Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. Mai 2005
Aktenzeichen: 15 W (pat) 350/03
(BPatG: Beschluss v. 23.05.2005, Az.: 15 W (pat) 350/03)
Tenor
Das Patent wird widerrufen.
Gründe
I.
Auf die am 28. April 1995 eingereichte Patentanmeldung hat das Deutsche Patent- und Markenamt das Patent 195 15 212 mit der Bezeichnung
"Verfahren zur Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucoseund 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-galactose"
erteilt. Veröffentlichungstag der Patenterteilung ist der 27. März 2003.
Der einzige Patentanspruch gemäß Streitpatent hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose und 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-galactose über den fluorierten Präkursor 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-D-glucose bzw. 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-D-galactose und der sich anschließenden hydrolytischen Abspaltung der Acetyl-Schutzgruppen, dadurch gekennzeichnet, dass man die Acetyl-Schutzgruppen durch alkalische Hydrolyse in Gegenwart von Alkalihydroxid-, Ammoniak-, Amin- sowie Alkyl- oder Arylammoniumhydroxid-Lösungen innerhalb von einer Minute abspaltet."
Gegen die Patenterteilung haben die Einsprechende zu 1) mit Schriftsatz vom 27. Juni 2003, eingegangen am 27. Juni 2003, und die Einsprechende zu 2) mit Schriftsatz vom 27. Juni 2003, eingegangen am 27. Juni 2003, Einspruch erhoben und beantragt, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Beide Einsprechende machen übereinstimmend geltend, der Gegenstand des angegriffenen Patents sei mangels erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig. Darüber hinaus bringt die Einsprechende zu 1) vor, der Gegenstand des Patents gehe über den Inhalt der Patentanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus und könne im Übrigen nicht über den gesamten beanspruchten Bereich ausgeführt werden.
Der Patentinhaber hat dem Vorbringen der Einsprechenden mit Schriftsatz vom 30. Juni 2004 widersprochen.
In der mündlichen Verhandlung am 23. Mai 2005 erklärt er die Teilung des Patents.
Betreffend das Verfahren des Stammpatents überreicht er nunmehr als Hauptantrag einen geänderten Patentanspruch folgenden Wortlauts:
"Verfahren zur Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose und 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-galactose über den fluorierten Präkursor 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-desoxy-D-glucose bzw. 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-desoxy-D-galactose und der sich anschließenden hydrolytischen Abspaltung der Acetyl-Schutzgruppen, dadurch gekennzeichnet, dass man die Acetyl-Schutzgruppen durch alkalische Hydrolyse in Gegenwart von Alkalihydroxid-, Ammoniak-, Amin- sowie Alkyl- oder Arylammoniumhydroxid-Lösungen innerhalb einer Minute abspaltet." mit dem Zusatz
"Das Merkmal "innerhalb einer Minute" stellt eine unzulässige Erweiterung dar."
Hilfsweise verteidigt er das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsanträgen 1 bis 3.
Hilfsantrag 1:
"Verfahren zur Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose und 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-galactose über den fluorierten Präkursor 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-glucose bzw. 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-galactose und der sich anschließenden hydrolytischen Abspaltung der Acetyl-Schutzgruppen, dadurch gekennzeichnet, dass man die Acetyl-Schutzgruppen durch alkalische Hydrolyse in Gegenwart von Alkalihydroxid-, Ammoniak-, Amin- sowie Alkyl- oder Arylammoniumhydroxid-Lösungen innerhalb einer Minute abspaltet."
Hilfsantrag 2:
"Verfahren zur Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose und 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-galactose über den fluorierten Präkursor 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-desoxy-D-glucose bzw. 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-desoxy-D-galactose und der sich anschließenden hydrolytischen Abspaltung der Acetyl-Schutzgruppen, dadurch gekennzeichnet, dass man die Acetyl-Schutzgruppen durch alkalische Hydrolyse in Gegenwart von Alkalihydroxid-, Ammoniak-, Amin- sowie Alkyl- oder Arylammoniumhydroxid-Lösungen innerhalb einer Minute bei Raumtemperatur oder der im Ergebnis der vorangegangenen Verfahrensschritte vorliegenden Temperatur des Reaktionsgemisches abspaltet." mit dem Zusatz
"Das Merkmal "innerhalb einer Minute" stellt eine unzulässige Erweiterung dar."
Hilfsantrag 3:
"Verfahren zur Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose und 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-galactose über den fluorierten Präkursor 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-glucose bzw. 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-galactose und der sich anschließenden hydrolytischen Abspaltung der Acetyl-Schutzgruppen, dadurch gekennzeichnet, dass man die Acetyl-Schutzgruppen durch alkalische Hydrolyse in Gegenwart von Alkalihydroxid- oder Alkylammoniumhydroxid-Lösungen innerhalb einer Minute abspaltet."
Er führt hierzu im Wesentlichen aus, das beanspruchte Verfahren sei gegenüber dem Stand der Technik neu und beruhe demgegenüber auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil in der Fachwelt gegen den Einsatz von alkalischen Reagenzien zur Schutzgruppenabspaltung bei Zuckern ein Vorurteil bestanden habe.
Dem vorgebrachten Mangel der unzulässigen Änderung der ursprünglichen Unterlagen werde gemäß Hauptantrag sowie gemäß Hilfsantrag 2 durch die Beschränkungserklärung im Patentanspruch Rechnung getragen. Gemäß Hilfsantrag 2 und 3 werde das beanspruchte Verfahren hinsichtlich der Reaktionstemperatur oder hinsichtlich der alkalischen Reagenzien eingeschränkt.
Der Patentinhaber beantragt, das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten gemäß Hauptantrag und den 3 Hilfsanträgen, je ein Patentanspruch, überreicht in der mündlichen Verhandlung, zu allen Anträgen je eine ggf. anzupassende Beschreibung.
Die Einsprechenden zu 1) und 2) beantragen, das Patent zu widerrufen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet im Einspruchsverfahren auf Grund mündlicher Verhandlung in entsprechender Anwendung von § 78 und § 147 (3) PatG, nachdem sowohl der Patentinhaber als auch die Einsprechenden Terminsantrag gestellt haben (vgl auch BPatG 34. Senat, Mitt. 2002, 417).
III.
Die Teilungserklärung ist zulässig und, indem sie in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegeben wurde und damit der geforderten Schriftform genügt, auch wirksam.
Der zulässige Einspruch hat in der Sache Erfolg und führt zum Widerruf des Patents.
1. Bedenken zur Zulässigkeit bzw. Wirksamkeit der abgegebenen Teilungserklärung hinsichtlich einer eindeutigen gegenständlichen Teilung sind mit der Entscheidung des BGH Mitt. 2002, 526 - Sammelhefter hinfällig und zwar insofern, als bei der Teilung eines Patents eine Verdoppelung desselben nicht durch inhaltliche Anforderungen an die Teilungserklärung, sondern allein durch entsprechende Anforderungen an die jeweils zu gewährenden oder aufrecht zu erhaltenden Patentansprüche zu vermeiden ist (vgl aaO Leitsatz sowie S 529 li Sp Abs 1).
Damit wird für die Teilanmeldung die Zuständigkeit des Deutschen Patent- und Markenamts begründet (BGH Mitt. 1998, 422 - Informationsträger).
2. Im hier nach wirksamer Teilungserklärung entscheidungsreifen Verfahren betreffend das Restpatent/Stammpatent (vgl hierzu BGH Mitt. 2003, 388 - Basisstation) ist dem Antrag der Einsprechenden auf Widerruf des Streitpatents in vollem Umfang stattzugeben.
a) Zur Offenbarung des beanspruchten Verfahrens sowohl nach Hauptantrag als auch nach den Hilfsanträgen 1 bis 3 hat die Einsprechende zu 1) vorgetragen, das nachträglich hinzugenommene Strukturmerkmal "-2-desoxy" bzw. "-2-deoxy" sowie die in den Anspruch aufgenommene zeitliche Maßgabe "innerhalb von einer Minute" bzw. "innerhalb einer Minute" stellten gegenüber den ursprünglichen Unterlagen unzulässige Änderungen dar.
Betreffend das ursprünglich fehlende Strukturmerkmal "-2-desoxy" bzw. "-2-deoxy" vertritt der Senat die Auffassung, dass es sich dabei um eine offensichtliche Unrichtigkeit handelt, die ohne weiteres in der vorgenommenen Weise durch Hinzunahme des betreffenden Strukturmerkmals berichtigt werden kann. Zwar sind weder in den ursprünglichen Unterlagen noch in dem Streitpatent (vgl DE 195 15 212 C2) die beiden Precursor 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-glucose und 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-galactose an irgendeiner Stelle expressis verbis korrekt benannt - denn es fehlt stets das essentielle Strukturmerkmal "-2-desoxy" bzw. "-2-deoxy". Jedoch ergeben sich die korrekten Bezeichnungen der fraglichen Zwischenverbindungen für den Fachmann, sofern dieser das offenbar versehentlich weggelassene Strukturmerkmal nicht ohnehin sofort als offensichtlich fehlend erkennt und deshalb ohne weiteres ergänzt, spätestens mit dem Studium der in der Beschreibungseinleitung (vgl urspr Unterl S 1 Abs 1) zitierten und von der Einsprechenden zu 2) entgegengehaltenen Druckschrift Appl. Radiat. Isot. 38 (1987) 605-610 (9) sowie des dort abgehandelten Standes der Technik (vgl (9) S 605 li Sp Z 14 bis 18 iVm J. Labelled Compd. Radiopharm. 14 (1979) 175-183, v d Patentinh als F10 eingereicht m Schrifts v 18. Mai 2005) ohne weiteres und können daher richtiggestellt werden.
Dagegen ist die zeitliche Maßgabe "innerhalb von einer Minute" bzw. "innerhalb einer Minute" nach Ansicht des Senats in der beanspruchten Breite als ursprünglich nicht in allgemeiner Weise offenbart zu erachten, sodass die Aufnahme dieses Merkmals in den Patentanspruch zu einer Verallgemeinerung und damit zu einer unzulässigen Änderung der ursprünglichen Offenbarung geführt hat. Zwar wird in allen vier Ausführungsbeispielen des Streitpatents angegeben, dass die Hydrolyse innerhalb von einer Minute abgeschlossen sei, in zwei Beispielen wird die Ausbeute des Hydrolyseschrittes mit 100 % angegeben.
Eine Verallgemeinerung dieser Reaktionszeit auf die unzähligen beliebigen Reaktionsbedingungen im Rahmen des Patentanspruchs ist aufgrund der vier Ausführungsbeispiele jedoch nicht nur unzulässig sondern auch unrealistisch.
Der Patentinhaber hat dem Rechnung getragen durch eine Beschränkungserklärung in dem Hauptantrag sowie in dem Hilfsantrag 2 (vgl hierzu Schulte PatG 7.Aufl., § 21 Rdn 70-73), während die Hilfsanträge 1 und 3 weiterhin das als unzulässige Erweiterung zu erachtende Merkmal aufweisen.
Im Übrigen kann dieses Merkmal auch dahingehend verstanden werden, dass nicht sämtliche Schutzgruppen tatsächlich innerhalb von einer Minute vollständig, d.h. zu 100 %, abgespalten werden müssen, was nach dieser Leseart zur Folge hätte, dass mit diesem Merkmal keine Einschränkung des beanspruchten Verfahrens durch den Parameter Zeit und damit auch keine unzulässige Änderung der ursprünglichen Offenbarung verbunden ist. Eine solche Leseart wäre dann insofern auch realistisch, als die basische Hydrolyse bekanntlich abhängig ist von der Stärke und der Konzentration der Base.
Allerdings kann die Frage nach einer Erweiterung des Anmeldungsgegenstands ebenso dahinstehen wie das Vorbringen der Einsprechenden zu 1), wonach eine bloße Klarstellung im Einspruchsverfahren entsprechend dem Nichtigkeitsverfahren nicht zulässig sei. Denn der Gegenstand des Streitpatents beruht unabhängig von der Wahl einer zulässigen Anspruchsformulierung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
b) Die Ausführbarkeit des beanspruchten Verfahrens wurde von der Einsprechenden zu 1) in Frage gestellt. Demnach könne das beanspruchte Verfahren nicht über den gesamten beanspruchten Bereich ausgeführt werden (vgl Schrifts v 27. Juni 2003 S 4 Punkt 3.). Darüber hinaus greift sie auch die Ausführbarkeit der Beispiele 1, 2 und 4 des Streitpatents an (vgl Schrifts v 2. November 2004 S 5 Punkt 2d).
Der Senat vertritt die Ansicht, dass es sich beim beanspruchten Verfahren tatsächlich um einen Fall handelt, in dem das Merkmal "innerhalb einer Minute" in der Leseart einer vollständigen Abspaltung der Schutzgruppen in weiten Bereichen des Anspruchs nicht erfüllt werden kann, und zwar insofern nicht, als die Geschwindigkeit der Hydrolyse, wie die Einsprechende zu 1) in der mündlichen Verhandlung zutreffend vorgetragen hat, von der Konzentration, von der Stärke und von der Art der Base bestimmt wird.
Selbst wenn es zuträfe, dass, wie die Einsprechende zu 1) ausgeführt hat (vgl Schrifts v 2. November 2004, aaO), bei Zugabe von 0,3 M NaOH eine Verklumpung oder Verklebung des Reaktionsgemisches stattfinde, was eine drastischen Abnahme der Ausbeute bewirke und das Verfahren wertlos mache, verbleibt bei 100% Ausbeute als ausführbare Variante das Beispiel 3 des Streitpatents und damit gemäß BGH-Taxol jedenfalls ein zum Ziel führender offenbarter Weg, sodass die Ausführbarkeit demnach als gegeben zu erachten ist (vgl BGH GRUR 2001, 813 - Taxol).
c) Die Neuheit ist anzuerkennen, weil aus keiner der vorgebrachten Druckschriften ein Verfahren mit sämtlichen Merkmalen dem Patentanspruch nach Haupt- oder Hilfsanträgen hervorgeht.
Zwar ist in der Druckschrift Carbohydrate Research 153 (1986) 168-170 (2) ein Verfahren zur Herstellung 2-Fluoro-2-deoxy-D-glucose ausgehend von D-Mannose beschrieben, bei dem im letzten Arbeitsschritt die Schutzgruppen des Precursors 2-Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-glucose unter basischen Bedingungen abgespalten werden, und im Hinblick auf eine Bezugnahme in der Beschreibungseinleitung stellt sich die Frage, ob bei Einsatz entsprechender Ausgangsprodukte auch 2-[18F]Fluor-2-deoxy-D-glucose als Verfahrensprodukt und damit als Teil der Gesamtoffenbarung der Druckschrift (2) mitgelesen werden könnte (vgl (2) inbes S 168 Z 1 bis 4 iVm S 169 bis 170). Jedoch unterscheidet sich das Verfahren gemäß (2) vom streitpatentgemäßen Verfahren in der speziellen Base Natrium-Methoxid NaOMe (vgl (2) S 170 Z 8).
d) Das Verfahren zur Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose und 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-galactose gemäß dem Patentanspruch nach Hauptantrag beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist von der Aufgabe auszugehen, die darin besteht, ein Verfahren zur Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose und 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-galactose bereitzustellen, das gegenüber den Arbeitsweisen des Standes der Technik vereinfacht ist, hohe Ausbeuten und hohe Reinheit liefert und in einer sehr kurzen Reaktions- und Aufarbeitungszeit durchzuführen ist, was bedingt durch die Halbwertszeit des Markierungsnuklids F-18 von etwa 110 Minuten von besonderer Bedeutung für die Anwendbarkeit von F-18 markierten Verbindungen in der Diagnostik ist (vgl DE 195 15 212 C2, Sp 1 Z 7 bis Sp 2 Z 2).
Gelöst wird diese Aufgabe durch ein Verfahren mit folgenden Merkmalen:
(1) Verfahren zur Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose und 2- [18F] Fluor-2-desoxy-D-galactose
(2) über die fluorierten Precursor 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-desoxy-D-glucose und 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-desoxy-D-galactose
(3) und einer hydrolytischen Abspaltung der Acetyl-Schutzgruppen
(3.1) durch alkalische Hydrolyse in Gegenwart von
(3.1.1) Alkalihydroxid-Lösung,
(3.1.2) Ammoniak-Lösung,
(3.1.3) Amin-Lösung,
(3.1.4) Alkylammoniumhydroxid-Lösung, oder
(3.1.5) Arylammoniumhydroxid-Lösung,
(3.2) innerhalb von einer Minute.
Diese Lösung war indessen für einen Fachmann nicht nur ausgehend von denjenigen Druckschriften, die sich mit der Abspaltung von Acetyl-Schutzgruppen im Zuge der Synthese von 2-Fluor-2-desoxy-Hexosen im Basischen bzw. Alkalischen befassen, sondern bereits unter Berücksichtigung des allgemeinen Standes der Technik betreffend die Abspaltung von Acetyl-Schutzgruppen an Hydroxylresten, insbesondere der Abspaltung solcher Schutzgruppen aus Kohlenhydraten, naheliegend.
Die beiden grundsätzlichen Methoden zur Abspaltung von Acetyl-Schutzgruppen im Sauren oder im Alkalischen zählen als wichtiges Beispiel der Hydrolyse von Carbonsäureestern zu den Grundoperationen der organischpräparativen Chemie (vgl zB Methods in Carbohydrate Chemistry, eds. R.L.Whistler, M.L.Wolfrom, Vol.II, Academic Press New York 1963, S 215-220 (1); Organikum 19. Aufl., (1993), Deutscher Verlag der Wissenschaften S 431 (12)) und sind dem Fachmann geläufig, sodass auch im speziellen Anwendungsfall die Auswahl einer der beiden Methoden kein erfinderisches Zutun erfordert. Bei Übertragung auf einen speziellen Anwendungsfall handelt es sich um ein sogenanntes Analogieverfahren bzw. an sich bekanntes Verfahren, das nach ständiger Amts- und Entscheidungspraxis, jedenfalls dann, wenn es zu bereits bekannten Produkten führt, in der Regel nicht patentfähig ist (vgl Erstbescheid v 14. Juni 1999; Schulte PatG 7. Aufl. § 1 Rdn 246).
Eine andere Bewertung ergibt sich nach Ansicht des Senats auch nicht für den hier vorliegenden Anwendungsfall 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-glucose bzw. 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-galactose.
Denn aus der Druckschrift Carbohydrate Research 153 (1986) 168-170 (2) ist bereits ein Verfahren zur Herstellung 2-Fluoro-2-deoxy-D-glucose ausgehend von D-Mannose mit Diethylaminoschwefeltrifluorid als Fluorierungsmittel über den Precursor 2-Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-glucose bekannt, bei dem im letzten Arbeitsschritt die Schutzgruppen aus der 2-Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-deoxy-D-glucose durch Zugabe der Base NaOMe in methanolischer Lösung und damit unter basischen Bedingungen abgespalten werden (vgl (2) experimenteller Teil, insbes S 170 Z 7 bis 16).
Dass es sich beim Arbeiten im Basischen bzw. im Alkalischen wie im Fall des NaOMe gemäß (2) um eine dem präparativorganischen Chemiker geläufige Variante zur Abspaltung von Acetyl-Schutzgruppen aus 2-Fluor-2-desoxy-Hexosen handelt, zeigen die weiteren im Verfahren befindlichen Druckschriften Tetrahedron Lett. 21 (1980) 1493-1496 (3), wonach die Hydrolyse entweder mit Säure oder mit NaOMe durchgeführt werden kann (vgl (3) S 1494 le Satz), und Tetrahedron 35 (1979) 2439-2443 (4), wonach die Hydrolyse mit methanolischem Ammoniak durchgeführt werden kann (vgl (4) S 2440 Scheme 1 (e) iVm li Sp Z 14 bis 16 sowie S 2442 re Sp Z 4 bis 8 und S 2443 li Sp Z 1 bis 4), und zwar unabhängig von der Art des Fluorierungsmittels bzw. unabhängig von anderen vorhergehenden Reaktionsschritten.
Davon ausgehend wird der mit der Suche nach einer Alternative zur sauren Hydrolyse der Acetyl-Schutzgruppen im Zuge der Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose oder 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-galactose befasste Fachmann sich weder orientierungs- noch hilflos zeigen, sondern - nicht zuletzt wegen des Hinweises in (2) auf die Anwendung 18F-markierter 2-Fluoro-2-deoxy-D-glucose (vgl (2) S 168 Z 1 bis 4; (3) S 1493 Z 1 bis 5) - nicht umhin können, auch die Abspaltung unter alkalischen bzw. basischen Bedingung in Erwägung zu ziehen, zumal es sich dabei nicht nur um eine seit langem bekannte sondern auch um eine grundlegende Arbeitsweise zur Abspaltung von Acetyl-Schutzgruppen bei Kohlenhydraten handelt (vgl zB J. Chem. Soc. Trans. 85 (1904) 1043-1049 (17), insbes S 1046 Abs 3 sowie le Satz; sowie (1) oder (12)).
Dabei gelangt er bereits bei Anwendung von 0,25 M NaOH in wässriger ethanolischer Lösung (vgl (17) insbes S 1046 le Satz) und damit einer seit langem bekannten, grundlegenden Methode unter Einsatz eines Alkalihydroxids zum Ziel, die darüber hinaus eine Standardreaktion der Carbonsäureester-Hydrolyse im Rahmen des Organischchemischen Grundpraktikums Organikum (12) ist (vgl (12) S 431 Kapitel 7.1.4.3 Abs 3).
Entsprechendes gilt für die ebenfalls bekannten Arbeitsweisen mit Ammoniaklösungen oder Aminlösungen gemäß (1) (vgl (1) S 218 unten iVm S 215 unten, dritte und vierte Reaktionsgleichung).
Sofern der Patentinhaber vorbringt, im Fall von (2) werde mit NaOMe eine sehr starke Base eingesetzt, sodass (2) dem Fachmann keine Anregung für den Einsatz von Alkalihydroxid-, Ammoniak-, Amin- sowie Alkyl- oder Arylammoniumhydroxid-Lösungen liefern konnte, so greift dies schon deshalb nicht, weil die Basizität zum einen vom Medium abhängt und zum anderen jedenfalls NaOH eine nicht wesentlich schwächere Base ist als NaOMe. Darüber hinaus verläuft die Hydrolyse von Acetaten besser mit Basen als mit Säuren (vgl zB (1) S 215 vorle und le Z).
Ein Fachmann lässt sich von der Anwendung dieser Standardreaktion auch nicht durch die im Gegensatz zu (2) vorliegende, erforderliche Markierung mit dem Radioisotop 18F abhalten. Denn, wie die Einsprechende zu 1) zutreffend vorgetragen hat (vgl Schrifts v 22. April 2005 S 10 Punkt 2.3.3, sowie v 27. Juni 2003 S 6 Abs 2 und 3), spielt ein Isotopeneffekt bei Fluor jedenfalls nicht die Rolle wie bei Wasserstoff, und darüber hinaus ist die Kohlenstoff-Fluor-Bindung nicht unmittelbar an der Reaktion zur Abspaltung der Schutzgruppen beteiligt.
Ein Vorurteil der Fachwelt gegen den Einsatz von Alkalien zur Abspaltung von Acetyl-Schutzgruppen aus Zuckern, insbesondere aus Zwischenverbindungen der Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose, wie von der Patentinhaberin schriftsätzlich und in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, kann der Senat im Stand der Technik nicht erkennen.
Sofern der Patentinhaber dabei auf die Lobry de Bruynvan Ekenstein-Transformationen von Glucose im Alkalischen (vgl hierzu die mit Schrifts v 18. Mai 2005 auszugsw z Akte gereichte Biochem.Z. 47 (1912) 447 (F11)) verweist, so erkennt der Fachmann darin nichts, was ihn daran hindern könnte, die alkalische Hydrolyse der Acetylschutzgruppen von Glucose gerade innerhalb kurzer Reaktionszeit durchzuführen. Dies gilt insbesondere unter der entscheidenden Maßgabe einer 18F-Markierung mit bekannter Halbwertszeit von 110 Minuten und damit unter Beücksichtigung der zugrunde liegenden Aufgabe. Denn innerhalb der ersten Stunde und damit innerhalb einer durch die Halbwertszeit von 18F vorgegebenen Arbeitszeit ergibt sich noch keine nennenswerte Transformation der Glucose in Gegenwart von bis zu 0,33 M NaOH, worüber sich der Fachmann gegebenenfalls im Stand der Technik hätte sachkundig machen können (vgl hierzu F11 S 453 bis 454 insbes Fig 1).
Sofern der Patentinhaber vorbringt, der Fachmann habe schon deshalb keinen Anlass gehabt, von einer sauren Abspaltung der Acetyl-Schutzgruppen im Zuge der Herstellung von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose abzuweichen, weil hierbei seit 1978 bis zum Anmeldetag ausschließlich mit HCl gearbeitet worden sei, so ist das wiederholte Anwenden an einer einmal etablierten Arbeitsweise in der Produktion von in der Therapie und Diagnostik eingesetzten Wirkstoffen nicht ungewöhnlich. Denn beispielsweise schon aus Gründen einer bestehenden arzneimittelrechtlichen Zulassung verbietet sich die Änderung einzelner Reaktionsschritte im Rahmen eines Produktionsverfahrens. Im Übrigen betrifft die Frage nach der erfinderischen Tätigkeit nicht nur ein Produktionsverfahren von 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-glucose oder 2-[18F]Fluor-2-desoxy-D-galactose, sondern ist mangels Festlegen auf die Ausgangsverbindungen sowie auf die mit Ausnahme von 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-desoxy-D-glucose und 2-[18F]Fluor-1,3,4,6-tetra-O-acetyl-2-desoxy-D-galactose übrigen Zwischenverbindungen davon unabhängig zu beantworten.
Maßgeblich ist vielmehr, dass dem Fachmann die Möglichkeit der alternativen basischen Hydrolyse geläufig ist und das streitige Verfahren damit ohne weiteres zur Verfügung gestanden hat.
Zu keiner anderen Bewertung führt auch der Inhalt von auf die Erfinder zurückgehender nachveröffentlichter Druckschriften (vgl Schrifts d Patentinh v 30. Juni 2004 F1 und F2), die letztlich nur das Ergebnis der Anwendung einer naheliegenden Arbeitsweise dokumentieren.
Patentanspruch 1 nach Hauptantrag ist daher nicht gewährbar.
Entsprechendes trifft auch zu auf das Verfahren gemäß dem Patentanspruch nach Hilfsantrag 1, das sich vom Hauptantrag lediglich durch die weggelassene Beschränkungserklärung unterscheidet, sowie auf das Verfahren gemäß dem Patentanspruch nach Hilfsantrag 3, in dem eine Einschränkung der Basen auf Alkalihydroxid oder Alkylammoniumhydroxid vorgenommen ist.
Erfinderische Tätigkeit ist auch nicht zu erkennen bei einem Verfahren gemäß dem Patentanspruch nach Hilfsantrag 2, bei dem, abgesehen von der Beschränkungserklärung, das Merkmal "bei Raumtemperatur oder der im Ergebnis der vorangegangenen Verfahrensschritte vorliegenden Temperatur des Reaktionsgemisches" hinzugenommen ist.
Eine solche Ausführungsform ergibt sich bereits aus den dem Fachmann geläufigen experimentellen Einzelheiten zur Abspaltung von Acetyl-Schutzgruppen aus Zuckern, wonach die Deacetylierung von reduzierenden Zuckern wegen der Empfindlichkeit gegen Alkali bei höheren Temperaturen bei Raumtemperatur empfohlen wird (vgl (1) S 217 le Abs).
Kahr Jordan Hock Egerer WA
BPatG:
Beschluss v. 23.05.2005
Az: 15 W (pat) 350/03
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