Bundespatentgericht:
Beschluss vom 20. Mai 2003
Aktenzeichen: 17 W (pat) 44/02
(BPatG: Beschluss v. 20.05.2003, Az.: 17 W (pat) 44/02)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die vorliegende Patentanmeldung ist beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Bezeichnung:
"Verfahren zum Betrieb eines Kommunikationssystems"
eingereicht worden.
Sie wurde von der Prüfungsstelle für Klasse G 06 F des Deutschen Patent- und Markenamts durch am Ende der Anhörung vom 4. April 2002 verkündeten Beschluss zurückgewiesen. In der Begründung ist ausgeführt, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht gewährbar sei, da er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
Gegen diesen Beschluss hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt.
Sie stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das nachgesuchte Patent zu erteilen, hilfsweise mit den in der mündlichen Verhandlung vom 20. Mai 2003 überreichten Patentansprüchen 1 und 16 und im übrigen mit den geltenden Unterlagen.
Die Anmelderin regte die Zulassung der Rechtsbeschwerde an.
Der geltende Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag, mit einer möglichen Gliederung versehen, lautet:
"Verfahren zum Betrieb eines Kommunikationssystems mit wenigstens einem Kunden-Rechner und einem zentralen Rechner, die über ein Netz miteinaner verbindbar sind, beinhaltend folgende Schritte:
a) Ein Aufrufen einer Angebotsseite zu wenigstens einem Angebot eines Anbieters durch einen Kunden am Kunden-Rechner wird vom zentralen Rechner erkannt, b) die vom Kunden im Zusammenhang mit der Angebotsseite am Kunden-Rechner vorgenommenen Bedienhandlungen werden erfasst und in Echtzeit an den zentralen Rechner gemeldet, c) die gemeldeten Bedienhandlungen werden im zentralen Rechner fortlaufend in ein Protokoll eingetragen, das kontinuierlich mit Referenzprotokollen verglichen wird undd) ergibt das Vergleichen an einem Zeitpunkt mit einer vorgebbaren Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde keinen Auftrag zu dem Angebot eingeben wird, so wird dem Kunden am Kunden-Rechner eine interaktive Hilfe angeboten."
Der Patentanspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag, versehen mit einer Gliederung, lautet:
"Verfahren zum Betrieb eines Kommunikationssystems mit wenigstens einem Kunden-Rechner und einem zentralen Rechner, die über ein Netz miteinander verbindbar sind, beinhaltend folgende Schritte:
a) Ein Aufrufen einer Angebotsseite zu wenigstens einem Angebot eines Anbieters durch einen Kunden am Kunden-Rechner wird vom zentralen Rechner erkannt, b) die vom Kunden im Zusammenhang mit der Angebotsseite am Kunden-Rechner vorgenommenen Bedienhandlungen werden erfasst und in Echtzeit an den zentralen Rechner gemeldet, c) die gemeldeten Bedienhandlungen werden im zentralen Rechner fortlaufend in ein Protokoll eingetragen, das kontinuierlich mit Referenzprotokollen, die mit einer vorgebbaren Wahrscheinlichkeit darauf hinweisen, dass der Kunde keinen Auftrag zu dem Angebot eingeben wird, und mittels einer lernenden Struktur bestimmt werden, verglichen wird undd) ergibt das Vergleichen an einem Zeitpunkt, dass der Kunde keinen Auftrag zu dem Angebot eingeben wird, so wird dem Kunden am Kunden-Rechner eine interaktive Hilfe angeboten."
In Begründung ihrer Beschwerde führt die Anmelderin aus, dass das beanspruchte Verfahren dazu diene, einem Kunden, der an seinem Rechner Angebotsseiten von einem zentralen Rechner aufgerufen hat, im geeigneten Moment Hilfe anzubieten. Hierzu würden die Bedienhandlungen des Kunden erfasst und mit Referenzprotokollen verglichen. Ergebe ein Vergleich, dass der Kunde Hilfe bei einer Bestellung brauche, so werde sie veranlasst.
Die Lehre des Anspruchs könne ein Datenverarbeitungsfachmann auch nacharbeiten, ggf unter Beratung durch einen Marketing- oder Vertriebsfachmann.
Dies gelte in gleichem Maße für die Fassung nach dem Hilfsantrag, bei dem der Vergleich durch eine selbstlernende Struktur vorgenommen werde.
In Hinsicht auf die in der Beschreibung angegebene Aufgabenstellung, die Anzahl der Bestellungen zu erhöhen, erläutert die Anmelderin, dass diese auch eine technische Komponente habe, nämlich den Datenverkehr über das Netz zu verringern. Dem beanspruchten Verfahren komme daher technischer Charakter zu. Es beruhe auch auf erfinderischer Tätigkeit, da es durch die entgegengehaltenen Druckschriften nicht nahegelegt sei.
II.
Die in rechter Frist und Form erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, da der Gegenstand des Patents in den nachgesuchten Fassungen keine patentfähige Erfindung iSd § 1 PatG ist.
1. Zum Hauptantrag 1.1 Die Anmeldung stellt sich die Aufgabe, ein verbessertes Verfahren zum Betrieb eines Kommunikationssystems mit einem Kunden-Rechner und einem zenralen Rechner, die über ein Netz miteinander verbunden sind, zu schaffen, "mit dem unter anderem eine Anzahl erfolgreich abgeschlossener Bestellvorgänge erhöht werden kann" (vgl S 2, Abs 4 der Beschreibung). Den Erläuterungen der Anmelderin nach ist der Begriff "Kommunikationssystem" dabei in dem Sinne zu verstehen, dass nicht lediglich die Kommunikation zwischen Kunden-Rechner und zentralen Rechner abgewickelt wird, sondern auch eine Verarbeitung der übertragenen Daten vorgenommen wird. Der zuständige Datenverarbeitungsfachmann wird das aus Hardware- und Softwarekomponenten bestehende "System" als Client-Server-System bezeichnen (vgl S 3, Abs 3 der Beschreibung), das zur elektronischen Abwicklung von Geschäften dient.
Der Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lehrt zur Lösung der gestellten Aufgabe die Ausführung folgender Schritte durch das Kommunikations- bzw Client-/Serversystem:
In Schritt a) soll der Aufruf einer Angebotsseite eines Anbieters durch einen Kunden am Kunden-Rechner vom zentralen Rechner erkannt werden.
Auf diese Erkennung hin erfolgt gemäß Schritt b) eine Erfassung der vom Kunden am Kunden-Rechner vorgenommenen Bedienhandlungen und ihre Übertragung an den zentralen Rechner in Echtzeit. Bedienhandlungen sind nach S 7, Abs 2 der Beschreibung die Betätigung von Tasten, die Bewegung der Rechnermaus, die Aktivierung von Links oder von Hilfe.
Diese Bedienhandlungen werden im zentralen Rechner fortlaufend in ein (dem Kunden zugeordnetes) Protokoll eingetragen und kontinuierlich mit (geeigneten) Referenzprotokollen verglichen. Ergibt ein Vergleich mit einer vorgebbaren Wahrscheinlichkeit, dass der Kunde voraussichtlich keinen Auftrag zu dem Angebot des Anbieters eingeben wird, so wird dem Kunden interaktive Hilfe angeboten (vgl Schritt c und d). Hierunter ist, wie auf den Seiten 8 und 9 der Beschreibung erläutert, bspw die Kontaktaufnahme eines Verkaufsberaters eines Call-Centers mit dem Kunden per Chat-Dienst oder Telefon zu verstehen.
Der Patentanspruch 1 lehrt sonach, ausgehend von einem Client / Server- System für die elektronische Abwicklung von Geschäften, eine Erfassung der im Zusammenhang mit einer Angebotsseite stehenden Bedienhandlungen eines Kunden, einen zentralen Vergleich dieser Bedienhandlungen mit Referenzprotokollen und das Anbieten von Hilfe, falls der Vergleich zu einem bestimmten Zeitpunkt erwarten lässt, dass der Kunde mit bestimmter Wahrscheinlichkeit keinen Auftrag erteilen wird.
Der verständige Leser wird dabei ergänzen, dass die Referenzprotokolle derart beschaffen sein müssen, dass sie eine Aussage darüber zulassen, ob ein Kunde wahrscheinlich einen Auftrag erteilt oder nicht. Hierzu müssen die Referenzprotokolle einerseits Parameter enthalten, die geeignet sind, das Kundenverhalten zu beurteilen, bspw die Wartezeiten zwischen den einzelnen Bedienhandlungen oder das Hin- und Herspringen zwischen der Angebotsseite und damit verbundenen Seiten (vgl S 7, Abs 4 und S 8, Abs 1 der Beschreibung), und andererseits Grenzen für diese Parameter vorgeben, deren Überschreitung mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auf die Nichterteilung eines Auftrags hinweisen. Die Parameter und ihre Grenzen sind dabei in Abhängigkeit von (verkaufs-) psychologischen Erwägungen auszuwählen bzw zu bestimmen.
Bei Nachvollzug der anspruchsgemäßen Lehre wird der Leser weiterhin voraussetzen, dass die dem Kunden angebotene interaktive Hilfestellung so beschaffen sein muss, dass sie die Kaufbereitschaft des Kunden tatsächlich erhöht, bspw in dem sie in einer telefonischen Beratung besteht (vgl S 9, Abs 2 der Beschreibung).
In Hinsicht auf die in der Beschreibung genannte Aufgabenstellung, nämlich die Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen Bestellvorgänge (im elektronischen Geschäftsverkehr) zu erhöhen, vermittelt der Patentanspruch 1, jedenfalls bei sachgerechter Auslegung der genannten Parameter und der Hilfestellung, eine nachvollziehbare Lehre.
1.2 Die Lehre nach dem Patentanspruch 1 gemäß dem Hauptantrag liegt jedoch nicht auf technischem Gebiet.
1.2.1 Nach den Ausführungen des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung "Suche fehlerhafter Zeichenketten" kann eine beanspruchte Lehre nicht schon deshalb als patentierbar angesehen werden, weil sie bestimmungsgemäß den Einsatz eines Computers erfordert. Es ist vielmehr zu verlangen, dass die prägenden Anweisungen der beanspruchten Lehre der Lösung eines konkreten technischen Problems dienen (vgl GRUR 2002, 143, 144).
In der Aufgabe, die in der geltenden Beschreibung angegeben ist (vgl S 2, Abs 4), nämlich ein Verfahren zu schaffen, "mit dem unter anderem eine Anzahl erfolgreich abgeschlossener Bestellvorgänge erhöht werden kann", ist keine Problemstellung technischer Art erkennbar. Diese Problemstellung liegt auf geschäftlichem Gebiet und ist etwa mit dem Wunsch nach Steigerung des Auftragsvolumens gleichzusetzen. Ein Ansatz in Richtung auf eine Verbesserung der zur Durchführung des Verfahrens verwendeten technischen Mittel (Kunden-Rechner, Netz, zentraler Rechner) ist in der angegebenen Aufgabe nicht erkennbar.
Den hiergegen vorgebrachten Einwand der Anmelderin, dass die genannte Aufgabe so zu interpretieren sei, dass mit dem beanspruchten Verfahren in technischer Hinsicht eine Reduzierung des Datenverkehrs zwischen Kunden-Rechner und zentralem Rechner bezweckt werde, vermag der Senat schon aus sachlichen Gründen nicht nachzuvollziehen. Denn dass ein Kunde durch das Hilfeangebot eine geringere Anzahl von Angebotsseiten vom Anbieter abruft und insoweit den Verkehr auf dem Netz reduziert, dürfte bei weitem nicht den Verkehr aufwiegen, der durch die gemäß Schritt b) erfolgende Meldung der (aller) Bedienhandlungen des Kunden in Echtzeit an den zentralen Rechner verursacht wird.
Daneben ist auch bei weitergehender Betrachtung der Ausführungen in der Beschreibung kein Ansatz erkennbar, der den Wunsch nach einer bestimmten konkreten Verbesserung von Mitteln oder Abläufen in technischer Hinsicht erkennen läßt.
1.2.2 Aber auch die im Anspruch angegebene Lösung der gestellten Aufgabe liegt nicht auf technischem Gebiet. In der genannten Entscheidung führt der Bundesgerichtshof weiter aus, dass das Patentrecht geschaffen wurde, um Problemlösungen auf dem Gebiet der Technik zu fördern. In Hinblick auf die für eine Erfindung iS des § 1 Abs 1 PatG erforderliche Technizität hat er dabei eine Gesamtbetrachtung darüber gefordert, was nach der beanspruchten Lehre im Vordergrund steht (vgl aaO).
Insgesamt betrachtet steht im Vordergrund des Patentanspruchs 1 die Lehre, dass im elektronischen Geschäftsverkehr die Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen Bestellvorgänge dadurch erhöht werden kann, dass das Bedienverhalten der Kunden ausgewertet und im geeigneten Moment Hilfe angeboten wird. Diese Lehre beruht nicht auf technischen Überlegungen, sondern hängt von der zutreffenden Auswertung des (Bedien-) Verhaltens des Kunden in psychologischer Hinsicht ab. Wird das Verhalten des Kunden falsch eingeschätzt und nicht im geeigneten, dh verkaufsfördernden Moment, sondern zu früh oder zu spät Hilfe angeboten, so wird das gestellte Ziel einer Erhöhung der Zahl der Auftragsabschlüsse wahrscheinlich verfehlt. Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ist sonach geprägt druch eine (verkaufs-) psychologische Auswertung des Verhaltens von Kunden bei der Abwicklung von Geschäften und nicht durch technische Überlegungen.
Die im Vordergrund des Patentanspruchs 1 stehende Lehe liegt deshalb nicht auf technischem Gebiet.
1.2.3 Dass die nichttechnische Lehre nach dem Patentanspruch 1 bestimmungsgemäß den Einsatz eines Computers erfordert, also mit Mitteln der Datenverarbeitung implementiert und ausgeführt wird, vermag nach den Erwägungen des Bundesgerichtshofs den technischen Charakter eines Verfahrens noch nicht zu begründen: Bei einer Lehre, die bei ihrer Befolgung dazu beiträgt, dass eine geeignete Datenverarbeitungsanlage bestimmte Anweisungen abarbeitet, muss eine hierüber hinausgehende Eigenheit bestehen. Diese Eigenheit muss derart sein, dass sie unter Berücksichtigung der Zielsetzung patentrechtlichen Schutzes eine Patentierbarkeit rechtfertigt. Diese Zielsetzung besteht in der Förderung von Problemlösungen auf dem Gebiet der Technik (vgl aaO).
Aus dem Verfahren nach dem Patentanspruch 1 ist eine auf technischem Gebiet liegende Eigenheit, die eine Patentierbarkeit rechtfertigen könnte, nicht ersichtlich. Die im Anspruch 1 angegebene Implementierung der verkaufspsychologischen Lehre beschränkt sich auf eine platte Umsetzung in Datenverarbeitungsschritte, ohne dass Maßnahmen ersichtlich wären, die auf die Überwindung besonderer technischer Schwierigkeiten hinwiesen und somit einen Patentschutz rechtfertigen könnten.
Der Patentanspruch 1 nach dem Hauptantrag ist sonach mangels einer auf technischem Gebiet liegenden Erfindung nicht gewährbar; dem Hauptantrag der Anmelderin ist daher nicht stattzugeben.
2. Zum Hilfsantrag:
2.1 Das Verfahren nach dem Patentanspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag der Anmelderin unterscheidet sich hinsichtlich der Schritte c) und d).
In dieser Fassung hat die Anmelderin zunächst ergänzt, dass die Referenzprotokolle auch eine Aussage darüber enthalten müssen, dass der Kunde mit einer vorgebbaren Wahrscheinlichkeit keinen Auftrag eingeben wird. Wie zum Hauptantrag unter 1.1 erläutert, ergänzt der verständige Leser diesen Umstand beim Nachvollzug der Lehre. Insoweit ergibt sich keine andere Sachlage.
Modifiziert ist in der Fassung gemäß Hilfsantrag jedoch die Erstellung der Referenzprotokolle und die Durchführung des Vergleichs der Referenzprotokolle mit dem Kundenprotokoll. Die Referenzprotokolle sollen mittels einer lernenden Struktur, bspw einem neuronalen Netz (vgl Seite 12, Abs 2 der Beschreibung) bestimmt werden. Entsprechend soll das Anbieten von Hilfe nicht mehr vom Überschreiten der vorgegebenen Wahrscheinlichkeit abhängen, dass der Kunde keinen Auftrag erteilt, sondern von der lernenden Struktur selbst entschieden werden.
Im Unterschied zum Hauptantrag lehrt der Patentanspruch 1 nach dem Hilfsantrag sonach die Gewichtung der Parameter der Bedienhandlungen für die Referenzprotokolle und den Vergleich zwischen Referenzprotokollen und Kundenprotokoll und damit die Entscheidung über das Anbieten von Hilfe von einer lernenden Struktur vornehmen zu lassen. Lernende Strukturen sind so beschaffen, dass sie eine Reihe von Parametern auswerten und von diesen abhängig eine Entscheidung treffen. Damit diese Entscheidungen optimal getroffen werden, wird die lernende Struktur in einer vorgeschalteten Lernphase trainiert, dh die Gewichtung der einzelnen Parameter wird in Abhängigkeit vom Eintreten des beabsichtigten Erfolgs solange variiert, bis optimale Ergebnisse auftreten. Im vorliegenden Fall wird die Gewichtung der zur Auswertung des Bedienverhaltens an den zentralen Rechner übertragenen Parameter solange variiert, bis die Struktur genau zu dem Zeitpunkt das Anbieten von Hilfe veranlasst, in dem ein Kunde ohne diese Hilfestellung die Auftragserteilung abbrechen würde.
Die Entscheidung, ob Hilfe angeboten wird, beruht sonach auf einer Gewichtung der Bedienparameter, die von der lernenden Struktur selbsttätig als optimal gefunden wird, während nach dem Hauptantrag die Parameter und die Wahrscheinlichkeitsgrenze bei der Konzeption des Verfahrens von einem Vertriebsfachmann oä. nach psychologischen Gesichtspunkten festgelegt wurden. Insofern ist der Anmelderin beizutreten, dass die für die Bemessung der Parameter bzw Festsetzung der Wahrscheinlichkeit zu erbringende intellektuelle Leistung beim Verfahren nach dem Hilfsantrag durch die Leistung der selbstlernenden Struktur ersetzt wird.
2.2 Die Lehre nach dem Patentanspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag liegt ebenfalls nicht auf technischem Gebiet. Dies liegt schon daran, dass auch die prägenden Anweisungen dieser Lehre nicht der Lösung eines konkreten technischen Problems dienen.
Nicht anders als beim Hauptantrag ist die den Anspruch prägende Lehre darin zu sehen, dass das Bedienverhalten des Kunden einer Auswertung unterzogen wird, damit gerade in dem Moment Hilfe angeboten werden kann, in dem sich die Anzahl der erfolgreich abgeschlossenen Bestellvorgänge (mit großer Wahrscheinlichkeit) erhöht. Diese Lehre ist durch geschäftliche und psychologische Erkenntnisse geprägt und liegt nicht auf technischem Gebiet.
2.3 Demgegenüber sieht die Anmelderin in dem Umstand, dass eine lernende Struktur ohne menschliche Eingriffe über das Anbieten von Hilfe entscheidet, eine Eigenheit im Sinne der Entscheidung des Bundesgerichtshofs "Suche fehlerhafter Zeichenketten", die ihrer Auffassung nach die Patentierbarkeit des Verfahrens gemäß dem Hilfsantrag rechtfertigt. Nach den Ausführungen in der Entscheidung "Suche fehlerhafter Zeichenketten" können Lehren aus Gebieten, die nach traditionellem Verständnis nicht zur Technik gehören, nicht allein deshalb dem Patentschutz zugänglich erachtet werden, weil sie mit Hilfe eines Computers angewendet werden sollen. Andrerseits soll einer Lehre, deren Eigenart durch technische Vorgänge oder Überlegungen geprägt ist, der Patentschutz nicht versagt werden (vgl aaO 145).
Dem im Anspruch in allgemeiner Form genannten Umstand, dass zum Entscheiden über das Anbieten von Hilfe eine lernende Struktur verwendet werden soll, kommt nach Auffassung des Senats eine die Patentierbarkeit rechtfertigende Eigenheit nicht zu.
Denn für die Implementierung einer (technischen oder nichttechnischen) Lehre mit einem Datenverarbeitungssystem bietet sich dem Datenverarbeitungsfachmann eine breite Palette von Realisierungsmöglichkeiten zur Auswahl. Bei einer als wahrscheinlich anzunehmenden Implementierung der lernenden Struktur durch Software wird der Fachmann für die Realisierung der einen oder anderen Teilaufgabe, bspw der Auswertung einer Vielzahl von Parametern, unter den aus der theoretischen Informatik bekannten Algorithmen diejenigen auswählen, die im am geeignetsten erscheinen. Dabei sind zu den sich anbietenden Algorithmen auch solche komplexer Art zu zählen, wie sie lernende Strukturen darstellen, die nach einer Lernphase auch "intelligente" Entscheidungen optimal ausführen können. Die Anmelderin selbst setzt die Kenntnis solcher komplexerer Algorithmen als gängig voraus. Dies ergibt sich aus dem Gebrauch, den sie von dem Begriff "lernende Struktur" macht. Sie verwendet ihn ohne weitere Erläuterung und geht daher davon aus, dass dem Fachmann der damit umrissene Sachverhalt bekannt ist, was auch nach Auffassung des Senats zutrifft. Eine die Patentierbarkeit rechtfertigende Eigenheit des beanspruchten Verfahrens kann deshalb für sich in der Verwendung einer lernenden Struktur zum Treffen von Entscheidungen nicht erkannt werden.
In Hinsicht auf die selbstlernende Struktur enthält der Anspruch im übrigen keine weiteren Angaben, die auf eine besondere technische Ausgestaltung oder Arbeitsweise der selbstlernenden Struktur hinweisen könnten.
Auch im Verfahren nach dem Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag kann sonach keine auf technischem Gebiet liegende Eigenheit erkannt werden. Deshalb war auch dem Hilfsantrag der Anmelderin nicht zu folgen.
3. Die Anmelderin regt die Zulassung der Rechtsbeschwerde an.
Sie führt hierzu an, dass der vom Bundesgerichtshof im Zusammenhang mit der Rechtsprechung zu computerimplementierten Erfindungen geprägte Begriff der igenheit, die unter Berücksichtigung der Zielsetzung patentrechtlichen Schutzes eine Patentierbarkeit rechtfertigt, weiten Spielraum zulässt. Ihrer Ansicht nach liegt eine solche Eigenheit schon dann vor, wenn bisher durch intelligentes menschliches Verhalten geprägte Entscheidungsprozesse durch ein selbsttätig Entscheidungen treffendes Verfahren nach Art der künstlichen Intelligenz ersetzt wird, wie dies beim Verfahren nach dem Hilfsantrag der Fall ist.
Der Senat teilt in der vorliegenden Sache die Auffassung der Anmelderin nicht. Er ist aber der Ansicht, dass der Begriff der eine Patentierbarkeit rechtfertigenden Eigenheit für Fälle der Computerimplementierung von Lehren, die nicht auf den herkömmlichen Gebieten der Technik liegen, einer näheren Erläuterung bedarf. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob ein Patentanspruch, bei dem, wie vorliegend, ein im herkömmlichen Sinne nichttechnisches Verfahren im Vordergrund steht, schon durch die Erwähnung einer die Patentierbarkeit rechtfertigenden Eigenheit insgesamt patentiert werden kann oder ob eben nur diese technische Eigenheit Gegenstand eines gewährbaren Anspruchs sein kann.
Zur Klärung dieser auf dem Gebiet der computerimplementierten Erfindungen weiterhin offenen Grundsatzfrage sieht sich der Senat gehalten, nach § 100 Abs 2 Nr 1 PatG die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Grimm Dr. Schmitt Bertl Prasch Hu
BPatG:
Beschluss v. 20.05.2003
Az: 17 W (pat) 44/02
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