Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. November 2000
Aktenzeichen: 25 W (pat) 98/00

(BPatG: Beschluss v. 23.11.2000, Az.: 25 W (pat) 98/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 8. März 2000 insoweit aufgehoben, als die Löschung der angegriffenen Marke aufgrund des Widerspruchs aus der Marke 856 846 angeordnet worden ist.

Der Widerspruch aus der Marke 856 846 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Bezeichnung BALDRIDORM ist am 24. April 1997 für "Arzneimittel" in das Markenregister eingetragen worden. Die Veröffentlichung der Eintragung erfolgte am 30. Mai 1997.

Widerspruch erhoben hat die Inhaberin der am 23 April 1969 für "Arzneimittel, chemische Erzeugnisse für Heilzwecke und Gesundheitspflege, pharmazeutische Drogen" eingetragenen Marke 856 846 Baldrisedon.

Die Markenstelle für Klasse 5 des Deutschen Patent- und Markenamts hat in einem Erstbeschluß eine Verwechslungsgefahr zwischen den Marken verneint. Die Übereinstimmung der Markenwörter in der gemeinsamen Lautfolge "Baldri" trage wegen seiner häufigen Verwendung und geringen Kennzeichnungskraft kaum zu ihrem jeweiligen Gesamteindruck bei. Die deshalb mit größerer Aufmerksamkeit wahrgenommenen Unterschiede der sich im übrigen bereits in der Silbenanzahl und im Betonungsrhythmus unterscheidenden Markenwörter reichten deshalb aus, um einer klanglichen oder schriftbildlichen Verwechslungsgefahr ausreichend entgegenzuwirken, auch wenn sich die Marken auf identischen Waren begegnen könnten. Eine mittelbare Verwechslungsgefahr scheide gleichfalls wegen des beschreibenden Hinweises von "Baldri" auf "Baldrian" aus .

Auf die Erinnerung der Widersprechenden hat die Markenstelle des DPMA in einem weiteren Beschluß die Verwechslungsgefahr bejaht und die Löschung der angegriffenen Marke angeordnet. Ausgehend von einer normalen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke, möglicher Warenidentität und zu berücksichtigender allgemeiner Verkehrskreise seien deutliche Markenunterschiede zu fordern, denen die jüngere Marke in klanglicher Hinsicht nicht gerecht werde. Die Marken stimmten in den für den Gesamteindruck maßgeblichen Wortanfängen sowie in der Betonung der ersten und letzten Sprechsilbe überein, wobei auch die Endungen "dorm" und "don" starke Annäherungen aufwiesen. Bei formaler Betrachtung unterschieden sich die Markenwörter zwar in der zusätzlichen Silbe "se" der Widerspruchsmarke. Jedoch handele es sich um eine unbetonte, durch einen klangschwachen Konsonanten eingeleitete Zwischensilbe, die nicht geeignet sei, Verwechslungen zu vermeiden, zumal es sich um relativ lange, unübersichtliche Worte handele. Selbst wenn man zugunsten der Inhaberin der angegriffenen Marke eine Kennzeichnungsschwäche von "Baldri" unterstelle und sich die Aufmerksamkeit der Verbraucher wegen des jedermann erkennbaren Sinnanklangs von "Baldri" auf "Baldrian" auf die weiteren jeweiligen Markenbestandteile verlagere, komme diesem beschreibenden Markenbestandteil dennoch für den jeweiligen Gesamteindruck und damit als zusätzliches Element für die Beurteilung der Ähnlichkeit der Wörter Bedeutung zu. Auch seien die in "dorm" für "Schlaf" und "sedon" für "beruhigend" enthaltenen Sinnanklänge nicht geeignet, die Ähnlichkeit der Marken auszuschließen, da diese Anklänge den allgemeinen Verkehrskreisen nicht geläufig seien und es sich zudem nur um weniger deutlich in Erscheinung tretende Bestandteile von Wortverbindungen handele.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, die keinen Antrag gestellt und ausgeführt hat und zur Begründung auf den Erstbeschluß des DPMA verweist.

Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert und gleichfalls keinen Antrag gestellt.

Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluß sowie auf die Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke ist zulässig, insbesondere statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs 1 Satz 1, Abs 2 MarkenG). Sie ist auch in der Sache begründet, da nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr zwischen den sich gegenüberstehenden Marken iSv § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG besteht. Der Widerspruch ist deshalb unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zurückzuweisen, §§ 42 Abs 2 Nr 1, 43 Abs 2 Satz 2 MarkenG.

Bei seiner Entscheidung geht der Senat von einer normalen Kennzeichnungskraft und einem durchschnittlichen Schutzumfang der Widerspruchsmarke aus, auch wenn diese mit dem Bestandteil "Baldri" aus einem beschreibenden, selbst für Laien ohne weiteres erkennbar auf Baldrian hinweisenden Wirkstoffhinweis sowie mit "sedon" aus einem jedenfalls für Fachleute noch assoziierbaren Hinweis auf die beruhigende Wirkungsweise des Präparats gebildet ist. Aus einer damit verbundenen isolierten Kennzeichnungsschwäche der Bestandteile, insbesondere des Wortbestandteils "Baldri", kann jedoch nicht ohne weiteres auf die allein maßgebende Kennzeichnungskraft der Gesamtbezeichnung geschlossen werden, zumal es bei pharmazeutischen Erzeugnissen der üblichen Praxis entspricht, Marken in der Weise zu bilden, daß diese als sogenannte sprechende Zeichen durch eine phantasievolle Zusammenstellung jedenfalls für den Fachmann erkennbarer beschreibender Angaben die stoffliche Beschaffenheit, das Indikationsgebiet oder weitere warenbezogene Merkmale kenntlich machen (vgl BGH GRUR 1998, 815, 817 - Nitrangin).

Nach der vorliegend maßgebenden Registerlage können sich die Marken auf identischen Waren begegnen, für die mangels Festschreibung einer Rezeptpflicht in den Warenverzeichnissen und auch in tatsächlicher Hinsicht Laien als angesprochene Verkehrskreise uneingeschränkt zu berücksichtigen sind. Auch insoweit ist allerdings davon auszugehen, daß grundsätzlich nicht auf einen sich nur flüchtig mit der Ware befassenden, sondern auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Art der Ware oder Dienstleistung unterschiedlich hoch sein kann (vgl BGH MarkenR 2000, 140, 144 ATTACHÉ / TISSERAND; BGH GRUR 1998, 942, 943 li Spalte - ALKA-SELTZER; EuGH MarkenR 1999, 236, 239 unter 24. - Lloyd / Loints) und der insbesondere allem, was mit der Gesundheit zusammenhängt eine gesteigerte Aufmerksamkeit beizumessen pflegt (vgl BGH GRUR 1995, 50, 53 - Indorektal/Indohexal).

Auch wenn danach an den zur Vermeidung einer Verwechslungsgefahr erforderlichen Markenabstand strenge Anforderungen zu stellen sind, so ist die Ähnlichkeit der Marken nach Auffassung des Senats in keiner Richtung derart ausgeprägt, daß die Gefahr von Verwechslungen im Sinne des § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG zu bejahen wäre. Die angegriffene Marke hält vielmehr in jeder Hinsicht noch einen ausreichenden Abstand zu der Widerspruchsmarke ein.

Von entscheidender Bedeutung ist, daß bei der Beurteilung des für die Verwechslungsgefahr maßgeblichen Gesamteindrucks der Markenwörter dem jeweiligen Anfangsbestandteil "BALDRI/Baldri" nicht die Bedeutung zukommt, wie es bei einem reinen Phantasiebestandteil der Fall wäre. Der in "Baldri" liegende, sich sprachlich unmittelbar erschließende Wirkstoffhinweis auf "Baldrian" ist - wie bereits auch von der Markenstelle zutreffend ausgeführt worden ist - für jedermann ohne weiteres als solcher erkennbar, da die Baldrianwurzel als klassisches Hausmittel auch Laien bekannt ist und "Baldri" zudem wegen seiner häufigen Verwendung als Anfangsbestandteil entsprechender Arzneimittelkennzeichnungen auch den allgemeinen Verkehrskreisen geläufig ist. So enthält nicht nur das Markenregister eine Vielzahl entsprechender Registrierungen in der Klasse 5 (vgl auch zur Bedeutung der Registerlage Althammer/Ströbele, MarkenG, 6. Aufl, § 9 Rdn 144; BGH GRUR 1999, 241; 243 - Lions; BGH GRUR 1967, 246, 250 und 251 - Vitapur), sondern auch das - nicht alle Arzneimittel umfassende - Verzeichnis "Rote Liste" weist zu der Hauptgruppe 49 (Hypnotika/Sedativa) einige entsprechend gebildete Drittmarken auf. Bereits dies zeigt, daß dem Bestandteil "Baldri" als naheliegendes Wortbildungselement mit Sachhinweischarakter eine geringere Kennzeichnungskraft und Bedeutung für den Gesamteindruck zukommt als Phantasiebestandteilen (vgl BGH, MarkenR 1999, 57, 59 - Lions). Der Verkehr wird deshalb auch - wie die Markenstelle in dem angegriffenen Beschluß gleichfalls zutreffend gefolgert hat - sein Augenmerk insbesondere auf die weiteren Markenbestandteile richten, um die Marken zu identifizieren und die Waren nach ihrer betrieblichen Herkunft zu unterscheiden. Den weiteren Bestandteilen "dorm" und "sedon" kommt deshalb eine wesentliche Bedeutung für die Orientierung der maßgeblichen Verkehrskreise zu, auch wenn mit diesen gleichfalls Hinweise auf die schlaffördernde bzw beruhigende Wirkung des Präparats verbunden sind und es sich jedenfalls für den Fachmann erkennbar um "sprechende Markenbestandteile" handelt. Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, daß der Bestandteil "sedon" der Widerspruchsmarke gegenüber "Baldri" bereits wegen seiner deutlich abgewandelten Wortbildung ein größeres Maß an Eigentümlichkeit und Phantasiegehalt aufweist, ein in "sed" liegender Hinweis auf "sedieren" bzw "Sedativa" sich zudem in der Regel Laien schon begrifflich mangels erforderlicher Sprachkenntnisse entzieht und wegen der hinzugefügten Endung "on" auch für den Fachmann deutlich schwieriger zu assoziieren ist. Ebenso drängt sich auch "DORM" den allgemeinen Verkehrskreisen nicht in dem Maße wie "BALDRI" als Sachhinweis auf, so daß auch hinsichtlich der jüngeren Marke eine Orientierung nicht vornehmlich an dem Wortbestandteil "BALDRI" erfolgen wird.

Dem steht auch nicht entgegen, daß nach ständiger Rechtsprechung selbst kennzeichnungsschwache oder schutzunfähige Markenbestandteile sowohl in rechtlicher Hinsicht bei der Beurteilung der Prägung des Gesamteindrucks als auch bei der Feststellung einer tatsächlicher Beachtung durch den Verkehr nicht unberücksichtigt bleiben dürfen (vgl Althammer/Ströbele, MarkenG, 5. Aufl., § 9 Rdn 129, 161; BGH GRUR 1996, 200 - Innovadiclophlont; BGH MarkenR 2000, 20, 21 - RAUSCH / ELFI RAUCH). Denn auch unter Beachtung noch strenger Anforderungen an den Markenabstand und einer angemessenen Mitberücksichtigung des kennzeichnungsschwachen Bestandteils "BALDRI/Baldri" sorgen die unterschiedlichen Endbestandteile der Vergleichsmarken für einen deutlich abweichenden Gesamteindruck der Markenwörter, so daß ihre hinreichende Unterscheidbarkeit gewährleistet ist (vgl auch PAVIS PROMA, Knoll, BPatG 25 W (pat) 95/99 - PULMOKAST ­ PULMICORT; BPatG 25 W (pat) 64/99 - Rytmopur ­ Rytmopasc, nicht veröffentlichte Entscheidung vom 25. November 1999).

Die sich gegenüberstehenden, wie "Baldridorm" und "Baldrisedon" gesprochenen Markenwörter unterscheiden sich in klanglicher Hinsicht deutlich durch ihre unterschiedliche Lautbildung und die hiermit verbundene silbenbedingte Abweichung im Sprechrhythmus. Diese kommt bereits dadurch deutlich zum Tragen, daß die Widerspruchsmarke in der zusätzlichen Sprechsilbe "se" einen auffälligen, der jüngeren Marke in keiner Silbe entsprechenden und zudem betonten Lautbestand enthält. Hinzu kommt, daß der den jeweiligen Endsilben gemeinsame Vokal "o" aufgrund des abweichenden konsonantischen Umfeldes unterschiedlich artikuliert wird und deshalb ebenfalls zu einer divergierenden Klangwirkung der zudem noch betonten Schlußsilben beiträgt. In ihrer Gesamtheit und losgelöst von einer bloß formalen Betrachtung reichen deshalb die klanglichen Unterschiede der Wörter nach ihrem jeweiligen Gesamteindruck aus, den bestehenden Gemeinsamkeiten hinreichend deutlich entgegenzuwirken, auch wenn die Übereinstimmungen insbesondere in den erfahrungsgemäß stärker beachteten Anfangsbestandteilen der Wörter liegen (vgl hierzu Althammer/Ströbele MarkenG, 5. Aufl., § 9 Rdn 83) und die Auffassung des Verkehrs eher von einem undeutlichen Erinnerungsbild bestimmt wird (st Rspr vgl EuGH MarkenR 1999, 236, 239 - Lloyd / Loints).

Ebenso weisen die Marken im Schriftbild in jeder üblichen Schreibweise bereits aufgrund der abweichenden Wortlänge und deutlichen Konturunterschiede der divergierenden Buchstaben, insbesondere der auch am jeweiligen Wortende auffälligen Abweichungen einen hinreichenden Abstand auf, zumal das Schriftbild der Marken erfahrungsgemäß sehr viel besser eine ruhige oder auch wiederholte Wahrnehmung der Bezeichnung gestattet als das schnell verklingende gesprochene Wort.

Nach alledem war auf die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke der angefochtene Beschluß aufzuheben und der Widerspruch zurückzuweisen.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.

Kliems Knoll Engelsprö






BPatG:
Beschluss v. 23.11.2000
Az: 25 W (pat) 98/00


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