Bundesgerichtshof:
Urteil vom 8. Mai 2012
Aktenzeichen: X ZR 75/11
(BGH: Urteil v. 08.05.2012, Az.: X ZR 75/11)
Tenor
Die Berufung gegen das am 5. April 2011 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents 196 54 319 (Streitpatents), das am 24. Dezember 1996 angemeldet worden ist und eine elektrische Zahnbürste betrifft. Patentanspruch 1, auf den die übrigen Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet in der erteilten Fassung:
"Elektrische Zahnbürste mit einem Griff (1), einem Bürstenkopf (2) und einem Schaft (3), der den Griff mit dem Bürstenkopf verbindet, und mit einem im Griff angeordneten Rotationsmotor (4), und einer von dem Rotationsmotor (4) angetriebenen Unwucht (5), welche die erstrebte Putzbewegung der Zahnbürste erzeugt, dadurch gekennzeichnet, dass die vom Motor (4) angetriebene Unwucht (5) im Schaft (3) und/oder im Bürstenkopf (2) einseitig oder doppelseitig gelagert ist und über eine verlängerte Antriebswelle (6) angetrieben wird." 1 Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung und mit sieben Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt.
Das Patentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten, die das Streitpatent mit einem Haupt- und zwei Hilfsanträgen in geänderter Fassung verteidigt.
Nach dem Hauptantrag soll Patentanspruch 1 wie folgt geändert werden:
- Die Worte "im Schaft (3) und/oder im Bürstenkopf (2) einseitig oder doppelseitig gelagert" werden ersetzt durch "im Schaft (3) einseitig auf ihrer dem Griff (1) abgewandten Seite gelagert".
- Am Ende wird angefügt: ", die aus flexiblem Material besteht."
Nach Hilfsantrag I soll in Patentanspruch 1 in der Fassung des Hauptantrags am Ende zusätzlich angefügt werden:
", wobei die verlängerte Antriebswelle aus einer Zwischenwelle (6) besteht, die motorseitig an den Wellenstumpf (41) des Motors (4) gekuppelt ist und bürstenkopfseitig an die Welle (51) der selbständig gelagerten Unwucht (5) gekuppelt ist."
Nach Hilfsantrag II soll in Patentanspruch 1 in der Fassung von Hilfsantrag I am Ende ferner angefügt werden:
", wobei der Schaft (3) an seinem griffseitigen Ende ein im Durchmesser erweitertes Schaftanschlussstück (31) besitzt und die Verbindung zwischen dem erweiterten Schaftanschlussstück (31) und dem Griff (1) über dämpfende Verbindungsglieder erfolgt."
Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen. 2
Gründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
I. Das Streitpatent betrifft eine elektrische Zahnbürste.
1. Als wesentliche Elemente einer solchen Vorrichtung werden in der Streitpatentschrift ein Handgriff, in dem der elektrische Antrieb untergebracht ist, ein Bürstenkopf und ein diese beiden Teile verbindender Schaft angeführt.
Am Prioritätstag war aus der europäischen Patentanmeldung 691 107 (NK3) eine Zahnbürste bekannt, bei der der Antrieb aus einem Rotationsmotor besteht, auf dessen Wellenstumpf freitragend eine Unwucht befestigt ist, und zwar dicht am Motor und innerhalb des Handgriffs. Diese Konstruktion wird in der Streitpatentschrift als nachteilig bezeichnet, weil der Handgriff stark von den durch die Unwucht erzeugten Vibrationen beeinflusst werde, der Bürstenkopf hingegen nur relativ schwach. Außerdem werde der Motor durch die auf seiner Welle fliegend angeordnete Unwucht stark beansprucht.
Das Streitpatent betrifft das technische Problem, eine Zahnbürste zur Verfügung zu stellen, bei der eine Vibration des Handgriffs und eine Beanspruchung des Motors durch Vibrationen möglichst vermieden und die Übertragung von Schwingungen auf den Bürstenkopf verbessert wird.
2. Zur Lösung dieses Problems schlägt Patentanspruch 1 des Streitpatents in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung eine elektrische Zahnbürste vor, deren Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (die abweichende Gliederung des Patentgerichts ist in eckigen Klammern hinzugefügt): 8 1. Die elektrische Zahnbürste [M1] besteht aus:
a) einem Griff [M2], b) einem Bürstenkopf [M3], c) einem Schaft, der den Griff mit dem Bürstenkopf verbindet [M4], d) einem im Griff angeordneten Rotationsmotor [M5]
2. Die Zahnbürste enthält ferner eine Unwucht, diea) von dem Rotationsmotor angetrieben wird [M6], und zwar
(1) über eine verlängerte Antriebswelle [M8a],
(2) die aus flexiblem Material besteht [M8a], b) die erstrebte Putzwirkung der Zahnbürste erzeugt [M6] undc) im Schaft gelagert ist [M7], und zwar
(1) einseitig [M7a]
(2) auf ihrer dem Griff abgewandten Seite [M7a].
Nach Hilfsantrag I sind zusätzlich folgende Merkmale vorgesehen:
3. Die verlängerte Antriebswelle besteht aus einer Zwischenwelle [M8b], diea) motorseitig an den Wellenstumpf des Motors [M8c] undb) bürstenkopfseitig an die Welle der selbständig gelagerten Unwucht gekuppelt ist [M8c].
Nach Hilfsantrag II sind ferner folgende Merkmale vorgesehen:
4. Der Schaft besitzt an seinem griffseitigen Ende ein im Durchmesser erweitertes Schaftanschlussstück [Teil von M10].
5. Die Verbindung zwischen dem erweiterten Schaftende und dem Griff erfolgt über dämpfende Verbindungsglieder [M11].
Ein Ausführungsbeispiel der geschützten Erfindung ist in Figur 1 der Streitpatentschrift dargestellt:
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
Der Gegenstand der erteilten Fassung von Patentanspruch 1 sei durch das japanische Gebrauchsmuster Hei 7-24127 (NK6) vollständig offenbart. Die zusätzlichen Merkmale M7a und M8a [2c, 2a1 und 2a2] seien durch diese Entgegenhaltung jedenfalls nahegelegt. Der Fachmann, ein mit der Entwicklung von elektrischen Zahnbürsten befasster berufserfahrener Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik oder Maschinenbau, werde eine einseitige Lagerung immer bevorzugen, um eine möglichst starke Schwingungsanregung durch die Bürste zu erreichen. Deshalb werde er die einseitige Lagerung auch möglichst nahe am Bürstenkopf vorsehen, und zwar an der der Bürste zugewandten 15 und damit dem Griff abgewandten Seite der Unwucht. Die Antriebswelle selbst bestehe zwangsläufig aus flexiblem Material, da ansonsten die Welle bzw. deren Lager durch die Vibrationen beschädigt würden.
Die Merkmale M8b und M8c [3, 3a und 3b] seien aus NK6 bekannt. Das Merkmal M10 sei durch die ursprüngliche Offenbarung nicht gedeckt.
III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren stand.
1. Der Gegenstand der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 ist, wie auch das Patentgericht im Hinblick auf den erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag I ausgeführt hat, neu.
Im japanischen Gebrauchsmuster Hei 7-24127 (NK6) ist ein elektrisches Gerät zur Zahnreinigung offenbart, das Vibrationen erzeugt. Es besteht aus einem Haltegriff (4), der zugleich als Aufnahme für einen Elektromotor (7) und eine Batterie (8) dient, einem rohrförmigen Teil (10) mit innenliegender Antriebswelle (11) sowie einem Halteelement (13), an dem unterschiedliche Werkzeuge (3) befestigt werden können, unter anderem eine Interdentalbürste, eine Zahnbürste oder ein Zahnfleischmassagegerät (Abs. 10).
(1) Als Stand der Technik wird in NK6 unter anderem eine elektrische Zahnbürste beschrieben, bei der ein exzentrisch angeordnetes Gewicht im Griff vorgesehen ist. Dies wird als nachteilhaft bezeichnet, weil die erzeugten Vibrationen bei starkem Festhalten des Griffs durch Hand und Arm des Benutzers absorbiert würden (Abs. 4). Zur Vermeidung dieses Nachteils wird in NK6 vorgeschlagen, ein exzentrisch angeordnetes Gewicht (16) im Halteelement (13) vorzusehen. Um zu vermeiden, dass sich Vibrationen auf den Griff übertragen, ist um das rohrförmige Teil (10) herum ein Ring (6) angeordnet, der aus elastischem Material besteht. Als zusätzliche optionale Maßnahme wird vorgeschlagen, zwischen der Antriebswelle (7a) des Motors (7) und der im Verbindungsrohr (10) angeordneten Antriebswelle (11) ein elastisches Verbindungselement (12) anzuordnen (Abs. 9). Als weitere optionale Maßnahme wird die Anbringung eines weiteren elastischen Elements (20) zwischen dem Verbindungsrohr (10) und dem am Halteelement (13) ausgebildeten Deckelelement (14) angeführt (Abs. 17).
(2) Damit sind, wie auch die Beklagte nicht in Zweifel zieht, die Merkmale 1, 1 a, 1 b, 1 d, 2, 2 a, 2 a (1) und 2 b offenbart.
(3) Offenbart ist ferner das Merkmal 1 c [M4], wonach Griff und Bürstenkopf durch einen Schaft miteinander verbunden sind.
Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem nicht entgegen, dass bei der in NK6 offenbarten Vorrichtung der Bürstenkopf (3) lösbar in einem Halteelement (13) befestigt ist. Dem Streitpatent lässt sich nicht entnehmen, dass der Schaft über eine gewisse Längserstreckung hinaus eine bestimmte Form aufweisen muss oder dass die Verbindung mit dem Bürstenkopf nicht lösbar sein darf. In der Beschreibung wird vielmehr erläutert, dass der Borstenkopf an dem freien Ende des Schafts in einer nicht dargestellten bekannten Weise befestigt sei, beispielsweise durch Aufstecken mittels eines Clipverschlusses (Sp. 2 Z. 23-27). In dem auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patent-23 anspruch 11, der auch nach den im Berufungsverfahren verteidigten Fassungen Bestand haben soll, werden ferner Ausführungsformen beansprucht, bei denen der Schaft eine Trennstelle aufweist, die es erlaubt, den Bürstenkopf auszuwechseln. Zwar ist in diesem Patentanspruch zusätzlich vorgesehen, dass die Trennstelle in der Nähe des Griffs angeordnet ist, so dass der Bürstenkopf zusammen mit dem größeren Teil des Schafts ausgewechselt werden kann. Schon damit werden aber Ausführungsformen erfasst, bei denen der Schaft aus zwei voneinander lösbaren Teilen besteht. Ausgestaltungen, bei denen der Bürstenkopf für sich allein oder nur zusammen mit einem kleineren Teil des Schafts ausgewechselt werden kann, werden jedenfalls von Patentanspruch 1 offenbart, der insoweit gerade keine Festlegungen trifft.
(4) Damit ist auch Merkmal 2 c [M7] offenbart, wonach die Unwucht im Schaft gelagert ist.
Das in NK6 offenbarte Halteelement (13), in dem das exzentrisch angeordnete Gewicht (16) untergebracht ist, stellt aus den oben dargelegten Gründen einen Teil des Schafts im Sinne des Streitpatents dar.
(5) Nicht eindeutig offenbart ist Merkmal 2 c (2) [M7a], wonach die Unwucht im Schaft einseitig auf ihrer dem Griff abgewandten Seite gelagert ist.
In der von der Beklagten vorgelegten deutschen Übersetzung von NK6 wird unter Bezugnahme auf die dort wiedergegebene Figur 6 ausgeführt, zusätzlich könne das linke Ende der Antriebswelle (11) in der Trennwand (13a) gelagert werden (Abs. 17). 27 Daraus ergibt sich zwar, dass auch eine einseitige Lagerung möglich ist, wie dies in der oben wiedergegebenen Figur 1 und weiteren Abbildungen in NK6 dargestellt ist. Diese einseitige Lagerung ist aber auf der dem Griff zugewandten Seite angeordnet.
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann dem Inhalt der NK6 hingegen nicht eindeutig entnommen werden, dass die Antriebswelle (11) bei der in Figur 6 dargestellten Ausführungsform ausschließlich an ihrem linken Ende gelagert ist. Zwar könnte die zeichnerische Darstellung in diesem Sinne interpretiert werden, weil das schraffiert dargestellte Deckelelement (14) anders als in den Figuren 1, 2 und 7 nicht ganz bis an die Antriebswelle (11) heranreicht. Dieses zeichnerische Detail gibt aber schon deshalb keinen eindeutigen Hinweis darauf, dass die Antriebswelle auf dieser Seite nicht gelagert ist, weil die Linie, mit der die linke Seitenwand des Deckelelements (14) dargestellt ist, auch in Figur 6 durchgehend bis zur Antriebswelle (11) verläuft. Angesichts dessen bedürfte es eines zusätzlichen Hinweises darauf, dass auch eine einseitige Lagerung auf der linken Seite möglich ist. Ein solcher Hinweis findet sich in NK6 weder in der Beschreibung noch an anderer Stelle. Dabei kann dahingestellt 31 bleiben, ob das japanische Schriftzeichen ("nao"), mit dem die diese Ausgestaltung betreffenden Ausführungen in Abs. 17 der NK6 eingeleitet werden, mit "zusätzlich" oder mit "alternativ" zu übersetzen ist. Selbst wenn der Ausdruck im zuletzt genannten Sinne zu verstehen wäre, ginge aus dem Zusammenhang, in dem er verwendet wird, nicht hervor, ob er sich insgesamt auf die in Figur 6 dargestellte Ausführungsform als Alternative zu den zuvor geschilderten Ausführungsbeispielen oder auf die Lagerung der Antriebswelle (11) auf der linken statt auf der rechten Seite der Unwucht bezieht.
(6) Nicht offenbart ist ferner Merkmal 2 a (2) [M8a], wonach die verlängerte Antriebswelle, die die Unwucht antreibt, aus flexiblem Material besteht. In NK6 wird das Material, aus dem diese Antriebswelle besteht, nicht näher beschrieben.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Antriebswelle, wie das Patentgericht im Zusammenhang mit der Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgeführt hat, nach dem Verständnis des Fachmanns "zwangsläufig" aus flexiblem Material bestehen muss. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, handelte es sich dabei um eine Erkenntnis, die der Fachmann bei der Lektüre von NK6 nicht gleichsam mitliest, sondern zu der er allenfalls durch weitere Überlegungen unter Heranziehung von allgemeinem Fachwissen gelangen könnte.
2. Zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung dem Fachmann, einem ein mit der Entwicklung von elektrischen Zahnbürsten befassten Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik oder Maschinenbau, durch den Stand der Technik nahegelegt ist.
a) Der Fachmann hatte Veranlassung, die einseitige Lagerung der Unwucht abweichend von der in NK6 offenbarten Ausgestaltung auf der vom Griff abgewandten Seite anzubringen und so die Vibrationswirkung zu verstärken. 33 Nach den Ausführungen des Patentgerichts, die insoweit auch die Beklagte nicht in Zweifel gezogen hat, erzielt die Unwucht ihre größtmögliche Wirkung, wenn die einseitige Lagerung möglichst nahe am Bürstenkopf angeordnet wird. Angesichts dessen gaben die Ausführungen in NK6, wonach die Unwucht wahlweise auf einer oder auf zwei Seiten gelagert werden kann, dem Fachmann Veranlassung, zusätzlich zu den beiden in NK6 ausdrücklich offenbarten Varianten auch die dritte Möglichkeit, nämlich eine einseitige Lagerung auf der näher beim Bürstenkopf liegenden Seite, in Betracht zu ziehen.
Der von der Beklagten erhobene Einwand, eine solche Anordnung sei nur bei einem Verzicht auf das Halteelement (13) möglich gewesen, wird durch die in NK6 in Figur 6 dargestellte Ausführungsform widerlegt, bei der die Antriebswelle im Boden (13a) des Halteelements (13) gelagert ist. Dass bei dieser Ausgestaltung ein gewisser Abstand zwischen Unwucht und Bürstenkopf verbleibt, führt schon deshalb nicht zu einer anderen Beurteilung, weil Merkmal 2 c (2) insoweit keine Festlegungen trifft, sondern lediglich vorsieht, dass das Lager auf der dem Griff abgewandten Seite angeordnet ist. Diese Voraussetzung ist auch bei der Anordnung in Figur 6 von NK6 erfüllt.
b) Der Fachmann hatte Veranlassung, die verlängerte Antriebswelle aus flexiblem Material anzufertigen, wie dies in Merkmal 2 a (1) vorgesehen ist.
Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob der Fachmann sich, wie das Patentgericht ausgeführt hat, zwangsläufig für flexibles Material entscheidet, um Beschädigungen von Welle und Lager zu vermeiden, und inwieweit das Merkmal der Flexibilität überhaupt geeignet ist, einen Unterschied zum Stand der Technik zu definieren. Eine hinreichende Anregung für eine solche Ausgestaltung ergab sich - trotz der kritischen Beleuchtung einer flexiblen Welle in Absatz 5 der NK6 - jedenfalls aus den Ausführungen zur Vibrationsdämpfung.
In NK6 wird mehrfach darauf hingewiesen, dass es vorteilhaft sei, zusätzliche Maßnahmen vorzusehen, um zu verhindern, dass die im Bereich des Bürstenkopfs erzeugten Vibrationen auf den Griff übertragen werden. In NK6 selbst wird hierzu beispielhaft vorgeschlagen, das Verbindungselement (12) als flexiblen Schlauch oder als Spiralfeder auszugestalten und eventuell am anderen Ende der Antriebswelle ebenfalls ein elastisches Element anzuordnen (Abs. 17). Dies gab dem Fachmann Veranlassung, nach vergleichbaren Mitteln zu suchen, mit denen der Griff von den im Bereich des Bürstenkopfes erzeugten Vibrationen abgekoppelt werden kann. Zu diesen Mitteln, deren Auswahl im Belieben des Fachmanns steht, gehört es, die Antriebswelle nicht nur am Anfang und am Ende mit elastischen Elementen zu versehen, sondern sie insgesamt flexibel auszugestalten.
Der von der Beklagten geltend gemachte Umstand, eine flexible Antriebswelle könne das in NK6 vorgesehene Auswechseln der Bürstenköpfe erschweren, weil beim Aufsetzen des Werkzeugs auf das Halteelement (13) und die Antriebswelle (11) Druck ausgeübt werde, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Selbst wenn der Fachmann dieser Überlegung ausschlaggebende Bedeutung beimessen würde, käme sie bei den - ebenfalls von Patentanspruch 1 erfassten - Ausführungsformen, bei denen der Bürstenkopf nicht ausgewechselt werden kann, nicht zum Tragen. Unabhängig davon kann dem Inhalt von NK6 nicht entnommen werden, dass der beim Aufsetzen eines Werkzeugs auf das Halteelement (13) ausgeübte Druck zwangsläufig auch auf die Antriebswelle (11) wirkt. Diese weist außer bei der besonderen Ausführungsform gemäß Figur 6 keine Verbindung zum Boden (13a) auf. Bei der Ausführung nach Figur 6 ist eine Druckeinwirkung nur dann zu erwarten, wenn der Boden (13a) nicht ausreichend stabil ausgestaltet ist. Auch dafür finden sich in NK6 keine Hinweise.
c) Einem Naheliegen steht es nicht entgegen, dass der Fachmann die in NK6 offenbarte Vorrichtung an zwei Stellen abwandeln musste, um zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen.
Die beiden in Rede stehenden Änderungen betreffen unterschiedliche Teilfunktionen der Erfindung, zwischen denen allenfalls geringe Wechselwirkungen bestehen. Der mit der Suche nach Verbesserungen betraute Fachmann hatte schon deshalb Anlass, hinsichtlich beider Aspekte unabhängig voneinander nach Lösungen zu suchen, die den in NK6 ausdrücklich offenbarten Ausführungsformen vergleichbar sind.
3. Die nach Hilfsantrag I zusätzlich vorgesehenen Merkmale sind, wie das Patentgericht in Zusammenhang mit dem erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag VI zutreffend ausgeführt hat, in NK6 offenbart.
In NK6 wird bei der Beschreibung der in Figur 6 wiedergegebenen Ausführungsform, bei der die Unwucht auch auf der linken Seite gelagert ist, ergänzend ausgeführt, als zusätzliche Maßnahme könne die Antriebswelle (11) in der Nähe des linken Endes des Verbindungsrohrs (10) in eine linke und eine rechte Hälfte aufgetrennt werden, die mit einem dem Verbindungselement (12) ähnlichen Bauteil miteinander verbunden werden könnten (Abs. 17). Bei dieser Anordnung bildet der rechte Teil der Antriebswelle (11) eine Zwischenwelle, die motorseitig über das Verbindungselement (12) an die Antriebswelle des Motors und bürstenkopfseitig an den linken Teil der Antriebswelle (11) gekuppelt ist, der in diesem Fall als selbständig gelagerte Welle für die Unwucht fungiert.
Das Berufungsvorbringen vermag diese Beurteilung nicht in Frage zu stellen. Die Berufung macht geltend, eine Zweiteilung der Welle (11) sei in NK6 nicht offenbart. Sie setzt sich in diesem Zusammenhang jedoch weder mit den aufgezeigten Ausführungen in der Beschreibung von NK6 noch mit den diese 43 Ausführungen aufgreifenden Darlegungen im angefochtenen Urteil auseinander. Dass die im Text von NK6 beschriebene Abwandlung nicht auch in Figur 7 dargestellt ist, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Auf diese Figur wird in der Beschreibung von NK6 im Zusammenhang mit einem zusätzlichen elastischen Glied (20) Bezug genommen, das optional zwischen dem Deckelelement (14) und dem Verbindungsrohr (10) angebracht werden kann. Hinsichtlich der hier in Rede stehenden zusätzlichen Abwandlung wird hingegen nicht auf eine Figur Bezug genommen. Diese Abwandlung ist auch ohne zeichnerische Darstellung unmittelbar und eindeutig offenbart.
4. Die nach Hilfsantrag II zusätzlich vorgesehenen Merkmale 4 und 5 führen zu keiner abweichenden Beurteilung.
a) Diese Merkmale sind - anders als das in erster Instanz mit dem dort gestellten Hilfsantrag III beanspruchte Merkmal M10 - in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Beklagte auch nicht gehalten, Merkmal 4 dahin zu ergänzen, dass in dem erweiterten Schaftanschlussstück der Motor angeordnet ist. Diese Kombination ist zwar in der erteilten Fassung von Patentanspruch 9 vorgesehen. Daraus ergibt sich aber nicht, dass nur Ausführungsformen als zur Erfindung gehörend beansprucht sind, die beide Merkmale in Kombination aufweisen. Die Beklagte ist deshalb nicht gehindert, nur eines der beiden Merkmale aus dem früheren Patentanspruch 9 in Patentanspruch 1 aufzunehmen.
b) Auch mit den zusätzlichen Merkmalen 4 und 5 war der Gegenstand von Patentanspruch 1 dem Fachmann durch NK6 nahegelegt.
Das in Merkmal 4 vorgesehene erweiterte Schaftanschlussstück dient nach den Ausführungen in der Beschreibung des Streitpatents der Aufnahme 48 des Motors. Die Anordnung des Motors in diesem Bereich, der zugleich den zum Bürstenkopf hin gelegenen Teil (1b) des Handgriffs bildet (Sp. 2 Z. 5-9), führt zu einer weiteren Entkopplung der Schwingungen vom Hauptteil (1a) des Handgriffs, der von der Hand des Benutzers gehalten wird.
Dem gleichen Zweck dient das in Merkmal 5 vorgesehene dämpfende Verbindungsglied, das bei dem in der Streitpatentschrift geschilderten Ausführungsbeispiel aus einem O-Ring (8) besteht, der zwischen den verbindenden Anlageflächen von Schaftende (31) und Hauptgriffteil (1a) angeordnet ist (Sp. 2 Z. 35-41).
Bei der in NK6 offenbarten Vorrichtung ist der Motor ebenfalls nahe an der dem Bürstenkopf zugewandten Seite des Griffs angeordnet. Dieser Bereich des Gehäuses bildet zugleich ein Schaftanschlussstück, das mit dem elastischen Ring (6) ein dämpfendes Verbindungsglied aufweist. Dass das Schaftanschlussstück anders als in den Figuren 1 und 2 der Streitpatentschrift nicht einstückig mit dem Rest des Schafts ausgebildet ist, führt schon deshalb nicht zu einer anderen Beurteilung, weil auch der Gegenstand des Streitpatents nicht auf solche Ausführungsformen beschränkt ist. Wie bereits dargelegt ist in Patentanspruch 11 vorgesehen, dass der Schaft eine Trennstelle aufweist, die es erlaubt, den Bürstenkopf zusammen mit dem größeren Teil des Schafts auszuwechseln. Jedenfalls bei dieser Ausführungsform kann das Schaftanschlussstück allenfalls zusammen mit dem kleineren Teil des Schafts einstückig ausgebildet sein.
5. Dass der Gegenstand einer der in zweiter Instanz verteidigten Unteransprüche hinsichtlich der erfinderischen Tätigkeit anders zu beurteilen wäre, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. 53 IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck Keukenschrijver Mühlens Grabinski Bacher Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 05.04.2011 - 4 Ni 74/09 - 56
BGH:
Urteil v. 08.05.2012
Az: X ZR 75/11
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