Finanzgericht München:
Urteil vom 14. Oktober 2009
Aktenzeichen: 14 K 1620/09
(FG München: Urteil v. 14.10.2009, Az.: 14 K 1620/09)
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob für das Kalenderjahr 2002 die Biersteuerschuld unter Anwendung des ermäßigten Biersteuersatzes festzusetzen ist.
Unternehmensgegenstand der Klägerin ist die Herstellung und der Vertrieb von Bier. Sie verfügt über eigene Betriebsräume und braut nicht unter Lizenz. Die Jahreserzeugung der Klägerin lag im Jahr 2002 für sich betrachtet unter 200.000 hl.
Der alleinige Gesellschafter der Klägerin ist die A. Brauerei AG (A), mit der ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag besteht, wonach die Klägerin u. a. verpflichtet ist, ihren gesamten Bilanzgewinn an die A abzuführen. Außerdem ist sie an die Weisungen der A gebunden. Die A hat etwaige Verluste der Klägerin zu übernehmen (vgl. Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag vom ...).
Das stimmberechtigte Aktienkapital der A liegt zu 49 % bei der B. Brauerei AG (B), ..., zu 30,7 % bei der C...-GmbH (C GmbH) und im Übrigen in Streubesitz.
Die B. gehört u. a. zu 70,27 % der X ... AG (X), an der wiederum die Familie C. zu 16 % beteiligt ist.
Die Vorstände der B. sind Herr ... C und Frau W. Bei Stimmengleichheit ist die Stimme des Vorstandsvorsitzenden, Herrn C., ausschlaggebend. Herr C. ist zugleich Gesellschafter und Geschäftsführer der C-GmbH. Weiterhin ist er als Aufsichtsratsvorsitzender der A eingesetzt. Alleiniger Vorstand der A. ist Herr F.
Mit Steueränderungsbescheid vom 21. März 2003 setzte das Hauptzollamt, dessen Rechtsnachfolger das Hauptzollamt (HZA) geworden ist, unter Anwendung der ermäßigten Biersteuersätze für das Kalenderjahr 2002 zunächst Biersteuer i.H.v. ... EUR fest.
Mit einem weiteren Steueränderungsbescheid vom 6. September 2005 erhöhte das HZA die Biersteuer für das Kalenderjahr 2002 auf ... EUR, weil aufgrund der festgestellten Abhängigkeit der Klägerin von der B und einer Gesamtjahreserzeugung von zusammen mehr als 200.000 hl die Anwendung des ermäßigten Biersteuersatzes nicht in Betracht komme.
Den dagegen eingelegten Einspruch wies das HZA mit seiner Einspruchsentscheidung vom 6. Juni 2006 im Wesentlichen mit folgender Begründung zurück: Die Klägerin sei wirtschaftlich von der B abhängig. Herr C. sei ständig in der Lage, in seiner Person die Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung der A zu vereinen. Die B sei aufgrund der mittelbar bestehenden Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung der A in der Lage, die Wahl des Aufsichtsrates und dadurch die Bestimmung des zur Geschäftsführung befugten Vorstands der A zu beherrschen. Der B sei dadurch die Möglichkeit der beherrschenden Einflussnahme auf die A. eröffnet. Die Klägerin selbst sei über den Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag ein von der A. abhängiges Unternehmen. Weil die Stimme des C. im Vorstand der B. ausschlaggebend sei, sei die B mittelbar über C. in der Lage, durch übereinstimmende Stimmabgabe der A. und der C-GmbH den Vorstand und den Aufsichtsrat zu bestimmen.
Gegen die Einspruchsentscheidung erhob die Klägerin Klage, die sie im Wesentlichen folgendermaßen begründet: Es bestünden keine wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Klägerin und der B., die eine wirtschaftliche Abhängigkeit ihrerseits von der B. begründen würden. Sie handele vielmehr wirtschaftlich selbständig. Es bestehe kein Beherrschungsvertrag mit der B. Ferner liege auch keine Geschäftsführung in Personalunion vor. Die B. habe auch nicht die Möglichkeit, gesellschaftsrechtlich derart Einfluss auf die Geschäftspolitik der Klägerin zu nehmen, dass eigenständige geschäftliche Entscheidungen beeinträchtigt würden. Ein unmittelbarer Einfluss wäre nur dann gegeben, wenn die B. direkt mehrheitlich an der Klägerin beteiligt wäre, dies sei jedoch nicht der Fall. Der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zwischen der Klägerin und der A. sei unbeachtlich, weil es sich bei der A. um eine reine Holding handele. Der Familienstamm C. sei an der A. nur mit 30,7 % beteiligt und damit weit von einer gesellschaftsrechtlichen Mehrheitsbeteiligung entfernt. Die A. werde daher nicht von Herrn C beherrscht. Auch die Tatsache, dass Herr C. im Vorstand der B. den Stichentscheid hat, begründe kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen dieser Gesellschaft und der A sowie der Klägerin. Die Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung der A. sei in diesem rechtlichen Zusammenhang ohne Bedeutung, da weder die Hauptversammlung noch der Mehrheitsaktionär dem Vorstand einer Aktiengesellschaft Weisungen erteilen würden. Der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Frage der mehrheitlichen Beherrschung sei vielmehr die Personalentscheidungsgewalt.
Die Klägerin beantragt,
den Biersteueränderungsbescheid vom 6. September 2005 und die Einspruchsentscheidung vom 6. Juni 2006 aufzuheben.
Hilfsweise regt sie an, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Das HZA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung nimmt es auf das für das Jahr 2001 ergangene Urteil vom 6. April 2006 (Az. 14 K 4578/04) und auf seine Einspruchsentscheidung Bezug.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die HZA-Akten, die FG-Akten zum Verfahren 14 K 4578/04, die im Verfahren eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung hingewiesen.
Gründe
II.
Die Klage ist nicht begründet.
Das HZA hat es zu Recht abgelehnt, die Biersteuerschuld der Klägerin für das Kalenderjahr 2002 unter Anwendung des ermäßigten Biersteuersatzes i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 des Biersteuergesetzes in der hier maßgeblichen Fassung (BierStG) festzusetzen.
Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BierStG ermäßigt sich der Steuersatz für im Brauverfahren hergestelltes Bier aus unabhängigen Brauereien mit einer Gesamtjahreserzeugung von weniger als 200.000 hl Bier auf bis zu 50 % des Regelsteuersatzes nach § 2 Abs. 1 Satz 2 BierStG.
Zwar liegt die Gesamtjahreserzeugung der Klägerin für sich betrachtet unstreitig unter 200.000 hl. Allerdings ist die Klägerin von der B. wirtschaftlich abhängig.
23Eine Brauerei ist gem. Art. 4 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie (EWG) Nr. 92/83 des Rates zur Harmonisierung der Struktur der Verbrauchsteuern auf Alkohol und alkoholische Getränke vom 19. Oktober 1992 - RL 92/83 (ABI (EG) Nr. L 316/21 vom 31. Oktober 1992), § 2 Abs. 3 Satz 1 BierStG als unabhängig i.S.d. § 2 Abs. 2 Satz 1 BierStG anzusehen, wenn sie rechtlich und wirtschaftlich von einer anderen Brauerei unabhängig ist, Betriebsräume benutzt, die räumlich von anderen Brauereien getrennt sind und Bier nicht unter Lizenz braut. Eine Brauerei ist also nur dann unabhängig im Sinne des Biersteuergesetzes und der RL 92/83, wenn sie sowohl rechtlich als auch wirtschaftlich unabhängig ist. Wird eines der beiden Merkmale nicht erfüllt, kommt die Anwendung des ermäßigten Biersteuersatzes nicht in Betracht.
Um sicherzustellen, dass der ermäßigte Biersteuersatz tatsächlich nur kleinen Brauereien zugute kommt und eine Verzerrung des Binnenmarktes vermieden wird, verlangt Art. 4 Abs. 2 RL 92/83, dass die Brauerei sowohl hinsichtlich ihrer Rechts- und Wirtschaftsstruktur als auch hinsichtlich ihrer Produktionsstruktur von einer anderen Brauerei tatsächlich unabhängig ist. In diesem Zusammenhang ist zu prüfen, ob zwischen den betroffenen Brauereien insbesondere auf ihrer Leitungsebene oder bei den Geschäftsanteilen oder Stimmrechten rechtliche oder auch wirtschaftliche Verflechtungen bestehen, die die Möglichkeit dieser Brauereien zu eigenständigen geschäftlichen Entscheidungen beeinträchtigen können (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom 2. April 2009 Rs. C-83/08, HFR 2009, 724). Außerdem ist zu berücksichtigen, dass das Kriterium der wirtschaftlichen Unabhängigkeit bezweckt, den ermäßigten Verbrauchsteuersatz tatsächlich den Brauereien zugute kommen zu lassen, die wegen ihrer geringen Größe benachteiligt sind, nicht aber denjenigen, die einem Konzern angehören. Demnach schließt es eine Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass zwischen einzelnen Brauereien strukturelle Verflechtungen bei Beteiligungen und Stimmrechten bestehen, und die ein und derselben Person, die in mehreren der betroffenen Brauereien Geschäftsführungsaufgaben wahrnimmt, unabhängig von ihrem tatsächlichen Verhalten die Möglichkeit bietet, auf geschäftliche Entscheidungen dieser Brauereien Einfluss zu nehmen, aus, diese Brauereien als voneinander wirtschaftlich unabhängig anzusehen (EuGH-Urteil vom 2. April 2009, a.a.O.).
Die Klägerin verfügt zwar über eigene Betriebsräume und braut nicht unter Lizenz. Sie ist jedoch im Streitjahr dennoch nicht unabhängig im Sinne des Biersteuerrechts gewesen. Denn die Klägerin ist über die A., deren 100%ige Tochter sie ist, von der B. wirtschaftlich abhängig gewesen, weil diese aufgrund der bestehenden Anteils- und Geschäftsführungsverhältnisse die Möglichkeit gehabt hat, auf die geschäftlichen Entscheidungen der Klägerin Einfluss zu nehmen.
Die Klägerin ist zunächst rechtlich und wirtschaftlich von der A. abhängig gewesen, weil die A. die einzige Gesellschafterin der Klägerin ist und deren Geschäftsführern aufgrund des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages Weisungen erteilen kann. Zudem ist die Klägerin verpflichtet gewesen, ihren gesamten Bilanzgewinn an die A. abzuführen. Im Gegenzug hatte die A. etwaige Verluste der Klägerin auszugleichen.
Allein aufgrund dieses Abhängigkeitsverhältnisses zur A. ergibt sich zwar noch kein Bierausstoß, der über 200.000 hl Streitjahr liegt, weil es sich bei der A. um eine reine Holding ohne eigene Brauereitätigkeit handelt. Jedoch ist die Klägerin über dieses Abhängigkeitsverhältnis zur A. hinaus im Streitjahr auch von der B. abhängig gewesen.
Diese Abhängigkeit ist zwar nicht rechtlicher Natur gewesen, weil die B. lediglich zu 49 % an der A. beteiligt gewesen ist. Allerdings hat eine wirtschaftliche Abhängigkeit zur B. bestanden, weil aufgrund der Funktionen und Beteiligungen des Herrn C eine Situation bestanden hat, die die Möglichkeit geboten hat, auf geschäftliche Entscheidungen der Klägerin Einfluss zu nehmen.
Herr C. hat - abgesehen von der 30,7 %igen Beteiligung der C-GmbH an der A. und seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der C. GmbH - über seine Funktion in der B. auf die Klägerin einwirken können. Denn Herr C. ist nicht nur im Vorstand der B. vertreten, sondern dort maßgebendes Vorstandsmitglied, weil bei Stimmengleichheit neben dem zweiten Vorstandsmitglied sein Votum entscheidend ist. Zudem ist die Familie C. über ihre Beteiligung an der X letztlich zu 11,24 % an der B. beteiligt. Dazu kommt, dass Herr C auch Aufsichtsratsvorsitzender der A. ist. Insgesamt entsteht dadurch eine Situation, die es Herrn C aufgrund seiner Beteiligungen und geschäftsleitenden Positionen ermöglicht, die wirtschaftlichen Geschicke der A und dadurch mittelbar auch der Klägerin zu lenken.
Zwar weist die Klägerin zu Recht darauf hin, dass der Vorstand einer Aktiengesellschaft diese gem. § 76 Abs. 1 des Aktiengesetzes (AktG) unter eigener Verantwortung leitet und der Vorstand der A Herr F. und nicht Herr C. ist. Ebenso sind die Voraussetzungen an die Vermutung der Abhängigkeit gem. § 17 Abs. 2 AktG nicht erfüllt, weil die B nur zu 49 % an der A beteiligt ist.
31Zur Beurteilung der Abhängigkeit im Sinne des Biersteuerrechts kommt es jedoch nicht auf gesellschaftsrechtliche Regelungen im AktG bzw. GmbHG an, zumal es im Streitfall nicht um eine rechtliche, sondern um eine wirtschaftliche Abhängigkeit geht. Vielmehr sind die in der RL 92/83 enthaltenen Kriterien unter Einbeziehung der dargestellten Rechtsprechung des EuGH maßgeblich. Aus diesem Grund ist auch das von der Klägerin angeführte Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 2008 (Az. II ZR 108/07, DStR 2008, 1448) betreffend die Anwendung der Eigenkapitalersatzregeln in Bezug auf Finanzierungshilfen Dritter auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar.
32Dass nach der Rechtsprechung des EuGH eine wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen der A. und der B nur dann angenommen werden kann, wenn - anders als im hier zu beurteilenden Sachverhalt - eine Personalunion auf Geschäftsführerebene besteht, ist der dargestellten Rechtsprechung nicht zu entnehmen. Eine Personalunion würde zwar - wie dem Tenor des Urteils zu entnehmen ist - auf eine wirtschaftliche Abhängigkeit hinweisen. Aus den Gründen (Rz. 28) ergibt sich jedoch, dass dies nur eine denkbare Fallkonstellation ist. Danach kommt es bei der Prüfung der Unabhängigkeit einer Brauerei insbesondere auf Verflechtungen auf der Leitungsebene oder bei den Geschäftsanteilen oder Stimmrechten an. Diese Kriterien werden vom EuGH alternativ genannt. Zudem ist diese Aufzählung nicht abschließend ("insbesondere"). Dass der EuGH die Personalunion auf Geschäftsführerebene lediglich als eine denkbare Möglichkeit der Einflussnahme verstanden hat, ergibt sich schließlich auch daraus, dass im Vorlageverfahren eine solche Personalunion gerade nicht gegeben gewesen ist und diese Konstellation vom vorlegenden Gericht nur zusätzlich erwogen worden ist (vgl. Beschluss des Thüringer Finanzgerichts vom 28. November 2007 2 K 287/07, n.v.).
33Die dargestellte Auslegung des Kriteriums der wirtschaftlichen Abhängigkeit stimmt schließlich auch mit dem Sinn und Zweck der ermäßigten Biersteuersätze überein. Denn die ermäßigten Verbrauchsteuersätze sollen den Brauereien zugute kommen, die wegen ihrer geringen Größe benachteiligt sind, nicht aber denjenigen, die einem Konzern angehören (EuGH-Urteil vom 2. April 2009 Rs. C-83/08, a.a.O.).
Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Revisionsgrund gegeben ist (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
FG München:
Urteil v. 14.10.2009
Az: 14 K 1620/09
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