Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 6. Mai 2010
Aktenzeichen: I- 4 U 222/09

(OLG Hamm: Urteil v. 06.05.2010, Az.: I- 4 U 222/09)

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 16. September 2009 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Hagen abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwider-handlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- EUR, ersatz-weise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, das Produkt „Q“ zu bewerben und/oder zu vertreiben, sofern für das Mittel keine Zulassung oder Notifizierung nach der Novel-Food-Verordnung (Verordnung EG/258/97) besteht.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 166,60 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. April 2009 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000,- EUR abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist ein eingetragener Verein. Satzungsmäßig sieht er seine Aufgabe in der Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere die Achtung darauf, dass die Regeln des lauteren Wettbewerbs eingehalten werden.

Die Beklagte betreibt ein Unternehmen mit Sitz in T2, das verschiedene Nahrungsergänzungsmittel und andere Lebensmittel in den Verkehr bringt. Darunter befindet sich auch das Produkt "Q", das als Lebensmittelzutat organisches Selen der Paradiesnuss enthält.

Der Kläger geht davon aus, dass es sich bei dem Produkt "Q" um ein neuartiges Lebensmittel handelt, das einer Genehmigung der Novel-Food-Verordnung bedürfe.

Der Kläger hat vorgetragen, dass es sich bei dem Paradiesnussmehl um eine neuartige Lebensmittelzutat handele, die eine Genehmigung nach der NFVO bedürfe. Dazu hat sich der Kläger u.a. auf einen Aufsatz von Dr. C, auf einen Eintrag bei Wikipedia, auf diverse Lexikaeintragungen, auf eine Mitteilung des Bundesinstitutes für Risikobewertung, auf eine Mitteilung des Informationsdienstes der chemischen und Veterinäruntersuchungsämter T, L, G und T3, auf Internetseiten und auf die Datenbank der Europäischen Kommission bezogen (vgl. Anlagen K 2 ff zur Klageschrift). Die Zuständigkeit der Zivilgerichte sei deshalb zu bejahen, weil es vorliegend nicht um eine Zulassung oder Notifizierung nach der NFVO gehe, sondern um das Unterlassen des Vertriebs einer neuen Lebensmittelzutat ohne Zulassung und ohne Notifizierung.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Androhung von Ordnungsmitteln zu verurteilen, im geschäftlichen Verkehr es zu unterlassen, das Produkt "Q" zu bewerben und/oder zu vertreiben, sofern für das Mittel keine Zulassung oder Notifizierung nach der Novel-Food-Verordnung (Verordnung EG/258/97) besteht.

Der Kläger hat ferner 166,60 € nebst Zinsen als Abmahnkosten begehrt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Prozessführungsbefugnis des Klägers bestritten und die Unterlassungsklage zudem schon deshalb für unzulässig gehalten, weil die Zivilgerichte nicht zuständig seien. Entscheidungen darüber, ob ein Produkt dem Genehmigungsverfahren nach der NFVO unterliege, lägen ausschließlich im Ermessen der zuständigen Behörden. Um ihre Rechtsauffassung zu untermauern hat sich die Beklagte u.a. auf die Internetveröffentlichungen der Europäischen Kommission, auf Entscheidungen des EuGH vom 9. Juni 2005 und 15. Januar 2009 und auf den im Sommer 2008 veröffentlichten Katalog bezogen.

Die Beklagte hat insbesondere die Auffassung vertreten, dass die Frage, ob ein Lebensmittel überhaupt unter die NFVO fällt, allein von den Behörden der Mitgliedsstaaten und der Europäischen Kommission zu beantworten sei. Dem stehe die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 22. November 2007 (Az. I ZR 77/05) nicht entgegen.

Die Beklagte hat ferner behauptet, vor dem ersten Inverkehrbringen des Produkts Q gemäß § 5 der NahrungsergänzungsmittelVO eine entsprechende Anzeige mit Datum vom 13. Oktober 2008 (vgl. Anlage B 16 Bl. 132 ff d.A.) an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit gerichtet zu haben, das den Eingang mit Schreiben vom 8. Juni 2009 bestätigt habe (vgl. Anlage B 17 Bl. 135 ff d.A.). Dieses Bundesamt, das nach Meinung der Beklagten zur Durchführung von Erstprüfungen im Rahmen des Art. 4 der NFVO zuständig sei, habe ihre Anzeige dem Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft sowie den für die Lebensmittelüberwachung zuständigen obersten Landesbehörden übermittelt. Zu behördlichen Auflagen oder Verboten sei es im Hinblick auf das Produkt Q nicht gekommen.

Vorsorglich hat die Beklagte angeregt, zur Frage der Zuständigkeit der Zivilgerichte eine Vorlagefrage an den EuGH zu formulieren.

Zur materiellen Rechtslage hat die Beklagte ausgeführt, bei dem Paradiesnusspulver handele es sich nicht um Novel Food. Dazu hat sie sich auf Einträge in drei Nachschlagewerken berufen (vgl. Anlagen B 8 - B 11). Sie hat behauptet, dass die Paradiesnuss seit mindestens 1975 als Lebensmittel so bekannt sei, dass sie in allen Standardwerken als essbares Lebensmittel zitiert worden sei und dass sie vor dem 15. Mai 1997 als Lebensmittel im Verkehr gewesen sei. Zusätzlich hat sich die Beklagte darauf berufen, dass die Firma F das Nahrungsergänzungsmittel "A" in der slowakischen Republik auf den Markt bringt. Dieses Produkt enthalte Paradiesnussmehl. Um es auf den Markt bringen zu können, habe die genannte Firma einen Antrag beim Amt des öffentlichen Gesundheitswesens der slowakischen Republik gestellt, der am 4. Juli 2008 positiv beschieden worden sei (vgl. Anlagen B 12 ff Bl. 93 ff).

Das Landgericht hat durch Urteil vom 16. September 2009 die Klage als unbegründet abgewiesen. Voraussetzung für das begehrte Verbot sei es, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Produkt um ein neuartiges Lebensmittel handele, das einer Genehmigung nach der Novel-Food-Verordnung bedürfte. Diese Voraussetzungen habe der Kläger nicht hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die NFVO in bestimmten Fällen das Anzeigeverfahren für ausreichend erachte (Art. 3 Abs. 4 NFVO), hätte es hier dem Kläger nach dem weiteren Vorbringen der Beklagten oblegen, näher dazu vorzutragen, dass bei dem Vertrieb des Produktes "Q" nicht lediglich das Anzeigeverfahren, sondern vielmehr das in der genannten Verordnung nach Art. 1 Abs. 2 vorgesehene Genehmigungsverfahren erforderlich sei.

Wegen des Inhaltes des Urteiles im Einzelnen wird auf Blatt 177 ff der Akten verwiesen.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt.

Der Kläger rügt, dass das Landgericht das Anzeigeverfahren nach der NemV mit dem Genehmigungs- und Notifizierungsverfahren nach der NFVO vermischt und gemeint habe, der Anzeige nach § 5 NemV komme mangels entgegenstehender Einwände der zuständigen Behörde eine Art Notifizierung gemäß Art. 3 Abs. 4 i.V.m. Art. 5 der NFVO zu. Da es sich bei Q um ein neuartiges Lebensmittel handele, bedürfe es nicht einer Anzeige nach § 5 Abs. 1 NemV, sondern einer Genehmigung oder Notifizierung nach der NFVO. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Behörde, der gegenüber die Anzeige nach § 5 NemV zu erfolgen habe, auch nach der NFVO zuständig sei. Dazu verweist der Kläger auf die von der Beklagten als Anlage B 17 vorgelegte Eingangsbestätigung des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Der Kläger rügt ferner, dass sich das Landgericht über unstreitigen Sachverhalt hinweggesetzt habe. Unbestritten geblieben sei nämlich sein Vortrag, dass Q weder über eine Zulassung noch über eine Notifizierung als neuartiges Lebensmittel verfüge. Insofern sei nicht nachvollziehbar, dass das Landgericht ihm vorgehalten habe, nicht näher dazu vorgetragen zu haben, dass bei dem Vertrieb des Produkts nicht lediglich das Anzeigeverfahren nach Art. 3 Abs. 4 NFVO, sondern vielmehr das in Art. 3 Abs. 2 NFVO geregelte Verfahren durchzuführen sei. Vorsorglich überreicht der Kläger die Liste über die Notifizierung neuartiger Lebensmittel gemäß Art. 5 der NFVO mit Stand vom 3. August 2009 (vgl. Fotokopien Bl. 213 ff d.A.).

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Landgerichts Hagen vom 16. September 2009 22 O 46/09 die Beklagte wie folgt zu verurteilen:

I. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft,

oder

einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, das Produkt "Q" zu bewerben und/oder zu vertreiben, sofern für das Mittel keine Zulassung oder Notifizierung nach der Novel-Food-Verordnung (Verordnung EG/258/97) besteht.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 166,60 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages ist die Beklagte der Ansicht, das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen und die Anforderungen an die primäre Darlegungslast des Klägers zu Recht verschärft, nachdem die Beklagte nachgewiesen habe, dass die für Novel Food zuständige Behörde untätig geblieben sei. Deren Hinweis in der Eingangsbestätigung, dass nicht die Verkehrsfähigkeit oder die Kennzeichnung des Produkts genehmigt worden sei, sei lediglich der Zuständigkeit der Länder geschuldet. Hier aber gehe es um die Zuständigkeit des Bundesamtes im Rahmen der NFVO. Das Bundesamt wäre gegen ein Inverkehrbringen des streitgegenständlichen Produkts vorgegangen, wenn es einen Verstoß gegen die NFVO gesehen hätte. Da dies nicht geschehen sei, bestehe für die Beklagte ein Vertrauensschutz. Die Beklagte räumt ein, dass für die streitgegenständliche Zutat weder ein Antrag auf Zulassung als Novel Food gestellt, noch eine entsprechende Genehmigung erteilt worden sei. Sie hält eine Zulassung bzw. Genehmigung aber auch nicht für notwendig. Entweder sehe das Bundesamt die Paradiesnuss nicht als Novel Food an oder aber es habe nach Art. 3 Abs. 4 und Art. 5 der NFVO eine Mitteilung gemacht. Unabhängig davon vertieft die Beklagte ihre erstinstanzlich bereits geäußerte Rechtsansicht zu der ihrer Meinung nach fehlenden Zuständigkeit der Zivilgerichte. Dabei befasst sich die Beklagte insbesondere mit einer Entscheidung des EuGH vom 19. März 2009.

Wegen des Inhaltes der Parteivorträge im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die Berufung des Klägers ist begründet. Das Landgericht hat dem begehrten Verbot zu Unrecht nicht entsprochen.

Das Verbotsbegehren des Klägers ist hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Ziff. 2 ZPO. Es richtet sich sowohl gegen die Bewerbung als auch gegen den Vertrieb des konkreten Produktes, in dem die fragliche Zutat enthalten ist. Soweit die Beklagte rügt, dass der mit "sofern" eingeleitete Satzteil nicht alle Möglichkeiten aufzeige, wie man aus dem Verbot herauskommen könne, kann dies auf sich beruhen. Denn es ist nicht Aufgabe des Gläubigers, dem Schuldner Wege aus dem Verbot aufzuzeigen. Da derzeit weder eine Zulassung noch eine Notifizierung für das Produkt besteht, soll es nach dem Begehren des Klägers derzeit weder beworben noch vertrieben werden.

Der Kläger ist nach § 8 Abs. 3 Ziff. 2 UWG auch klagebefugt. Der Senat hat in dem Verfahren 4 U 8/06 über die Klagebefugnis des Klägers umfangreich Beweis erhoben. Die Beweisfragen erstreckten sich dabei insbesondere auch auf den Umstand, ob der Kläger seine Satzungsziele tatsächlich verfolgt. Diese Fragen wurden durch das Ergebnis der Beweisaufnahme bestätigt. Der Kläger hat zudem durch seine als Anlage K 18 vorgelegte Mitgliederliste aufgezeigt, dass ihm eine repräsentative Anzahl an Mitgliedern auf dem hier in Rede stehenden Gebiet der Lebensmittel angehört. Der Bundesgerichtshof hat auch in jüngster Zeit in Verfahren mit dem Kläger Nichtzulassungsbeschwerden zurückgewiesen, in denen die fehlende Klagebefugnis besonders gerügt worden war.

Dem Kläger steht ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 3 Abs. 2, 4 der NFVO zu, weil die Beklagte ein Produkt, bei dem eine Lebensmittelzutat in den Anwendungsbereich der NFVO fällt, ohne die erforderliche Genehmigung bewirbt und vertreibt.

Ein solches Verhalten ist nach § 4 Nr. 11 UWG unlauter i.S.d. § 3 Abs. 1 UWG, weil die Beklagte damit gegen eine gesetzliche Vorschrift verstößt, die zumindest auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Die Bestimmungen der NFVO sind Marktverhaltensregelungen in diesem Sinne, weil sie gemäß der zweiten Begründungserwägung dieser Verordnung dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienen. Ihre Verletzung stellt aus diesem Grunde auch keinen Bagatellverstoß dar (BGH WRP 2008, 924 - Fruchtextrakt; Senatsurteil vom 27. März 2007 Az. 4 U 7/07 = LRE 55, 169 - Xan Go).

Die NFVO findet im vorliegenden Fall Anwendung. Voraussetzung dafür ist nach Art. 1 Abs. 2 NFVO, dass Lebensmittel und Lebensmittelzutaten in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht werden, die in dieser bisher noch nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden und in eine der in Art. 1 Abs. 2 a - f aufgeführten Gruppen von Erzeugnissen fallen. Hier handelt es sich bei dem von der Beklagten beworbenen und vertriebenen Produkt Q dadurch um ein neuartiges Nahrungsergänzungsmittel und damit Lebensmittel, dass es mit dem Paradiesnusspulver eine aus Pflanzen isolierte Zutat i.S.d. Art. 1 Abs. 2 e NFVO enthält, die ihrerseits neuartig ist. Das Paradiesnusspulver wäre als pflanzliche Lebensmittelzutat nur dann von der Genehmigungspflicht ausgenommen, wenn sie mit herkömmlichen Vermehrungs- und Zuchtmethoden gewonnen würde und erfahrungsgemäß als unbedenkliche Lebensmittelzutat gelten könnte.

Davon kann nicht ausgegangen werden.

Für die Beurteilung der Frage, ob das Paradiesnusspulver als Lebensmittelzutat bis zum Stichtag am 15. Mai 1997 in der Gemeinschaft in noch nicht nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet worden ist, kommt es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entscheidend auf die Verwendung im Sinne der Aufnahme durch den Menschen an. Ob die Zutat als Lebensmittel bekannt war oder sogar schon als solches gehandelt wurde, kann dabei auch von Bedeutung sein, genügt aber allein nicht. Es kommt hinzu, dass die dabei zu berücksichtigenden Umstände die Lebensmittelzutat selbst betreffen müssen und nicht etwa eine ähnliche oder vergleichbare Zutat (EuGH WRP 2005, 863 - HLH Warenvertrieb und Orthika; BGH a.a.O. Fruchtextrakt). Darlegungs- und beweispflichtig für diese Voraussetzungen ist zwar der Kläger. Er muss im Hinblick auf diese negative Tatsache zunächst darlegen, dass das Paradiesnusspulver vor dem Stichtag nicht in nennenswertem Umfang in der Gemeinschaft verzehrt worden ist. Dieser Darlegungslast hat der Kläger durch die mit der Klageschrift vorgelegten Anlagen Genüge getan (vgl. zu alledem auch Senatsurteil vom 13. April 2010 - 4 U 192/09).

Angesichts dieses substantiierten Vortrages war es Sache der Beklagten, im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast vorzutragen woraus sie entnommen hat, dass die in ihrem Produkt enthaltene Lebensmittelzutat Paradiesnusspulver doch schon vor dem Jahre 1997 im fraglichen Bereich in nennenswertem Umfang verzehrt worden ist. Dies hat die Beklagte aber nicht vermocht. Die vorgelegten drei Nachschlagewerke besagen über einen entsprechenden Verzehr noch nichts. Denn die angegebenen Stellen besagen nicht, wie viel Paradiesnussmehl wann in welches Land der Europäischen Gemeinschaft eingeführt worden ist, wobei vor allem der Stichtag des 15. Mai 1997 zu beachten ist. Unerheblich ist ebenfalls auch die Genehmigung des Amtes für öffentliches Gesundheitswesen der Slowakischen Republik vom 4. Juli 2008. Dabei handelt es sich nicht um eine Genehmigung im Rahmen der NFVO. Die Genehmigung gibt auch nichts für die hier allein entscheidende Frage her, ob das Paradiesnusspulver vor dem Stichtag des 15. Mai 1997 in der EU in nennenswertem Umfange verzehrt worden ist.

Die Beklagte hat auch nicht die Unbedenklichkeit des Paradiesnusspulvers dargelegt. Insofern trifft sie die Darlegungs- und Beweislast (Senatsurteil vom 13. April 2010 - Az. 4 U 192/09).

Die Beklagte ist auch nicht aus übergeordneten Gesichtspunkten von diesem somit begründeten Werbe- und Vertriebsverbot für ihr Produkt "Q" befreit.

Der Beklagten ist im Ansatz zwar zuzustimmen, dass die Zulassung der Paradiesnuss zum Verzehr nur von den dazu berufenen Stellen ausgesprochen werden kann. Um eine solche Zulassung geht es hier aber nicht. Hier steht allein im Raum, dass ein nicht zugelassenes Lebensmittel nicht mehr vertrieben werden soll. Es geht allein um einen Verstoß gegen eine Marktregel i.S.d. § 4 Nr. 11 UWG, nämlich um einen Verstoß gegen die NFVO, die eben den Vertrieb neuartiger, nicht unbedenklicher Lebensmittel verbietet, die nicht nach Art. 3 Abs. 2 NFVO zugelassen worden sind. Solche Verstöße gegen Marktregelungen können auch vor den Wettbewerbsgerichten verfolgt werden. Auch die genannten Entscheidungen des EuGH gehen auf diese Frage nicht ein. Auch die Entscheidung vom 19. März 2009 betrifft nicht den vorliegenden Fall. Läge eine Zulassung als neuartiges Lebensmittel vor, wäre der Senat sicher hieran gebunden, ohne die Zulassungsvoraussetzungen prüfen zu dürfen. Davon zu trennen ist die Frage, ob ein Lebensmittel, das beworben und vertrieben werden soll, als neuartig im Sinne der NFVO anzusehen ist. Hierüber zu entscheiden, fällt auch in die Kompetenz der Wettbewerbsgerichte, weil die Bestimmungen der NFVO als Marktregelungen anzusehen sind und damit über die Bestimmung des § 4 Nr. 11 UWG Eingang in das Wettbewerbsrecht gefunden haben.

Unerheblich ist auch die Anzeige der Beklagten nach § 5 NemV. Ob die zuständige Behörde aufgrund dieser Anzeige auch nach der NFVO hätte tätig werden müssen, kann hier dahingestellt bleiben. Denn tatsächlich hat sie dies nicht getan. Dies nützt der Beklagten aber nichts. Die Untätigkeit der Behörde mag unter Umständen ein Indiz gegen die Neuartigkeit oder die fehlende Unbedenklichkeit sein. Das befreit das angerufene Wettbewerbsgericht aber nicht von der eigenen Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen. Die Untätigkeit der Behörde stellt eben keinen Verwaltungsakt dar, an den die Zivilgerichte gebunden sind. Die bloße Untätigkeit der Behörde stellt keine Rechtsbindung dar, zumal die Behörde, wie sich aus Blatt 135 ergibt, auch noch ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass sie hinsichtlich der Anzeige gewissermaßen nur als Briefkasten fungiert.

Schließlich liegt auch der Hinweis des Landgerichts auf Art. 3 Abs. 4 NFVO im angefochtenen Urteil neben der Sache. Für das Verbotsbegehren des Klägers kommt es nur darauf an, dass auch dieses vereinfachte Zulassungsverfahren tatsächlich nicht durchgeführt worden ist. Damit bleibt es dabei, dass das Paradiesnusspulver als neuartiges und nicht unbedenkliches Lebensmittel eben noch nicht zugelassen ist und mithin auch nicht vertrieben und beworben werden darf. Auch ein möglicher Zulassungserfolg kann nicht dazu führen, dass ein Vertrieb auch schon vor einem solchen Erfolg zulässig ist. Damit würde das Entscheidungsmonopol unterlaufen im Widerspruch zum Erwägungsgrund (2) der NFVO.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziff. 10, 711 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 06.05.2010
Az: I- 4 U 222/09


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