Oberlandesgericht Karlsruhe:
Beschluss vom 12. November 2008
Aktenzeichen: 15 Verg 4/08
(OLG Karlsruhe: Beschluss v. 12.11.2008, Az.: 15 Verg 4/08)
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss der Vergabekammer Baden-Württemberg beim Regierungspräsidium Karlsruhe vom 31. März 2008 - 1 VK 4/08 - geändert:
Es wird festgestellt, dass die Verträge, die die Antragsgegnerin am 29.11.2007, am 17.12.2007 und am 7.01.2008 mit der Beigeladenen zu 1 über die Lieferung von insgesamt 13.200 Altpapierbehältern mit einem Fassungsvermögen von 240 l und insgesamt 350 Altpapierbehältern mit einem Fassungsvermögen von 1.100 l geschlossen hat, sowie die Verträge, die die Antragsgegnerin mit der Beigeladenen zu 3 am 14.12.2007, am 20.12.2007 und am 18.01.2008 über die Montage und Verteilung der genannten Altpapierbehälter geschlossen hat, nichtig sind.
Im übrigen wird der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.
2. Die weitergehende sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.
3. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
4. Der Gegenstandswert der Beschwerde wird auf 22.334,81 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Nachdem die Antragstellerin, ein Entsorgungsunternehmen, ihr Vorhaben kundgetan hatte, auf dem Stadtgebiet der Antragsgegnerin Altpapier, -pappe und -kartonagen (Abfälle der sogenannten PPK-Fraktion) zu sammeln und dafür blaue Tonnen an interessierte Haushalte zu verteilen, fasste die Antragsgegnerin ins Auge, die Sammlung durch einen Eigenbetrieb selbst durchzuführen. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Abfälle der PPK-Fraktion über öffentlich aufgestellte Depotcontainer und die Betriebshöfe der Antragsgegnerin sowie durch Bündelsammlungen €Vereine und Organisationen erfasst.
Am 20.11.2007 stimmte der Gemeinderat der versuchsweisen Einführung eines kostenlosen Abfallsammelbehälters für die PPK-Fraktion (im Folgenden: Altpapiertonne) auf freiwilliger Basis für die Dauer eines Jahres zu und beschloss die Änderung der Abfallwirtschaftssatzung dahingehend, dass (unter anderem) Altpapier und Kartonagen zu den stationären Sammelstellen zu bringen sind, alternativ in Altpapiertonnen zur Abholung bereitgestellt werden können, soweit diese durch die Antragsgegnerin eingeführt sind.
Am 21.11.2007 schätzte die Antragsgegnerin die Zahl der Haushalte, die sich an der Einführung der Altpapiertonne beteiligen würden, und damit den Bedarf anzuschaffender Behälter auf 5.000 Altpapiertonnen mit einem Fassungsvermögen von 240 l und auf 200 Altpapiertonnen mit einem Fassungsvermögen von 1.100 l; die Kosten für deren Beschaffung schätzte sie auf 195.000,- Euro (netto). Nach Einholung mehrerer Angebote bestellte sie am 29.11.2007 bei der Beigeladenen zu 1 entsprechend dem geschätzten Bedarf Altpapiertonnen, deren Räder und Achsen noch nicht montiert waren. Danach holte sie Angebote für die Montage und Verteilung der Tonnen ein (geschätzte Auftragssumme 20.000,00 Euro) und beauftragte damit am 14.12.2007 die Beigeladene zu 3.
Ab dem 07.12.2007 verteilte die Antragsgegnerin an die € Haushalte Informationsschreiben mit Bestellkarten für die Altpapiertonne. Nachdem bis zum 17.12.2007 Bestellungen über 5.106 Tonnen zu 240 l und 75 Tonnen zu 1.100 l eingegangen waren, bestellte die Antragsgegnerin an diesem Tag bei der Beigeladenen zu 1 weitere 2.200 Altpapiertonnen zu je 240 l (geschätzte Auftragssumme 50.000,- Euro) und nach Eingang weiterer Bestellungen am 07.01.2008 weitere 6.000 240-l-Tonnen und 150 1.100-l-Tonnen (geschätzte Auftragssumme 180.000,- Euro). Mit der Montage und Verteilung der bestellten weiteren Altpapiertonnen beauftragte sie am 19.12.2007 und 15.01.2008 (nach Schätzung der Auftragssummen auf 7.500,- und 22.000,- Euro) wiederum die Beigeladene zu 3, später auch noch mit Nachverteilungen in geringerem Umfang. Außerdem mietete die Antragsgegnerin im Januar bzw. Februar 2008 zwei Sammelfahrzeuge für ein Jahr an.
Die Antragstellerin erfuhr erstmals von der Einführung der Altpapiertonne durch die Antragsgegnerin aus der Presse vom 27.11.2007. Mit Schreiben vom gleichen Tag rügte sie die fehlende Ausschreibung und teilte ihr Interesse an der Durchführung der Leistungen und der Lieferung sämtlicher zur Durchführung einer PPK-Sammlung im Holsystem erforderlichen Waren mit. Die Rüge wiederholte sie mit vier weiteren Schreiben, nachdem sie vom Fortgang der Beschaffungen durch die Antragsgegnerin erfahren hatte. Diese lehnte jeweils eine Abhilfe ab, letztmals mit Schreiben vom 12.02.2008.
Daraufhin hat die Antragstellerin am 25.02.2008 die Nachprüfung der Vergabe beantragt. Sie hat vorgetragen, die Antragsgegnerin hätte die Leistungen europaweit ausschreiben müssen. Deren Schätzungen über den Wert der Aufträge seien fehlerhaft und daher unbrauchbar. Bei dem Vorgang der Beschaffung der Altpapiertonnen über das Einsammeln bis zur Verwertung der PPK-Abfälle handele es sich um einen einheitlichen Auftrag, dessen Schätzwert über dem Schwellenwert nach § 2 VgV liege. Sie, die Antragstellerin, könne auch noch nach Erteilung der Aufträge durch die Antragsgegnerin die Nachprüfung der Vergabe verlangen. Die von dieser geschlossenen Verträge seien nach § 13 Abs. 6 VgV nichtig. Die Antragsgegnerin habe sie, die Antragstellerin, von der Auftragserteilung vergaberechtswidrig nicht rechtzeitig unterrichtet.
Die Antragsgegnerin hat erwidert, der Nachprüfungsantrag sei unzulässig. Der Schwellenwert sei nicht erreicht worden. Die Werte der einzelnen Aufträge seien nicht zusammenzurechnen. Die Aufträge seien jeweils nach korrekt geschätztem Bedarf erteilt worden. Bei Erteilung der einzelnen Aufträge sei nicht absehbar gewesen, dass die Zahl der erforderlichen Altpapiertonnen letztendlich höher liegen würde. Die Aufträge über die Montage und Verteilung der Altpapiertonnen sowie die Anmietung der Müllfahrzeuge seien aus dem gleichen Grund auch nicht hinzuzurechnen, außerdem deswegen nicht, weil sie nicht auf gleichartige Leistungen gerichtet gewesen seien.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze an die Vergabekammer nebst Anlagen verwiesen.
Die Vergabekammer hat mit Beschluss vom 31. März 2008 entschieden, dass die von der Antragsgegnerin erteilten Aufträge zur Lieferung der Altpapiertonnen sowie deren Montage und Verteilung zurückabzuwickeln sind, und hat den weitergehenden Nachprüfungsantrag als unzulässig abgelehnt. Der Vorgang der Altpapiertonnenbeschaffung sowie deren Montage und Verteilung müsse einheitlich betrachtet werden. Dies gelte auch schon für die erste Teilbeschaffung im November 2007. Der Einwand der Antragsgegnerin, sie habe zu jenem Zeitpunkt noch daran gedacht, die Altpapiertonnen durch eigene Bedienstete montieren und verteilen zu lassen, sei nicht glaubhaft. Hinsichtlich der zweiten Teilbeschaffung vom 17.12.2007 könne außerdem nicht der von der Antragsgegnerin geschätzte Auftragswert zugrunde gelegt werden. Denn die zu diesem Zeitpunkt aufgestellte Prognose eines Bedarfs von weiteren 2.200 Tonnen sei nicht nachvollziehbar. Die Antragsgegnerin hätte die Zahl der benötigten Tonnen auf 6.500 schätzen müssen. Dann hätte sich - zusammen mit dem Auftragswert für Montage und Verteilung - ein Auftragswert über dem Schwellenwert ergeben. Die dritte Teilbeschaffung vom 7.01.2008 könne nur zusammen mit der zweiten Teilbeschaffung gesehen werden. Denn die dritte Beschaffung hätte sich bei korrekter Schätzung der Zweiten erübrigt. Hinsichtlich der Anmietung der beiden Sammelfahrzeuge für ein Jahr sei der Schwellenwert nicht erreicht. Diese Vorgänge seien eigenständig zu betrachten. Es handle sich nicht um gleichartige Leistungen. Auch die Verwertung der gesammelten PPK-Fraktion sei nicht zu berücksichtigen. Diese erfolge im Rahmen schon zuvor bestehender Verträge. Die von der Antragsgegnerin geschlossenen Beschaffungsverträge seien nichtig. Die Antragsgegnerin hätte die Antragstellerin wegen deren mitgeteilten Interesses über die Auftragsvergabe unterrichten müssen, was sie nicht getan habe. Die Verträge seien daher zurückabzuwickeln.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer hat die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde eingelegt.
Zur Begründung führt sie aus, dass sie die Beschaffung der Altpapiertonnen nicht habe ausschreiben müssen. Der Auftragswert habe den Schwellenwert nicht überschritten. Es sei allein ihre Sache gewesen, den Beschaffungsbedarf festzulegen, soweit durch eine Aufteilung nicht der Auftragswert unzulässig beeinflusst würde. Den Beschaffungsvorgang habe sie aber nicht unzulässig aufgeteilt. Der Auftrag über die Lieferung der Altpapiertonnen am 29.11.2007 und der über deren Montage und Verteilung vom 14.12.2007 seien nicht zusammenzufassen, weil sie, die Antragsgegnerin, zunächst bestrebt gewesen sei, die Montage und Verteilung der Altpapiertonnen durch eigene Bedienstete bzw. innerhalb bestehender Verträge durchzuführen. Die fehlende Realisierbarkeit habe sich erst nach der Bestellung von Altpapiertonnen herausgestellt. Die Bedarfsschätzung vom 17.12.2007 für die zweite Bestellung habe dieselbe Grundlage wie die Schätzung aus dem November 2007 und knüpfe daran an. Es sei unvorhersehbar gewesen, dass nach der Bestellung vom 17.12.2007 in erheblichem Umfang weitere Altpapiertonnen angefragt worden seien. Es sei vielmehr zu erwarten gewesen, dass der wesentliche Teil der Bestellungen unmittelbar nach der Verteilung des Informationsbriefes schon erfolgt gewesen sei. Die Werte der Aufträge zur Lieferung der Altpapiertonnen sowie zu deren Montage und Verteilung seien zudem deshalb nicht zusammenzuzählen, da es sich nicht um gleichartige Leistungen handele. Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag unzulässig, da die Zuschläge bereits wirksam erteilt worden seien. Die Verträge seien nicht nichtig. Die Antragstellerin habe nicht unterrichtet werden müssen. Diese habe kein Interesse an den einzelnen vergebenen Aufträgen, sondern nur an einem einheitlichen Gesamtauftrag bekundet. Sie habe auch kein Angebot abgegeben. Davon abgesehen habe die Antragstellerin keinen Anspruch auf Rückabwicklung, selbst wenn die de-facto-Vergabe vergaberechtswidrig gewesen wäre. Da dafür die Mitwirkung Dritter erforderlich sei, sei die Rückabwicklung rechtlich und tatsächlich unmöglich. Eine Rückabwicklung sei auch unzumutbar, da deren Aufwand größer sei als der der Beschaffung.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Entscheidung der Vergabekammer aufzuheben und den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die Antragsgegnerin im Verfahren vor der Vergabekammer für notwendig zu erklären.
Die Antragstellerin beantragt,
die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.
Sie verteidigt den Beschluss der Vergabekammer.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten im Beschwerdeverfahren wird auf deren Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
II.
Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig, hat aber nur hinsichtlich des Ausspruchinhalts, jedoch keinen weitergehenden Erfolg. Zu Recht hat die Vergabekammer ausgeführt, dass die Verträge, die die Antragsgegnerin im Rahmen der Beschaffung und Verteilung der Papiertonnen abschloss, nichtig sind. Entgegen der Ansicht der Vergabekammer ist hier jedoch nicht die Rückabwicklung auszusprechen.
A.
Der Nachprüfungsantrag ist bezüglich der Beschaffung der Papiertonnen sowie deren Montage und Verteilung zulässig.
1. Auch wenn nicht die Art und Weise der Einleitung oder Durchführung eines geregelten Vergabeverfahrens gerügt wird, sondern beanstandet wird, dass ein nach Maßgabe des § 97 Abs. 1 GWB geregeltes Vergabeverfahren bislang nicht stattfand, ist der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin statthaft. Nach gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung liegt schon eine der Nachprüfung zugängliche Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers vor, wenn dieser beschließt, kein geregeltes Vergabeverfahren einzuleiten, weil der zu erteilende Auftrag seiner Auffassung nach nicht in den Anwendungsbereich der einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts bzw. des diese umsetzenden nationalen Rechts fällt (vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2005 - X ZB 27/04 - Rn. 12 ff., zitiert nach juris).
2. Die Antragstellerin ist gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt. Sie hat unmittelbar nach Bekanntwerden aufgrund eines Zeitungsartikels vom 27.11.2007 (I/299) mit Schreiben vom selben Tag ihr Interesse an einem Auftrag bekundet (I/301). Die Antragsgegnerin durfte das Schreiben der Antragstellerin nicht so verstehen, dass diese nur daran Interesse hatte, die Altpapierentsorgung in seiner Gesamtheit zu übernehmen. In dem Schreiben spricht die Antragstellerin vielmehr von ihrem Interesse an der Durchführung der Leistungen und der Lieferung sämtlicher erforderlichen Waren. Wie schon die Vergabekammer ausgeführt hat, ist der Formulierung nicht zu entnehmen, dass die Antragstellerin nur mit der Entsorgung insgesamt beauftragt werden wollte. Die ausdrückliche Erwähnung des Interesses, Waren - zu ergänzen: an die Antragsgegnerin - zu liefern, ist vielmehr so zu verstehen, dass die Antragstellerin auch zu einzelnen Leistungen im Rahmen des Aufbaus eines Holsystems durch die Antragsgegnerin bereit war. Dies wird auch durch die Erklärung der Antragstellerin auf Seite 2 ihres vierten Rügeschreibens vom 01.02.2008 (I/515) deutlich, dass sie - zu dieser Zeit war bekannt, dass die Antragsgegnerin durch einen Eigenbetrieb die Papiertonne leeren würde - an ihrem Interesse an der Erbringung sämtlicher Leistungen festhalte. Außerdem berief sie sich in ihrer Rüge in erster Linie auf die Verletzung der im Vergabeverfahren zu beachtenden Gebote der Gleichbehandlung und Transparenz. Dies bedeutete, dass sie bei der Vergabe von Aufträgen auch berücksichtigt werden wollte. Dadurch, dass die Antragsgegnerin die Leistungen nicht ausschrieb und die Antragstellerin bei der Vergabe nicht berücksichtigte, droht dieser auch ein Schaden, wofür die Beeinträchtigung der Aussichten auf den Zuschlag ausreicht (vgl. BGH, a.a.O., Rn. 17). Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Antragstellerin, wären die Leistungen gemäß §§ 97 ff. GWB ausgeschrieben worden, den Zuschlag erhalten hätte.
3. Der vierte Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen findet gemäß § 100 Abs. 1 GWB Anwendung. Zu Recht hat die Vergabekammer angenommen, dass der bis 31.12.2007 geltende Auftragswert (Schwellenwert) gemäß §§ 127 Nr. 1 GWB, 3 Nr. 3 VgV von 211.000,- Euro bzw. der ab 01.01.2008 geltende Auftragswert von 206.000,- Euro überschritten wurde.
a) Der Auftragswert ist unmittelbar vor Einleitung des Vergabeverfahrens zu schätzen (§ 3 Abs. 1 und 10 VgV). Für die Schätzung des Auftragswerts ist gemäß § 3 Abs. 1 VgV von der Gesamtvergütung der vorgesehenen Leistung auszugehen.
Der Leistung ist zumindest in den wesentlichen Punkten vorher festzulegen (OLG Celle, Beschluss vom 12.07.2007 - 13 Verg 6/07 - Rn. 32, zit. nach juris). Bekannte und vorhersehbare Umstände sind zu berücksichtigen (vgl. BGH NJW 1998, 3640/3642). Vorliegend waren die Anzahl der voraussichtlich anzuschaffenden Altpapiertonnen und die Kosten der Anschaffung einschließlich Montage und Verteilung an die Haushalte zu schätzen.
aa) Vorgesehen war von der Antragsgegnerin die Anschaffung von Altpapiertonnen und deren Verteilung an die Haushalte des Stadtgebiets, die eine solche bestellten. Auch wenn sie zunächst nur vorsah, einen Auftrag über die Lieferung der Altpapiertonnen zu erteilen, sind die Werte der beiden (Teil-) Aufträge über die Lieferung sowie über die Montage und Verteilung der Altpapiertonnen gemäß § 3 Abs. 1 und 5 VgV zusammenzuzählen. Der Begriff des Auftrags im Sinne der §§ 97 ff. GWB und der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 ist autonom nach dem Zweck des europäischen Vergaberechts, potentiellen Bietern den Zugang zu öffentlichen Aufträgen zu garantieren, die für sie von Interesse sind, auszulegen und daher funktional zu verstehen (EuGH, Urteil vom 18.01.2007 - C-200/05 - Rn. 52 f., zitiert nach juris). Nach diesem Grundsatz sind die Kosten von Montage und Verteilung der Altpapiertonnen in die Schätzung des Auftragswertes für Beschaffung einzubeziehen. Zwischen der Lieferung einerseits und der Montage und Verteilung andererseits bestand ein funktionaler Zusammenhang in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht; die Aufträge sollten auch in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang ausgeführt werden (vgl. zum Auftragswert bei Baumaßnahmen § 99 Abs. 3 GWB; OLG Rostock, Beschluss vom 20.09.2006 - 17 Verg 8/06 - Rn. 55, zitiert nach juris; Müller-Wrede, Kompendium des Vergaberechts, Kap. 4 Rn. 67; Kapellmann/Messerschmidt/Maimann, VOB, 2. Auflage, § 3 VgV Rn. 3). Montage und Verteilung der Altpapiertonnen stellten keinen von deren Lieferung abtrennbaren Beschaffungsvorgang dar. Die Altpapiertonnen sollten nach dem Willen der Antragsgegnerin an die Haushalte des Stadtgebiets verteilt werden, um dort für die Altpapierentsorgung eingesetzt zu werden. Montage und Verteilung vervollständigten somit nur die vorgesehene Leistung der Versorgung der Haushalte mit Altpapiertonnen. Die Tonnen wurden nur deshalb ohne Achsen und Räder angeliefert, um den Transport zu vereinfachen. Ohne Montage und Verteilung waren die Tonnen nicht nutzbar und die Altpapiertonnenbeschaffung im Rahmen des Aufbaus des Altpapier-Holsytems unvollständig.
bb) Der Addition der Werte der unterschiedlichen Aufträge steht nicht § 3 Abs. 5 Satz 2 VgV entgegen, nach dem bei Lieferaufträgen nur Lose über gleichartige Lieferungen bei der Schätzung zu berücksichtigen sind. Der Kauf der Altpapiertonnen war ein Lieferauftrag im Sinne des § 99 Abs. 2 und 6 GWB und des Art. 1 Abs. 2 lit. c der Richtlinie 2004/18/EG. Montage und Verteilung der Behälter waren Bestandteile dieses Lieferauftrags und nicht eigenständige (Liefer-) Leistungen. Zwar sind Montage und Lieferungen nach allgemeinem Sprachverständnis andere Leistungen als eine Lieferung. Sie sind aber nicht im Sinn von § 3 Abs. 5 Satz 2 VgV andersartig als die Altpapiertonnenlieferung, wenn es um die Vorbereitung der Altpapierentsorgung durch den öffentlichen Auftraggeber geht. § 3 Abs. 5 Satz 2 VgV differenziert nämlich danach, ob Leistungen über die gleichartige oder über andersartige Waren vorgesehen sind (Müller-Wrede, a.a.O., Rn. 73; vgl. insbesondere auch Art. 9 Abs. 5 lit. b der Richtlinie 2004/18/EG). Die Montage der Achsen und Räder sowie die Verteilung der Tonnen waren dabei nur untergeordnete Nebenleistungen der Altpapiertonnenlieferung (vgl. § 99 Abs. 2 Satz 2 GWB, Art. 1 Abs. 2 Buchstabe c der Richtlinie 2004/18/EG). Sie waren Teil des Lieferauftrags über die Beschaffung der "kompletten Altpapiertonne", die ohne Montage und Verteilung nicht als Altpapiersammelbehälter einsatzfähig ist.
cc) Eine Addition der Auftragswerte scheidet auch nicht deshalb aus, weil die Antragsgegnerin, wie sie vorträgt, am 29.11.2007, als sie die ersten 5.200 Altpapiertonnen bestellte, noch nicht definitiv gewusst habe, dass sie einen Dritten mit der Montage und Verteilung beauftragen würde, sondern zunächst geprüft habe, ob sie verpflichtet gewesen sei, die Leistungen innerhalb eines schon bestehenden Vertrags über die Abfuhr und Verwertung von Altpapier abzuwickeln, und bestrebt gewesen sei, die genannten Arbeiten durch eigene Bedienstete durchführen zu lassen (II/155 f.); diese Vorüberlegungen seien erst Anfang Dezember 2007 abgeschlossen worden. Wie schon erwähnt, ist für die Auftragswertschätzung der Auftragsumfang vorab im wesentlichen festzulegen und sind voraussehbare Umstände zu berücksichtigen. Die Notwendigkeit der Drittvergabe der Montage- und Verteilungsleistungen waren sicher vorhersehbar. Dafür, dass die Antragsgegnerin mit den genannten Leistungen nicht auch einen Dritten beauftragen musste, bestand keine auch nur einigermaßen gesicherte Grundlage. Der im November 2007 schon bestehende Vertrag mit der Firma €, auf den die Antragsgegnerin sich bezieht, umfasste neben dem Einsammeln und der Verwertung der PPK-Abfälle auch die Gestellung der Container. Soweit die Antragsgegnerin vermutete, dass die Firma € einen Anspruch auf Vertragsanpassung haben könnte, der die Montage und Verteilung der Altpapiertonnen durch eigene Bedienstete ausgeschlossen hätte, kann dies allenfalls ein vager und zu vernachlässigender Ansatz gewesen sein. Denn dieser Anspruch hätte - entsprechend der Gestellung der Container - auch die Gestellung der Papiertonne, also deren Lieferung umfasst. Dass die Antragsgegnerin selbst von Anfang an einen solchen Anspruch der Firma € verneinte, zeigt die Bestellung der Altpapiertonnen schon im November 2007 in unmittelbarem Anschluss an den Gemeinderatsbeschluss über deren Einführung. Auch die Montage und Verteilung der Altpapiertonnen durch eigene Bedienstete kann allenfalls eine vage Absicht der Antragsgegnerin ohne konkrete Grundlage gewesen sein, eine Vorstellung, deren Realisierung nicht ernsthaft in Betracht kam. Die Vergabekammer hat in ihren Entscheidungsgründen festgehalten, dass die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass wegen des eventuell notwendigen Winterdienstes eine ausreichende Verfügbarkeit der eigenen Bediensteten nicht abschätzbar gewesen sei. Dies bedeutet aber, dass die Antragsgegnerin im November 2007 nicht ernsthaft die Montage und Verteilung der Tonnen durch eigene Bedienstete in ihre Überlegungen einbeziehen durfte, sondern davon auszugehen hatte, dass die Altpapiertonnen durch Drittunternehmen montiert und verteilt werden mussten. Dem stehen auch nicht die in der Beschwerdeinstanz vorgelegten E-Mails entgegen. Im Gegenteil: Die E-Mail vom 04.02.2007 (II/221) betrifft nur das Entleeren der Papiertonnen. Die hausinterne E-Mail vom 13.12.2007 (II/223), die als Ergebnis einer Beratung vom gleichen Tag die fehlende Verfügbarkeit von Logistik und Kapazitäten dafür mitteilte, eine derart komplexe, kurzfristige und umfangreiche Aktion durchzuführen, antwortete auf eine Anfrage erst vom Vortag. Die von der Antragsgegnerin ins Feld geführte Absicht, die Tonnen von eigenen Bediensteten montieren und verteilen zu lassen, kann also im November 2007 nicht Gegenstand ernsthafter Überlegungen gewesen sein. Unter diesen Umständen hätte die Antragsgegnerin im November 2007 bei der Schätzung der Auftragswerte die Kosten von Montage und Verteilung der Papiertonnen bei Beauftragung eines Dritten berücksichtigen müssen. Allein die Kosten der Lieferung unmontierter Papiertonnen boten keine ausreichende Grundlage für ein ordnungsgemäße Schätzung.
b) Der Auftragswert lag über 211.000,- Euro.
aa) An die nach §§ 100 Abs. 1 GWB, 2 und 3 Abs. 1 VgV erforderliche Schätzung des Auftragswertes durch den Auftraggeber dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Ein pflichtgemäß geschätzter Auftragswert ist jener Wert, den ein umsichtiger und sachkundiger öffentlicher Auftraggeber nach sorgfältiger Prüfung des relevanten Marktsegmentes und im Einklang mit den Erfordernissen betriebswirtschaftlicher Finanzplanung bei der Anschaffung der vergabegegenständlichen Sachen veranschlagen würde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.07.2003 - Verg 5/03 - Rn. 4; OLG Celle, Beschluss vom 12.07.2007 - 13 Verg 6/07 - Rn. 29, jeweils zitiert nach juris; Weyand, Vergaberecht, ibr-online-Kommentar, Stand 28.04.2008, § 3 VgV Rn. 3159; Kapellmann/Messerschmidt/Maimann, a.a.O., Rn. 3). Zur ordnungsgemäßen Schätzung gehört auch die ordentliche Ermittlung der Schätzungsgrundlage (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 12.07.2007 - 13 Verg 6/07 - Rn. 32, zitiert nach juris; vgl. auch § 16 Abs. 1 VOL/A). Zur Grundlage müssen insbesondere auch realistische Mengen gemacht werden (vgl. VK Düsseldorf, Beschluss vom 30.09.2005 - VK-25/2005-L -, zit. nach ibr-online; Noch, Vergaberecht kompakt, 4. Aufl., Rn. 59). Die zu beschaffende Menge muss mit der gleichen Sorgfalt wie die, die für die Erkundung der Marktpreise anzuwenden ist, ermittelt werden. Auf eine sorgfältige Schätzung hatte die Antragsgegnerin insbesondere deshalb zu achten, da ihre eigene - fehlerhafte - Schätzung eines Bedarfs von 5.000 Altpapiertonnen mit 240 l Inhalt und 200 Altpapiertonnen mit 1.100 l Inhalt Ende November 2007 zu einem Auftragswert von 195.000,- Euro führte, ein Betrag der dem damals geltenden Schwellenwert von 211.000,- Euro recht nahe kam.
Die Schätzung des Auftragswerts, die die Antragsgegnerin vor der Bestellung von Altpapiertonnen Ende November 2007 vornahm, ließ die gebotene Sorgfalt bei der Mengenermittlung vermissen. Die vorgenommene Schätzung war deshalb nicht vertretbar. Bei Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt verbot sich die von der Antragsgegnerin vorgenommene Orientierung an den Anzahl der im Stadtgebiet vorhandenen Wertstofftonnen. Zwar konnte ein Haushalt im Gebiet der Antragsgegnerin über das Angebot der Aufstellung einer Altpapiertonne genauso frei entscheiden wie über die Aufstellung einer Wertstofftonne. Die Tonnen für Wertstoffe und Altpapier hatten zudem die gleichen Größen und verursachten den gleichen Platzbedarf. Für die Schätzung der benötigten Menge von Altpapiertonnen durfte sich die Antragsgegnerin aber nicht darauf beschränken, diese Parallelen zu ziehen, was sie jedoch tat (vgl. Vermerk der Antragsgegnerin vom 21.11.2007). Sie musste vielmehr weitere bestehende und auch vorhersehbare Umstände berücksichtigen. Ein solcher von ihr laut Vermerk vom 21.11.2007 nicht berücksichtigter weiterer vergleichbarer Umstand lag darin, dass der Wertstoffmüll (neben der Möglichkeit der Haushalte, diesen in den Betriebshöfen abzugeben) alternativ zur Wertstofftonne in Säcken gesammelt werden konnte, die zusammen mit den Tonnen abgeholt wurden, während Altpapier auch nach Einführung der Altpapiertonne (neben den Möglichkeiten, dieses in den Betriebshöfen abzugeben oder - zumindest vorläufig noch - in Sammelcontainer zu werfen) am Straßenrand bereitgestellt regelmäßig durch € Vereine und Organisationen eingesammelt wurde.
Für die Entscheidung des Bürgers über die Anforderung einer Altpapiertonne lag ein wesentlicher Unterschied zur Wertstofftonne jedoch darin, dass die Antragsgegnerin für die Bestellung von Altpapiertonnen damit warb, dass sie, die Antragsgegnerin, aus der Verwertung des Altpapiers Erlöse erzielen würde, die zur Stabilisierung der Abfallgebühren eingesetzt würden, und die Altpapierentsorgung dauerhaft gesichert sei (vgl. Gemeinderatsvorlage vom 20.11.2007, GR-Drucks. Nr. 317; vgl. insbesondere auch Informationsschreiben/Postwurfsendung, I/343). Den mit der gemeindlichen Sammlung des Altpapiers zu erzielenden Kostenvorteil stellte die Antragsgegnerin im Informationsschreiben und der Altpapiertonnenbestellkarte stark heraus. Der Vermögensvorteil, der in Form der Stabilisierung der Abfallgebühren jedem Bürger zu Gute kommen sollte, bot diesem einen erheblich ins Gewicht fallenden Anreiz für die Bestellung der Altpapiertonne, den die Antragsgegnerin bei der Bedarfsschätzung neben den weiteren Faktoren nicht vernachlässigen durfte und der schließlich dazu führte, dass die Antragsgegnerin nicht die Anzahl der voraussichtlichen Altpapiertonnenbestellungen mit den vorhandenen Wertstofftonnen ungefähr gleichsetzen durfte. Einen Kostenvorteil bot die Benutzung der Wertstofftonne zwar auch, und zwar dadurch, dass die Restmüllmenge reduziert wurde und sich dadurch auch dessen Beseitigungskosten verringerten, wie die Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vom 2.10.2008 ausgeführt hat. Jedoch war diese Kostenersparnis für den einzelnen Bürger nicht ohne weiteres erkennbar. Dazu bedurfte es weitergehender eigener Überlegungen, die nicht von jedem zu erwarten waren, zumal für die Einführung der Wertstoffentsorgung im Holsystem nicht mit einem dadurch bedingten Kostenvorteil geworben wurde, sondern mit der Notwendigkeit der Müllreduzierung aus Umweltgesichtspunkten, wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung ebenfalls erörtert haben. Hinzu kam, dass die Antragsgegnerin das Ziel verfolgte, die Altpapiertonne flächendeckend einzuführen und das vorhandene Sammelcontainersystem einzustellen (vgl. wiederum genannte Gemeinderatsvorlage und genanntes Informationsschreiben), und dadurch eine einfache, für den einzelnen Haushalt relativ bequeme Möglichkeit der Altpapierentsorgung mit der Zeit entfallen sollte. Die Beibehaltung der Altpapiersammlung durch € Vereine und Organisationen bot keinen adäquaten Ausgleich, da der Erlös den Vereinen und Organisationen zufloss und nicht dem öffentlichen Haushalt und dadurch nicht für eine Stabilisierung der Müllgebühren zur Verfügung stand. Dass sie mit dem Kostenvorteil bei den Bürgern für die Bestellung der Altpapiertonne werben würde, war für die Antragsgegnerin schon bei der ersten Mengenschätzung am 21.11.2007 vorhersehbar. Denn der drohende Verlust der Einnahmen aus der Altpapierverwertung durch die beabsichtigte Altpapiertonnenaufstellung der Antragstellerin war gerade der Anlass für die Einführung der Altpapiertonne durch die Antragsgegnerin (vgl. Gemeinderatsvorlage vom 20.11.2007, GR-Drucks. Nr. 317).
Nach alledem war die Mengenschätzung der Antragsgegnerin fehlerhaft, da sie nicht alle für die Schätzung relevanten Umstände berücksichtigte. Ein Indiz für die Fehlerhaftigkeit der Mengenschätzung bietet - rückblickend - auch die Anzahl der tatsächlich bestellten Altpapiertonnen. Schon in dem ersten Monat von der Verteilung der Informationsschreiben über die Einführung der Altpapiertonne sowie der Bestellkarten am 7.12.2007 bis zum 7.01.2008 erfolgten Bestellungen über 9.346 240 l-Behälter und 157 1.100-l-Behälter (vgl. Vermerk der Antragsgegnerin vom 7.01.2008).
bb) Die Fehlerhaftigkeit der Schätzung des Auftragswerts durch die Antragsgegnerin hat zur Folge, dass die Vergabekammer bzw. der Vergabesenat den Wert eigenständig zu ermitteln haben (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 12.07.2007 - 13 Verg 6/07 - Rn. 33, zitiert nach juris; Kapellmann/Messerschmidt/Maimann, a.a.O., Rn. 5; Weyand, a.a.O., Rn. 3164). Der Senat schätzt den Wert Altpapiertonnenlieferung auf über 211.000,- Euro.
Im ersten Schritt der Schätzung ist der Umfang der vorgesehenen Leistung zu ermitteln. Dabei kann offen bleiben, ob die nach § 3 Abs. 1 VgV erforderliche Festlegung der vorgesehenen Leistung (vgl. OLG Celle a.a.O.) nicht erfordert hätte, die Altpapiertonnenbestellungen innerhalb eines bestimmten Zeitraums, zum Beispiel innerhalb eines Monats abzuwarten, um mit der Zahl der Bestellungen eine ausreichend sichere Schätzungsgrundlage zu haben. Denn auch ohne diesen konkreten Anhaltspunkt konnte die Antragsgegnerin nicht davon ausgehen, dass nur ein Viertel oder weniger als die 39.000 Haushalte, die eine 240-l-Restmülltonne besaßen (vgl. I 877), also 9.750 Haushalte oder weniger, eine 240-l-Altpapiertonne bestellen würden. Denn für die Bestellung sprachen insbesondere zwei Argumente: der jeden Einwohner treffende finanzielle Vorteil dadurch, dass der Erlös der Antragsgegnerin aus der Altpapierverwertung für die Kosten der Abfallbeseitigung verwendet und damit die Müllgebühren niedriger gehalten werden sollte; außerdem die Bequemlichkeit der Altpapierentsorgung, die nicht durch die im Stadtgebiet verteilten Sammelcontainer ausgeglichen werden konnte, da die Antragsgegnerin, wie erwähnt, beabsichtigte, die Altpapierentsorgung über die Sammelcontainer nach der Pilotphase der Altpapiertonne aufzugeben.
Eventueller Platzmangel der Haushalte ist bei der Mengenschätzung berücksichtigt, da davon im wesentlichen nur der Innenstadtbereich betroffen war. Im zweiten Schritt ist die geschätzte Menge mit dem voraussichtlichen Preis zu multiplizieren. Eine ausreichende Marktrecherche ist nicht dokumentiert. Der Senat legt seiner Schätzung zugunsten der Antragsgegnerin den Preis des Bieters mit dem wirtschaftlichsten Gebot zugrunde, also 21,70 Euro netto je 240-l-Altpapiertonne. Somit ergibt sich allein für die Lieferung dieser Behälter eine Nettovergütung von 211.575 Euro. Hinzuzurechnen sind noch die voraussichtlichen Bestellungen der 1.100-l-Behälter. Welche Anzahl die Antragsgegnerin insoweit zu schätzen hatte, kann aber offen bleiben, da schon allein bei Berücksichtigung der 240-l-Behälter der Schwellenwert von 211.000,- Euro überschritten ist. Aus diesem Grund ebenfalls offen bleiben kann, wie hoch der Wert des Auftrags über die Montage und Verteilung der Altpapiertonnen, der zudem noch hinzuzurechnen war, wie oben ausgeführt ist, zu schätzen war.
cc) Der Schätzung durch den Senat steht nicht entgegen, dass die Antragsgegnerin ihren Beschaffungsbedarf selbst festzulegen hat. Denn der Senat ändert mit seiner Schätzung nicht deren Entscheidung über die Anzahl der einzuführenden Altpapiertonnen. Ihren Bedarf an Altpapiertonnen hatte die Antragsgegnerin mit der Entscheidung darüber festgelegt, die kostenlose Altpapiertonne möglichst flächendeckend in ihrem Stadtgebiet einzuführen und jedem Bürger, der eine Altpapiertonne haben wollte, eine solche auch zur Verfügung zu stellen. Diese Bedarfsentscheidung legt der Senat zugrunde und entscheidet nur, ob die Antragsgegnerin die Anzahl der Haushalte, die - frühestens im November/Dezember 2007 abschätzbar - eine Altpapiertonne bestellen würden, und damit den Wert der von ihr festgelegten Leistung, der Lieferung der Altpapiertonnen, in ordnungsgemäßer Weise schätzte. Da die Schätzung nicht ordnungsgemäß erfolgte, wie oben ausgeführt ist, hatte die Vergabekammer die ordnungsgemäße Schätzung gemäß § 110 Abs. 1 GWB nachzuholen und der Senat diese Schätzung aufgrund der sofortigen Beschwerde der Antragsgegnerin nachzuprüfen.
dd) Einer eigenen Schätzung des Leistungsumfangs durch Vergabekammer und Senat steht nicht § 3 Abs. 2 VgV entgegen. Diese Bestimmung verbietet einem öffentlichen Auftraggeber, den Wert eines zu vergebenden Auftrags in der Absicht zu schätzen oder aufzuteilen, ihn der Anwendung der §§ 97 ff. GWB zu entziehen. § 3 Abs. 2 VgV beschränkt eine Überprüfung der Schätzung eines öffentlichen Auftraggebers nicht auf die Fälle, in denen der - unter Anwendung der gebotenen Sorgfalt - geschätzte Auftragswert über dem Schwellenwert liegen müsste, die Vergabestelle den Auftragswert aber absichtlich niedriger geschätzt hat, um nicht ein förmliches Vergabeverfahren durchführen zu müssen. Vielmehr ist in jedem Fall bei gegebenem Anlass zu überprüfen, ob die Schätzung des Auftragswerts nach § 3 Abs. 1 VgV durch den öffentlichen Auftraggeber fehlerhaft war, weil sie nicht mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt wurde. Vom Ergebnis dieser Überprüfung hängt es ab, ob das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren eröffnet ist (Kapellmann/Messerschmidt/Maimann, a.a.O., § 3 VgV Rn. 5; vgl. zur Überprüfbarkeit, ob eine Vergabestelle den Auftragswert ordnungsgemäß geschätzt hat, auch OLG Celle, Beschluss vom 12.07.2007 - 13 Verg 6/07 - Rn. 29 ff., zit. nach juris). Die Pflicht des öffentlichen Auftraggebers zur sorgfältigen Schätzung des Auftragswerts nach objektiven Kriterien beinhaltet natürlich auch das Verbot, den Auftragswert absichtlich falsch zu schätzen und dadurch die Geltung der §§ 97 ff. GWB zu vermeiden (vgl. auch Byok/Jaeger/Kühnen, VergabeR, 2. Aufl., § 3 VgV Rn. 1501). Das Umgehungsverbot des § 3 Abs. 2 VgV regelt nur einen - selbstverständlichen - Unterfall des Gebots der sorgfältigen Schätzung gemäß § 3 Abs. 1 VgV.
4. Die Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags der Antragstellerin scheitert auch nicht daran, dass die Antragsgegnerin mit den Beigeladenen zu 1 und 3 die zur Überprüfung anstehenden Liefer- bzw. Montage- und Verteilungsaufträge vollständig abgewickelt hat. Zwar kann ein Nachprüfungsverfahren nicht mehr durchgeführt werden, sobald ein Vertrag, an dem ein Antragsteller Interesse zu haben behauptet, wirksam zustande gekommen ist, weil dann Verstöße gegen vergaberechtliche Bestimmungen nicht mehr beseitigt werden können. Jedoch haben die Antragsgegnerin und die Beigeladenen zu 1 und 3 keine wirksamen Verträge geschlossen. Die Verträge sind vielmehr entsprechend § 13 Satz 6 VgV nichtig. § 13 VgV ist entsprechend auf Vergaben ohne förmliches Vergabeverfahren anzuwenden, die bei korrekter Gesetzesanwendung europaweit hätten ausgeschrieben werden müssen, der öffentliche Auftraggeber sie aber nicht ausgeschrieben hat - zum Beispiel deshalb, weil er fälschlicherweise von einem Unterschreiten des relevanten Schwellenwerts für eine europaweite Ausschreibung ausgegangen ist - , zumindest dann, wenn zu einem bestimmten Beschaffungsvorhaben mehrere Angebote bekannter Bieter eingegangen sind, wie hier; dies gebieten Sinn und Zweck von § 13 VgV, die einen primären Rechtsschutz eines Bieters bzw. Interessenten ermöglichen sollen (vgl. BGH, Beschluss vom 01.02.2005 - X ZB 27/04 - Rn. 35 ff.; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 06.02.2007 - 17 Verg 7/06 - , Rn. 82, jeweils zitiert nach juris; EuGH, Urteil vom 11.01.2005 - C-26/03 - Tnr. 36 f., zit. nach juris).
Die Antragsgegnerin hätte auch die Antragstellerin von der jeweiligen Auftragserteilung entsprechend § 13 Satz 1 und 2 VgV rechtzeitig darüber informieren müssen, dass sie beabsichtige, das Geschäft mit den Beigeladenen zu 1 und 3 zu tätigen, was sie jedoch vor keiner der beanstandeten Auftragsvergaben tat. Zu unterrichten sind entsprechend § 13 Satz 1 VgV nicht nur Bieter, sondern auch solche Unternehmer, die ein Interesse am Auftrag angezeigt bzw. sich um eine Auftragserteilung beworben haben (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 30.04.2003 - Verg 67/02 - Rn. 44; OLG Celle, Beschluss vom 20.01.2004 - 13 Verg 26/03 - Rn. 31; OLG Celle, Beschluss vom 14.09.2006 - 13 Verg 3/06 - Rn. 28; Hans. OLG Hamburg, Beschluss vom 25.01.2007 - 1 Verg 5/06 - Rn. 31, jeweils zit. nach juris; Dippel in: jurisPK-VergR, 2. Aufl., § 13 VgV Rn. 28). Es kann nicht entscheidend sein, ob der Unternehmer ein konkretes Angebot abgegeben hat. Denn bei freihändigen Vergaben sind die Unternehmer, die nicht zur Angebotsabgabe aufgefordert wurden und nicht berücksichtigt wurden, regelmäßig mangels Kenntnis der näheren Einzelheiten des beabsichtigten Auftrags gar nicht in der Lage, ein konkretes Angebot abzugeben. Die Antragstellerin hatte das erforderliche konkrete Interesse bekundet. Sie hatte die Antragsgegnerin in ihrem ersten Rügeschreiben vom 27.11.2007 darauf hingewiesen, dass sie sämtliche Leistungen und Lieferungen im Rahmen der Einführung der Altpapiertonne erbringen wollte. Diese Interessensbekundung ist, wie oben schon ausgeführt ist, für einen verständigen Dritten so zu verstehen, dass die Antragstellerin auch an der Erbringung von einzelnen Leistungen Interesse hatte und nicht nur an einem Auftrag über den kompletten Vorgang der Altpapierentsorgung.
Auf die Entscheidung des Vergabesenats des OLG Karlsruhe vom 06.02.2007 (a.a.O.) kann die Antragsgegnerin sich nicht berufen. In jenem Fall hatte der Unternehmer gerade nicht Interesse an dem konkret erteilten Auftrag bekundet, sondern lediglich ein allgemeines Interesse an der Erbringung von Leistungen, bevor sich überhaupt das Erfordernis einer Auftragsvergabe ergeben hatte.
Die Antragsgegnerin hatte die Antragsgegnerin vor jeder der verfahrensgegenständlichen Auftragserteilungen unterrichten müssen. Denn sie stellen sich als Teile der einheitlich zu betrachtenden Altpapiertonnenbeschaffung dar. Im November 2007 hätte die Antragsgegnerin, wie oben dargelegt, einen Bedarf von zumindest rund 10.000 Behälter kalkulieren müssen. Mit der ersten (Teil-) Beschaffungsmaßnahme bestellte sie nur 5.000 Altpapiertonnen zu je 240 l - außerdem 1.100-l-Behälter - und mit der zweiten weitere 2000. Erst mit der dritten (Teil-) Lieferung von weiteren 6.000 240-l-Altpapiertonnen erreichte sie die Zahl von Behältern, die einer ordnungsgemäßen Schätzung im November 2007 entsprochen hätten.
B.
Der Nachprüfungsantrag ist, soweit er zulässig ist, gemäß § 97 Abs. 7 GWB begründet.
1. Die Antragsgegnerin hätte gemäß §§ 97 Abs. 1, 100 Abs. 1, 2 Nr. 3 VgV den Auftrag über die Lieferung der Altpapiertonnen sowie deren Montage und Verteilung öffentlich ausschreiben müssen. Wie oben unter A. ausgeführt, wurde die Schwellenwerte von 211.000,- Euro bzw. 206.000,- Euro überschritten.
Durch die fehlende Ausschreibung wurde die Antragstellerin in ihren Rechten gemäß § 97 Abs. 7 GWB verletzt.
2. Entgegen der Ansicht der Vergabekammer ist keine Rückabwicklung der vergaberechtswidrig geschlossenen Verträge gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 GWB anzuordnen. Zwar sind die Verträge entsprechend § 13 Nr. 6 VgV nichtig mit der Folge, dass sie zivilrechtlich grundsätzlich zurückabzuwickeln sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass deren Rückabwicklung im Vergabenachprüfungsverfahren zwingend anzuordnen ist. Der Senat hält den Ausspruch der Rückabwicklung nicht für eine geeignete und verhältnismäßige Maßnahme im Sinn des § 114 Abs. 1 GWB. Um die festgestellte Vergaberechtsverletzung zu beseitigen und eine Schädigung der betroffenen Bieterinteressen zu verhindern, ist die Anordnung der Rückabwicklung nicht erforderlich. Vielmehr genügt die Feststellung der Nichtigkeit der Verträge. Sanktionen, die über die Anordnung der Nichtigkeit eines vergaberechtswidrigen und unter Verstoß gegen § 13 VgV zustande gekommenen Vertrags hinausgehen, sieht § 13 Satz 6 VgV nicht vor. Gesetzgeber und Verordnungsgeber gehen davon aus, dass sich der öffentliche Auftraggeber rechtstreu verhält, die Rechtsfolgen der Vertragsnichtigkeit eigenständig beachtet und die erforderlichen Konsequenzen zieht. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin die Nichtigkeit und die daraus resultierenden Rechtsfolgen insbesondere das Fehlen einer Rechtsgrundlage dafür, dass die Antragsgegnerin die beschafften Altpapiertonnen behalten und benutzen darf - ignorieren könnte, liegen nicht vor.
Die Rückabwicklung der Leistungen aufgrund der nichtigen Verträge ist auch nicht deshalb auszusprechen, weil die Antragstellerin, wie sie meint, einen Anspruch darauf hätte. Sie hat keinen entsprechenden Anspruch. Nach § 97 Abs. 7 GWB hat die Antragstellerin einen Anspruch darauf, dass die Antragsgegnerin die Bestimmungen des Vergaberechts einhält. Einen Anspruch auf Rückabwicklung nichtiger Verträge gewährt die Vorschrift nicht (KG VergabeR 2002, 100/102; Byok/Jaeger/Hailbronner, Vergaberecht, 2. Aufl., § 97 GWB Rn. 276; ). Ein Rückabwicklungsanspruch ergibt sich auch nicht aus § 8 Abs. 1 Satz 1 UWG i.V.m. §§ 3, 4 Nr. 11 UWG. Inwieweit die Antragsgegnerin gegen wettbewerbsrechtliche Vorschriften verstieß und ob der Senat derartige Verstöße zu prüfen hat, kann offen bleiben. Denn jedenfalls kann die Antragstellerin nicht Beseitigung einer eventuellen Wettbewerbsstörung durch Rückabwicklung der Verträge verlangen. Der wettbewerbsrechtliche Beseitigungsanspruch steht unter dem Verhältnismäßigkeitsvorbehalt. Eine Beseitigung durch Rückabwicklung kann allenfalls geschuldet sein, wenn allein die Rückabwicklung geeignet und erforderlich ist, um den widerrechtlichen Störungszustand zu beseitigen, und wenn sie darüber hinaus im engeren Sinn verhältnismäßig und dem Störer zumutbar ist (Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 26. Aufl., § 8 UWG Rn. 1.88). Auf den vorliegenden Fall übertragen bedeutet dies, dass nur durch die Anordnung der Rückabwicklung der vergaberechtswidrigen Beschaffung der Altpapiertonnen - unterstellt diese war gleichzeitig auch wettbewerbsrechtswidrig im Sinn von § 8 UWG - ein andauernder wettbewerbsrechtswidrigen Zustand behoben werden könnte. Es besteht aber die - nicht fernliegende - Möglichkeit, dass der - unterstellte - wettbewerbsrechtswidrige Zustand dadurch behoben wird, dass die Antragsgegnerin unter Beachtung der Vergabevorschriften wiederum mit den Beigeladenen zu 1 und 3 wirksame Verträge über die Beschaffung und Verteilung der Altpapiertonnen abschließen kann, weil diese wiederum die wirtschaftlichsten Angebote abgeben. Auch dadurch würde aber ein eventueller wettbewerbsrechtswidriger Zustand beseitigt werden.
Auch wenn ein Beseitigungsanspruch bestünde, kann in jedem Fall nicht Gegenstand des Ausspruchs im Vergabenachprüfungsverfahren sein, dass die Antragsgegnerin ihren Beschluss, selbst die Entsorgung des Altpapiers im Stadtgebiet zu übernehmen und dies nicht der Antragstellerin zu überlassen, nicht durchzuführen oder rückgängig zu machen hat.
Die Beschränkung des Ausspruchs darauf, dass die Verträge nichtig sind, erfordert nicht eine Vorlage an den EuGH. In den von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen geht der EuGH davon aus, dass Primärrechtsschutz gegen vergaberechtswidrige Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers zu gewährleisten ist. Im vorliegenden Fall ist dem gemeinschaftsrechtlich geforderten Primärrechtsschutz mit der Feststellung der Vertragsnichtigkeit genügt.
Nach alledem kann weiterhin offen bleiben, ob § 114 GWB überhaupt eine ausreichende Rechtsgrundlage bietet, um eine Rückabwicklung eines nichtigen Vertrags auszusprechen, wenn dafür die Mitwirkung Dritter erforderlich ist (vgl. dazu BGH NZBau 2003, 293/294; Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 12.12.2002 VK 1 -83/02 - Rn. 100 ff., zitiert nach juris; Vergabekammer des Bundes, Beschluss vom 17.11.2004 - VK 1 -83/02 - Seite 12 ff., zitiert nach www.bundeskartellamt.de) und inwieweit § 8 UWG Einfluss auf die Auswahl der gemäß § 114 Abs. 1 GWB geeigneten Maßnahme durch die Vergabekammer bzw. den Vergabesenat haben kann.
III.
Über die angebliche Vergaberechtswidrigkeit der Anmietung der Sammelfahrzeuge durch die Antragsgegnerin und der Verwertung der PPK-Fraktion hat der Senat nicht zu entscheiden. Insoweit hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin als unzulässig zurückgewiesen. Da allein die Antragsgegnerin sofortige Beschwerde eingelegt hat, mit der sie sich gegen die Anordnung der Rückabwicklung der Verträge über die Lieferung sowie die Montage und Verteilung der Altpapiertonnen wehrt, ist die Anmietung der Sammelfahrzeuge und die Verwertung der PPK-Fraktion nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens.
IV.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 2 ZPO.
V.
Die Festsetzung des Beschwerdewerts folgt § 50 Abs. 2 GKG, nach der 5 % der Bruttoauftragssumme maßgeblich sind (wird ausgeführt).
OLG Karlsruhe:
Beschluss v. 12.11.2008
Az: 15 Verg 4/08
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/1f2a100628af/OLG-Karlsruhe_Beschluss_vom_12-November-2008_Az_15-Verg-4-08