Bundesgerichtshof:
Urteil vom 3. Mai 2011
Aktenzeichen: X ZR 59/08

(BGH: Urteil v. 03.05.2011, Az.: X ZR 59/08)

Tenor

Die Berufung gegen das am 23. Januar 2008 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenat) des Bundespatentsgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des europäischen Patents 1 169 884 (Streitpatent), das am 21. Oktober 1999 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 199 17 584 vom 19. April 1999 angemeldet worden ist, und das einen Flächenlautsprecher und ein Verfahren zum Betreiben eines solchen betrifft. Die Patentansprüche 1 und 4 des in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlichten Streitpatents lauten wie folgt:

"1. Verfahren zum Betreiben eines Flächenlautsprechers (1), bei dem mindestens eine Schwingspule (3, 4) auf eine plattenför-1 mige Fläche (2) mit vorbestimmten Materialeigenschaften aufgebracht ist, über die durch eine Schallquelle (7) elektrisch angeregte(n) Schwingspule(n) (3, 4) zum Schwingen angeregt Schall abgestrahlt wird, dadurch gekennzeichnet, dass der akustische Frequenzgang dieses Flächenlautsprechers (1) gemessen und seine Frequenzkurve ermittelt wird, dass für diese Frequenzkurve die dazu inverse Frequenzkurve ermittelt wird, dass diese inverse Frequenzkurve in einer Filtereinrichtung (8) als deren Übertragungsfunktion nachgebildet wird und dass mittels der im Betriebszustand zwischen die Schallquelle (7) und den Flächenlautsprecher (1) geschalteten Filtereinrichtung (8) aufgrund deren Übertragungsfunktion der Frequenzgang des Flächenlautsprechers kompensiert wird.

4. Flächenlautsprecher mit mindestens einer Schwingspule (3, 4), die auf eine plattenförmige Fläche (2) mit definierten Materialeigenschaften aufgebracht ist und die, durch elektrische Tonsignale angeregt, diese Fläche (2) zur Schallabstrahlung in Schwingungen versetzt, dadurch gekennzeichnet, dass der mindestens einen Schwingspule (3, 4) eine Filtereinrichtung (8) für die Tonsignale vorgeschaltet ist, deren Übertragungsfunktion zu dem Frequenzgang des Flächenlautsprechers (1) invers ausgebildet ist."

Wegen der weiteren Patentansprüche wird auf die Patentschrift verwiesen.

Das Patentgericht hat das Streitpatent mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland in vollem Umfang für nichtig erklärt, weil es dessen Gegenstand gegenüber dem Stand der Technik, als den es die geänderte europäische Patentschrift 847 661 B2 (N1) und die deutsche Offenlegungsschrift 41 11 276 (N3) herangezogen hat, nicht als patentfähig angesehen hat.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie das Patent in seiner erteilten Fassung, hilfsweise eingeschränkt, verteidigt. 2 Nach den Hilfsanträgen I und I' sollen in Patentanspruch 1 vor die Worte "für diese Frequenzkurve die dazu inverse Frequenzkurve ermittelt wird" und/oder in Patentanspruch 4 nach den Worten "dass der mindestens einen Schwingspule (3, 4)," die Worte eingefügt werden:

", zur Erhöhung des Freiheitsgrades in Form- und Materialauswahl und zur Anpassung an einen Anwendungsfall,"

Nach den Hilfsanträgen II und II' sollen in Patentanspruch 1 vor die Worte "für diese Frequenzkurve die dazu inverse Frequenzkurve ermittelt wird" und/oder in Patentanspruch 4 nach den Worten "dass der mindestens einen Schwingspule (3, 4)," die Worte eingefügt werden:

", in Abkehr zu einer konstruktiven Maßnahme, zur Erhöhung des Freiheitsgrades in Form- und Materialauswahl und zur Anpassung an einen Anwendungsfall,"

Nach den Hilfsanträgen III und III' sollen in Patentanspruch 1 und/oder in Patentanspruch 4 die Einfügungen gemäß den Hilfsanträgen II und II' sowie am Ende dieser beiden Patentansprüche jeweils die Worte eingefügt werden:

", wobei die Übertragungsfunktion der Filtereinrichtung durch digitale Filter nachgebildet wird und wobei ein digitaler Signalprozessor verwendet wird, der zur Anpassung der Funktion des digitalen Signalprozessors an verschiedene Materialien der schallabstrahlenden Fläche frei programmierbar ist."

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen. 5 Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr.-Ing. K. , W. , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Gründe

I. 1. Das Streitpatent beschreibt, dass Flächenlautsprecher u.a. aus der deutschen Patentschrift 484 872 seit langem bekannt sind. Bei einem Flächenlautsprecher ist mindestens eine nach dem elektrodynamischen Prinzip funktionierende Schwingspule auf eine plattenförmige Fläche gesetzt und dort mechanisch fixiert. Wird die Schwingspule von einem Schallgeber elektrisch angeregt, werden ihre Schwingungen auf die als Membran wirkende Fläche übertragen, die damit Schall abstrahlt. Als Flächenlautsprecher kann u.a. die Glasfläche eines Schaufensters benutzt werden. Infolge von Eigenresonanzen kann sich dabei ein Frequenzgang ergeben, der Nichtlinearitäten (wie überhöhte Wiedergabe im Bereich tiefer Töne; Klirrneigung) aufweist. Auch bei Anwendung von Maßnahmen zur elektronischen Kompensation dieser Nichtlinearitäten oder konstruktiven Maßnahmen zur Eliminierung systembedingter Nachteile von Flächenstrahlern seien nur gewisse Verbesserungen erzielt worden. Eine grundsätzliche Lösung, die dem Flächenlautsprecher ein breites Anwendungsspektrum erschlossen hätte, sei damit aber nicht erreicht worden.

Demgegenüber soll durch das Streitpatent ein Verfahren zur Verfügung gestellt werden, mit dem die Nichtlinearitäten im Frequenzgang der Flächenlautsprecher wenigstens so weit beherrscht werden, dass sich ein für den jeweiligen Anwendungsfall geeignetes und natürlich wirkendes Klangspektrum ergibt. 9 Weiterhin soll ein Flächenlautsprecher zur Verfügung gestellt werden, dessen elektroakustische Eigenschaften so optimiert sind, dass damit im einzelnen Anwendungsfall vorgegebene Anforderungen an die Güte der damit ausgeführten Beschallung erfüllt werden.

2. Hierfür sieht Patentanspruch 1 des Streitpatents ein Verfahren zum Betreiben eines Flächenlautsprechers vor, dessen Merkmale in Anlehnung an das Patentgericht wie folgt gegliedert werden können:

1. Auf eine plattenförmige Fläche mit vorbestimmten Materialeigenschaften wird mindestens eine Schwingspule aufgebracht.

2. Durch eine Schallquelle wird/werden die Schwingspule(n) elektrisch angeregt, so dass die zum Schwingen angeregte plattenförmige Fläche Schall abstrahlt.

3. Der akustische Frequenzgang dieses Flächenlautsprechers wird gemessen und seine Frequenzkurve wird ermittelt.

4. Die zu dieser Frequenzkurve inverse Frequenzkurve wird ermittelt.

5. Die inverse Frequenzkurve wird in einer Filtereinrichtung als deren Übertragungsfunktion nachgebildet.

6. Die Filtereinrichtung wird im Betriebszustand zwischen die Schallquellen und den Flächenlautsprecher geschaltet, so dass aufgrund deren Übertragungsfunktion der Frequenzgang des Flächenlautsprechers kompensiert wird.

Der Flächenlautsprecher nach Patentanspruch 4 weist folgende Merkmale auf: 12 a) mindestens eine Schwingspule, a1) die auf eine plattenförmige Fläche mit definierten Materialeigenschaften aufgebracht ist unda2) die, durch elektrische Tonsignale angeregt, diese Fläche zur Schallabstrahlung in Schwingungen versetzt.

b) Der mindestens einen Schwingspule ist eine Filtereinrichtung für die Tonsignale vorgeschaltet, b1) deren Übertragungsfunktion zu dem Frequenzgang des Flächenlautsprechers invers ausgebildet ist.

3. Einige Begriffe bedürfen näherer Erörterung.

a) Flächenlautsprecher gehören zu den akustischen Wandlern, die elektrische Signale in Schallsignale umwandeln.

Flächenlautsprecher können unterschiedlich konstruiert sein, insbesondere, indem verschiedene Materialien und ggf. mehr als eine Schwingspule verwendet werden sowie dadurch, dass die in Schwingungen zu versetzende Fläche hinsichtlich ihrer Abmessung und Gestaltung spezifische Formen aufweist und die Schwingspulen an verschiedenen Stellen montiert werden. Die Konstruktion kann dabei so gewählt werden, dass die Fläche mittels der von den Schwingspulen angeregten Biegewellen die Schallwellen in einer bestimmten Weise diffus abstrahlt, wie es in der der nicht vorveröffentlichten N1 zugrunde liegenden, internationalen Patentanmeldung WO 97/09842 (N1') dargestellt und allgemein mit dem Begriff Distributed-Mode-Lautsprecher (DML) bezeichnet wird. Auch solche Lautsprecher sind Flächenlautsprecher. Das Streitpatent enthält keine Einschränkungen zum konstruktiven Aufbau des nach Patentanspruch 1 zu verwendenden und gemäß Patentanspruch 4 herzustellenden Flä-14 chenlautsprechers, die mittels der Anwendung konstruktiver Maßnahmen hergestellte DML vom Anwendungsbereich des Streitpatents ausschließen würden. Das Streitpatent erfasst deshalb auch Flächenlautsprecher, die die Anforderungen an einen DML erfüllen.

b) Für die Messung des akustischen Frequenzgangs eines Flächenlautsprechers entsprechend Merkmal 3 des Verfahrensanspruchs werden dessen akustische Übertragungseigenschaften analysiert, indem ein Frequenzanalysator (6) bei durchstimmbarer Frequenz, also mit unterschiedlichen Frequenzen über den gesamten hörbaren Frequenzbereich, mit vorbestimmtem Pegel ein definiertes elektrisches Messsignal an den Verstärker (5) abgibt und über die Schwingspulen (3, 4) den Flächenlautsprecher (1) zur Schallabstrahlung anregt. In einem definierten Abstand wird sodann mittels eines Messmikrofons (61) gemessen, mit welchem Pegel die jeweilige Frequenz vom Flächenlautsprecher tatsächlich in akustische Schallwellen umgesetzt wird. Die sich so über alle gemessenen Frequenzen ergebende Linie der jeweiligen Schallpegel ergibt den akustischen Frequenzgang des Flächenlautsprechers. Zeichnerisch wird diese Messung im Streitpatent mit der nachfolgenden Figur dargestellt:

Soweit dieser Frequenzgang nicht linear verläuft, wie es im Bild des Frequenzanalysators (6) ersichtlich und bei Flächenlautsprechern regelmäßig zu erwarten ist, wird aus der so gewonnenen Übertragungsfunktion deren inverse Funktion gebildet (Merkmale 4 und b1). Die Nachbildung der inversen Frequenzkurve in einer Filtereinrichtung führt dazu, dass Frequenzen, die vom Flächenlautsprecher besonders schwach übertragen werden, von der Filtereinrichtung nicht oder kaum gedämpft oder verstärkt werden, während andere Frequenzen, die der Flächenlautsprecher besonders stark wiedergibt, stärker gedämpft werden. Durch eine solche Vorverzerrung des elektrischen Signals, das nach dem Durchgang durch die Filtereinrichtung an den Flächenlautsprecher weitergeleitet wird, wird dieses aufgrund dessen nichtlinearen akustischen Eigenschaften wieder entzerrt und damit wird dieser nichtlineare Verlauf im Ergebnis kompensiert.

Wie vollständig diese Kompensation entsprechend Merkmal 6 bewirkt werden kann, hängt zumindest auch davon ab, wie genau die Übertragungsfunktion der Filtereinrichtung gemäß Merkmal 5 im Sinne einer Vorverzerrung die inverse Frequenzkurve des Flächenlautsprechers nachbilden kann. Eine in jeder Hinsicht vollständige Kompensation wird insoweit nicht verlangt, sondern nur eine Annäherung daran (Streitpatent, Sp. 7 Z. 25 bis 29).

II. Das Patentgericht hat offen gelassen, ob die Lehre des Streitpatents zum Zeitpunkt des Prioritätstags neu war, jedenfalls habe sie nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht.

Die N1 beschreibe ein Verfahren und einen Flächenlautsprecher, bei denen die Verteilung der von der näheren Ausgestaltung einer plattenförmigen Fläche abhängigen natürlichen Resonanzmoden analysiert wird, um den oder die optimalen Anbringungsort(e) der Schwingspule(n) auf der plattenförmigen 18 Fläche zur Erzielung eines gewünschten Übertragungsverhaltens zu ermitteln. Auch wenn nach dem Gegenstand des Streitpatents der Anbringungsort für die Schwingspule frei wählbar sei, werde damit gleichwohl auch der aus der N1 bekannte Fall der Anordnung der Schwingspule(n) an denjenigen Orten der plattenförmigen Fläche erfasst, bei denen eine hohe Effektivität der Schallerzeugung erzielt werde. Damit offenbare die N1 das Merkmal 1 des Patentanspruchs 1 und teilweise das Merkmal a1 des Patentanspruchs 2.

Als plattenförmige Fläche könne gemäß der N1 eine Vielzahl von Materialien unterschiedlicher Größe und Festigkeit sowie Biegesteifheit verwendet werden. Diese Fläche weise somit die durch das jeweilige Material definierten akustischen Materialeigenschaften entsprechend Merkmal a1 des Patentanspruchs 4 auf. Weiterhin offenbare das in den Figuren 60a und 60c der N1 dargestellte Ausführungsbeispiel eine als passiver Equalizer ausgebildete analoge Filtereinrichtung für die Tonsignale, die der Schwingspule 9 vorgeschaltet sei, entsprechend den Merkmalen 5 und b.

Dem Fachmann seien auch andere Filter zur Beeinflussung eines Lautsprecherfrequenzganges bekannt. Die N3 beschreibe hierzu ein Verfahren zur Korrektur linearer Verzerrungen mit Hilfe eines Digitalfilters, der dem elektroakustischen Wandler (wie einem Lautsprecher) vorgeschaltet sei. Mit diesem Filter würden Übertragungsfehler beliebiger Ursache korrigiert, indem die Übertragungsfunktion des Digitalfilters invers zur Übertragungsfunktion des Lautsprechers ausgebildet werde, was bei einer entsprechend hohen Filterordnung auch für die Feinstrukturen möglich sei.

Für den Fachmann habe es auf Grund seines beständigen Bestrebens nach Verbesserungen nahegelegen, den aus der N1 bekannten Flächenlautsprecher zu verbessern, indem anstelle eines einfachen passiven Equalizers 22 ein Digitalfilter mit inverser Übertragungsfunktion entsprechend der N3 verwendet werde, um damit entsprechend den Merkmalen 4 und b1 eine Korrektur auch in der Feinstruktur der Übertragungsfunktion des Systems Schwingspule - plattenförmige Fläche zu erreichen.

Das Merkmal des in erster Instanz gestellten Hilfsantrags, wonach die Vorschaltung der Filtereinrichtung zur Erhöhung des Freiheitsgrads in Form- und Materialauswahl sowie zur Anpassung an einen Anwendungsfall erfolge, führe zu keiner anderen Beurteilung. Aus der N3 erkenne der Fachmann ohne weiteres, dass mit dem dort beschriebenen Digitalfilter auch solche Übertragungsfehler korrigierbar seien, die durch die in der N1 offenbarten vielfältigen Materialien für eine plattenförmige Fläche verursacht würden oder beim jeweiligen Anwendungsfall dadurch entstünden, dass die Befestigungsorte der Schwingspule nicht dem nach einer Analyse gemäß der N1 erzielten Anbringungsort entsprächen.

III. Dies hält der Nachprüfung im Ergebnis stand. Allerdings hat sich das Patentgericht zu Unrecht auf die geänderte europäische Patentschrift (B2-Schrift) N1 gestützt, denn diese ist erst im Jahr 2004 veröffentlicht und rechnet - ebenso wie die ebenfalls erst nach dem Anmeldetag des Streitpatents veröffentlichte B1-Schrift - nicht zum Stand der Technik. Jedoch ist die zugehörige Veröffentlichung der internationalen Patentanmeldung WO 97/09842 (A2-Schrift; N1') vorveröffentlicht.

1. Mit dem Patentgericht kommt auch der Senat zu dem Ergebnis, dass sich der Gegenstand des Streitpatents in seiner erteilten Fassung für den Fachmann, einen Diplom-Ingenieur der Fachrichtung Elektrotechnik mit dem Schwerpunkt Elektroakustik (wobei auch ein Studium der Nachrichtentechnik und Medientechnik entsprechende Fachkenntnisse vermitteln kann) mit mehr-25 jähriger Berufserfahrung, wie ihn das Patentgericht zutreffend zugrunde gelegt hat, jedenfalls in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG, Art. 138 Abs. 1 Buchst. a, Art. 54 ff., 56 EPÜ).

a) Flächenlautsprecher sind, wie die Beschreibung des Streitpatents zutreffend ausführt, seit langem bekannt, ebenso die bei ihnen auftretenden Verzerrungen im Frequenzgang. Die Verzerrungen beruhen nicht nur auf Resonanzen und anderen Schwächen des Materials und seiner Geometrie, durch die bestimmte Frequenzen stärker und andere schwächer wiedergegeben werden. Sie ergeben sich beim Hören eines Flächenlautsprechers auch aus einer frequenzabhängigen Richtwirkung bezogen auf den Raumpunkt, von dem der Flächenlautsprecher aus gehört wird. Da Flächenlautsprecher - anders als Lautsprecher mit einer insbesondere für hohe Frequenzen sehr kleinen Kolbenmembran - eine schallwirksame Abstrahlfläche von mehreren Quadratdezimetern aufweisen, kann es speziell bei hohen Frequenzen zu Überlagerungen im Raumpunkt des Hörers kommen. Aufgrund der großen Fläche, mit der ein Flächenlautsprecher Schallwellen abstrahlt, kann der Schallübertragungsweg zum Raumpunkt des Hörers unterschiedlich lang sein, so dass es insbesondere bei hohen Frequenzen zu Überlagerungen mit einer halben Wellenlänge kommen kann, bei der sich zwei Schallwellen gegenseitig auslöschen, oder zu Überlagerungen mit einer vollen Wellenlänge, die zu einer Verdopplung der Amplitude führen, wobei die halbe oder volle Wellenlänge sich aus der jeweiligen Frequenz ergibt (Gutachten S. 7).

Vornehmlich dieser frequenz- und standortabhängigen Verzerrung widmet sich die N1', indem mittels computerunterstützter Berechnungen abhängig vom Material und der Anzahl der Schwingspulen eine Geometrie der schallabstrahlenden Fläche sowie die Positionen für die Schwingspulen ermittelt werden, um ein möglichst inkohärentes Schwingungsverhalten für einzelne Teilbe-28 reiche (englisch: modes) der Gesamtfläche zu erzielen. Dieses auf die Gesamtfläche verteilte inkohärente Schwingungsverhalten (distributed modes) führt als DML zu einer diffusen Phase der abgestrahlten Schallwellen, womit frequenzabhängige, auf den jeweiligen Raumpunkt des Hörers bezogene Überlagerungen oder Auslöschungen weitestgehend vermieden werden und so ein richtungsunabhängiges Abstrahlverhalten erzielt wird (Gutachten S. 7 f, 16 f.). Da auch entsprechend der N1' konstruierte DML zu den Flächenlautsprechern nach dem Gegenstand des Streitpatents zählen, erfüllen sie die Merkmale 1 und 2 und a nebst a1 und a2 des Streitpatents.

Darüber hinaus ergibt sich aus der diffusen Abstrahlung zugleich ein gewisser Ausgleich im Frequenzgang. Materialbedingte Verzerrungen durch Resonanzen oder Schwächen bei der Schallerzeugung werden durch die inkohärenten Schwingungen der einzelnen Teilbereiche ebenfalls in gewissem Maße ausgeglichen, so dass in dieser Hinsicht bei einem DML nur ein geringer Korrekturbedarf verbleibt (Gutachten S. 16 f.).

Gleichwohl weist die N1' den Fachmann für einen solchen Korrekturbedarf darauf hin, diesen mittels eines auf das elektronische Eingangssignal wirkenden passiven Equalizers für den DML zu korrigieren (N1', S. 88 Z. 21 bis S. 89 Z. 2). Auch wenn darin noch keine unmittelbare und eindeutige Offenbarung sämtlicher Merkmale der Lehre des Streitpatents in neuheitsschädlicher Weise liegt (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16. Dezember 2008 - X ZR 89/07, BGHZ 179, 168 = GRUR 2009, 382, 384 - Olanzapin; Urteil vom 10. September 2009 - Xa ZR 130/07, GRUR 2010, 123 - Escitalopram), entnimmt der Fachmann dem Hinweis auf einen Equalizer hinreichend deutlich, damit die Frequenzen zu dämpfen, die sonst zu stark übertragen würden. Hinsichtlich dieser Dämpfung ergibt sich daraus eine Filtereinrichtung mit einer inversen Frequenzkurve, womit die Merkmale 5 und 6 bzw. b nebst b1 jedenfalls in Bezug auf eine Dämp-30 fung der zu stark übertragenen Frequenzen in der N1' offenbart werden. Wird die Dämpfung auf das Niveau der am schwächsten übertragenen Frequenz vollzogen, werden die genannten Merkmale vollständig erfüllt.

b) Ausgehend von diesem Korrekturbedarf für Flächenlautsprecher, selbst wenn sie als DML konstruiert und damit nur noch geringerer Korrekturen bedürfen, hatte der Fachmann Anlass, aus dem Stand der Technik eine möglichst effektive Korrekturmethode heranzuziehen.

Die N3 beschreibt ein Korrektursystem in Bezug auf lineare Verzerrungen bei elektroakustischen Wandlern wie Lautsprechern oder Mikrofonen. Hierfür wird eine Kombination von rekursiven und nichtrekursiven Digitalfiltern eingesetzt, wobei die rekursiven Filter (infinite impulse response filter; IIR-Filter) für die tiefen Töne mit langer Wellenlänge und die nichtrekursiven Filter (finite impulse response filter; FIR-Filter) für Töne oberhalb einer bestimmten Frequenz und dementsprechend kürzerer Wellenlänge verwendet werden. Diese Grenze für den Einsatz des nichtrekursiven Filters richtet sich dabei nach der Filterlänge des Digitalfilters, der nur solche Frequenzen filtern kann, bei denen die jeweilige Frequenz mit ihrer Wellenlänge - also einer kompletten Schwingung - mindestens einmal in die Filterlänge passt. Bei einem Digitalfilter mit beispielsweise 256 Koeffizienten und einer Abtastrate von 44,1 kHz ergibt sich daraus eine Filterlänge für eine Grenzfrequenz von 170 Hz (N3, S. 2 Z. 65 bis 67). Oberhalb dieser Frequenz können danach Übertragungsfehler von Lautsprechern mit beliebiger Ursache korrigiert werden. Durch eine hohe Filterordnung, womit entsprechend den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen eine hohe Anzahl an Koeffizienten gemeint ist, kann auch die Feinstruktur der Übertragungsfunktion des Lautsprechers korrigiert werden (N3, S. 2 Z. 64 bis S. 3 Z. 2). Die Impulsantwort des Entzerrerfilters gewinnt man durch eine inverse Fourier-Transformation (N3, S. 3 Z. 12 bis 13). Hierunter ist gemäß den Aus-32 führungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung zunächst die Ermittlung des akustischen Frequenzgangs des Lautsprechers zu verstehen, der über eine Frequenzanalyse der vom Lautsprecher abgestrahlten und mit einem Mikrofon aufgenommenen Schallwellen ermittelt wird. Dieser Frequenzgang wird sodann umgekehrt für die Impulsantwort des Entzerrerfilters verwendet, um so die besonders laut übertragenen Frequenzen entsprechend zu dämpfen. Im Falle eines IIR-Filters ist es dabei auch möglich, besonders leise übertragene Frequenzen zu heben; im Übrigen wäre beim Einsatz von FIR-Filtern die Gesamtamplitude so zu verstärken, dass mittels einer Dämpfung ein ausgeglichener Frequenzgang erzielt werden kann.

Aus der Sicht des Fachmanns offenbart damit die N3 zumindest mit ihrer zweiten Alternative der nichtrekursiven FIR-Filter ein Filterverfahren entsprechend dem Gegenstand des Streitpatents. Der Fachmann versteht die allgemein gehaltenen Begriffe "elektroakustischer Wandler" und "Lautsprecher" dahin, dass dieses Verfahren auch auf Flächenlautsprecher angewendet werden kann. Ein solcher Flächenlautsprecher gehört zu den Lautsprechern und akustischen Wandlern. Die Beschreibung hebt insbesondere für die Verwendung der nichtrekursiven Filter hervor, dass damit Übertragungsfehler des Lautsprechers mit "beliebiger Ursache" korrigiert werden können; dies schließt mit ein, auch solche Übertragungsfehler korrigieren zu können, die durch die spezifischen Eigenschaften von Flächenlautsprechern verursacht sind. Gerade solche Konstruktionen sind bekanntlich mit Problemen bei der Übertragung von elektrischen in akustische Signale behaftet, weshalb die N3 aus fachlicher Sicht auch hierfür eine Problemlösung darstellt.

Auch wenn mit der digitalen Entzerrung der Übertragungsfunktion von Flächenlautsprechern nicht in jeder Hinsicht eine gleichgute Qualität wie bei konventionellen Lautsprechern zu erwarten war, bestand auf Grund der be-34 kannten Schwierigkeiten bei der Wiedergabe mittels Flächenlautsprechern, wie sie das Streitpatent in Abs. 3 und 9 ("wurden Anstrengungen unternommen, die bekannten Nachteile des Flächenlautsprechers mittels konstruktiver Maßnahmen zu beheben") anschaulich schildert und die N1' auch bei einer Konstruktion nach dem DML-Prinzip für wünschenswert erachtet (N1', S. 88 Z. 21 bis 26), Anlass, über Verbesserungen bei Flächenlautsprechern nachzudenken und dazu auf den aus der N3 bekannten Filter für Lautsprecher zurückzugreifen.

Mit der inversen Fourier-Transformation für die Impulsantwort des Entzerrerfilters beschreibt die N3 eine Frequenzanalyse der Übertragungsfunktion des Lautsprechers, deren Frequenzgang zum Zweck der Entzerrung zu invertieren ist. Aus fachlicher Sicht ist dies dahin zu verstehen, dass der Frequenzgang des Lautsprechers zu messen ist und daraus die Frequenzkurve ermittelt wird. Damit legt die N3 die Merkmale 3 und 4 sowie das Merkmal b1 teilweise zumindest nahe.

Schließlich ergibt sich für den Fachmann aus der Offenbarung, dass die inverse Fourier-Transformation als Impulsantwort des Entzerrer-Filters die Übertragungsfunktion eines Lautsprechers mit Hilfe eines Signalprozessors korrigiert, ein Vorgehen, mit dem die inverse Frequenzkurve in einer Filtereinrichtung als deren Übertragungsfunktion nachgebildet werden soll sowie hierfür die Entzerrungsschaltung zwischen die Schallquelle und den Flächenlautsprecher zu schalten ist. Nur so kann die inverse Frequenzkurve die Übertragungsfehler des Lautsprechers korrigieren und kompensieren. Damit legt die N3 auch die Merkmale 5 und 6 sowie das Merkmal b mit dem Rest des Merkmals b1 nahe.

c) Aufgrund der Angabe in der N1', dass selbst Flächenlautsprecher nach dem DML-Prinzip einen Korrekturbedarf in Bezug auf den Frequenzgang noch aufweisen können und dieser durch einen Filter korrigiert werden kann, 36 war auch die Kombination mit den Angaben, die aus der N3 für eine konkrete Filteranordnung bekannt waren, nahegelegt.

2. Die Patentansprüche 1 und 4 des Streitpatents haben auch in der Fassung gemäß den Hilfsanträgen I und I' keinen Bestand, denn die Änderungen im Wortlaut führen nicht zu einem anderen Schutzumfang und folglich nicht zu einem anderen Gegenstand des Streitpatents.

Die von der Beklagten vorgeschlagene Merkmalsergänzung führt nicht zu einer Beschränkung des Schutzbereichs des Streitpatents. Die Ergänzung stellt lediglich eine Zweckangabe dar, die nicht zu einer Einschränkung des Schutzbereichs des Patentanspruchs 4 und des Patentanspruchs 1 führt. Die Patentansprüche schützen die Vorrichtung und das Verfahren regelmäßig unabhängig von dem Zweck, der mit ihnen verfolgt wird (vgl. Benkard/Scharen, aaO, § 14 Rn. 43, 48 mwN.). Mit der von der Beklagten vorgeschlagenen Merkmalsergänzung soll auch weder die Ausgestaltung der Lehre des Streitpatents näher konkretisiert oder erläutert werden noch sollen damit die Patentansprüche im Sinne von Verwendungsansprüchen auf bestimmte Verwendungen der Erfindung beschränkt werden.

3. Ebenso führen die Hilfsanträge II und II' nicht zu einer bestandsfähigen Fassung der Patentansprüche 1 und 4.

Die weitere Ergänzung stellt ebenfalls eine allgemeine Zweckangabe dar, die keine - auch keine konkretisierende oder erläuternde - Bedeutung für die beiden Patentansprüche entfaltet. Mit dem Zusatz sollen die Patentansprüche nicht auf Flächenlautsprechersysteme beschränkt werden, bei denen sich konstruktive Maßnahmen für die Qualität der Schallübertragung nicht auswirken. Entsprechend der Beschreibung in der Patentanmeldung des Streitpatents sollen damit lediglich das vermeintlich nicht zufriedenstellende Ergebnis von 39 konstruktiven Maßnahmen bei Flächenlautsprechern sowie der Gang der Erfindung herausgestellt werden, die sich von solchen "konventionellen Überlegungen" gelöst hat. In solchen Darstellungen ist nicht - jedenfalls nicht mit der gemäß Art. 84 EPÜ erforderlichen Deutlichkeit - eine Eingrenzung des Schutzumfangs der beanspruchten Lehre zu erkennen, vielmehr soll damit lediglich die erfinderische Tätigkeit besonders hervorgehoben werden. Ein Einfluss auf den Schutzbereich der Patentansprüche ist daher aufgrund der in den Hilfsanträgen II und II' enthaltenen Ergänzung nicht zu erkennen, weshalb die beschränkte Verteidigung auch mit diesen Anträgen nicht zur Patentfähigkeit führt.

4. Schließlich haben die Patentansprüche 1 und 4 auch in den Fassungen der Hilfsanträge III und III' keinen Bestand. Soweit diese Hilfsanträge die Ergänzungen gemäß den Hilfsanträgen II und II' wiederholen, kann hierauf aus den genannten Gründen eine beschränkte Verteidigung nicht gestützt werden. Die darüber hinausgehende Ergänzung der Patentansprüche 1 und 4 führt ebenfalls nicht zu patentfähigen Anspruchsfassungen, denn auch der so beschränkte Gegenstand des Streitpatents wird durch die N3 nahegelegt.

Der Einsatz von digitalen Filtern für die Übertragungsfunktion von Filtereinrichtungen bei Lautsprechern wird in der N3 ausdrücklich erwähnt (N3, S. 2 Z. 65). Weiterhin bezeichnet die N3 einen Signalprozessor als geeignetes Mittel für die als Entzerrer fungierende Filtereinrichtung (S. 3 Z. 12 bis 13). Dem Fachmann war ein solcher Prozessor zum Prioritätstag allgemein bekannt. Die freie Programmierbarkeit ist entsprechend den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ein inhärentes Merkmal solcher Signalprozessoren. Damit werden auch die Merkmale der weiteren in den Hilfsanträgen III und III' enthaltenen Ergänzungen in der N3 offenbart. 43 5. Für einen erfinderischen Gehalt der weiteren Patentansprüche ist weder allein noch in Verbindung mit den Merkmalen der Patentansprüche 1 und 4 etwas ersichtlich.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO.

Keukenschrijver Gröning Bacher Hoffmann Schuster Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 23.01.2008 - 4 Ni 64/06 (EU) - 45






BGH:
Urteil v. 03.05.2011
Az: X ZR 59/08


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/2473bc2c5787/BGH_Urteil_vom_3-Mai-2011_Az_X-ZR-59-08




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