Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 21. September 2012
Aktenzeichen: 6 U 53/12
(OLG Köln: Urteil v. 21.09.2012, Az.: 6 U 53/12)
Tenor
f ü r R e c h t e r k a n n t :
Die Berufung der Beklagten gegen das am 08.02.2012 verkündete Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 84 O 215/11 - wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Urteilsformel zu Nr. I in ihrem ersten Teil (vor dem sechsseitigen Storyboard) wie folgt neu gefasst wird:
Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen,
unter der Bezeichnung „G.“ ein Gewinnspiel zu veranstalten, bei dem zur Teilnahme jeweils fünf Produkte der Beklagten erworben werden müssen, was durch entsprechende Kaufbelege nachgewiesen werden muss, wenn dies in einem 30-minütigen TV-Spot, wie auf beigefügter DVD-R gespeichert und nachstehend durch Storyboard wiedergegeben, geschieht: …
Die weiteren Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Unterlassungsanspruches durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,00 € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet. Die Vollstreckung des Kostenerstattungsanspruchs kann die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien vertreiben Lakritz und Fruchtgummi und zählen auf diesem Warensektor zu den führenden deutschen Anbietern. Im Februar 2011 startete die Beklagte eine deutschlandweite Kampagne, bei welcher im Rahmen eines Fernsehwerbespots die Teilnahme an einem Gewinnspiel an den Kauf ihrer Produkte gekoppelt wurde. In dem Werbespot wirbt der bekannte Fernsehmoderator H., der eine Familie aus Vater, Mutter und zwei Kindern sowie eine Mutter mit zwei Kindern beim Einkaufen im Supermarkt trifft, für Produkte der Beklagten: U., D., Q., R. und I.. Beim Kauf von fünf Packungen zum Preis von ca. je 1 € kann man die Originaleinkaufsbelege einsenden und erlangt so die Chance, einen von 100 „I.barren“ im Wert von 5.000 € zu gewinnen.
Die Parteien streiten um die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit dieses Werbespots. Das Landgericht hat in dem Werbespot eine unlautere Kopplung nach §§ 3, 4 Nr. 6 UWG gesehen. Zwar sei die Regelung in der Weise richtlinienkonform auszulegen, dass die Kopplung eines Gewinnspiels an ein Umsatzgeschäft nur dann unlauter sei, wenn sie im Einzelfall dem Erfordernis der beruflichen Sorgfalt widerspreche. Dies sei hier aber anzunehmen, weil sich die Werbung vor allem und in erster Linie an Kinder und Jugendliche richte. Bei diesem Adressatenkreis sei die Kopplung eines Gewinnspiels an den Warenabsatz mit der beruflichen Sorgfalt generell nicht zu vereinbaren.
Die Beklagte hat Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil des Landgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, eine generelle Unlauterkeit von Gewinnspielkopplungen könne auch dann nicht angenommen werden, wenn sich die Werbung an Kinder und Jugendliche richte. In der heutigen Zeit seien Kinder mit derartigen Werbemaßnahmen vertraut, so dass eine unsachliche Beeinflussung nicht zu befürchten sei. Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
II.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht den Werbespot der Beklagten als unlauter angesehen, weil er gegen §§ 3, 4 Nr. 6 UWG verstößt.
1. Der Umstand, dass die Klägerin den Klageantrag auf verschiedene gesetzliche Verbotstatbestände stützt und dafür in der mündlichen Verhandlung erster Instanz eine Prüfungsreihenfolge festgelegt hat, begründet nicht die Annahme mehrerer Streitgegenstände. Mit der Klage wird eine bestimmte Werbung der Beklagten für das von ihr veranstaltete Gewinnspiel in der konkreten Form des durch Storyboard wiedergegebenen sowie - gemäß der redaktionellen Klarstellung des Antrags in der Berufungsinstanz - auf der diesem Urteil beigefügten DVD-R gespeicherten Fernsehspots beanstandet. Der Umstand, dass die Klägerin diesen einheitlichen, zur Unterlassung begehrten Lebenssachverhalt aus mehreren rechtlichen - vom Gericht zu würdigenden - Gründen für wettbewerbswidrig hält, führt nicht zur Vervielfältigung des Streitgegenstands (vgl. BGH GRUR 2012, 184, 185 - „Branchenbuch Berg“; GRUR 2006, 164, 165 f. - „Aktivierungskosten II“; Senatsurteil vom 13.01.2012 - 6 U 122/11).
2. Die Werbung mit dem von der Beklagten veranstalteten Gewinnspiel, an dem nur teilnehmen kann, wer zuvor Waren in einem bestimmten Umfang erworben hat, ist eine geschäftliche Handlung, da diese Maßnahme unmittelbar auf die Förderung des Absatzes der Beklagten zielt.
3. Die Unlauterkeit der geschäftlichen Handlung ergibt sich nicht bereits aus § 3 Abs. 3 UWG i.V.m. Nr. 28 des Anhangs. Nach Nr. 28 des Anhangs ist eine Werbung unlauter, die eine unmittelbare Aufforderung an Kinder enthält, selbst die beworbene Ware zu erwerben oder ihre Eltern zum Erwerb der Produkte zu veranlassen. Der streitgegenständliche Werbespot enthält jedoch keine unmittelbare Aufforderung.
Für eine unmittelbare Aufforderung genügt es nicht, dass Kinder in der Werbung gezeigt werden, die sich das Produkt kaufen (so Mankowski, WRP 2008, 421, 425) oder die ihre Eltern zu einem Kauf auffordern (so Köhler, FS Ullmann, 2006, S. 685, 699). Eine so weite Auslegung der Fallbeispiele des Anhangs, die Perse-Verbote ohne Wertungsmöglichkeit darstellen, würde in nicht gerechtfertigter Weise nahezu jede Werbung verhindern, die Kinder einbezieht (vgl. Köhler/Bornkamm, Kommentar zum UWG, 30. Aufl. 2012, Anh zu § 3 III Rn. 28.10; Fezer/Scherer, Kommentar zum UWG, 2. Aufl. 2010, Anhang UWG Nr. 28 Rn. 17; Piper/Ohly/Sosnitza, Kommentar zum UWG, 5. Aufl. 2010, Anhang zu § 3 III 3 Rn. 61).
Die in der Literatur unterschiedlich beantwortete Frage, ob eine unmittelbare Aufforderung nur dann vorliegt, wenn Kinder im Rahmen einer Verkaufsveranstaltung persönlich angesprochen werden (so Steinbeck, WRP 2008, 865, 868) oder ob eine unmittelbare Aufforderung bereits dann gegeben ist, wenn eine gezielte persönliche Ansprache der Kinder in der grammatischen Form des Imperatives erfolgt (als Beispiele werden genannt: „Hol dir…“; „Nicht verpassen…“; „Sende einfach SMS an…“; „Noch heute kaufen“: Köhler/Bornkamm, Kommentar zum UWG, 30. Aufl. 2012, Anh zu § 3 III Rn. 28.8; Fezer/Scherer, Kommentar zum UWG, 2. Aufl. 2010, Anhang UWG Nr. 28 Rn. 17; Piper/Ohly/Sosnitza, Kommentar zum UWG, 5. Aufl. 2010, Anhang zu § 3 III 3 Rn. 61), kann der Senat offen lassen, weil Aufforderungen dieser Art in dem Werbespot nicht enthalten sind. Er enthält nur eine jeder Werbung innewohnende mittelbare Aufforderung in der Weise, dass sich aus den Umständen ein Kaufappell ergibt.
4. Der streitgegenständliche Werbespot verstößt jedoch gegen §§ 3, 4 Nr. 6 UWG, die die sog. Gewinnspielkopplung für unlauter erklären.
a) Die Kopplung von Gewinnspielen an ein Umsatzgeschäft ist allerdings nicht generell unlauter. Ein solches Perse-Verbot ohne Wertungsmöglichkeit, wie es in § 4 Nr. 6 UWG enthalten ist, ist mit der durch die Richtlinie 2005/29/EG gegen unlautere Geschäftspraktiken (UGP-Richtlinie) bezweckten Vollharmonisierung nicht vereinbar (EuGH GRUR 2010, 244 Tz. 43 - Plus Warenhandelsgesellschaft; EuGH GRUR 2011, 76 Tz. 46 ff - Mediaprint; BGH GRUR 2011, 532 Tz. 17 - Millionen-Chance II). Im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 4 Nr. 6 UWG kann sich jedoch ein Verbot daraus ergeben, dass aufgrund der Umstände des Einzelfalles die Kopplung eine unlautere Geschäftspraktik darstellt (BGH GRUR 2011, 532 Tz. 25 - Millionen-Chance II). Dies ist bei der streitgegenständlichen Kopplung zu bejahen, weil sie in ihrer konkreten Ausgestaltung einen Verstoß gegen die fachliche Sorgfalt begründet.
b) Unter fachlicher Sorgfalt ist gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 7 UWG der Standard an Fachkenntnissen und Sorgfalt zu verstehen, von dem billigerweise angenommen werden kann, dass ein Unternehmer ihn in seiner Tätigkeit gegenüber dem Verbraucher nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Marktgepflogenheiten einhält. Die fachliche Sorgfalt umfasst auch die Pflicht des Werbenden zur Rücksicht auf die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers. Eine Unlauterkeit ist daher zu bejahen, wenn von der Kopplung eine so starke Anlockwirkung ausgeht, dass die Rationalität der Nachfrageentscheidung der angesprochenen Verbraucher vollständig in den Hintergrund tritt (offen gelassen in BGH GRUR 2011, 532 Tz. 26 - Millionen-Chance II). Eine solche übertriebene Anlockwirkung ist hier gegeben.
aa) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass bei der rechtlichen Beurteilung des Werbespots und der Frage, wer zu der angesprochenen Verbrauchergruppe zu zählen ist, abweichend von § 3 Abs. 2 S. 2 UWG der strengere Sorgfaltsmaßstab des § 3 Abs. 2 S. 3 UWG zugrunde zu legen ist, weil sich die Werbung in vorhersehbarer Weise auch an Kinder und Jugendliche richtet.
(1) Nach § 3 Abs. 2 S. 2 und 3 UWG ist bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Werbung auf den durchschnittlichen Verbraucher abzustellen. Wenn für den Unternehmer vorhersehbar ist, dass seine geschäftliche Handlung nur eine besonders schutzbedürftige Gruppe betrifft, ist dagegen auf ein durchschnittliches Mitglied dieser Gruppe abzustellen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser strengere Maßstab nur gilt, wenn sich die Werbung ausschließlich an Kinder und Jugendliche richtet oder ob es genügt, wenn diese in erster Linie angesprochen werden.
Nach Ansicht des Senats ist auf ein durchschnittliches Mitglied einer schutzwürdigen Verbrauchergruppe bereits dann abzustellen, wenn die Werbung aufgrund objektiver Kriterien erkennbar dazu bestimmt ist, auch Kinder und Jugendliche zu erreichen. Zwar mag der Wortlaut der nationalen Regelung in § 3 Abs. 2 S. 3 UWG (dort heißt es „nur ... betrifft“ und nicht wie in der Richtlinie „nur ... beeinflussen“) ein Verständnis dahingehend nahe legen, dass von der Werbung ausschließlich Kinder und Jugendliche angesprochen werden müssen. Ein so enges Verständnis ist jedoch weder mit dem Sinn und Zweck der Norm vereinbar, noch entspricht es einer richtlinienkonformen Auslegung (im Ergebnis ebenso Fezer/Fezer, Kommentar zum UWG, 2. Aufl. 2010, § 3 Rn. 120; Köhler/Bornkamm, Kommentar zum UWG, 30. Aufl. 2012, § 3 Rn. 14; JurisPK-UWG/Ullmann, § 3 Rn. 93).
§ 3 Abs. 2 S. 3 UWG ist in Umsetzung des Art. 5 Abs. 3 UGP-Richtlinie ergangen. Danach sind Geschäftspraktiken, die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen, die aufgrund ihres Alters besonders schutzbedürftig ist, aus der Perspektive eines durchschnittlichen Mitglieds dieser Gruppe zu beurteilen. Diese Regelung erfasst auch solche Geschäftspraktiken, die sich zwar an die Allgemeinheit richten, aber eben nicht den Durchschnittsverbraucher, sondern nur eine ganz bestimmte Gruppe schutzbedürftiger Verbraucher in ihrem wirtschaftlichen Verhalten beeinflussen (Köhler/Bornkamm, Kommentar zum UWG, 30. Aufl. 2012, § 3 Rn. 14). Der strengere Maßstab ist also schon dann heranzuziehen, wenn die Geschäftpraktik zwar nicht ausschließlich an Kinder und Jugendliche gerichtet ist, diese aber möglicherweise beeinflusst werden, eben weil sie auch angesprochen werden. Würde man dies anders sehen und verlangen, dass sich die Geschäftspraktik ausschließlich an diese besonders schutzbedürftige Gruppe richtet, würde Art. 5 Abs. 3 UGP-Richtlinie in seinem Regelungsgehalt nicht über das hinausgehen, was bereits Art. 5 Abs. 2 lit. b) UGP-Richtlinie besagt, nämlich dass für die Beurteilung der Unlauterkeit auf das durchschnittliche Mitglied einer Gruppe abzustellen ist, wenn sich die Geschäftspraktik an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern richtet. Gestützt wird diese Auslegung durch den Gedanken des Verbraucherschutzes, der nur dann effektiv erreicht werden kann, wenn ein strengerer Maßstab bereits in den Fällen gilt, in denen sich die Geschäftspraktik zwar an mehrere verschiedene Verbrauchergruppen wendet, eine von ihnen jedoch besonders schutzbedürftig ist. Nicht zuletzt hat es auch der Bundesgerichtshof bisher in den Entscheidungen, in denen es um die Frage ging, ob strengere Maßstäbe an eine Werbung anzulegen sind, stets genügen lassen, wenn Kinder und Jugendliche auch zu den Adressaten gehörten (BGH GRUR 2006, 776, 777 - Werbung für Klingeltöne; BGH GRUR 2009, 71, 72 - Sammelaktion für Schoko-Riegel).
Den Bedenken, dass durch ein solches Verständnis Werbung in Massenmedien unmöglich werde, weil diese zwangsläufig auch von Kindern wahrgenommen werde, so dass quasi immer die Möglichkeit bestehe, dass diese beeinflusst werden (vgl. Piper/Ohly/Sosnitza, § 3 Rn. 84; Scherer, WRP 2008, 563), ist zu begegnen, indem unter dem Merkmal der „vernünftigen Vorhersehbarkeit“ verlangt wird, dass die Werbung aufgrund objektiver Kriterien erkennbar dazu bestimmt ist, auch Kinder und Jugendliche zu erreichen.
(2) Der streitgegenständliche Werbespot soll erkennbar die gesamte Familie und damit auch Kinder und Jugendliche ansprechen. Das beworbene Produkt ist (worauf auch der in dem Spot verwendete bekannte Slogan der Beklagten hinweist) bei Kindern und Erwachsenen gleichermaßen beliebt und die Aufmachung des Werbespots belegt, dass Kinder und Jugendliche jedenfalls auch zu den angesprochen Verbraucherkreisen gehören sollen. So spricht der Fernsehmoderator H. durchweg in einem „kindgerechten“ Tonfall und in denkbar einfachen Sätzen. Auch wenn - wie die Beklagte meint - jeder Werbende ein Interesse daran haben mag, sein Gewinnspiel auch gegenüber Erwachsenen so einfach wie möglich darzustellen, ist die Sprechweise hier doch besonders einfach gehalten. Des Weiteren werden die Familienmitglieder aus einer kindlichen Perspektive als „Mutti“ und „Papa“ bezeichnet und auch der kleine Junge spricht den Moderator H. mit „U.“ an. Demgegenüber spricht der ausgelobte Gewinn - anders als die Klägerin meint - eher dafür, dass auch Erwachsene zur Zielgruppe des Werbespots gehören. Für Kinder, die regelmäßig keine konkrete Vorstellung über den Wert von Gold haben, ist ein Goldbarren weniger attraktiv als Spielzeug. Auch wird der Gedanke, dass Gold bei der gegenwärtigen Wirtschaftslage als besonders stabile Vermögensanlage dient, einem Kind sicherlich fremd sein. Platziert wurde der Werbespot überwiegend im Laufe des Tages und im Vorabendprogram sowie - wenn auch in geringem Umfang - nach 19 Uhr. Auch dies bekräftigt die Annahme, dass sich der Werbespot an alle Mitglieder einer Familie richtet.
bb) Unter Anwendung des Maßstabes des § 3 Abs. 2 S. 3 UWG ist der Werbespot als Verstoß gegen die fachliche Sorgfalt einzuordnen.
(1) Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Erkenntnis, dass Minderjährige häufig nicht in der Lage sind, Warenangebote ausreichend kritisch zu beurteilen, und dass sie aufgrund ihrer geringeren Lebenserfahrung den Risiken und Verlockungen der Werbung eher unterliegen als Erwachsene (BGH GRUR 2006, 776, 777 - Werbung für Klingeltöne). Insoweit teilt der Senat allerdings nicht die Ansicht des Landgerichtes, dass ein Verstoß gegen die berufliche Sorgfalt generell und damit ohne weitere Betrachtung des Einzelfalles vorliegt, wenn sich eine Gewinnspielkopplung an Kinder und Jugendliche richtet. Die UGP-Richtlinie bringt zum Ausdruck, dass ein Perse-Verbot nur in den im Anhang abschließend aufgezählten Fällen gegeben sein soll. Der Anhang erklärt Werbung gegenüber Kindern aber nur dann für generell unlauter, wenn die Werbung eine unmittelbare Aufforderung enthält. Die Kopplung eines Umsatzgeschäftes an ein Gewinnspiel ist hier nicht genannt. Daraus folgt, dass es im Lichte der Richtlinie nicht von vornherein unlauter ist, die Teilnahme an einem Gewinnspiel gegenüber Minderjährigen vom Erwerb einer Ware abhängig zu machen. Da die Regeln über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern mit der UGP-Richtlinie auf Unionsebene vollständig harmonisiert wurden, darf das nationale Recht insoweit keine strengeren Regelungen treffen. Somit ist auch bei einer Gewinnspielkopplung, die sich an Kinder und Jugendliche richtet, eine Betrachtung des Einzelfalles erforderlich. Zu diesen Umständen des Einzelfalles gehören unter anderem die Höhe des ausgelobten Gewinnes sowie die Art und Weise der Darstellung der Teilnahmebedingungen und der Gewinnchancen.
(2) Unter Anlegung dieser Maßstäbe ist der streitgegenständliche Werbespot als unlauter zu beurteilen, weil er in seiner konkreten Ausgestaltung geeignet ist, Kinder und Jugendliche in übertriebener Weise anzulocken, so dass die Rationalität ihrer Kaufentscheidung völlig in den Hintergrund tritt.
Zu berücksichtigen ist hierbei zunächst, dass es sich bei Gewinnspielkopplungen nicht um eine allgemein im Geschäftsverkehr etablierte und gängige Werbeform handelt. Vielmehr waren sie bis vor kurzem stets unzulässig. Von einer Gewöhnung an diese Art der Werbung kann daher - anders als etwa bei Sammelaktionen (vgl. BGH GRUR 2009, 71 Tz. 15 - Sammelaktion für Schoko-Riegel) - nicht ausgegangen werden. Auch wenn nicht verkannt wird, dass Kinder an neuartige Werbeaktionen herangeführt werden sollten, um sie auf das alltägliche Marktgeschehen in der Welt der Erwachsenen vorzubereiten, sind an die Zulässigkeit von Gewinnspielkopplungen gegenüber Kindern - insbesondere hinsichtlich der Transparenz und der Darstellung der Gewinnchancen - erhöhte Anforderungen zu stellen.
Diesen erhöhten Anforderungen wird die Werbung der Beklagten nicht gerecht, weil eine Verbindung zwischen der Menge des Wareneinkaufs und der damit zusammenhängenden Gewinnchancen nahegelegt wird, die in der suggerierten Form nicht besteht. Zwar trifft es zu, dass sich grundsätzlich die Gewinnchancen erhöhen, je mehr Waren man einkauft. Allerdings muss bei der Beurteilung der eigenen Gewinnchancen berücksichtigt werden, dass der Appell an alle Adressaten des Werbespots geht. Erhöhen diese ihren Einkauf und werden dementsprechend insgesamt mehr Einkaufsbelege eingesandt, sinken die Gewinnchancen des Einzelnen. Durch einen zusätzlichen Einkauf kann man daher voraussichtlich nur verhindern, dass die eigenen Gewinnchancen fallen, erhöhen kann man sie aber nicht ohne Weiteres. Auch wenn man sicherlich nicht verlangen kann, dass eine solche Wechselwirkung in einem Werbespot offengelegt wird, stellt es doch einen Verstoß gegen die fachliche Sorgfalt dar, wenn sie - wie hier - verschleiert wird durch die Szene, in der der kleine blonde Junge sagt: „Aber U., wir haben aber viel größere Gewinnchancen“ und H. dies bestätigt mit „Da hat er Recht“. Durch die Mutter, die im Anschluss an den Dialog den Einkaufswagen mit Produkten der Beklagten voll lädt, wird diese Aussage ein weiteres Mal mit Bildern unterstrichen. Ein durchschnittlicher Minderjähriger wird nunmehr eine Korrelation zwischen Mehreinkauf und Gewinnchance annehmen, die der Realität nicht entspricht.
Berücksichtigt man schließlich, dass Kinder und Jugendliche die gewünschte Erhöhung der Gewinnchancen durch den Einsatz von jeweils 5 € und damit durch Einsatz ihres Taschengeldes zu realisieren in der Lage sind, besteht die Gefahr, dass sie zu einem Kauf über Bedarf veranlasst werden. Somit ist Werbung auch geeignet, das wirtschaftliche Verhalten eines durchschnittlichen Minderjährigen wesentlich zu beeinflussen.
III.
Die Kosten sind nach § 97 Abs. 1 ZPO der Klägerin aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Der Senat lässt entsprechend der Anregung der Parteien nach § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts die Revision zu, weil aus seiner Sicht die Frage, in welchen Grenzen eine Gewinnspielkopplung zulässig ist, nach den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union (GRUR 2010, 244 - Plus Warenhandelsgesellschaft) und des Bundesgerichtshofs (GRUR 2011, 532 - Millionen-Chance II) noch nicht hinreichend geklärt erscheint.
OLG Köln:
Urteil v. 21.09.2012
Az: 6 U 53/12
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