Bundespatentgericht:
Beschluss vom 27. November 2002
Aktenzeichen: 20 W (pat) 37/00

(BPatG: Beschluss v. 27.11.2002, Az.: 20 W (pat) 37/00)

Tenor

Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Das vorliegende Patent ist vom Patentamt - Patentabteilung 31 - im Einspruchsverfahren mit der Begründung widerrufen worden, der erteilte Patentanspruch 1 sei mangels Neuheit seines Gegenstands nicht bestandsfähig. Weiter gehe der Gegenstand des Patentes gemäß erstem Hilfsantrag über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus. Gemäß der weiterhin hilfsweise beantragten Teilung des Patents werde die Teilanmeldung dem Prüfungsverfahren zugeführt.

Die Patentinhaberin hat mit der Beschwerde die hilfsweise erklärte Teilung (Hilfsantrag 2) nunmehr unbedingt wiederholt.

In der mündlichen Verhandlung beantragt sie, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit den am 31. Juli 2000 überreichten Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten, hilfsweise das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten.

Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

"1. Mobilfunktelefon für Multi-Mode-Betrieb, umfassend eine Schaltung für eine erste Betriebsart zur Kommunikation mit einem Mobilfunknetz und eine Schaltung für eine zweite Betriebsart zur Kommunikation mit Mobilfunktelefonen gleicher Bauart ohne Beteiligung des Mobilfunknetzes, dadurch gekennzeichnet, daß beim Aufbauen einer Verbindung zu dem Mobilfunktelefon in der zweiten Betriebsart über eine Relaisstation mit einer eigenen Amtsleitung zum Festnetz, zu der das Gerät Funkverbindung hat, das Identifizieren des Kommunikationspartners an Hand einer Rufnummer erfolgt, deren erster Teil die Rufnummer der Relaisstation im Festnetz ist und deren zweiter Teil die Mobilfunk-Rufnummer ist, die ihm für die erste Betriebsart zugeordnet ist."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag (erteilter Anspruch 1) unterscheidet sich von dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag dadurch, daß der Kennzeichenteil folgende Fassung hat:

"daß in der zweiten Betriebsart das Identifizieren des Kommunikationspartners unter Einbeziehung der Mobilfunk-Rufnummer erfolgt, die ihm für die erste Betriebsart zugeordnet ist."

Bezüglich der Fassung des Anspruchs 1 nach Hauptantrag vertritt die Patentinhaberin die Auffassung, daß diese in der vorliegenden Merkmalsausprägung unter die - allgemein gehaltene - Fassung des erteilten Patentanspruchs 1 subsummierbar sei und somit eine zulässige Beschränkung darstelle. Insbesondere seien die Merkmale im Kennzeichenteil auch den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmbar. Die Patentinhaberin verweist dazu beispielhaft auf die Beschreibung der Patentschrift DE 197 45 350 C1, Spalte 4, Zeilen 30 bis 37. Im übrigen sei der Gegenstand des Anspruchs 1 auch neu und erfinderisch gegenüber dem durch die im Verfahren befindlichen Druckschriften belegten Stand der Technik. Dies gelte nach ihrer Auffassung auch für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1.

Die Einsprechende vertritt die Auffassung, auch der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 nach Hauptantrag gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldung hinaus. Außerdem sei die beanspruchte Vorrichtung durch die aus dem durch die im Verfahren befindlichen Druckschriften belegten Stand der Technik bekannten Merkmale für den Fachmann zumindest nahegelegt gewesen. Letzteres gelte nach wie vor auch für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nach Hilfsantrag.

Die folgende Druckschrift wurde in der mündlichen Verhandlung aufgegriffen:

(E2) WO 95/33348 A1.

II.

Die Beschwerde führt nicht zum Erfolg, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie beim Patentamt ursprünglich eingereicht worden ist (§ 21 Abs 1 Nr. 4 PatG) und der Gegenstand des (erteilten) Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag nicht patentfähig ist (§ 21 Abs 1 Nr. 1 PatG).

Der zur Beurteilung der Fragen der Patentfähigkeit und der ursprünglichen Offenbarung zu berücksichtigende Fachmann hat eine nachrichtentechnische Ausbildung an einer Hochschule absolviert und verfügt über mehrjährige Entwicklererfahrungen auf dem Gebiet der Telekommunikationstechnik.

1. Zum Hauptantrag Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag geht über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus, in der sie beim Patentamt ursprünglich eingereicht worden ist (§ 21 Abs 1 Nr 4 PatG).

Das Teilmerkmal im Kennzeichen des Anspruchs 1, daß das Identifizieren des Kommunikationspartners an Hand einer Rufnummer erfolgt, deren erster Teil die Rufnummer der Relaisstation im Festnetz ist und deren zweiter Teil die Mobilfunk-Rufnummer ist, die ihm für die erste Betriebsart zugeordnet ist, ist den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen der Patentanmeldung nicht als zur Erfindung gehörend zu entnehmen.

Im Ergebnis entnimmt der Fachmann diesem Merkmal, daß die eine Rufnummer zur Identifikation des Teilnehmers zwei Teile aufweist, nämlich einen ersten, die Rufnummer der Relaisstation, und einen zweiten, die Mobilfunk-Rufnummer. Dieser Sachverhalt ist aus dem Wortlaut des Anspruchs 1 heraus verständlich. Eines Heranziehens der Beschreibung und der Zeichnung zur Auslegung bedarf es hierzu nicht.

Die Patentinhaberin beruft sich zur ursprünglichen Offenbarung der Merkmale des Anspruchs 1 auf die Formulierung des erteilten Anspruchs 1 und auf die Beschreibung der Streitpatentschrift DE 197 45 350 C1, insbesondere Spalte 4 Zeilen 26 bis 38, die entsprechend auch in den ursprünglich eingereichten Unterlagen enthalten sind. Insbesondere ist die Patentinhaberin der Auffassung, daß unter die allgemeine Formulierung des Merkmals im Kennzeichenteil des erteilten und ursprünglich eingereichten Anspruchs 1, daß "das Identifizieren des Kommunikationspartners unter Einbeziehung der Mobilfunk-Rufnummer erfolgt", jedmögliche Beschränkung dieses Merkmals, vor allem auch die gemäß Anspruch 1 nach Hauptantrag, zu subsumieren sei.

§ 21 Abs 1 Nr 4 PatG bestimmt, das Patent werde widerrufen, wenn sich ergibt, daß der Gegenstand des Patents über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden ist. Gegenstand des Patents ist die durch die Patentansprüche definierte Lehre (BGH Mitt 1996, 204, 206 - Unzulässige Erweiterung). Inhalt der ursprünglichen (früheren) Anmeldung ist das, was der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen als zur angemeldeten Erfindung gehörend entnehmen kann; entscheidend ist dabei, ob die ursprüngliche Offenbarung für den Fachmann erkennen lässt, der geänderte Lösungsvorschlag solle von vornherein von dem Schutzbegehren umfaßt werden (BGH "Unzulässige Erweiterung" aaO).

Dies ist für das in Rede stehende Merkmal, daß das Identifizieren des Kommunikationspartners an Hand einer Rufnummer erfolgt, deren erster Teil die Rufnummer der Relaisstation im Festnetz ist und deren zweiter Teil die Mobilfunk-Rufnummer ist, die ihm für die erste Betriebsart zugeordnet ist, nicht gegeben.

In dem von der Patentinhaberin als Belegstelle angezogenen Beschreibungsteil wird ausgeführt, daß der Anrufer zu den Gebühren des Festnetzes die Relaisstation anwählen kann und, wenn die Verbindung hergestellt ist, wird mittels DTMF-Codes vom Anrufer die Mobilfunk-Rufnummer des gewünschten Gesprächspartners übertragen. Dieses Vorgehen, daß vom Anrufer die Mobilfunk-Rufnummer mittels DTMF-Codes übertragen wird, ist ausnahmslos auch in den weiteren einschlägigen Stellen der Beschreibung und der erteilten Ansprüche, die mit einer Verbindung über eine Relaisstation befaßt sind, so dargelegt, vgl die den ursprünglich eingereichten Unterlagen entsprechende Streitpatentschrift, Spalte 2 Zeile 65 bis Spalte 3 Zeile 3, Spalte 4 Zeile 67 bis Spalte 5 Zeile 4, Spalte 7 Zeilen 48 bis 53 und Anspruch 12 Spalte 9 Zeilen 8 bis 14. Der Fachmann entnimmt den ursprünglich eingereichten Unterlagen somit durchgängig ein Identifizieren des Kommunikationspartners, bei dem nach Anwahl der Relaisstation mit deren Nummer die Mobilfunk-Rufnummer mittels DTMF-Codes übertragen wird, nicht aber ein Identifizieren an Hand einer Telefonnummer, deren erster Teil die Rufnummer im Festnetz ist und deren zweiter Teil die Mobilfunk-Rufnummer ist, wie dies mit Anspruch 1 nach Hauptantrag gefordert wird.

Ein Hinweis für den Fachmann, daß der mit Anspruch 1 nach Hauptantrag beanspruchte Lösungsvorschlag von vornherein von dem Schutzbegehren umfaßt werden solle, ist den ursprünglich eingereichten Unterlagen zur Patentanmeldung nicht entnehmbar. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Argumentation der Patentinhaberin, daß sich die nunmehr nach Anspruch 1 beanspruchte Merkmalsgesamtheit unter die allgemeine Formulierung des erteilten Anspruchs 1 subsumieren lasse. Zwar mag sich der Wortlaut des betreffenden Merkmals, daß "das Identifizieren des Kommunikationspartners an Hand einer Rufnummer erfolgt, deren erster Teil die Rufnummer der Relaisstation im Festnetz ist und deren zweiter Teil die Mobilfunk-Rufnummer ist", rein sprachlich betrachtet, dem betreffenden Merkmal des erteilten Anspruchs 1, daß "das Identifizieren des Kommunikationspartners unter Einbeziehung der Mobilfunk-Rufnummer erfolgt" in Hinblick zumindest auf die Mobilfunkrufnummer noch unterordnen lassen. Ein solchermaßen gegebener sprachlicher Zusammenhang bedeutet jedoch nicht - zumindest nicht im vorliegenden Fall -, daß der Fachmann auch jedwede etwaigen sprachlichen Zusammenhängen zuordenbare technische Lehre den ursprünglichen Unterlagen als zur angemeldeten Erfindung gehörend entnehmen kann. Vielmehr entnimmt der Fachmann im vorliegenden Fall, wie oben dargelegt, den ursprünglichen Unterlagen durchgängig die Lehre, daß nach Anwahl der Relaisstation die Mobilfunk-Rufnummer mittels DTMF-Codes übertragen wird. Nur auf einen solchen Lösungsvorschlag gerichtete Merkmale sind dem Gesamtinhalt der ursprünglich beim Patentamt eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend entnehmbar. Nur solche Merkmale hätten folglich auch zu einer zulässigen Beschränkung des Patents herangezogen werden können.

2. Zum Hilfsantrag Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag ist mangels Patentfähigkeit seines Gegenstands nicht rechtsbeständig (§ 21 Abs 1 Nr 1 PatG).

Dem Gegenstand des - der erteilten Fassung entsprechenden - Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag fehlt die Neuheit, weil er zum Stand der Technik gehört, wie er durch die Druckschrift (E2) belegt ist.

Aus der genannten Druckschrift ist ein Mobilfunktelefon für Multi- (Dual-) Mode-Betrieb als bekannt entnehmbar, das Funktionalitäten einer ersten Betriebsart zur Kommunikation mit einem Mobilfunknetz und einer zweiten Betriebsart zur Kommunikation mit Mobilfunktelefonen gleicher Bauart ohne Beteiligung des Mobilfunknetzes zur Verfügung stellt, vgl (E2) Seite 4 Zeilen 18 bis 23 iVm Seite 6 Zeilen 12 bis 22. Der Fachmann setzt es dabei als selbstverständlich voraus, daß für die geforderten Funktionalitäten der ersten und zweiten Betriebsart entsprechende Schaltungen vorgesehen sind.

Die bekannten Mobilfunktelefone GDMS nutzen in beiden Betriebs-/Kommunikationsarten ein und dieselbe Rufnummer, nämlich die Mobilfunk-Rufnummer, die dem Mobilfunktelefon für die erste Betriebsart zur Kommunikation mit einem Mobilfunknetz zugeordnet ist (subscribing number; S 7 Z 19-27 iVm Fig 3), d. h., in beiden Betriebsarten des Mobilfunktelefons, insbesondere auch in der zweiten, erfolgt das Identifizieren des Kommunikationspartners unter Einbeziehung der Mobilfunk-Rufnummer, die ihm für die erste Betriebsart zugeordnet ist. Mehr ist aber auch im Anspruch 1 nach Hilfsantrag nicht gefordert.

Die Argumente der Patentinhaberin, daß bei den aus (E2) bekannten Mobilfunktelefonen im Gegensatz zu den mit dem Streitpatent beanspruchten Mobilfunktelefonen immer nur eine einzige Rufnummer vorgesehen sei und eine (Vermittlungs-) Stelle automatisch, zB mittels Ruf-Umleitung, einen Verbindungsweg festlege, ohne dem Nutzer eine Möglichkeit zu bieten, welche Verbindung zu welchen Kosten er auswählen könnte, finden in der Formulierung des Anspruchs 1 keine Stütze. Überdies wäre auch eine Ruf-Umleitung, die außerdem in den aus (E2) angezogenen Zitatstellen nicht angesprochen ist, durch den vorliegenden Wortlaut des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag in seiner Allgemeinheit mit umfaßt, zumindest aber nicht ausgeschlossen.

3. In Anbetracht der Sachlage können die seitens des Senats bestehenden Bedenken hinsichtlich der Inanspruchnahme der inneren Priorität dahinstehen.

4. Auf materiellrechtliche Fragen der Teilung des Streitpatents brauchte in Anbetracht der BGH-Entscheidung "Sammelhefter" (BGH vom 30. September 2002, X ZB 18/01, juris-Dokument KORE301082002; Mitt 2002, 526-529) nicht eingegangen werden.

Kalkoff Dr. Hartung Martens Dr. Zehendner Ko






BPatG:
Beschluss v. 27.11.2002
Az: 20 W (pat) 37/00


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