Landgericht Köln:
Urteil vom 6. Oktober 2005
Aktenzeichen: 31 O 206/05
(LG Köln: Urteil v. 06.10.2005, Az.: 31 O 206/05)
Tenor
1.
Die Beklagten zu werden verurteilt, es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, wie nachstehend wiedergegeben in der Bundesrepublik Deutschland Sportwetten zu bewerben und/oder anzubieten:
- Es folgt eine 16-seitige Darstellung der Sportwetten. -
2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der dieser aus den in Ziff. 1 genannten Handlungen seit dem 15.02.2005 in Nordrhein-Westfalen bereits entstanden ist oder künftig noch entstehen wird.
3.
Die Beklagten werden verurteilt, der Klägerin Auskunft zu erteilen über die Umsätze, die mit oder aufgrund von Handlungen nach Ziff. 1 seit dem 15.02.2005 in Nordrhein-Westfalen erzielt wurden.
4.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als Gesamtschuldner.
6.
Das Urteil ist wie folgt vorläufig vollstreckbar:
- hinsichtlich der Unterlassung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 150.000 Euro
- hinsichtlich der Auskunft gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 Euro
- hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Klägerin organisiert und veranstaltet im Gebiet des Bundeslandes Nordrhein-Westfalen mit behördlicher Erlaubnis eine Vielzahl von Glücksspielen, insbesondere die Sportwette ODDSET. Die Veranstaltung von ODDSET findet in Abstimmung mit den übrigen 15 Landeslotteriegesellschaften statt, die jeweils für ihr Bundesland über die erforderlichen Genehmigungen verfügen. Der Jahresumsatz beträgt derzeit ca. 460 Mio. Euro, die jährlichen Werbeaufwendungen belaufen sich auf knapp 5 Mio. Euro.
Die Beklagte zu 1) betreibt in Köln eine Annahmestelle für entgeltliche Sportwetten unterschiedlicher Art, u. a. aus den Bereichen Fußball, Eishockey, Handball und Basketball. Die Spielpaarungen, auf deren Ausgang gesetzt werden kann, stammen insbesondere aus den europäischen Wettbewerben "Champions League", UEFA-Cup sowie den nationalen Ligen und Pokalspielen deutscher und anderer europäischer Clubs. Eigentlicher Veranstalter der Sportwetten ist eine Firma Q GmbH mit Sitz in Österreich, die dort über eine entsprechende behördliche Genehmigung verfügt. In dem Kölner Geschäftslokal der Beklagten zu 1) sind die jeweils aktuellen Wettprogamme der Q GmbH erhältlich. Die Beklagte zu 1) nimmt dort Wetten und Wetteinsätze entgegen und leitet diese an die Q GmbH in Österreich weiter. Sowohl im Impressum der Wettprogramme, als auch auf den Wettscheinen ist die Beklagte zu 1) als "Wettvermittler" für die Q GmbH aufgeführt. Bei dem Beklagten zu 2) handelt es sich um den Geschäftsführer der Beklagten zu 1). Unstreitig verfügen weder die Q GmbH, noch die Beklagte zu 1) in Deutschland über eine Genehmigung für die Veranstaltung von Glücksspielen, noch haben sie eine solche beantragt.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Beklagten durch die Wettvermittlung an die Firma Q GmbH wettbewerbswidrig gemäß den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG handeln, weil die Beklagte zu 1) dadurch ein unerlaubtes Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB ohne Genehmigung in Deutschland betreibe. Im Hinblick darauf, daß die Beklagte zu 1) der Bevölkerung in Deutschland den Abschluß von Spielverträgen mit der Q GmbH ermögliche, hafte sie selbst als Wettveranstalterin. Weil insoweit Veranstaltungsort des Wettangebots Deutschland sei, komme es auf eine Genehmigung österreichischer Behörden nicht an, sondern bedürfe es vielmehr einer Genehmigung durch deutsche Behörden.
Die Klägerin beantragt:
1.
die Beklagten zu verurteilen, es unter Androhung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000 Euro, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen, wie im Tenor wiedergegeben in der Bundesrepublik Deutschland Sportwetten zu bewerben und/oder anzubieten,
2.
festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der dieser aus den in Ziff. 1 genannten Handlungen in Nordrhein-Westfalen bereits entstanden ist oder künftig noch entstehen wird,
3.
die Beklagten zu verurteilen, der Klägerin Auskunft zu erteilen über die Umsätze, die mit oder aufgrund von Handlungen nach Ziff. 1 seit dem 15.02.2005 in Nordrhein-Westfalen erzielt wurden.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten meinen, es handele sich bei Sportwetten schon nicht um Glücksspiele im Sinne des § 284 StGB. Desweiteren sind sie der Auffassung, die Beklagte zu 1) hafte als bloße Wettvermittlerin nicht als Veranstalterin von Glücksspielen im Sinne dieser Vorschrift. Auch eine unerlaubte Beteiligungshandlung komme nicht in Betracht, da die Q GmbH am Veranstaltungsort in Österreich über eine Genehmigung der dortigen Behörden verfügen.
In den Mittelpunkt ihres Vortrages rücken die Beklagten gemeinschaftsrechtliche Aspekte. Sie vertreten insoweit die Auffassung, das gesamte Normengeflecht, welches das staatliche Monopol auf dem Glücksspielsektor in Deutschland begründen und absichern solle - § 284 StGB eingeschlossen - verstosse gegen höherrangiges Recht, nämlich die in Artikel 43 und 49 EG-Vertrag gewährte Dienst- und Niederlassungsfreiheit. Hierzu berufen sie sich auf die sogenannte Gambelli-Entscheidung des EuGH vom 06.11.2003 (NJW 2004, 139) sowie auf eine Entscheidung des BVerfG vom 27.04.2005 (1 BvR 223/05).
Nach der Rechtsprechung des EuGH seien Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit durch innerstaatliches Recht zwar zulässig; diese müßten jedoch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden. Staatliche Monopole auf dem Glücksspielsektor müßten notwendig und geeignet sein, um die anerkennenswerten Ziele auch zu erreichen. Ermuntere der Staat die Verbraucher auch dazu, an Lotterien, Glücksspielen oder Wetten teilzunehmen, damit der Staatskasse daraus Einnahmen zufließen, könnten sich die Behörden dieses Staates nicht im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Gelegenheiten zum Spiel zu vermindern, auf die öffentliche Sozialordnung berufen. Genau dies sei jedoch vorliegend der Fall. Die staatlichen Lottogesellschaften betrieben - wie die Beklagten näher darlegen - intensive Werbung für die von ihnen veranstalteten Glücksspiele mit dem Ziel, möglichst hohe Einnahmen zu generieren. Das staatliche Monopol diene folglich nicht der sozialpolitisch gewünschten Kanalisierung und Eindämmung des Spieltriebes, sondern ganz oder überwiegend fiskalischen Zwecken.
Erwiesen sich demnach der Lotterie-Staatsvertrag und die darauf aufbauenden Landesgesetze als europarechtswidrig, sei auch § 284 StGB nicht (mehr) anwendbar. Soweit der BGH noch in der Schöner Wetten-Entscheidung (GRUR 2004, 693) eine andere Auffassung vertreten habe, bedürfe dies der Überprüfung, insbesondere vor dem Hintergrund der oben genannten Entscheidung des BverfG, nach der - so sehen es die Beklagten - die Anwendbarkeit des § 284 StGB am Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts scheitere.
Hilfsweise beantragen die Beklagten, das Verfahren auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen, namentlich mit den Fragen,
ob Art. 43, 49 EG (Dienstleistungsfreiheit und Niederlassungsfreiheit) dahingehend ausgelegt werden müssen, dass die Sportwettenvermittlung von der Bundesrepublik Deutschland nach Österreich an ein dort nachweislich konzessioniertes Unternehmen, welches über eine behördliche Konzession zum Veranstalten von Sportwetten verfügt, vor dem Hintergrund der geltenden Gesetze (insbesondere des Strafrechts und der landesrechtlichen Umsetzung des Lotteriestaatsvertrages vom 01.07.2004 sowie des Sportwettengesetzes NRW) des nationalen deutschen Rechts zulässig ist oder nicht.
und
ob das in Nordrhein-Westfalen geschaffene Monopol zu Gunsten der Landeslotteriegesellschaft Nordrhein-Westfalen - Westlotto -, welches sich aus dem Sportwettgesetz NW ergibt, wonach wiederum weder Veranstalter aus anderen europäischen Ländern, noch die Wettvermittler in Deutschland überhaupt Konzessionen zum Anbieten, Veranstalten oder Vermitteln von Sportwetten erhalten können, gegen geltendes europäisches Gemeinschaftsrecht -namentlich die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit - verstößt, weil die Normen des Sportwettengesetzes NW es Privaten überhaupt nicht ermöglichen, solche Konzessionen - auch nicht unter Auflagen - zu erhalten, die Landeslotteriegesellschaften - darunter die Klägerin - aber zeitgleich massiv für den Abschluss von Sportwetten bundesweit werben, die Gelder zum Teil unmittelbar in den Landeshaushalt fließen und nachweislich fiskalische Interessen als Motiv für das Monopol im Vordergrund stehen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst überreichten Anlagen verwiesen.
Gründe
Die zulässige Klage ist begründet, weil das Angebot von Sportwetten in der beanstandeten Form gegen die §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 284 StGB verstößt und deshalb unlauter ist.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist § 284 StGB bei der hier gegebenen Konstellation tatbestandlich einschlägig.
Es entspricht praktisch einhelliger Auffassung und wurde auch von der Kammer stets so gesehen, daß Sportwetten unter den Begriff des Glücksspiels im Sinne dieser Vorschrift fallen, weil ihr Wesen darin besteht, daß die Entscheidung über Gewinn und Verlust nicht wesentlich von den Kenntnissen und Fähigkeiten der Spieler, sondern hauptsächlich von dem ihrer Einwirkungsmöglichkeit entzogenen Zufall abhängt (vgl. nur BGH, NStZ 2003, 372 f. sowie BGH a.a.O. Sportwetten m. w. N.). Daß bestimmte Spielausgänge aus Sicht eines bewanderten Spielers möglicherweise zu Recht als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen mögen, ändert daran nichts, zum einen weil dies bereits bei der Festsetzung der Wettquote Berücksichtigung findet und zum anderen, weil auch weniger kenntnisreiche Spieler zu den Teilnehmern zählen.
Desweiteren haftet die Beklagte zu 1) vorliegend auch als Veranstalterin eines Glücksspiels. Daran ändert sich nichts dadurch, daß sie als bloße "Wettvermittlerin" für die österreichische Q GmbH auftritt. Als Veranstalter im Sinne des § 284 StGB ist nämlich jeder anzusehen, der verantwortlich und organisatorisch den äußeren Rahmen für die Abhaltung des Glückspiels schafft und der Bevölkerung auf diese Weise den Abschluß von Spielverträgen ermöglicht (vgl. BGH, NStZ 2003, 372, 374; Tröndle/Fischer, StGB, 50. Aufl., § 284, Rz 11; Lackner/Kühl, StGB, 25. Aufl., § 284, Rz 11). Dies trifft nicht nur auf die Q GmbH zu, die die Wettprogramme erstellt, die Einsätze vereinnahmt und die Gewinnquoten ausschüttet, sondern auch auf die Beklagte zu 1). Die Unterhaltung ihres Wettlokals mit der darin angebotenen Zugänglichmachung von Wettprogrammen und der Entgegennahme von Wetten und Wetteinsätzen ist Teil des gesamten organisatorischen Rahmens, der der Bevölkerung in Deutschland die Teilnahme an Wetten der Q GmbH erst ermöglicht. Der Umstand, daß die Beklagte zu 1) die Wettdaten und -einsätze an die Q GmbH weiterleitet, ändert daran nichts. Der Begriff des "Veranstaltens" setzt nämlich nicht notwendig voraus, daß der Täter mit eigenen finanziellen Interessen am Ergebnis des Spielbetriebes tätig wird (vgl. BGH, NStZ 2003, 372, 374). Im Ergebnis handelt die Beklagte zu 1) arbeitsteilig mit der Q GmbH zur Verwirklichung eines gemeinschaftlichen Zwecks. Beide sind von daher als "Mittäter" anzusehen und haften jeder für sich.
Die objektiven tatbestandlichen Voraussetzungen des § 284 StGB sind nach alledem erfüllt. Auf die subjektive Tatbestandsseite kommt es dagegen nicht an, soweit es um die Feststellung der Wettbewerbswidrigkeit des Handelns im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG geht (vgl. BGH, GRUR 2005, 778 - Atemtest; Baumbach/Hefermehl/Köhler, UWG, 23. Aufl., § 4, Rz 11.52).
Aus der wettbewerbsrechtlichen Haftung der Beklagten führen desweiteren auch die im einzelnen angesprochenen gemeinschaftsrechtlichen Aspekte nicht heraus. Vielmehr bleibt die Kammer auch nach erneuter Überprüfung - und unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH und des BVerfG - bei ihrer in ständiger Rechtsprechung geäußerten Auffassung, dass das Angebot von Sportwetten in Deutschland wettbewerbsrechtlich unlauter im Sinne der §§ 3, 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 284 StGB ist, wenn diese Sportwetten nicht behördlich erlaubt wurden, insbesondere eine solche Erlaubnis noch nicht einmal beantragt ist. Sie sieht sich insoweit in vollständiger Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH vor und nach der Gambelli-Entscheidung (vgl. BGH GRUR 2002, 636 Sportwetten einerseits und BGH GRUR 2004, 693 Schöner Wetten andererseits) sowie der nahezu einhelligen instanzgerichtlichen wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung (vgl. nur OLG Hamburg MMR 2004, 752).
Im Einzelnen:
Zur Vermeidung einer Strafbarkeit gemäß § 284 StGB bedarf die Veranstaltung von Sportwetten in Deutschland der Erlaubnis einer zuständigen inländischen Behörde. Dass in § 284 StGB die Erlaubniserteilung einer zuständigen inländischen Behörde und nicht etwa nur irgendeiner Behörde innerhalb der Gemeinschaft jedenfalls nach bisheriger Rechtslage vorausgesetzt ist, ist von den Gerichten stets so gesehen worden (vgl. nur BGH a.a.O. Sportwetten, Schöner Wetten). Dies ergibt sich bereits aus der Natur der Sache. Im gemeinschaftsrechtlich nicht harmonisierten Bereich des Glückspielwesens steht es nämlich im Ermessen eines jeden Mitgliedstaates, ob und ggf. welche Regelungen er hierzu treffen will (vgl. nur BGH a.a.O. Sportwetten, Schöner Wetten m. w. N.). Von daher versteht es sich von selbst, daß behördliche Genehmigungen immer nur in den Grenzen des jeweiligen Mitgliedstaates, nicht aber für das Gebiet der anderen Mitgliedstaaten gelten können. Vor dem Hintergrund, daß die Beklagte zu 1) in Deutschland als Wettveranstalterin tätig ist, kann sie sich nicht auf die der Q GmbH durch österreichische Behörden erteilte Genehmigung berufen.
Der Verstoß gegen die Vorschrift des § 284 StGB, die eine wettbewerbsbezogene Norm darstellt (BGH a.a.O. Sportwetten, Schöner Wetten), welche auch dem Schutz der Verbraucher dient, führt dementsprechend zur Unlauterkeit des Handelns der Beklagten zu 1) gemäß den §§ 3, 4 Nr. 11 UWG und läßt gemäß § 8 UWG den geltend gemachten Unterlassungsanspruch entstehen. Die wettbewerbsrechtliche Haftung des Beklagten zu 2) ergibt sich ohne weiteres aus seiner Stellung und Funktion als Geschäftsführer der Beklagten zu 1).
Die von den Beklagten hiergegen erhobenen Bedenken gehen nach Auffassung der Kammer an der Sache vorbei.
Soweit die Beklagten die landes- und bundesgesetzlichen Regelungen, die bislang
- faktisch - ein Monopol der staatlich kontrollierten Landesgesellschaften zur Veranstaltung von Sportwetten vorsehen, unter Darlegung der Bedenken vor allem im Hinblick auf die Gambelli-Entscheidung des EuGH für europarechtswidrig halten, braucht hierüber nicht entschieden zu werden. Diese Fragestellungen betreffen bei Lichte betrachtet lediglich die Problematik, ob die bisherige Erlaubnispraxis der deutschen Behörden gemeinschaftsrechtlich diskriminierungsfrei erfolgt oder ob der Gesetzgeber und/oder die Behörden gehalten sind, hier künftig andere Maßstäbe anzulegen.
Diese gesamte Diskussion ändert aber nichts daran, dass die Vorschrift des § 284 StGB als solche nach zutreffender Auffassung nicht gegen die durch Art. 43 und 49 EG-Vertrag gewährleisteten Grundfreiheiten der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit verstößt. Der BGH hat hierzu - in Kenntnis und unter Berücksichtigung der Gambelli-Entscheidung des EuGH - in seiner Entscheidung Schöner Wetten ausgeführt:
"Die Strafvorschrift des § 284 StGB verbietet jedoch lediglich das
Veranstalten eines Glücksspiels ohne behördliche Erlaubnis und ist
insoweit durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses
gerechtfertigt ... Sie trifft selbst keine Entscheidung darüber, ob und
inwieweit Glücksspiele abweichend von ihrer grundsätzlichen Un-
erlaubtheit zugelassen werden können oder nicht (vgl. Bundes-
verwaltungsgericht, NJW 2001, 2648), und verstößt als solche schon
deshalb nicht gegen die Niederlassungsfreiheit und die Dienst-
leistungsfreiheit... Nach europäischem Gemeinschaftsrecht steht es
im Ermessen der Mitgliedsstaaten, Glücksspiele auch vollständig zu
verbieten (es folgen Zitate von EuGH - Entscheidungen). Selbst wenn
die landesrechtlichen Vorschriften über die Erteilung einer behördlichen
Erlaubnis zur Veranstaltung von Glücksspielen nicht mit Artikel
46 und 49 EG vereinbar sein sollten... wäre deshalb die Veranstaltung
von Glücksspielen im Internet für inländische Teilnehmer nicht
erlaubnisfrei zulässig (vgl. BGH GRUR 2002 636 Sportwetten; A.A. - in
einem Eilverfahren - VGH Kassel, GewAarch 2004, 153)."
Dem ist hinzuzufügen, dass die zuletzt als abweichend
zitierte Auffassung des VGH Kassel nach Sichtung der jüngeren
Rechtsprechung eine Mindermeinung darstellen dürfte (vgl. etwa
VGH Mannheim MD 2005, 466 ODDSET- Wetten mit zahlreichen
Nachweisen). In neuerer Zeit vertritt zudem auch der VGH Kassel die Auffassung, es gebe keinen Anspruch eines privaten Sportwettenveranstalters darauf, daß er seiner Tätigkeit ohne Genehmigung bis zur endgültigen rechtlichen Klärung in der Hauptsache nachgehen darf (vgl. VGH Kassel v. 29.08.2005, Anlage CBH 23 zum nachgelassenen Schriftsatz der Klägerin vom 15.09.2005).
Nach Auffassung der Kammer kann nicht ernsthaft darüber
diskutiert werden, dass Glücksspiel ein erhebliches Gefahrenpotential
bei der Förderung von Spielleidenschaft und Spielsucht in sich birgt,
und dass es deshalb aus übergeordneten Interessen der Allgemein-
heit reglementiert werden darf. Das betont auch ausdrücklich der
EuGH in ständiger Rechtsprechung, zuletzt in der Gambelli-Entscheidung.
Ein probates, verhältnismäßiges Mittel ist insoweit sicher der Erlaubnisvorbehalt, der strikt zu trennen ist von der Frage nach den Kriterien für die Erlaubniserteilung oder -versagung. Lediglich letzteres mag einer Überprüfung bedürfen, nicht aber der Grundsatz als solcher.
Auch der EuGH geht in seiner Gambelli-Entscheidung nicht davon aus, daß bereits ein strafbewehrtes Verbot der Veranstaltung von Wetten als solches eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs darstellt, sondern - wie er in Beantwortung der Vorlagefrage (Erwägung Nr. 76) ausführt - nur dann, wenn der betreffende Mitgliedstaat keine Konzession oder Genehmigung erteilt. Nur dann stellt sich überhaupt die Frage, ob die einer solchen ablehnenden Entscheidung zugrunde liegenden Regelungen angesichts ihrer konkreten Anwendungsmodalitäten den damit verfolgten anerkennenswerten Zielen Rechnung tragen.
Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer keinen Anlaß, dem hilfsweise gestellten Antrag der Beklagten auf Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH nachzukommen.
Etwas anderes ergibt sich für die Beurteilung des vorliegenden Falles auch nicht aus der von den Beklagten angeführten Entscheidung des BVerfG vom 27.04.2005, die auf die Gambelli-Entscheidung des EuGH Bezug nimmt. Diese - im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangene Entscheidung - betrifft den besonderen Fall der lediglich vorläufigen Vollziehbarkeit einer behördlichen Untersagungsverfügung. Damit ist aber nichts darüber gesagt, ob die behördliche Untersagung einer nicht genehmigten Glücksspielveranstaltung im Hauptsacheverfahren nicht weiter Bestand haben kann. Davon geht bislang die weit überwiegende verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung aus.
Im vorliegenden Fall geht es weder um die eine, noch um die andere, sondern um die wiederum anders gelagerte Frage nach dem wettbewerbswidrigen Verhalten eines Veranstalters, der Wetten anbietet, ohne die dafür erforderliche behördliche Erlaubnis eingeholt oder auch nur beantragt zu haben. Auch dafür kann aus der Entscheidung des BVerfG nichts unmittelbar hergeleitet werden.
Erweist sich nach alledem der geltend gemachte Unterlassungsan-
spruch als begründet, waren die Beklagten auch zur Auskunfts-
erteilung zu verurteilen sowie die Verpflichtung zur Leistung von
Schadensersatz festzustellen, da ihr Verschulden offensichtlich ist.
Die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung des BGH war im hier
fraglichen Zeitraum auch unter Berücksichtigung der Gambelli-
Entscheidung völlig eindeutig und zweifelsfrei; Fragen der Zulassungs-
praxis haben mit dem vorliegenden Verfahren ersichtlich nichts zu
tun, zumal eine Erlaubnis nie beantragt wurde.
Teilweise abzuweisen war die Klage lediglich insoweit, als die Klägerin den Antrag auf Feststellung der Schadensersatzpflicht - anders als den geltend gemachten Auskunftsanspruch - nicht befristet hat. Es ist im Wettbewerbsrecht anerkannt, daß sowohl Auskunft, als auch Schadensersatz lediglich ab der ersten festgestellten Verletzungshandlung begehrt werden können.
Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 04.10.2005 gibt keine Anlaß zur Wiedereröffnung der Verhandlung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Der zu weitgehende Teil des Antrags auf Feststellung der Schadensersatzpflicht wirkt sich streitwert- und kostenmäßig nicht aus. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709, S. 1 ZPO.
Streitwert: 150.000,00 Euro
LG Köln:
Urteil v. 06.10.2005
Az: 31 O 206/05
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