Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 19. November 2010
Aktenzeichen: 6 U 38/10
(OLG Köln: Urteil v. 19.11.2010, Az.: 6 U 38/10)
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln vom04.02.2010 - 81 O 119/09 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird:
Der Rechtsstreit ist im Umfang der erstinstanzlichen Verurteilung der Beklagten in der Hauptsache erledigt.
Auf die Berufung des Klägers wird das vorgenannte Urteil im Umfang der erstinstanzlichen Klageabweisung teilweiseabgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagten wird untersagt, im geschäftlichen Verkehr im Internet und/oder über Telekommunikationsanlagenfür die Zusammenführung von Spielinteressenten zu Spielgemeinschaften zum Deutschen Lotto- und Toto-Block zuwerben, und zwar hinsichtlich der Internetwerbung wie in der nachfolgend wiedergegebenen Anlage K 5 geschehen undhinsichtlich der Telekommunikationsanlagen wie in der nachfolgend wiedergegebenen Anlage K 3 schriftlich bestätigt.
Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 € (ersatzweiseOrdnungshaft bis zu sechs Wochen) oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten angedroht.
Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden,die gegenüber dem Unterlassungsanspruch 30.000,00 € und im Übrigen 110 % des auf Grund des Urteilsvollstreckbaren Betrages beträgt, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung des UnterlassungsanspruchsSicherheit in gleicher Höhe und im Übrigen Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckendenBetrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der klagende Verbraucherschutzverein wurde durch eine Beschwerde darauf aufmerksam, dass die Beklagte im Januar 2009
Frau I aus F durch eine Call-Center-Agentin anrufen ließ und anschließend mit Schreiben vom 28.01.2009 (Anlage
K 3) als neue Kundin begrüßte; nachdem Frau I dem widersprochen hatte, erhielt sie im Februar einen weiteren
Anruf und im Anschluss daran ein gleichlautendes Schreiben vom 18.02.2009. Wegen dieses Vorgangs und einer am 23.05.2009
im Internet abrufbaren Werbung der Beklagten, in der davon die Rede ist, "günstig Samstagslotto zu spielen und
… Trefferchancen zu maximieren" (Anlage K 5), hat der Kläger die Beklagte nach fruchtloser Abmahnung
(Anlage K 6) zum einen wegen eines Verstoßes gegen § 7 Abs. 2 Nr. 2 UWG und zum anderen wegen Verletzung von
§ 5 Abs. 3 des Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV) in Verbindung mit § 4 Nr. 11 UWG auf Unterlassung
in Anspruch genommen (S. 4 und 5 der Klageschrift). Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und sich mit
Rechtsausführungen sowie der Behauptung verteidigt, der telefonischen Kontaktaufnahme zu Frau I habe ihre vom Vermieter
des Adressmaterials bestätigte Einwilligung zu Grunde gelegen. Mit dem angefochtenen Urteil, auf das Bezug genommen
wird, hat das Landgericht die Beklagte nach dem ersten der beiden Unterlassungsanträge verurteilt, den wiederholt
umformulierten zweiten Unterlassungsklageantrag dagegen abgewiesen.
Gegen das Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt, mit der sie jeweils im Umfang ihres Unterliegens ihr
erstinstanzliches Begehren weiter verfolgen. Der Kläger hat in der Berufungsverhandlung vom 11.06.2010 seine
Anträge nochmals modifiziert. Nach Anordnung einer Beweisaufnahme über die nach Behauptung der Beklagten von Frau
I erteilte Einwilligung hat die Beklagte gegenüber der Klägerin - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht - eine
strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben. Der Kläger hat darauf den Rechtsstreit in der Hauptsache
bezüglich des bisherigen ersten Klageantrags für erledigt erklärt; nachdem die Beklagte der
Erledigungserklärung widersprochen hat, beantragt er, insoweit die Erledigung der Hauptsache festzustellen. Soweit
das Landgericht seine Klage abgewiesen hatte, beantragt er, das Urteil dahin abzuändern, dass der Beklagten bei
Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zusätzlich untersagt wird,
im geschäftlichen Verkehr im Internet und/oder über Telekommunikationsanlagen für die Zusammenführung
von Spielinteressenten zu Spielgemeinschaften zum deutschen Lotto- und Toto-Block zu werben, und zwar hinsichtlich der
Internetwerbung wie in Anlage K 5 geschehen und hinsichtlich der Telekommunikationsanlagen wie in der Anlage K 3 schriftlich
bestätigt.
Die Beklagte, die insoweit das angefochtene Urteil verteidigt, beruft sich ergänzend darauf, dass das Werbeverbot
aus § 5 Abs. 3 GlüStV wegen inkohärenter Ausgestaltung des Glücksspielwesens in Deutschland - sie
führt dies näher aus - nach vorrangigem Gemeinschaftsrecht unanwendbar sei.
II.
Von den zulässigen Berufungen beider Parteien hat nur die des Klägers in der Sache Erfolg.
1. Soweit das Landgericht den Beklagten verurteilt hat, es zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr Verbraucher unter deren privaten Telefonanschlüssen anzurufen oder anrufen zu lassen,
um diesen die entgeltliche Vermittlung der Teilnahme an Gewinnspielgemeinschaften anzubieten, sofern der Beklagten eine
vorherige Einwilligung des angerufenen Verbrauchers zu einem derartigen Werbeanruf nicht vorliegt,
war gemäß dem Antrag des Klägers in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Senat die Erledigung
des Rechtsstreits in der Hauptsache festzustellen, nachdem die Beklagte sich gegenüber der Klägerin bei Meidung
einer Vertragsstrafe verpflichtet hat, es zu unterlassen,
Werbung mit einem Telefonanruf gegenüber einem Verbraucher ohne dessen vorherige ausdrückliche Einwilligung zu
betreiben, wie in dem durch Anlage K 3 bestätigten Telefonat geschehen.
Denn durch diese Erklärung war ein Klagebegehren gegenstandslos geworden, das sich bis dahin als zulässig und
begründet darstellte.
a) Mit ihrer Berufung hat die Beklagte zwar in Abrede gestellt, dass Frau I angerufen worden sei, um ihr die entgeltliche
Vermittlung der Teilnahme an Gewinnspielgemeinschaften anzubieten, so dass es für den in erster Instanz titulierten
Unterlassungsanspruch an einer Begehungsgefahr fehle. Für die Begründetheit des Klageantrags kam es indes auf
diesen Aspekt gar nicht an. Denn er richtete sich - wie vom Landgericht zutreffend bemerkt - auf Untersagung von
Telefonwerbung ohne vorherige Einwilligung des Verbrauchers, nicht aber auf Untersagung von Telefonanrufen mit einem
bestimmten Inhalt. Der vom Kläger geltend gemachte Verstoß gegen § 5 Abs. 3 GlüStV in Verbindung mit
§ 4 Nr. 11 UWG, der im angefochtenen Urteil ebenfalls in diesem Zusammenhang behandelt worden ist, liegt bei
sachgerechtem Verständnis der Klageschrift (S. 5) nur dem (sonst überflüssigen) zweiten Klageantrag, nicht
dem ersten, der Tenorierung des Landgerichts entsprechenden Antrag zu Grunde. Soweit dieser den Inhalt des Telefonats in
knapper Form zu umschreiben versucht hat, sollte damit das erstrebte Verbot nicht (kumulativ) an eine zusätzliche
Bedingung geknüpft werden. Wie der Kläger in der Berufungsverhandlung vom 11.06.2010 klargestellt hat, ging es
ihm vielmehr um eine Orientierung des Antrags an der konkreten Verletzungsform; den Tenor des angefochtenen Urteils bat er
daher sinngemäß so verstehen, dass es dem Beklagten untersagt sei,
im geschäftlichen Verkehr Verbraucher unter deren privaten Telefonanschlüssen anzurufen oder anrufen zu
lassen, sofern eine vorherige Einwilligung des angerufenen Verbrauchers zu einem derartigen Werbeanruf nicht vorliegt, wie
in dem durch die Anlage K 3 bestätigten Telefonat.
Eine Klageänderung (§§ 263, 533 ZPO) lag in dieser Bezugnahme auf das urkundlich belegte Telefonat mit
Frau I (unter gleichzeitigem Verzicht auf den Versuch einer abstrakten Beschreibung des Gesprächsinhalts) ebenso wenig
wie eine (kosten-) relevante Teilreduzierung des klägerischen Rechtsschutzbegehrens. Denn dass der vom Kläger
verfolgte Verletzungsunterlassungsanspruch seit Beginn des Prozesses an den von Frau I mitgeteilten Sachverhalt
anknüpfte, ohne ein bewusst abstrakt formuliertes Charakteristikum der Verletzungshandlung gerade in dem Umstand
sehen zu wollen, dass ihr eine entgeltliche Vermittlung der Teilnahme an Gewinnspielgemeinschaften angeboten worden sei,
unterliegt nach dem Inhalt der vorgerichtlichen Abmahnung (Anlage K 6) und der Klageschrift (S. 3) keinem Zweifel. Da
entgegen der Auffassung der Beklagten keine Auswechslung des Streitgegenstandes stattgefunden hat, geht ihre
Verjährungseinrede gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ins Leere.
b) Nach dem vom Senat zu Grunde zu legenden Sachverhalt stand dem Kläger der so verstandene Anspruch auch aus
§§ 7 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 3 UWG zu. Die Anrufe der im Auftrag der Beklagten handelnden
Call-Center-Agentin sind unstreitig. Soweit sie eine vor Anmietung des Adressmaterials erklärte Einwilligung von Frau I
behauptet hat, ist sie dafür zu ihrem prozessualen Nachteil (vgl. BGH, GRUR 2004, 517 [519] - E-Mail-Werbung)
beweisfällig geblieben, ohne dass es darauf ankommt, warum sie den für den Zeugen eingeforderten Auslagenvorschuss
nicht bezahlt und die Unterlassungserklärung abgegeben hat.
Eine gemäß § 8 Abs. 4 UWG unzulässige Rechtsverfolgung des Klägers lag nicht vor, wie bereits
das Landgericht richtig ausgeführt hat. Die gleichzeitige Kontrolle dreier Formularklauseln der Beklagten (Senatsurteil
vom 02.07.2010 - 6 U 19/10 = 26 O 294/09 LG Köln) betraf einen anderen, in die ausschließliche Zuständigkeit
der Zivilkammer fallenden prozessualen Anspruch, dessen getrennte Verfolgung keine unzumutbaren Mehrkosten begründet
hat und nicht missbräuchlich ist (vgl. BGH, GRUR 2010, 454 = WRP 2010, 640 [Rn. 19 ff.] - Klassenlotterie). Von
diskriminierender Inanspruchnahme der Beklagten kann angesichts des eindeutigen Wettbewerbsverstoßes keine Rede sein,
zumal der Kläger nachweislich (Anlagen K 8 / 9) trotz Finanzierung durch das Land Baden-Württemberg auch gegen
die U GmbH dieses Landes vorgeht.
2. Die Berufung des Klägers erweist sich auf der Grundlage seines im Berufungsrechtszug nur redaktionell noch
einmal modifizierten zweiten Klageantrags aus §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 und 3 Nr. 3 UWG i.V.m. § 5 Abs. 3
GlüStV als begründet.
a) Dafür war anders als für das vom Landgericht zitierte Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom
12.11.2008 - VI - U (Kart) 10/08 - nicht entscheidend, ob die Beklagte auf Grund ihrer Unternehmenstätigkeit als
gewerbliche Spielevermittlerin im Sinne von § 3 Abs. 6 Nr. 2 GlüStV anzusehen ist. Dass der entsprechende Zusatz
im ursprünglichen Klageantrag entfallen könne, hat der Kläger schon früh klar gestellt (Bl. 27/28 d.A.).
Erkennbar erstrebte er mit seinem selbständigen zweiten Klageantrag (neben dem auf § 7 UWG gestützten ersten
Antrag) von Anfang an ein isoliertes Verbot unter dem Gesichtspunkt des § 5 Abs. 3 GlüStV; dieser Tatbestand
setzt jedoch keine bestimmte Qualifikation des Werbenden (etwa die eines gewerblichen Spielevermittlers), sondern
lediglich ein bestimmtes Verhalten (nämlich Werbung für öffentliches Glücksspiel im Internet sowie
über Telekommunikationsanlagen) voraus. Die weitere Modifizierung des Antrags in zweiter Instanz verdeutlichte seine
Orientierung an der konkreten Verletzungsform nicht allein in Bezug auf die Internetwerbung (Anlage K 5, wie bereits in
erster Instanz klargestellt), sondern auch in Bezug auf die durch das Bestätigungsschreiben der Beklagten (Anlage
K 3) inhaltlich charakterisierte Telefonwerbung. Eine Klageänderung oder Teilrücknahme lag darin - wie für
den ersten Klageantrag oben zu Nr. 1 lit. a erörtert - nicht.
b) Die für die wettbewerbsrechtliche Bewertung maßgebliche Vorschrift des § 4 Nr. 11 UWG hat durch die
Umsetzung der (UGP-) Richtlinie 2005/29/EG mit der UWG-Novelle 2008 keine Änderung erfahren und bleibt auf nationale
Regeln für das Verhalten am Glücksspielmarkt jedenfalls insoweit anwendbar, als diese mit höherrangigem
Gemeinschaftsrecht vereinbar sind (BGH, MMR 2010, 547 [Rn. 11] - Sportwetten im Internet). Das landesrechtlich (in
Nordrhein-Westfalen durch Art. 1 des Gesetzes vom 30.10.2007, GV.NRW S. 445) in Kraft gesetzte Verbot, für
öffentliches Glücksspiel im Internet und über Telekommunikationsanlagen zu werben (§ 5 Abs. 3
GlüStV), regelt das Marktverhalten; seiner Anwendbarkeit im Streitfall steht vorrangiges europäisches Recht
nicht entgegen.
aa) Der Glücksspielsektor ist europarechtlich nicht harmonisiert, nationale Regelungen sind insoweit nur an
primärem Gemeinschaftsrecht zu messen (EuGH, Urt. v. 08.09.2009 - C 42/07 - Liga Portuguesa [Rn. 69 ff.]; Urt. v.
03.06. 2010 - C 203/08 - betfair [Rn. 33 ff.], Urt. v. 03.06.2010 - C 258/08 - Ladbrokes [Rn. 54 ff.]; Urt. v. 08.07.2010
- C 447/08 - Sjöberg/Gerdin [Rn. 35 ff.]). In Bezug auf die angegriffene Werbung der Beklagten fehlt es bereits an
einem grenzüberschreitenden Sachverhalt, auf Grund dessen das Werbeverbot aus § 5 Abs. 3 GlüStV am
Maßstab der - hier allein in Betracht kommenden - Bestimmungen des EG-Vertrages über die Freiheit des
Dienstleistungsverkehrs (Art. 49 EGV) oder die Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) zu überprüfen sein
könnte.
Neben Tätigkeiten, die Nutzern die Teilnahme an einem Geldspiel gegen Entgelt ermöglichen, können die
Werbung für Geldspiele und ihre Vermittlung Dienstleistungen im Sinne von Art. 49 EGV darstellen und in dessen
Anwendungsbereich fallen, wenn der Leistungserbringer in einem anderen Mitgliedstaat als dem niedergelassen ist, in dem
die Leistung angeboten wird, es sei denn dass Art. 43 EGV Anwendung findet (EuGH, Urt. v. 24.03.1994 - C-275/92 - Schindler
[Rn. 22 f., 25]; Urt. v. 21.10.1999 - C-67/98 - Zenatti [Rn. 24]; Urt. v. 08.09.2010 - C-409/06 - Winner Wetten [Rn.43 f.];
C-316/07 - N Tu.a. [Rn. 56 f.]; vgl. Urt. v. 06.11.2003 - C-243/01 - Gambelli u.a. [Rn. 53 f.]; Urt. v. 08.09.2010
- C-46/08 - D N [Rn. 40 f.]). Nach Art. 43 EGV darf die Niederlassung von EU-Bürgern einschließlich der
Gründung von Tochtergesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat nicht beschränkt und die
grenzüberschreitende Tätigkeit ihrer Agenturen und Zweigniederlassungen nicht unverhältnismäßig
behindert werden (vgl. Urteile Gambelli [14; 45 f.]; Winner Wetten [Rn.45 ff.] und N T u.a. [Rn. 58 ff.]).
Im Streitfall hat eine in Deutschland niedergelassene und im Handelsregister A des Amtsgerichts Köln zu Nr. ...1
eingetragene Personengesellschaft - die Beklagte - in deutscher Sprache telefonisch gegenüber einer Deutschen sowie
gegenüber den Lesern ihrer Internetseite mit der Top-Level-Domain "de" dafür geworben, sie in einer
bestimmten Art und Weise an Ausspielungen des Deutschen Lotto- und Toto-Blocks zu beteiligen (vgl. Anlagen K 3 und 5).
Bei dieser Sachlage besteht kein Bezug zur europäischen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Er lässt
sich auch nicht daraus ableiten, dass die Komplementärin der Beklagten eine britische Gesellschaft mit beschränkter
Haftung ("Ltd.") ist und die Beklagte - wie im Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 12.11.2008
- VI - U (Kart) 10/08 (Anlage 2.1, Bl. 12 ff., 16 AH) beschrieben und in ihren Bestätigungsschreiben (Anlage K 3)
angedeutet - als Vermittlerin der zypriotischen G Ltd. handeln mag. Denn die Rechtsform und der Sitz dieser anderen
Gesellschaften allein, zu denen die Beklagte Beziehungen unterhält, stellt nach Auffassung des Senats keinen
hinreichenden Grund dar, in Bezug auf die von ihr selbst ohne jede Auslandsberührung getätigte Werbung einen
grenzüberschreitenden Sachverhalt anzunehmen und das Verhalten der Beklagten nach anderen als den für
Inländer geltenden Regeln zu beurteilen.
bb) Im Ergebnis würde sich daran auch nichts ändern, wenn der Sachverhalt Anlass für eine Anwendung des
Gemeinschaftsrechts böte; erst recht folgt aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 08.09.2010
(X X, N T u.a. und D N) entgegen dem durch erste Pressemeldungen möglicherweise hervorgerufenen Eindruck nicht, dass
das deutsche Glücksspielrecht insgesamt europarechtswidrig und fortan öffentliches Glücksspiel und die
Werbung dafür in Deutschland unbeschränkt zulässig wäre. Es kann insbesondere keine Rede davon sein,
dass die von allen Glücksspielanbietern - in öffentlicher oder privater Trägerschaft - zu beachtenden
allgemeinen Regeln wie das hier in Rede stehende Werbeverbot nach § 5 Abs. 3 GlüStV durch vorrangige
europarechtliche Normen suspendiert wären.
Wie der Senat zwischenzeitlich in einem anderen anhängigen Berufungsverfahren (X Co Ltd. u.a. ./. Y M - 6 U 25/10)
als seine vorläufige Auffassung zum Ausdruck gebracht hat (Hinweisbeschluss vom 12.11.2010; vgl. zum Ganzen auch OVG
Lüneburg, Beschl. v. 11.11.2010 - 11 MC 429/10; OVG Münster, Beschl. v. 15.11.2010 - 4 B 733/10), ist den
vorgenannten Vorlageentscheidungen des Europäischen Gerichtshofs eine so weitreichende Wirkung schon deshalb nicht
beizumessen, weil dieser keine eigenen Feststellungen zu den maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen
treffen konnte und entgegen der Annahme der vorlegenden Gerichte zum Zeitpunkt ihres Vorabentscheidungsersuchens derzeit
nicht davon auszugehen ist, dass die staatlichen Stellen in Deutschland auf dem Glücksspielsektor - von der
Rechtsprechung des Gerichtshofs und vom Sportwettenurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 115, 276 = GRUR 2006, 688)
unbeeindruckt - eine Politik der Angebotsausweitung verfolgen. Weder die gerade im Hinblick auf einen erhöhten
Spielerschutz erfolgte Änderung der für gewerbliche Automatenspiele maßgebenden Spielverordnung (vgl. dazu
BR-Drs. 655/05, S. 9 ff) noch die im Gesamtvergleich geringen Marktanteile der staatlich konzessionierten Spielkasinos und
Anbieter von Pferdewetten belegen eine expansive Tendenz. Hinzu kommt, dass der Gerichtshof zwar das Erfordernis einer
insgesamt kohärenten Regelung betont, aber zugleich auf Differenzierungsmöglichkeiten hingewiesen hat, die sich
aus dem Ermessen der Mitgliedsstaaten bei der Bestimmung des Niveaus des Verbraucherschutzes und des Schutzes der
Sozialordnung im Glücksspielsektor ergeben (Urteile N T u.a. [Rn. 76 ff.] und D N [45 f., 104]). In Bezug auf das
Anbieten von Glücksspielen über das Internet hat er wegen dessen anders gearteter und größerer Gefahren
ausdrücklich anerkannt, dass besondere beschränkende Regelungen der Mitgliedstaaten als zur Verfolgung legitimer
Ziele geeignet angesehen werden können, auch wenn das Anbieten solcher Spiele über herkömmlichere Kanäle
zulässig bleibt (Urteil D N [Rn. 100 ff., 105, 111]).
Dass solche legitimen Ziele von den staatlichen Stellen in Wahrheit nicht verfolgt oder systematisch in einer Weise
umgangen würden, die zur Unwirksamkeit der Gesamtregelung führen müssten, kann nicht aus einer mangelhaften
Umsetzung der beschränkenden rechtlichen Rahmenbedingungen abgeleitet werden. Soweit die in öffentlicher
Trägerschaft befindlichen Glücksspielanbieter - wie die Beklagte mit Schriftsatz vom 29.09.2010 geltend macht -
seit Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages auf Antrag privater Wettbewerber vielfach von Zivilgerichten wegen
Verstoßes gegen Werbebeschränkungen aus § 5 GlüStV verurteilt oder mit einstweiligen Verfügungen
belegt worden sind, folgt daraus nach Auffassung des Senats gerade die Effizienz der Regelung und ihrer Durchsetzung mit
Hilfe der Wettbewerbsgerichte; inwieweit auch eine Kontrolle von Werbemaßnahmen durch die Aufsichtsbehörden
stattfindet, erscheint daneben irrelevant. Die nicht weiter belegte Behauptung der Beklagten, dass die Entscheidungen der
Gerichte trotz darin angedrohter Ordnungsmittel wirkungslos blieben, vermag der Senat um so weniger nachzuvollziehen, als
ihm in dem oben genannten Berufungsverfahren ein Schreiben vorgelegt worden ist, in dem der Präsident einer
Lottogesellschaft auf die Gefahr hinweist, persönlich wegen einer bestimmten Art von Werbung in Ordnungshaft
genommen zu werden. Auch aus der behaupteten Erhöhung der Werbeausgaben der staatlichen oder staatlich beherrschten
Anbieter allein kann nicht auf eine systematische Missachtung der mit dem Glücksspielstaatsvertrag in Kraft getretenen
Werbebeschränkungen geschlossen werden, zumal die Beklagte selbst vorträgt (S. 16 ihres Schriftsatzes vom
29.09.2010), dass die Unternehmen des Deutschen Lotto- und Toto-Blocks die Art ihrer Werbung aus Rechtsgründen
umgeschichtet hätten.
c) Die vom Kläger mit seinem zweiten Klageantrag angegriffene Werbung der Beklagten ist - unbeschadet der Frage,
ob auch andere, insbesondere staatliche oder staatlich beherrschte Glückspielanbieter in vergleichbar verbotener
Weise werben - als wettbewerbsrechtlich relevanter Verstoß gegen die Regel des § 5 Abs. 3 GlüStV zu
bewerten.
Unstreitig hat eine Call-Center-Agentin in ihrem Auftrag (§ 8 Abs. 2 UWG) bei der Verbraucherin I über das
Telefonnetz angerufen, um für ein Angebot zu werben, das die Beklagte in ihrer schriftlichen Bestätigung als
"Freizeitgestaltung, insbesondere um günstig Lotto zu spielen und dabei Ihre Gewinnchancen zu maximieren"
beschrieben hat; fast wortgleich hat sie im Internet auf ihr Angebot hingewiesen. Die darin liegende Werbung betrifft
"öffentliches Glücksspiel" (§ 3 Abs. 1 und 2 GlüStV) unabhängig davon, ob die Beklagte
insoweit selbst als Veranstalter oder gewerblicher Spielevermittler oder lediglich als sonstige Dienstleisterin tätig
wird. Denn auch wenn ihre eigene Tätigkeit neben der Werbung nur darin bestehen mag, Interessenten in Kontakt zu
Gesellschaften bürgerlichen Rechts zu bringen, die als Spielgemeinschaften zum Deutschen Lotto- und Toto-Block
fungieren, indem ihre Beauftragten jeweils vor der samstäglichen Ziehung der Lottozahlen Systemlottoscheine
ausfüllen und ihre Gesellschafter nach der Ziehung an den erspielten Gewinnen beteiligt werden, so bezieht sich
die Werbung doch eindeutig auf eine bestimmte - mittelbare - Art der Teilnahme am Lottospiel und damit auf ein
öffentliches Glückspiel. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte für ihre Dienstleistung gerade mit
aleatorischen Reizen, nämlich einer Maximierung von Gewinnchancen, wirbt.
Das Werbeverbot des § 5 Abs. 3 GlüStV dient objektiv dem Zweck, eine Animierung der Verbraucher zur
Glücksspielteilnahme über das Telefon oder das Internet - wegen des besonderen Gefährdungspotentials
dieser Medien - zu verhindern. Wie das Landgericht in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils - unter
Nr. 2 - bereits zutreffend ausgeführt hat, stellt sich diese Gefährdungslage nicht grundsätzlich anders
dar, wenn dem Verbraucher telefonisch oder im Internet ein Service angeboten wird, der die Teilnahme am Lottospiel für
ihn wesentlich einfacher und attraktiver gestalten soll.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Schwerpunkt der Entscheidung ist die tatrichterliche Rechtsanwendung im Einzelfall; ungeklärte
Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung werden damit nicht aufgeworfen, so dass kein Anlass bestand, gemäß
§ 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen.
Wert des Berufungsverfahrens:
bis zum 28.09.2010
wie im Beschluss vom 19.04.2010 festgesetzt:
für beide Berufungen 30.000,00 €,
insgesamt 60.000,00 €;
danach
für die Berufung des Klägers 30.000,00 €
für die Berufung der Beklagten die darauf bis dahin angefallenen Kosten,
insgesamt bis 40.000,00 €.
OLG Köln:
Urteil v. 19.11.2010
Az: 6 U 38/10
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/24632579d05e/OLG-Koeln_Urteil_vom_19-November-2010_Az_6-U-38-10