenstände der Unteransprüche ist eine eigene erfinderische Leistung weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich (BGH, Urteil vom 29. September 2011 - X ZR 109/08, GRUR 2012, 149 - Sensoranordnung).
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
Keukenschrijver Mühlens Gröning Grabinski Hoffmann Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 14.10.2010 - 2 Ni 3/09 (EU) - 31
BGH:
Urteil v. 09.10.2012
Az: X ZR 2/11
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/1d380d0ef4d0/BGH_Urteil_vom_9-Oktober-2012_Az_X-ZR-2-11