Oberlandesgericht München:
Urteil vom 5. Mai 2009
Aktenzeichen: 5 U 4547/08
(OLG München: Urteil v. 05.05.2009, Az.: 5 U 4547/08)
Tenor
I. Auf die Berufung der Kläger zu 1) - 7), 9) - 11), 13) und 14) wird das Endurteil des Landgerichts München I vom 10.06.2008 in diesem Umfang - samt dem Verfahren - aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht München I zurückverwiesen.
II. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Kläger verlangen von den Beklagten Schadensersatz aufgrund einer fehlerhaften Ad-hoc-Mitteilung.
Die Beklagte zu 1) befasste sich international mit dem Handel von Rechten und der Vermarktung von Lizenzen. Die Beklagten zu 2) und 3) werden als Vorstandsmitglieder der Beklagten zu 1) in Anspruch genommen.
Die Beklagte zu 1) gab, noch unter der Bezeichnung E.TV & M. AG firmierend, am 22.03.2000 in einer Ad-hoc-Mitteilung bekannt, dass sie sich mittelbar in Höhe von 50 % an der Holding Gesellschaft S. beteiligen werde, in welcher alle Aktivitäten und Rechte des Formel 1-Rennsports gebündelt seien. Die Kläger bzw. deren Zedenten erwarben im Zeitraum vom 22.03.2000 bis zum 02.08.2000 Aktien der Beklagten zu 1), die sie teilweise zwischenzeitlich weit unter Einstandspreis verkauften, teilweise noch halten.
Die Kläger behaupten unter anderem, dass die Beklagte zu 1) in der Ad-hoc-Mitteilung vom 22.03.2000 sämtliche negativen Aspekte des mitgeteilten Geschäfts verschwiegen habe, insbesondere die vertraglich vereinbarte Put-Option, die die Beklagte dem Risiko ausgesetzt habe, 996 Mio. US-$ für weitere 25 % der Anteile an der S. bezahlen zu müssen. Dies sei ursächlich für den Kaufentschluss der Kläger bzw. ihrer Zedenten gewesen. Die Beklagten hafteten daher aus § 826 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG und § 264 StGB.
Die Beklagten und der Nebenintervenient halten die Ad-hoc-Mitteilung für zutreffend, bestreiten eine Kausalität für die Anlageentscheidungen der Kläger bzw. deren Zedenten und berufen sich auf Verjährung.
Das Landgericht hat mit Endurteil vom 15.05.2007 die Klage (erstmals) abgewiesen. Ansprüche der Kläger gegen die Beklagten seien gemäß § 852 BGB a. F. und Art. 229 § 6 EGBGB verjährt. Offen bleiben könne dabei, ob die Verjährung bereits ab Anklageerhebung gegen die Beklagten zu 2) und 3) mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht München I vom 16.10.2001 zu laufen begonnen habe. Jedenfalls hätten die anwaltlichen Vertreter der Kläger im Januar 2002 Einsicht in die Strafakten erhalten und hierdurch die für die Beurteilung von Schadensersatzansprüchen erforderliche Tatsachenkenntnis erlangt. Die dreijährige Verjährungsfrist sei daher am 31.12.2005 abgelaufen.
Die an diesem Tage beim Landgericht München I eingereichte Klage sei nicht €demnächst€ im Sinne von § 167 ZPO (§ 270 Abs. 3 ZPO a. F.) zugestellt worden, da die Prozessbevollmächtigten der Kläger den erforderlichen Gerichtskostenvorschuss erst am 21.02.2006 einbezahlt hätten.
Mit Endurteil vom 04.12.2007 (Az.: 5 U 3524/07) hat der Senat auf die Berufung der Kläger das Endurteil des Landgerichts München I vom 15.05.2007 samt dem Verfahren aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des Berufungsverfahrens an das Landgericht zurückverwiesen.
Zur Begründung hat der Senat ausgeführt, dass entgegen den Ausführungen im Ersturteil von einer Rückwirkung der Zustellung auszugehen sei, da die Verzögerung nicht in den Verantwortungsbereich der Kläger falle. Die landgerichtliche Entscheidung dahingehend, dass die klägerischen Ansprüche verjährt seien, erweise sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Insbesondere könne für den Beginn der Verjährung nicht auf die Anklageerhebung im Oktober 2001 und die damit einhergehende Presseberichterstattung abgestellt werden. Angesichts der hier bestehenden unübersichtlichen und zweifelhaften Rechtslage erhalte der Geschädigte einen zureichenden rechtlichen Anhalt für eine Klageerhebung frühestens mit der Entscheidung des Gerichts über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 StPO.
Mit Endurteil vom 10.06.2008 hat das Landgericht erneut die Klage abgewiesen, da Ansprüche der Kläger gegen die Beklagten verjährt seien.
Die dreijährige Verjährungsfrist sei bereits Ende 2004 abgelaufen. Mit Anklageerhebung gegen die Beklagten zu 2) und 3) am 16.10.2001 und infolge der begleitenden umfangreichen Presseberichterstattungen im Oktober 2001 hätten die Kläger hinreichende Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person der Schuldner gehabt. Die Bindungswirkung des § 538 ZPO stehe dieser Entscheidung nicht entgegen. Dies ergebe sich daraus, dass der 5. Senat des Oberlandesgerichts München mit seiner Entscheidung vom 04.12.2007 von der Rechtsauffassung anderer Senate des Oberlandesgerichts München dahingehend, dass der Lauf der dreijährigen Verjährungsfrist ab Anklageerhebung beginne, abgewichen sei und gleichwohl die Revision nicht zugelassen habe.
Gegen das landgerichtliche Urteil richtet sich die Berufung der Kläger zu 1) bis 7), 9) bis 11), 13) und 14) mit dem Antrag, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Berufungsbeklagten samtverbindlich zu verurteilen, an die zwölf Berufungskläger insgesamt € 134.975,29 nebst Zinsen zu bezahlen.
Die Berufungskläger sind der Ansicht, dass das Landgericht bei seinem Urteil vom 10.06.2008 die Bindungswirkung des Senatsurteils vom 04.12.2007 nicht beachtet habe. Darüber hinaus stelle sich das Urteil als Überraschungsentscheidung dar. Keiner der Rechtsmittel führenden Kläger habe von der Anklageerhebung gegen die Beklagten zu 2) und 3) im Jahre 2001 Kenntnis erlangt.
Die Beklagten beantragen Zurückweisung der Berufung, der Nebenintervenient darüber hinaus, das Verfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Rechtsstreit II ZR 65/08 auszusetzen.
II.
Die Berufung der Kläger zu 1) bis 7), 9) bis 11), 13) und 14) erweist sich dahingehend als begründet, dass wegen Verstoßes des Erstgerichts gegen die Bindung an die rechtliche Beurteilung des Senats im Urteil vom 04.12.2007 der Rechtsstreit gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (erneut) an das Erstgericht zurückzuverweisen ist.
1. Aus Gründen der Klarstellung ist das Ersturteil darüber hinaus aufzuheben, soweit das Landgericht über die Klagen der vormaligen Klägerinnen zu 8) und 12) entschieden hat. Diese beiden Klägerinnen waren mangels Rechtsmitteleinlegung am Rechtsstreit nicht mehr beteiligt.
2. Im Übrigen hat das Erstgericht bei seiner Entscheidung sehenden Auges die Bindungswirkung entsprechend § 563 Abs. 2 ZPO missachtet, indem es von der Beurteilung durch den Senat im Urteil vom 04.12.2007 abgewichen ist.
a) Der Senat hat im Urteil vom 04.12.2007, die Entscheidung tragend, festgestellt, dass sich die verfahrensfehlerhaft ergangene Entscheidung des Landgerichts vom 15.05.2007 auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweise, mit der Folge, dass der Verfahrensfehler nicht erheblich geworden sei.
19Der Senat hat dazu ausgeführt, dass hinsichtlich des Beginns des Laufs der Verjährung nicht auf die Anklageerhebung gegen die Beklagten zu 2) und 3) im Oktober 2001 und die damit einhergehende umfangreiche Presseberichterstattung abgestellt werden könne. Nach gefestigter BGH-Rechtsprechung könne bei unübersichtlicher oder zweifelhafter Rechtslage der Verjährungsbeginn auch wegen Rechtsunkenntnis hinausgeschoben sein. Einen solchen Fall zweifelhafter Rechtslage hat der Senat insbesondere mit Blick auf eine deliktische Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG angenommen. Der Senat hat dazu weiter ausgeführt, dass der Geschädigte einen zureichenden rechtlichen Anhalt mit der Folge der Zumutbarkeit einer Klageerhebung frühestens mit der Entscheidung des Strafgerichts über die Eröffnung des Hauptverfahrens nach § 203 StPO erlange.
20An diese Beurteilung ist nicht nur der Senat selbst für das weitere Verfahren gebunden, auch das Landgericht hatte bei seiner Entscheidung die Bindungswirkung des entsprechend anwendbaren § 563 Abs. 2 ZPO zu beachten (BGH, Urteil vom 23.06.1992, NJW 1992, 2831, 2832; Beschluss vom 04.05.1994, NJW 1994, 2956, 2957; Urteil vom 21.11.2006 NJW 2007, 1127, 1129; Wieczorek/Schütze, 3. Aufl. 2004, Rdnr. 72 zu § 538 ZPO und Rdnr. 9 zu § 563 ZPO, MüKo-Rimmelspacher, 3. Aufl., Rdnr. 75 zu § 538 ZPO und Rdnr. 9 zu § 563 ZPO; Zöller-Heßler, 27. Aufl., Rdnr. 60 zu § 538 ZPO und Rdnr. 3 a zu § 563 ZPO).
Das Landgericht hat bei Erlass seines Endurteils vom 10.06.2008 nunmehr die Auffassung vertreten, dass die Anklageerhebung gegen die Beklagten zu 2) und 3) am 16.10.2001 und die umfangreichen Presseberichterstattungen im Oktober 2001 den Klägern hinreichende Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person der Schuldner vermittelt habe.
Das Landgericht erkennt zwar die Bindungswirkung nach § 538 ZPO i.V.m. § 563 Abs. 2 ZPO, meint jedoch, dass diese hier ausnahmsweise nicht zur Anwendung komme. Hierzu zitiert das Landgericht die Ausnahmefälle eines Entfallens der Bindungswirkung, wenn das Berufungsgericht in einem anderen Rechtsstreit vor der dortigen Entscheidung seine Rechtsauffassung geändert und die Änderung bekannt gemacht hat oder der Bundesgerichtshof bestimmte Rechtsfragen mittlerweile abweichend entschieden hat.
Dem hält die Berufungserwiderung (Seiten 12 ff.) zu Recht entgegen, dass ein solcher Ausnahmefall nicht vorliegt.
24Die Argumentation des Landgerichts leidet bereits darunter, dass das Wesen der Bindungswirkung gemäß §§ 538, 563 Abs. 2 ZPO verkannt wird. Dies äußert sich darin, dass das Landgericht entscheidend darauf abstellt, dass der erkennende Senat von der Beurteilung anderer Senate des Oberlandesgerichts München abgewichen sei. Eine solche Betrachtung ist indes nicht statthaft, was sich aus der rechtskraftähnlichen Natur der Bindungswirkung (vgl. dazu BGH, Urteil vom 23.06.1992, NJW 1992, 2831, 2832) ergibt.
25Für die Bindungswirkung ist mithin alleine auf das im konkreten Rechtsstreit ergangene Berufungsurteil abzustellen. Insbesondere bleibt ohne Bedeutung, ob dieses Berufungsurteil mit einer überwiegend vertretenen Ansicht oder der Rechtsprechung gleichrangiger Gerichte übereinstimmt. Die Bindung an das zurückverweisende Urteil besteht sogar bei verfassungsrechtlichen Bedenken des unteren Gerichts (BGH, Urteil vom 21.11.2006, NJW 2007, 1127, 1129). Damit soll vermieden werden, dass die endgültige Entscheidung der Sache dadurch verzögert oder gar verhindert wird, dass sie ständig zwischen Berufungsgericht und Revisionsgericht hin- und hergeschoben wird, weil keines der beiden Gerichte seine Rechtsauffassung ändert (BGH, a.a.O., Seite 1129 m.w.N.).
Die vom Landgericht zitierten Ausnahmen sind hier ersichtlich nicht gegeben. Weder hat der erkennende Senat seine dahingehende Rechtsprechung aufgegeben noch liegt eine die Beurteilung des Senats überholende gegenläufige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor. Der Senat hat bei seiner Entscheidung vom 04.12.2007 als Obersatz die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 03.03.2005, NJW-RR 2005, 1148, 1149) wie folgt zitiert:
€Ist die Rechtslage dagegen unübersichtlich oder zweifelhaft, so dass sie selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag, kann der Verjährungsbeginn auch wegen Rechtsunkenntnis hinausgeschoben sein.€
Einen solchen Fall hat der Senat aufgrund der auf Seiten 9 und 10 der Entscheidungsgründe angestellten Erwägungen hier für gegeben angesehen. Aus den während des erneuten Berufungsverfahrens ergangenen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs ergibt sich nichts Abweichendes. Zum einen ist die Frage, ob ein Fall unübersichtlicher und zweifelhafter Rechtslage vorliegt, die eine Klageerhebung als noch nicht zumutbar erscheinen lässt, aufgrund wertender Erkenntnis unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beantworten. Schon von daher stellt sich die Frage der Übertragbarkeit revisionsgerichtlicher Entscheidungen auf das hier vorliegende Verfahren mit Blick auf unterschiedlichem Parteivortrag.
Insbesondere steht der von den Klägern mit Schriftsatz vom 15.10.2008 vorgelegte Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22.09.2008 (II ZR 235/07) dem Senatsurteil vom 04.12.2007 nicht entgegen. Mit der Frage, ob ein Fall €unübersichtlicher und zweifelhafter Rechtslage€ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vorliegt, befasst sich diese Entscheidung nämlich ersichtlich nicht abschließend. In diesem Beschluss heißt es dazu auf Seite 6 wörtlich:
€Zwar kann der Verjährungsbeginn bei unübersichtlicher oder zweifelhafter Rechtslage wegen Rechtsunkenntnis hinausgeschoben sein. Das Berufungsgericht vertritt hier indessen aufgrund seiner vertretbaren Würdigung des vorliegenden Einzelfalls die Auffassung, dass - positive - Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen spätestens im Herbst 2001 im Zusammenhang mit der Kenntnis von der Anklageerhebung vorgelegen habe.€
Nichts anderes ergibt sich aus dem Umstand, dass der Senat in seinem Urteil vom 04.12.2007 die Revision nicht zugelassen hat. Dies bestätigt sich auch im soeben zitierten Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 22.09.2008, in dem es auf Seite 6 im Zusammenhang mit der Frage nach Gründen für eine Zulassung der Revision wörtlich heißt:
€Insoweit hat das Berufungsgericht keinen von höchstrichterlicher oder obergerichtlicher Rechtsprechung abweichenden, die Entscheidung tragenden Rechtssatz aufgestellt.€
Darüber hinaus weist die Berufungserwiderung (Seite 17) in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass keine der Parteien mit dem Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil vorgegangen ist.
3. Der Rechtsstreit ist daher unter Aufhebung des landgerichtlichen Urteils (erneut) an das Landgericht zurückzuverweisen (dazu BGH, Urteil vom 23.06.1992, NJW 1992, 2831, 2833) unter Hinweis auf die fortdauernde Bindungswirkung des Senatsurteils vom 04.12.2007. Für eine Aussetzung des Rechtsstreits besteht kein Anlass.
Das Urteil ist gemäß §§ 708 Nr. 10 und 711 ZPO vorläufig vollstreckbar.
Die Voraussetzungen für eine Revision liegen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Die maßgeblichen Rechtsfragen sind - wie zitiert - vom Bundesgerichtshof geklärt.
OLG München:
Urteil v. 05.05.2009
Az: 5 U 4547/08
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