Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 30. November 2010
Aktenzeichen: I-23 U 56/10

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 30.11.2010, Az.: I-23 U 56/10)

Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das am 22.3.2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass der Beklagte zum Ersatz sämtlicher Schäden verpflich-tet ist, die den Klägern auf Grund des Versäumnisses des Beklagten entstanden sind bzw. noch entstehen werden, rechtzeitig vor Ablauf des 31.12.2002 einen Änderungsantrag gemäß § 164 Abs. 2 AO gegen den Einkommensteuerbescheid 1997 vom 14.12.2001 zu stellen.

Die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) fallen dem Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Kläger nehmen den beklagten Steuerberater auf Schadensersatz in Anspruch. Sie werfen ihm vor es versäumt zu haben, hinsichtlich des unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Einkommensteuerbescheides vom 14.12.2001 für 1997 (GA 16 f), durch den u.a. Steuern auf Spekulationsgewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren erhoben wurden, rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist (§ 169 AO: 31.12.2002) gemäß § 164 Abs. 2 AO Antrag auf Abänderung der Entscheidung gestellt zu haben. Infolge der Bestandkraft des Einkommensteuerbescheides hatten die Kläger nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9.3.2004 - 2 BvL 17/02, NJW 2004, 1022 - nicht mehr die Möglichkeit, die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung ihrer Spekulationsgewinne aus Wertpapierverkäufen aus dem Jahre 1997 geltend zu machen.

Gemäß § 540 Abs. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Der Beklagte habe in Bezug auf die Besteuerung der Spekulationsgewinne der Kläger keine Pflichten aus dem Steuerberatervertrag verletzt. Das Vertragsverhältnis der Parteien sei schon im Mai 2002 beendet worden, bevor für den Beklagten auf Grund des Vorlagebeschlusses des Bundesfinanzhofes vom 16.7.2002 Anlass bestanden habe, die Besteuerung der Spekulationsgewinne aus dem Jahre 1997 durch einen Antrag nach § 164 Abs. 2 AO offen zu halten. Die Beweisaufnahme habe nicht zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass die Mandatsbeendigung im Mai 2002 nicht die alten Besteuerungszeiträume bis einschließlich 2000 erfassen sollte.

Die Kläger haben Berufung eingelegt und diese unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen wie folgt begründet:

Sie blieben bei ihrer sicheren Erinnerung, wonach der klagende Ehemann im Mai 2002 mit dem Beklagten in einem persönlichen Gespräch ausdrücklich vereinbart habe, dass ausschließlich die künftige steuerliche Betreuung beginnend mit dem Veranlagungszeitraum 2001 durch die Steuerberaterin v B-B übernommen werden solle, der Beklagte aber für die abgelaufenen Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2000 allein verantwortlich bleiben solle. Entgegen der Würdigung des Landgerichts sei diese Vereinbarung als bewiesen anzusehen. Sie sei von dem klagenden Ehemann bei seiner Anhörung am 9.2.2010 präzise, widerspruchsfrei und glaubhaft bestätigt worden und ergebe sich auch aus der Aussage der als Zeugin vernommenen Steuerberaterin v B-B. Die Argumentation des Landgerichts, die Aussage der Zeugin reiche zum Nachweis nicht aus, weil die Zeugin bei der eigentlichen Vereinbarung zwischen dem klagenden Ehemann und dem Beklagten nicht dabei gewesen sei, sei lebensfremd. Im Übrigen habe das Landgericht zahlreiche Indizien, die für ihre, der Kläger, Behauptung sprächen, unberücksichtigt gelassen. Der Beklagte habe Steuerbescheide aus dem in seinem Verantwortungsbereich fallenden Zeitraum nicht nur entgegengenommen, sondern auch geprüft, weitere Beratungsleistungen erbracht und abgerechnet, Mandantenunterlagen für den Zeitraum bis einschließlich 2000 nicht übergeben sondern bei sich behalten und Änderungsanträge gestellt. Diese Tätigkeiten gingen weit über die vom Beklagten auch nach dessen Darstellung versprochene kollegiale Hilfestellung hinaus. Schließlich habe das Landgericht die Beweislast verkannt und nicht berücksichtigt, dass der Beklagte ihre, der Kläger, Behauptung nicht einmal substantiiert bestritten habe. Selbst wenn der Beklagte, wie er ausgesagt hat, lediglich Hilfestellung angeboten habe, sei dieses Angebot vom Kläger nur so zu verstehen gewesen, dass er jedenfalls in substanziellen Dingen auf drohende Fristabläufe und ähnliche Nachteile hinweisen würde. Der Beklagte hafte zumindest wegen Verletzung nachvertraglicher Pflichten. Ein Steuerberater sei ebenso wie ein Anwalt verpflichtet, jedenfalls im Rahmen einer ordnungsgemäßen Mandatsübergabe auf laufende Fristen und die sich hieraus ergebenden Notwendigkeiten hinzuweisen. Der Beklagte habe vom Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofes vom 16.7.2002 vor Ablauf der Festsetzungsfrist Kenntnis genommen, was er nicht bestreite. Es sei nicht nachvollziehbar, dass ihm bei dieser Gelegenheit nicht die Nachversteuerung der Kläger für das Jahr 1997 in Höhe von immerhin ca. 366.000 DM eingefallen sein soll. Kausalität sei unzweifelhaft gegeben. Primärverjährung sei mit Ablauf des 31.12.2005 eingetreten. Es seien jedoch die Grundsätze der Sekundärverjährung anwendbar. Der Beklagte habe spätestens im März 2004, als er von den Klägern nach Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts angesprochen worden sei, Veranlassung gehabt, auf die Regressproblematik und deren Verjährung hinzuweisen. Vor Ablauf der Sekundärverjährung (31.12.2008) sei am 29.12.2008 die vorliegende Klage eingereicht worden.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass der Beklagte zum Ersatz sämtlicher Schäden verpflichtet ist, die den Klägern auf Grund des Versäunisses des Beklagten entstanden sind bzw. noch entstehen werden, rechtzeitig vor Ablauf des 31.12.2002 einen Änderungsantrag gemäß § 164 Abs. 2 AO gegen den Einkommensteuerbescheid 1997 vom 14.12.2001 zu stellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert auf die Berufung unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen:

Er habe sich keiner Pflichtverletzung aus dem steuerlichen Beratungsverhältnis schuldig gemacht, denn nach Kündigung des Mandatsverhältnisses durch die Kläger im Mai 2002 habe kein Mandatsverhältnis fortbestanden. Es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass bei dem Wechsel steuerlicher Berater das bisherige Beratungsverhältnis durch die Aufnahme der Tätigkeit des neuen Beraters sein Ende finde. Das langjährige Beratungsverhältnis sei in gegenseitigem Einvernehmen beendet worden. Für den Kläger sei es zeitlich der passende Schritt gewesen, da seine aktive Tätigkeit in seinem Ingenieurbüro beendet gewesen sei; für ihn, den Beklagten, sei es die richtige Zeit gewesen, da damit die seit langer Zeit immer wieder aufkommenden Differenzen zum Honoraraufkommen ein Ende gefunden hätten. Die Betreuung rückwirkender Sachverhalte sei kein Thema gewesen. Man sei auseinandergegangen mit der Vereinbarung, dass der Beklagte als langjähriger Steuerberater selbstverständlich helfen und Auskunft geben würde, soweit sich Fragen für die neue Steuerberaterin ergeben würden. Im September habe ein Telefonat zwischen den Beratern stattgefunden, in dem er das übliche Behilflichsein bestätigt habe. Ihm sei zunächst unbekannt geblieben, ob die Kläger die neue Steuerberaterin nur mit dem Mandat ab dem Veranlagungsjahr 2001 beauftragt oder auch Vorkehrungen für die Vergangenheit getroffen hatten. Selbst im Mai 2004 sei man nicht auf ihn zugekommen, wie man es bei einer für ihn vereinbarten Betreuungspflicht für die Altjahre hätte erwarten können. Vielmehr habe die neue Steuerberaterin seit Mai 2004 mit dem Finanzamt bezüglich diverser Änderungsanträge korrespondiert; ihn, den Beklagten, habe man erst im Mai 2008 informiert. Er habe nicht hinsichtlich einer möglichen Verjährung eines Rechtsbehelfs betreffend die Besteuerung von Spekulationsgewinnen tätig werden müssen. Die Nacherklärung der Spekulationsgewinne betreffend das Veranlagungsjahr 1997 sei gegenüber dem Finanzamt für Steuerfahndung und Steuerstrafsachen durch einen der beiden Steueranwälte der Kläger erfolgt; ihm, dem Beklagten, sei lediglich der Bericht der Steuerfahndung vorgelegt worden. Er habe dann die ordnungsgemäße Prüfung des ergangenen Steueränderungsbescheides laut Bericht vorgenommen. Soweit er nach Kündigung des Mandats noch für die Kläger tätig geworden sei, sei dies geschehen, weil die Finanzverwaltung ihm noch alte Bescheide zur Weiterleitung übersandt oder andere Berater in Abstimmung mit den Klägern sein Tätigwerden ausdrücklich erbeten hätten. Keinesfalls sei er verpflichtet gewesen, ohne vorherige Beauftragung und Entlohnung für die abgeschlossenen Sachverhalte der Vergangenheit seine Archivakten durchzugehen und selbst

tätig zu werden. Es habe keine Notwendigkeit bestanden, den Klägern Akten der Altjahre herauszugeben, da die Kläger Abschriften von jedem Schriftstück erhalten hätten. Die Aussage der Zeugin B-B, in einem Telefonat vom 13.9.2002 sei mit ihm besprochen worden, dass er für die alten Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2000 zuständig bleiben sollte, er habe sich damit einverstanden erklärt, die alten Zeiträume zu betreuen, sei sicherlich auch vor dem Hintergrund zu werten, dass die Zeugin selbst als Adressatin eines entsprechenden Haftungsanspruchs in Betracht komme. Bei dieser Aussage sei verwunderlich, dass die Zeugin von Mai 2004 bis März 2008 allein und ohne seine, des Beklagten, Einbeziehung die Rechtsbehelfe auf Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Spekulationseinkünften für 1997 geführt und mit dem Finanzamt korrespondiert habe. Es verwundere auch, dass sie weder dem Finanzamt noch in der außergerichtlichen und gerichtlichen Korrespondenz vor ihrer Aussage auf eine klare Absprache hinsichtlich der Zuständigkeit für die Altjahre verwiesen habe.

B.

Die Berufung der Kläger ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO); die gemäß § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen es, der Feststellungsklage stattzugeben, § 513 ZPO.

I.

Die Klage ist begründet. Den Klägern steht gegen den Beklagten gemäß §§ 280, 611 BGB der im Rahmen einer zulässigen Feststellungsklage geltend gemachte Schadensersatzanspruch zu.

1.

Die streitige Frage der Pflichtverletzung des Beklagten ist vom Landgericht rechtsfehlerhaft verneint worden. Die gemäß § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung. Der Beklagte war verpflichtet, den Klägern vor Ende 2002 zu raten, in Bezug auf den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erlassenen Einkommensteuerbescheid 1997 vom 14.12.2001 rechtzeitig vor Ablauf der Festsetzungsfrist (31.12.2002) Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO zu stellen, um sich die Möglichkeit zu erhalten, die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung ihrer Spekualtionsgewinne aus Wertpapierverkäufen geltend zu machen, wenn das Bundesverfassungsgericht auf die Vorlage des BFH vom 16.7.2002 § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe b EStG in der Fassung vom 16.4.1997 (BStBl I, S. 821) für nichtig erklärt. Nach dem unbestrittenen Vortrag der Kläger (zuletzt auf Seite 7 vorletzter Absatz der Berufungsbegründung) hatte der Beklagte tatsächlich so rechtzeitig von dem Vorlagebeschluss des BFH vom 16.7.2002 Kenntnis genommen, dass Zeit genug geblieben wäre, die Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides zum 31.12.2002 zu verhindern. Daher kommt es nicht darauf an, wann der Beklagte von dem Vorlagebeschluss des BFH vom 16.7.2002 hätte Kenntnis nehmen müssen, insbesondere welche Veröffentlichungen in der Presse und/oder Fachzeitschriften er hätte beachten müssen. Auch wenn es nicht darauf ankommt: Der Vorlagebeschluss des BFH vom 16.7.2002 wurde am 18.7.2002 durch Pressemitteilung veröffentlicht; die Tagespresse hat sich nachfolgend in großem Umfang mit diesem Beschluss befasst (vgl. hierzu die Feststellungen in den Urteilen des OLG Köln vom 26.4.2007, 8 U 49/06, OLGR Köln 2007, 738, und vom 12.7.2007, 8 U 6/07, DStRE 2007,1588). Außerdem wurde der Vorlagebeschluss schon im Jahre 2002 in zwei einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften, über die sich ein Steuerberater über besonders wichtige Entscheidungen des BFH informieren muss (vgl. dazu BGH Urt.v. 23.9.2010, IX ZR 26/09), veröffentlicht (in "Der Betrieb" Heft 45 vom 8.11.2002, in DStRE Heft 23 vom 6.12.2002). Nach Kenntnisnahme von dieser wichtigen Entscheidung des BFH zu dem bei vielen Fachleuten im Steuerrecht bereits seit längerem bekannten sog. Tipke-Verfahren (dazu: OLG Köln a.a.O.; BGH Urt.v. 6.11.2008, IX ZR 140/07. NJW 2ßß9, 1593) waren die Steuerberater verpflichtet, unverzüglich zu handeln, um ihren Mandanten noch rechtzeitig zu ermöglichen, die Bestandskraft betroffener Einkommensteuerbescheide zu verhindern.

Der Beklagte hat trotz rechtzeitiger tatsächlich vorhandener Kenntnis von dem Vorlagebeschluss die Kläger nicht informiert und damit seine Pflichten aus dem fortbestehenden Steuerberatermandat verletzt.

Der Senat ist nach der Beweisaufnahme des Landgerichts i.V.m. dem unstreitigen Sachverhalt anders als das Landgericht davon überzeugt, dass der Steuerberatervertrag zwischen den Parteien im Mai 2002 nicht vollständig gekündigt wurde, sondern wegen der vom Beklagten bearbeiteten Veranlagungsjahre (bis 2000) fortbestand (dazu unter a.). Wenn man davon ausgehen würde, dass der Steuerberatervertrag im Mai 2002 vollständig gekündigt wurde, würde der Beklagte in gleicher Weise wegen Verletzung nachvertraglicher Pflichten haften (dazu unter b.).

a.

Der Fortbestand des Steuerberatervertrages mit dem Beklagten hinsichtlich der vom Beklagten bearbeiteten Veranlagungsjahre bis 2000 bis mindestens Ende 2002 ergibt sich aus der Aussage der Zeugin B-B in Verbindung mit den Angaben des Klägers anlässlich seiner informatorischen Anhörung und wird durch weitere unstreitige Indizien bestätigt. Der Senat ist nicht gehindert, ohne erneute Beweisaufnahme die vom Landgericht erhobenen Beweise anders zu würdigen als das Landgericht.

Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht zwar grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden mit der Folge, dass es bei Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen grundsätzlich erneut Beweis erheben muss. Insbesondere muss es einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals gemäß § 398 Abs. 1 ZPO vernehmen, wenn es deren Aussagen anders würdigen will als die Vorinstanz (BGH Beschluss vom 14.7.2009, VIII ZR 3/09, NJW-RR 2009, 1291). Die nochmalige Vernehmung eines Zeugen kann aber ausnahmsweise dann unterbleiben, wenn sich das Rechtsmittelgericht auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit oder Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen (BGH a.a.O.). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor.

Das Landgericht ist in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, dass die Zeugin B-B glaubhaft geschildert hat, dass der Beklagte sich ihr gegenüber in einem Telefonat vom 13.9.2002 damit einverstanden erklärt habe, die alten Zeiträume weiter zu betreuen, und auch entsprechend tätig geworden sei. Diese Aussage steht im Einklang mit ihrer Anzeige an das Finanzamt D-M vom 9.5.2002 (GA 52), dass sie für die Besteuerungszeiträume ab 2001 das Mandat der Kläger übernommen habe, während für die Vorjahre der bisherige Steuerberater Herr B zuständig bleibe, und auch im Einklang damit, dass sie von dem Beklagten nur Steuerunterlagen für die Veranlagungsjahre ab 2001 angefordert hat. Diese Zeugenaussage und die damit im Einklang stehenden Angaben des Klägers anlässlich seiner informatorischen Anhörung, er habe dem Beklagten ausdrücklich gesagt, dass dieser für die Veranlagungszeiträume bis 2000 einschließlich zuständig bleiben solle, worauf der Beklagte mit "ja" geantwortet habe, ergeben den Nachweis des Fortbestehens des Steuerberatervertrages zwischen den Parteien für die alten Veranlagungsjahre über Mai 2002 hinaus. Die Zweifel, mit denen das Landgericht diesen Nachweis verneint hat (fehlende Anwesenheit der Zeugin bei den Gesprächen der Parteien zur Vertragsbeendigung, fehlende Honorarvereinbarung der Parteien) sind nicht berechtigt. Die vom Landgericht als glaubhaft behandelte Aussage der Zeugin beinhaltet mit der Einlassung des Beklagten anlässlich des von der Zeugin geschilderten Telefongesprächs vielmehr ein überzeugendes Indiz dafür, dass die Parteien die vom Kläger geschilderte Vereinbarung im Mai 2002 tatsächlich auch getroffen und nicht bloß, wie der Beklagte sich bei seiner Parteivernehmung durch das Landgericht eingelassen hat, unverbindlich abgesprochen haben, dass der Beklagte lediglich auf Anforderung behilflich sein sollte.

Bestätigt wird die Darstellung des Klägers auch durch unstreitige Leistungen, die der Beklagte für die Kläger noch nach der im Mai 2002 erfolgten (teilweisen) Kündigung des Mandats erbracht hat, wobei unerheblich ist, ob der Kläger diese Leistungen von sich aus oder erst auf Anforderung der Kläger bzw. ihrer neuen Steuerberaterin erbracht hat. Zu den vom Beklagten unstreitig erbrachten Leistungen gehört die Prüfung von Steuerbescheiden der Jahre 1999 und 2000 (GA 53, 54) und die Beantragung der Änderung von Umsatzsteuerbescheiden der Jahre 1993 bis 1995 (GA 55). Das Fortbestehen des Mandats des Beklagten für die Altjahre war auch wirtschaftlich sinnvoll, da das Restmandat die Zeit der Berufstätigkeit des Klägers erfasste, in die sich die neue Steuerberaterin der Kläger nicht mehr einarbeiten sollte.

Der Umstand, dass die Parteien für die Zeit nach Mai 2002 keine Honorarvereinbarung getroffen haben, ist nicht geeignet, den Fortbestand des Steuerberatervertrages in Frage zu stellen. Gemäß § 612 Abs. 1 BGB gilt die Vergütung als stillschweigend vereinbart, da die Dienstleistung des Beklagten von den Klägern den Umständen nach nur gegen eine Vergütung erwartet werden konnte. Die Höhe der Vergütung ergibt sich ohne Vereinbarung aus der StBGebV.

b.

Wenn man die Fortdauer eines Vertrages mit dem Beklagten angesichts dessen Aussage vor dem Landgericht als nicht bewiesen ansehen wollte, würde der Beklagte jedenfalls wegen Verletzung nachvertraglicher Pflichten haften. Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts ist rechtsfehlerhaft.

Der Steuerberater ist ebenso wie der Anwalt verpflichtet, im Rahmen einer ordnungsgemäßen Mandatsübergabe auf drohende Fristabläufe hinweisen, damit der Mandant einen anderen Steuerberater mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen kann (Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 4. Auflage, Rdn. 53).

Hier hatte der Beklagte bereits kurz nach dem Wechsel der Kläger zur Steuerberaterin v B-B nach Veröffentlichung des Vorlagebeschlusses des BFH vom 16.7.2002 begründeten Anlass, die Kläger darauf hinzuweisen, dass der Einkommensteuerbescheid für 1997 vom 14.12.2001 wegen des Vorbehalts der Nachprüfung noch offen war und zum 31.12.2002 bestandskräftig werden würde, wenn nicht ein Antrag auf Abänderung nach § 164 Abs. 2 AO gestellt wird. Seit der von ihm vorgenommenen Überprüfung des unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Änderungsbescheides vom 14.12.2001, in dem in außergewöhnlicher Höhe von 366.614 DM, die nicht so leicht in Vergessenheit gerät, Einkünfte aus Spekulationsgewinnen festgestellt worden waren, war bei Kenntnisnahme des Beklagten von der Entscheidung des Vorlagebeschlusses des BFH vom 16.7.2002 noch nicht einmal ein Jahr vergangen, so dass der Beklagte den Fall der Kläger noch in konkreter Erinnerung haben musste, zumal die Steuerfahndung mit diesem Fall befasst war. Der Beklagte musste damit rechnen, dass die neue Steuerberaterin den Ablauf der Festsetzungsfrist nicht beachten werde, da sie von ihm unstreitig nur Steuerunterlagen für die Veranlagungszeiträume ab 2001 angefordert hatte und er, der Beklagte, die bereits von ihm bearbeiteten Zeiträume bis einschließlich 2000 tatsächlich weiter bearbeitete, nach seiner Aussage auf Grund der von ihm angebotenen Hilfestellung. Der Beklagte konnte nicht darauf zu vertrauen, dass die Kläger die ihnen überlassene Abschrift des Änderungsbescheides rechtzeitig vor Eintritt der Bestandskraft der Steuerfestsetzung ihrer neuen Steuerberaterin zur Prüfung übergeben würden, denn er konnte von den Klägern nicht erwarten, dass sie Kenntnisse zur Bestandskraft eines Steuerbescheides hatten, auf Vorlagebeschlüsse des BFH achten und die Notwendigkeit erkennen würden, die Bestandskraft des Änderungsbescheides zu verhindern.

Der Beklagte ist seiner Hinweispflicht unstreitig nicht nachgekommen. Sein Verschulden ist gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu vermuten; er hat nichts zu seiner Entlastung vorgetragen.

2.

Ebenfalls ist zu vermuten, dass sich die Kläger bei ordnungsgemäßer Beratung beratungsgerecht verhalten und rechtzeitig Anweisung erteilt hätten, den Änderungsantrag zu stellen.

3.

Wäre der Einkommensteuerbescheid 1997 offen gehalten worden, wären die Spekulationsgewinne der Kläger aus Wertpapierverkäufen im Jahre 1997 steuerfrei geblieben, weil das Bundesverfassungsgericht die maßgebliche Steuervorschrift durch Urteil vom 9.3.2004 für nichtig erklärt hat.

4.

Der Schadensersatzanspruch der Kläger ist nicht verjährt.

Die Primärverjährung begann gemäß § 68 StBerG mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist zum 31.12.2002 und lief 3 Jahre später am 31.12.2005 ab. Zu diesem Zeitpunkt begann gemäß § 68 StBerG die Sekundärverjährung, die rechtzeitig durch Einreichung der vorliegenden Klage am 29.12.2008 gehemmt worden ist.

Die Regelung des § 68 StBerG ist gemäß Art. 229 § 12 Nr. 13 EGBGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 2 EGBGB für den Beginn der Verjährung weiter anzuwenden, falls - wie hier - der primäre Schadensersatzanspruch vor dem 15.12.2004 - hier: 31.12.2002 - entstanden ist. Bestimmt sich die Verjährung des Primäranspruchs nach § 68 StBerG, so gilt diese Vorschrift auch für den Sekundäranspruch, weil der Sekundäranspruch lediglich ein Hilfsrecht und unselbständiges Nebenrecht des primären Regressanspruchs bildet. Die entsprechende Rechtsprechung des BGH zu § 51b BRAO (Urt.v. 13.11.2008, IX ZR 69/07, NJW 2009, 1350) ist auch auf § 68 StBerG anwendbar. Das Entstehen des Sekundäranspruchs und die Anwendung des § 68 StBerG auf den Sekundäranspruch ist unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für den Sekundäranspruch schon vor dem 15.12.2004 erfüllt waren oder erst später erfüllt wurden (Zugehör/Fischer/Sieg/Schlee, Handbuch der Anwaltshaftung, 2. Auflage, Rdn. 1266; Mansel/Budzikiewicz, NJW 2005, 321/326).

Die Voraussetzungen für eine Sekundärhaftung des Beklagten sind erfüllt. Der Beklagte hatte vor Ablauf der Primärverjährung (31.12.2005) im März 2004 im Zusammenhang mit seiner an den Kläger gerichteten E-mail vom 11.3.2004 betreffend die Änderung der Besteuerung der Spekulationsgewinne aus dem Jahre 1997 nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (GA 56) Anlass, die Kläger auf seine Haftung und die kurze Verjährungsfrist des § 68 StBerG hinzuweisen. Die Sekundärhaftung entfällt nicht allein wegen der Beauftragung eines weiteren steuerlichen Beraters (BGH Urt.v. 11.5.1995, IX ZR 140/94, NJW 1995, 2108).

C.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen.

Streitwert für die Berufung: 26.227,70 Euro






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 30.11.2010
Az: I-23 U 56/10


Link zum Urteil:
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