Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 27. Oktober 1999
Aktenzeichen: 11 U 65/97

(OLG Köln: Urteil v. 27.10.1999, Az.: 11 U 65/97)

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 25.04.1997 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 9 O 511/96 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 26.000 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in der genannten Höhe leistet. Beide Parteien dürfen die Sicherheit durch selbstschuldnerische Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürgen zugelassenen Kreditinstituts erbringen.

Gründe

Die Kläger nimmt die Beklagte, eine

Rechtsanwältin, im Wege der Drittschuldnerklage aufgrund einer

gepfändeten und überwiesenen Regressforderung in Anspruch.

Die Beklagte vertrat in einem

Arbeitsgerichtsprozess bei dem Arbeitsgericht Aachen einen

ehemaligen Arbeitnehmer der Klägerin, den Zeugen M., den diese auf

Erstattung unterschlagener Gelder in Höhe von angeblich 283.172,70

DM in Anspruch nahm. Der Klageerhebung war eine Klage der Klägerin

gegen M. vorausgegangen, aufgrund derer M. durch Versäumnisurteil

des Arbeitsgerichts Aachen vom 12.01.1995 zur Zahlung von 87.332,99

DM verurteilt wurde (Bl. 49 der Akte 7 Ca 1611/94 ArbG Aachen, die

vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung war). Der

Klageerhebung war weiterhin eine Strafanzeige der Klägerin gegen M.

vorausgegangen, in deren Rahmen die Klägerin die Vermutung

aufstellte, M. habe Unterschlagungen in der Größenordnung zwischen

300.000 und 400.000 DM begangen (Bl. 3 der Akte 50 Js 1112/94 StA

Aachen, welche vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung

war). Später wurde M. - nach Anklageerhebung im Juli 1996 - vom

Strafrichter wegen Unterschlagung und Betruges zu einer

Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, ausgesetzt zur Bewährung,

verurteilt (Urteil des Amtsgerichts Aachen vom 06.11.1996, Bl. 127

ff. der Strafakte).

Zur Sitzung des Arbeitsgerichts vom

14.11.1995 erschienen der Geschäftsführer der Klägerin und der

erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin, der Zeuge

Rechtsanwalt B., der sie auch im Arbeitsgerichtsprozess vertrat,

nicht aber M. oder die Beklagte. Diese hatte mit Schriftsatz vom

22.05.1995 an das Arbeitsgericht mitgeteilt, sie lege das Mandat

nieder. Allerdings hatte sie sich unter dem 27.07.1995 für M. im

Strafverfahren als Verteidigerin bestellt (Bl. 65 d.A. = Bl. 50 der

Strafakte).

Das Arbeitsgericht erließ auf Antrag

des Klägervertreters Versäumnisurteil über die Klagesumme. Dies

wurde dem M. am 16.11.1995 zugestellt. Dieser suchte die Beklagte

am Abend des 23.11.1995 auf und setzte sie von dem Versäumnisurteil

in Kenntnis. Daraufhin legte die Beklagte mit einem am 24.11.1995

beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz, in dem sie sich

zugleich erneut für den M. bestellte, Einspruch ein, den sie in der

Folge begründete. Der wegen der Versäumung der einwöchigen

Einspruchsfrist (§ 59 ArbGG) gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung

in den vorigen Stand blieb beim Arbeitsgericht und beim

Landesarbeitsgericht ohne Erfolg. Wegen der Einzelheiten des

Arbeitsgerichtsverfahrens wird auf die Akte 4 Ca 157/95 ArbG

Aachen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug

genommen.

In der Folge ließ die Klägerin,

vertreten durch Rechtsanwalt B., aufgrund des Versäumnisurteils vom

14.11.1995 die angebliche Forderung des M. gegen die Beklagte auf

Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung und Prozessführung,

insbesondere auch Berechnung der Einspruchsfrist, und fehlender

Aufklärung über die Vergleichsbereitschaft des Prozessgegners

pfänden und sich zur Einziehung überweisen (Pfändungs- und

Óberweisungsbeschluss des Amtsgerichts Aachen vom 03.05.1996 - 12 M

252/96 -, Anlage K 1).

Aufgrund des Óberweisungsbeschlusses

nimmt sie die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit in Anspruch.

Die Parteien haben in erster Instanz darum gestritten, ob die Klage

bei dem Arbeitsgericht in dem von der Klägerin behaupteten Umfang

hätte Erfolg haben können, wenn der Einspruch rechtzeitig eingelegt

worden wäre, ferner darum, ob die Vollstreckung aus dem

Versäumnisurteil als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist, mit der

Folge, dass der Klageforderung der Einwand des M. aus § 826 BGB

entgegengehalten werden kann.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie

279.647,56 DM nebst 4% Zinsen vom 09.02.1995 bis 12.08.1996 und 7%

Zinsen seit dem 13.08.1996 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Durch die angefochtene Entscheidung hat

das Landgericht die Klage abgewiesen, weil nach dem eigenen Vortrag

der Klägerin nicht davon ausgegangen werden könne, das

Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts sei falsch gewesen.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster

Instanz, insbesondere auch der Berechnung der Klageforderung, und

der Ausführungen des Landgerichts wird auf die angefochtene

Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das ihrem erstinstanzlichen

Prozeßbevollmächtigten am 02.05.1997 zugestellte Urteil hat die

Klägerin mit einem am 27.05.1997 beim Berufungsgericht

eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach

entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist mit einem

am 19.08.1997 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Die Klägerin wiederholt und ergänzt ihr

erstinstanzliches Vorbringen. Sie macht geltend: Das Landgericht

habe verkannt, dass sie im vorliegenden Rechtsstreit aus der

Position des M. heraus im Widerspruch zu ihrem Vortrag im

Arbeitsgerichtsprozess vortragen müsse. Sie behaupte, dass das

Versäumnisurteil gegen M. objektiv zu Unrecht ergangen sei, weil

dieser bei dem Arbeitsgericht die Klageabweisung habe erreichen

können; dies habe die Beklagte weitgehend zugestanden

(Klageerwiderung S. 16 = Bl. 46 d.A.). Auf ihren Vortrag im

Arbeitsgerichtsprozess greife sie "hilfsweise" zurück, um dem

Vorwurf der Beklagten entgegenzutreten, sie habe das

Versäumnisurteil in deliktischer Weise erstritten. M. sei schon in

dem Gütetermin im ersten Arbeitsgerichtsprozess vorgehalten worden,

dass über den dort eingeklagten Betrag hinaus Forderungen der

Klägerin wegen weiterer unterschlagener Beträge bestünden. Dieser

Verdacht habe sich aus der Sicht der Klägerin und des Rechtsanwalts

B. aufgrund beigezogener Unterlagen der Volksbank bestätigt, so

dass im Januar 1995 die zweite Klage beim Arbeitsgericht

eingereicht worden sei. Aus den Bankunterlagen habe sich ergeben,

dass M. die in der Klageschrift aufgeführten Beträge vereinnahmt

habe, ohne sie an die Klägerin oder in deren Auftrag an Dritte

weiterzureichen. Gegenrechnungen über wieder abgeflossene Beträge

seien seinerzeit nicht möglich gewesen. Dem Arbeitsgericht sei

offengelegt worden, dass der Klagevortrag auf den sich daraus unter

Berücksichtigung der festgestellten Unterschlagungen ergebenden

Schlussfolgerungen beruhe. M. habe sich im Arbeitsgerichtsprozess

zu dem Klagevortrag nicht geäußert. Die Beklagte habe sich in dem

Gütetermin vom 09.05.1995 bestellt, das Mandat dann aber nach

Akteneinsicht niedergelegt. Die Klägerin habe daraufhin

ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie kein sicheres Wissen über

weitere Unterschlagungen habe, und habe M. zu schriftsätzlicher

Erklärung aufgefordert (Schriftsatz vom 11.09.1995, Bl. 60 ff. der

Beiakte). Sie sei auch bereit gewesen, die Sache bei entsprechender

Aufklärung durch M. vergleichsweise abzuschließen. Die Säumnis des

M. in dem Termin vom 14.11.1995 sei für sie überraschend gewesen.

Sie habe auch nicht damit gerechnet, M. würde die Einspruchsfrist

versäumen. Von einem Erschleichen des Versäumnisurteils könne unter

diesen Umständen nicht die Rede sein.

Die Klägerin hat während des

Berufungsverfahrens ihre Forderungen aus dem Versäumnisurteil gegen

M. und dessen gepfändete und überwiesene Regressansprüche gegen die

Beklagte an Rechtsanwalt B. abgetreten. Nach dem Inhalt der

Abtretungsurkunde vom 13.01.1999 (Bl. 467 d.A.) und dem Vortrag der

Klägerin wird der Rechtsstreit auf Kosten des Rechtsanwalts B.

geführt, dem auch im Falle eines Prozesserfolges die Urteilssumme

zustehen soll.

Sie beantragt nunmehr,

das angefochtene Urteil abzuändern und

die Beklagte zu verurteilen, an Herrn Rechtsanwalt T. B., S. Weg ,

A., 279.647,56 DM nebst 4% Zinsen vom 09.02.1995 bis 12.08.1996 und

7% Zinsen seit dem 13.08.1996 zu zahlen und Sicherheitsleistung

durch Bankbürgschaft zu gestatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und

Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft zu gestatten.

Sie wiederholt und vertieft gleichfalls

ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie bestreitet eine

Pflichtverletzung und einen dem M. durch das Versäumnisurteil

entstandenen Schaden und macht geltend: Sie sei am Abend des

23.11.1995 für M., der seine Angelegenheiten mit Desinteresse

gehandhabt habe, nur aus Gefälligkeit tätig geworden. Aus dem

Versäumnisurteil könne gegen den völlig vermögenslosen, im Ausland

wohnhaften M. nicht mit Erfolg vollstreckt werden. Die beim

Arbeitsgericht erhobene Klage sei außerdem zumindest teilweise

begründet gewesen. Sie, die Beklagte, müsse sich jetzt auf den

Standpunkt stellen, den die Klägerin im Arbeitsgerichtsprozess

vertreten habe. Es stehe auch nicht fest, dass M. die für eine

erfolgreiche Fortführung des Rechtsstreits erforderlichen Kosten

hätte aufbringen können und die notwendigen Informationen erteilt

hätte. Schließlich scheitere ein Anspruch jedenfalls an § 826 BGB.

Der Klägerin und insbesondere auch ihrem Rechtsanwalt B. seien bei

Klageeinreichung jedenfalls aber in dem Termin des Arbeitsgerichts

vom 14.11.1995 klar gewesen, dass der in dem (zweiten)

Arbeitsgerichtsprozess eingeklagte Betrag weitgehend

ungerechtfertigt gewesen sei; jedenfalls habe sich dies aufgrund

der vorliegenden Unterlagen unschwer feststellen lassen.

Wegen der Einzelheiten des

Parteivorbringens in zweiter Instanz wird auf die Schriftsätze und

Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch die

Vernehmung von Zeugen. Hinsichtlich des Ergebnisses der

Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 04.08.1999

(Bl. 547 ff. d.A.) Bezug genommen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht für unbegründet

gehalten.

I. Allerdings kann der Begründung, mit

der das Landgericht die Klage abgewiesen hat, nicht gefolgt

werden.

1. Grundsätzlich kann der Gläubiger

einer titulierten Forderung den Regressanspruch seines Schuldners

gegen dessen Rechtsanwalt, der sich daraus ergibt, dass der

titulierte Anspruch zu Unrecht zuerkannt wurde, pfänden und sich

überweisen lassen. In dem Drittschuldnerprozess gegen den

Rechtsanwalt, den er aus der Sicht des Schuldners zu führen hat,

ist er sodann nicht gehindert geltend zu machen, er habe den

Rechtsstreit gegen den Schuldner zu Unrecht gewonnen, und im

Widerspruch zu seinem Vortrag in jenem Rechtsstreit vorzutragen

(vgl. BGH NJW 1996, 48, 49).

2. Die Klägerin macht zu Recht geltend,

dass sich die Beklagte gegenüber M. aus positiver

Vertragsverletzung des mit diesem geschlossenen Anwaltsvertrages

schadenersatzpflichtig gemacht hat.

a) Die Beklagte hat die ihr gegenüber

M. obliegenden anwaltlichen Pflichten verletzt, indem sie den

Einspruch gegen das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts erst am

24.11.1995 einlegte, obwohl die Einspruchsfrist am 23.11.1195

ablief und eine fristgerechte Einspruchseinlegung möglich gewesen

wäre. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht sind zutreffend davon

ausgegangen, dass die Einspruchsfrist am 23.11.1995 ablief; auf die

Ausführungen der Beschlüsse vom 11.12.1995 und 26.01.1996 (Bl. 95

ff., 114 ff. der Beiakte) wird Bezug genommen. Die Beklagte hätte

die Einspruchsfrist durch Einreichung einer - nach Büroschluss

möglicherweise handschriftlich verfassten - Einspruchsfrist noch am

23.11.1995 verhindern können. Dazu war sie verpflichtet, weil sie

das Mandat für M., wie ihr weiteres Tätigwerden zeigt, tatsächlich

wieder aufgenommen hatte. Ob dem die Absicht zugrunde lag, M., den

sie persönlich kannte, gefällig zu sein, ist unerheblich. Die

Beklagte handelte fahrlässig. Es mag sein, dass sie am 23.11.1995

nicht mehr überprüfen konnte, wann die Einspruchsfrist ablief. Sie

hätte indes die Möglichkeit eines Fristablaufs an diesem Tage in

Betracht ziehen und den für den Mandanten sichersten Weg wählen,

also vorsorglich noch an diesem Tag Einspruch einlegen müssen (vgl.

BGH NJW 1987, 1707, 1708). Ein Mitverschulden des M. ist zu

verneinen. Dass er sich trotz Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. Bl. 90

der Beiakte) erst am letzten Tag der Frist an die Beklagte wandte,

begründet noch nicht den Vorwurf des Mitverschuldens. Er durfte

davon ausgehen, dass die Beklagte die ihr mögliche Prüfung seines

Anliegens sachgerecht vornehmen und mögliche Maßnahmen ergreifen

würde. Daran fehlte es.

b) Die Klägerin macht auch zu Recht

geltend, dass das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts, das

aufgrund der Pflichtverletzung der Beklagten rechtskräftig geworden

ist, der materiellen Rechtslage nicht entspricht. Die Urteilssumme

liegt weit über dem Anspruch, der der Klägerin aufgrund der

materiellen Rechtslage zustand, so dass die beim Arbeitsgericht

erhobene Klage bei streitiger Fortführung des Verfahrens weitgehend

hätte abgewiesen werden müssen.

(1) Die Klägerin will allerdings von

der Urteilssumme (283.172,70 DM) einen Betrag von lediglich

3.359,94 DM (aus der Klageschrift vom 16.01.1995 die Positionen 21,

23 und 25, vgl. z.B. Bl. 92 der Strafakte) abziehen. Nach Ansicht

des Senats hätte die Klage bei dem Arbeitsgericht aber weiterhin

bezüglich der Position 1 (13.438,19 DM) Erfolg gehabt; denn die

Schecks der Firma C. waren Gegenstand der Anklage; M. hat die

Unterschlagung dieser Beträge gestanden und ist insoweit verurteilt

worden (vgl. Bl. 105, 123, 129 der Strafakte). Ferner hätte die

Klage bei dem Arbeitsgericht bezüglich der Position 2 (654,00 DM)

Erfolg gehabt. Es handelte sich um der Volksbank erstattete Kosten,

die der Vorbereitung der Durchsetzung der gegen M. bestehenden

Ansprüche aufgewendet wurden. Diese Kosten hatte M. der Klägerin

aus unerlaubter Handlung und aus Verletzung der

arbeitsvertraglichen Pflichten zu ersetzen.

(2) Ein Anspruch der Klägerin in Höhe

des verbleibenden Betrages von 265.720,57 DM bestand hingegen

nicht. Dem Vorbringen der Parteien, den vorgelegten und in den

Beiakten befindlichen Unterlagen, den Ermittlungen im

Strafverfahren und den Aussagen der vom Senat vernommenen Zeugen

lässt sich nichts dafür entnehmen, dass das Arbeitsgericht bei

rechtzeitiger Einspruchseinlegung den M. zur Zahlung eines höheren

Betrages verurteilt hätte, als er sich aus den Ausführungen oben zu

(1) ergibt. Diese Beträge ergeben zusammen mit dem bereits durch

das erste Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts ausgeurteilten

Betrag einen von M. verursachten Gesamtschaden von etwa 100.000,00

DM. Ein höherer Gesamtschaden ist nicht festzustellen. Der beim

Arbeitsgericht eingeklagte Restbetrag entfällt auf Beträge, die

zwar über das Konto des M. gelaufen sind, die er aber an die

vorgesehenen Empfänger weitergeleitet bzw. als "Provision"

entnommen hat (letzteres letztlich mit jedenfalls nachträglicher

Billigung des Geschäftsführers der Klägerin). Einen Schaden in der

genannten Größenordnung hat M. beim Strafrichter eingeräumt, ein

solcher Schaden ist auch der Strafzumessung des Strafrichters

zugrundgelegt (Bl. 130 der Strafakte). Auch bei seiner Vernehmung

durch den Senat hat er verneint, einen höheren Schaden verursacht

zu haben.

(3) Der Vortrag der Beklagten, M. habe

den Arbeitsgerichtsprozess mangels ausreichender

Informationserteilung und mangels Vorschusszahlung ohnehin nicht

gewinnen können, beruht auf nicht weiter belegten Mutmaßungen.

II. Die Beklagte kann sich aber mit

Erfolg darauf berufen, dass der Vollstreckung aus dem

Versäumnisurteil, und damit auch der darauf beruhenden Pfändung des

Regressanspruchs, der Einwand der treuwidrigen Ausnutzung einer

formalen Rechtsposition entgegensteht (§§ 242, 826 BGB).

1. Die Durchbrechung der Rechtskraft

eines Vollstreckungstitels nach § 826 BGB oder § 242 BGB ist

allerdings nur in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten

Ausnahmefällen gerechtfertigt, weil sonst die Rechtskraft

ausgehöhlt und die Rechtssicherheit beeinträchtigt würde. Die

Rechtskraft muß nur dann zurücktreten, wenn es mit dem

Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, daß der

Titelgläubiger seine formelle Rechtsstellung unter Mißachtung der

materiellen Rechtslage zu Lasten des Schuldners ausnutzt. Die

Anwendung der genannten Vorschriften in derartigen Fällen setzt

nicht nur die materielle Unrichtigkeit des Vollstreckungstitels und

die Kenntnis des Gläubigers hiervon voraus; hinzutreten müssen

vielmehr besondere Umstände, die sich aus der Art und Weise der

Titelerlangung oder der beabsichtigten Vollstreckung ergeben und

die das Vorgehen des Gläubigers als treuwidrig prägen, so daß es

letzterem zugemutet werden muß, die ihm unverdient zugefallene

Rechtsposition aufzugeben (vgl. z.B. BGHZ 101, 380, 383; 103, 44,

46; 112, 54, 58; BGH NJW 1993, 3204, 3205; 1999, 1257, 1258; VersR

1999, 78, 79).

2. So liegt es im Streitfall. Das

Versäumnisurteil ist, was der Klägerin zwischenzeitlich bekannt

ist, weitgehend unrichtig. Es liegen auch besondere Umstände vor,

die das Vorgehen aus diesem Urteil als treuwidrig erscheinen

lassen.

a) Allerdings kann der Vollstreckung

aus dem Versäumnisurteil nicht mit Erfolg entgegengehalten werden,

es sei in einer die Durchbrechung der Rechtskraft rechtfertigenden

Weise erwirkt worden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht

nicht fest, dass der Klägerin oder dem Rechtsanwalt B. die

Unrichtigkeit der erhobenen Klageforderung so deutlich vor Augen

stand, dass die Erhebung der Klage oder der Antrag auf Erlass des

Versäumnisurteils in der Sitzung des Arbeitsgerichts vom 14.11.1995

als unter keinen Umständen verständlich und hinnehmbar erscheinen

müssten.

(1) Der Aussage des Zeugen K. läßt sich

eine Kenntnis des Geschäftsführers der Klägerin oder des

Rechtsanwalts B. davon, dass die Klageforderung auf keinen Fall

gerechtfertigt sein könne, nicht mit ausreichender Sicherheit

entnehmen. Der Zeuge hat zwar bekundet, er habe die Kontoauszüge

der Bank betreffend das Konto des M. ausgewertet und eine Liste

erstellt, aus der sich die Geldbewegungen nachrechenbar ergeben

hätten, er habe auch Rechtsanwalt B. informiert, dass Beträge nach

Abzug von "Provisionen" von M. weitergeleitet worden seien. Der

Senat hat indes erhebliche Zweifel, ob die Darstellung des Zeugen

in allen Punkten richtig ist. Der Zeuge hat, wie in seiner Aussage

im Ermittlungsverfahren vom 21.02.1995 (Bl. 27 f. der Strafakte),

weitgehend Vermutungen geäußert, die sich auf seine im Jahr 1994

gewonnenen Erkenntnisse stützen. Die Frage des Senats, wie sich aus

den Unterlagen der Bank eine eindeutige Zuordnung eingehender und

abfließender Gelder hat ergeben können, hat der Zeuge nicht

zufriedenstellend beantworten können.

Jedenfalls steht der Aussage des Zeugen

K. die Zeugenaussage des Rechtsanwalts B. entgegen, wonach er von

dem Zeugen K. keine Informationen erhalten habe, denen er habe

entnehmen können, dass der beim Arbeitsgericht eingeklagte und auch

zum Gegenstand der Strafanzeige gemachte Betrag keinesfalls

Gegenstand eines der Klägerin gegen M. zustehenden Anspruchs sein

könne. Die Darstellung des Zeugen war nachvollziehbar und, was

seine Einschätzung der Sachlage bei Klageerhebung und Beantragung

des Versäumnisurteils anbetrifft, durchaus überzeugend. Dafür, dass

auch in den Gesprächen mit dem Zeugen K. ein Betrag in der

Größenordnung von 300.000 bis 400.000 DM zumindest irgendwann im

Gespräch war, spricht auch der vom Zeugen B. vorgelegte Zettel mit

der Aufschrift "DM 361.339,39" (Bl. 511 d.A.); der Zeuge K. hat die

Handschrift als seine identifiziert, konnte sich aber an die

Herkunft der Zahl nicht mehr erinnern.

Der Senat vermag der Aussage des Zeugen

K. auch ungeachtet ihrer inhaltlichen Schwächen nicht den Vorzug

vor der Aussage des Zeugen B. zu geben. Der von den Zeugen

gewonnene persönliche Eindruck gibt dazu keinerlei Anlass.

(2) Dass die Berechnung der

Klageforderung letztlich auf Verdächtigungen beruhte, hat die

Klägerin in der Klageschrift vom 16.01.1995 dargestellt. Sie hat

dem Arbeitsgericht auch mit Schriftsatz vom 11.09.1995 mitgeteilt,

dass ihr Geschäftsführer persönlich kein sicheres Wissen über

weitere Unterschlagungen des M. habe, dass die Behandlung der

Schecks möglicherweise dem Einbehalt von "Provisionen" gedient

habe, dass es bei M. stehe, sich zu entlasten, und dass sie, die

Klägerin, vergleichsbereit sei. Zu all dem hatte sich M. bis zum

14.11.1995 nicht geäußert, zum Termin war er trotz ordnungsgemäßer

Ladung nicht erschienen. In dieser Situation wurde der Antrag auf

Erlass des Versäumnisurteils gestellt. Es ist nicht ersichtlich,

dass die Klägerin oder ihr Prozessbevollmächtigter diese Situation

absichtlich herbeigeführt haben könnten. Der gegenteilige Vortrag

der Beklagten ist durch keinerlei Tatsachen zu belegen. Die

Tatsache, dass die Klägerin ihren titulierten Anspruch gegen M.

faktisch nicht durchzusetzen versucht hat ( "niedergeschlagen" hat,

Bl. 467R d.A.), spricht auch ganz entscheidend gegen eine solche

Absicht.

Argumentiert werden könnte allenfalls,

dass dem Geschäftsführer der Klägerin spätestens im September 1995

der Sachverhalt der "Provisionsabzüge" durch M. bekannt war und es

deshalb nahegelegen hätte, ganz erhebliche Abschläge von der

damaligen Klageforderung zu machen. Der Geschäftsführer der

Klägerin hatte offensichtlich dem Zeugen B. seine

zwischenzeitlichen Erkenntnisse mitgeteilt (vgl. Schriftsatz vom

11.09.1995, Bl. 60 f. der Beiakte 4 Ca 157/95 ArbG Aachen). Der

Zeuge B. hat bekundet, es habe die Auffassung des Geschäftsführers

der Klägerin, insoweit solle M. nicht in Anspruch genommen werden,

für unrichtig gehalten; er habe den Antrag auf Erlass des

Versäumnisurteils ohne Rücksprache mit dem Geschäftsführer der

Klägerin auf seine "anwaltliche Kappe" genommen. Auch nach dem

Rechtsstandpunkt des Zeugen war der gestellte Antrag allerdings

objektiv nicht gerechtfertigt, da die - bereits in dem Schriftsatz

an das Arbeitsgericht vom 11.09.1995 als möglich erwähnten - an die

vorgesehenen Empfänger weitergeleiteten Beträge von der Klagesumme

hätten abgezogen werden müssen. Aus dieser objektiven

Fehleinschätzung - die auch dem Arbeitsgericht bei der

Schlüssigkeitsprüfung nicht aufgefallen ist - lässt sich indes

nicht der Vorwurf sittenwidrigen Handelns herleiten.

b) Aufgrund der besonderen Umstände des

Falles ist die Klägerin aber nach Treu und Glauben gehindert, das

Versäumnisurteil in der vorgesehenen Weise auszunutzen. Ihr ist

zuzumuten, die ihr durch das unrichtige Versäumnisurteil unverdient

zugefallene Rechtsposition aufzugeben, weil sie diese durch die mit

Rechtsanwalt B. getroffene Vereinbarung faktisch und durch die

jetzt ohne Gegenleistung erklärte Abtretung auch rechtlich bereits

aufgegeben hat; mit der Klage wird lediglich der Zufluss der

Urteilssumme an Rechtsanwalt B. erstrebt, obwohl dieser darauf

keinen von der Rechtsordnung gebilligten Anspruch hat, er vielmehr

eine von der von ihm anwaltlich beratenen Klägerin geräumte

Rechtsposition ausschließlich zum eigenen Vorteil ausnutzen

will.

(1) Die Klägerin hat in dem

Senatstermin vom 16.12.1998 ausdrücklich klargestellt, dass die

Regressforderung, welche im vorliegenden Rechtsstreit zugesprochen

wird, an Rechtsanwalt B. gehe, der auch das Kostenrisiko des

Rechtsstreits trage (Bl. 457 d.A.). Im Hinblick auf die insoweit in

dem Senatstermin vom 16.12.1998 im Raum stehenden Bedenken, haben

die Klägerin und Rechtsanwalt B. schriftlich die Abtretung der

Klageforderung vereinbart (Bl. 467 d.A.). In § 3 der Urkunde heißt

es:

"Im Innenverhältnis führt Rechtsanwalt

B. den Regreßprozeß vor dem OLG Köln auf seine Chancen und Risiken.

Er hatte die Idee zu dem betreffenden Vorgehen, insbesondere nach

dem Studium der Entscheidung BGH NJW 96 Seite 48. S [d.i. der

Geschäftsführer der Klägerin] erschien dieses Vorgehen zu

kompliziert. Die Forderungen gegen M aus dem Versäumnisurteil waren

intern niedergeschlagen, dies ohne jeden Rechtsverzicht nach außen

...".

Mit der Pfändung des gegen die Beklagte

gerichteten Anspruchs und dessen prozessualer Durchsetzung soll

mithin eine Zahlung der Beklagten (bzw. ihres

Haftpflichtversicherers) an Rechtsanwalt B. erreicht werden, die

mit dem ursprünglichen Anlassfall nur noch formelle

Anknüpfungspunkte aufweist. Weder soll durch die beabsichtigte

Verurteilung ein dem M. tatsächlich entstandener finanzieller

Schaden ausgeglichen werden, noch soll die aufgrund der

rechtskräftigen Verurteilung des M. der Klägerin als Titelgläubiger

zustehende Forderung zu deren Gunsten realisiert werden. Die

Klägerin nimmt - über die Wirkungen des § 265 ZPO hinaus - eine nur

formale Parteistellung ein, weil sie wirtschaftlich weder an den

Risiken noch am Erfolg des Rechtsstreits beteiligt ist. Der

Geschäftsführer der Klägerin hat dem Senat erklärt, die Führung des

Prozesses sei ihm "eigentlich unangenehm", ihm gehe es nur um die

Aufklärung der ihm eigentlich gegen M. zustehenden Forderung

(Protokoll vom 16.12.1998, Seite 4 = Bl. 456R d.A.).

(2) Nach Ansicht des Senats wäre es mit

dem Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar, der Klage unter

den gegebenen Umständen stattzugeben. Ein zusprechendes Urteil käme

der Klägerin wirtschaftlich nicht zugute. Es ist auch sonst nicht

ersichtlich, welche Vorteile die Klägerin aus dem vorliegenden

Rechtsstreit sollte ziehen können. Sowohl die Forderung gegen M.

aus dem Versäumnisurteil als auch die gepfändete Forderung gegen

die Beklagte hat aufgrund der Vereinbarungen mit dem Zeugen B.

verloren. Die erstrebte Bereicherung des Zeugen B. hat nicht nur im

materiellen Recht keine Grundlage, sondern ist grundsätzlich zu

missbilligen.

Dabei kann dahinstehen, innerhalb

welcher Grenzen ein Rechtsanwalt auf die Entscheidung des

Mandanten, eine bestehende Rechtsposition nicht durchsetzen zu

wollen, Einfluss nehmen darf. Dahinstehen kann auch, innerhalb

welcher Grenzen ein Rechtsanwalt das Verhalten des Mandanten zum

Anlass nehmen darf, aus den ihm zugewachsenen Informationen

persönliche Vorteile zu ziehen. Jedenfalls ist es aber nicht zu

billigen, dass ein Rechtsanwalt den Mandanten dazu anhält, eine

formale Parteistellung einzunehmen, um die Durchsetzung eines als

unrichtig erkannten rechtskräftigen Titels ausschließlich zum

Vorteil des Anwalts zu ermöglichen. Ein solches Vorgehen ist

bereits mit der Stellung des Anwalts als Organ der Rechtspflege (§

1 BRAO) schwerlich zu vereinbaren.

Auch treffen die Gründe, aus denen der

Schutz der Rechtskraft in der Regel über die materielle

Gerechtigkeit gestellt wird, bei einer solchen Fallgestaltung nicht

zu. Die Rechtskraft dient der Rechtssicherheit und dem

Rechtsfrieden. Dies gilt zum einen in Bezug auf die in Frage

stehenden subjektiven Rechte. Mit der Rechtskraft des zwischen den

Parteien ergangenen Urteils sollen deren Beziehungen hinsichtlich

des streitigen Rechtsverhältnisses endgültig geregelt sein. Diesem

Gesichtspunkt kommt dann keine Bedeutung zu, wenn die begünstigte

Partei die titulierte Forderung aus welchen Gründen auch immer aus

freiem Willen und im Widerspruch zu der rechtskräftig

festgestellten Rechtsfolge auf Dauer "niederschlägt", also faktisch

nicht durchsetzen und auch keinen Ersatz von dem verantwortlichen

Rechtsanwalt des ehemaligen Prozessgegners verlangen will.

Rechtsanwalt B. kann sich als Zessionar auf die parteigerichteten

Wirkungen der Rechtskraft nicht mit Erfolg berufen, weil ihm der

Sachverhalt in vollem Umfang bekannt war und die ihm unverdient

zugefallene Rechtsposition keinen Schutz verdient.

Die Rechtskraft dient zum anderen dem

öffentlichen Interesse, weil sie eine erneute Inanspruchnahme der

Justiz wegen desselben Streits oder wegen desselben Streitpunktes

als Vorfrage in anderem rechtlichen Zusammenhang verhindert,

möglicherweise auch, weil sie die Autorität des Staates und der

Gerichte fördert. Es ist indes nicht erkennbar, inwieweit dieses

öffentliche Interesse tangiert sein könnte, wenn der Klägerin im

Streitfall die Ausnutzung des Versäumnisurteils versagt wird. Die

Entscheidung der Klägerin, von einer Durchsetzung möglicher

Ansprüche gegen M. und auch gegen die Beklagte abzusehen, trug

nicht nur der materiellen Rechtslage Rechnung , sondern war auch

geeignet, den von der Rechtsordnung erstrebten Rechtsfrieden

herzustellen. Das Vorgehen des Zeugen B. läuft dem zuwider, da er

die Klägerin zur (formalen) Führung eines eigentlich ungewollten

und damit auch objektiv unnötigen Rechtsstreits veranlasste. Es

kann nicht im öffentlichen Interesse liegen, dass ein

Rechtspflegeorgan aus vermeintlich besserer Erkenntnis einen von

dem - vorgeschobenen - Betroffenen nicht gewollten Streit alleine

zum eigenen Nutzen ausficht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der

geltend gemachte Anspruch allein auf Ausnutzung eines

rechtskräftigen Urteils beruht, dessen Unrichtigkeit sich

inzwischen herausgestellt hat. In diesem Fall gebietet es das

öffentliche Interesse geradezu, dass der Anwalt den von dem

Mandanten gewollten Rechtsfrieden respektiert und die Integrität

und das Ansehen der Rechtspflegeorgane nicht durch die Ausnutzung

einer formalen Rechtsposition allein zum eigenen Vorteil in ein

falsches Licht bringt.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf

§ 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige

Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Beschwer der Klägerin übersteigt

60.000,00 DM.

Berufungsstreitwert: 279.647,56 DM






OLG Köln:
Urteil v. 27.10.1999
Az: 11 U 65/97


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/24559dbe492a/OLG-Koeln_Urteil_vom_27-Oktober-1999_Az_11-U-65-97




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