Bundesgerichtshof:
Urteil vom 21. September 2009
Aktenzeichen: II ZR 174/08
(BGH: Urteil v. 21.09.2009, Az.: II ZR 174/08)
Tenor
I. Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung seiner weitergehenden Revision das Urteil des 23. Zivilsenats des Kammergerichts vom 26. Mai 2008 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Anfechtungsklage des Klägers gegen die Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 27. April 2006 (TOP 3 und 4) abgewiesen worden ist.
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. April 2007 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 27. April 2006
(TOP 3) "den im Geschäftsjahr 2005 amtierenden Mitgliedern des Vorstands wird für diesen Zeitraum Entlastung erteilt,"
(TOP 4) "den im Geschäftsjahr 2005 amtierenden Mitgliedern des Aufsichtsrats (exklusive Frau Dr. h.c. F. S. ) wird für diesen Zeitraum Entlastung erteilt,"
"dem im Geschäftsjahr 2005 amtierenden Mitglied des Aufsichtsrats Frau Dr. h.c. F. S. wird für diesen Zeitraum Entlastung erteilt"
werden für nichtig erklärt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. 1. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz werden wie folgt verteilt:
Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Beklagten tragen der Kläger und die Streithelferin jeweils 1/6, die Beklagte 2/3. Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Streithelferin trägt die Beklagte jeweils 2/3; im Übrigen tragen die Beteiligten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
2. Von den Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens tragen die Beklagte 2/3, der Kläger 1/3.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Kläger ist Aktionär der Beklagten, die im März 2006 zur Hauptversammlung am 27. April 2006 einlud. In der Einladung zur Hauptversammlung der Beklagten heißt es u.a.:
"Zur Teilnahme an der Hauptversammlung und der Ausübung des Stimmrechts ist jeder im Aktienregister der Gesellschaft eingetragene Aktionär berechtigt, wenn er die Anmeldung zur Teilnahme spätestens am fünften Tag vor der Hauptversammlung, d.h. ... spätestens am Freitag, dem 21. April 2006, beim Vorstand der A. S. AG schriftlich, per Telefax ... oder per E-mail ... eingereicht hat. ... Ein Anmeldeformular wird unseren Aktionären direkt übersandt.
Während der Vorbereitung zur Hauptversammlung können aus arbeitstechnischen Gründen keine Umschreibungen im Aktienregister vorgenommen werden, d.h. Erwerber von Aktien, deren Umschreibungsanträge nach dem 21. April 2006 bei der Gesellschaft eingehen, können daher Teilnahmerechte und Stimmrechte aus diesen Aktien nicht ausüben. ... In solchen Fällen bleiben Teilnahme- und Stimmrecht bis zur Umschreibung noch bei dem im Aktienregister eingetragenen Aktionär. Darüber hinaus können Anträge zur Umschreibung des Aktienregisters, die zeitnah vor dem 21. April 2006 bei der Gesellschaft eingehen, im Hinblick auf die erforderliche Überprüfung der Voraussetzungen für die Erteilung der Zustimmung zum Erwerb gemäß § 5 Abs. 3 der Satzung gegebenenfalls nicht mehr zu einer rechtzeitigen Eintragung des Erwerbers in das Aktienregister führen, um eine Teilnahme an der Hauptversammlung zu ermöglichen. Sämtliche Erwerber von Aktien der Gesellschaft, die noch nicht im Aktienregister eingetragen sind, werden daher gebeten, Umschreibungsanträge so zeitnah wie möglich zu stellen.
Teilnahme- und stimmberechtigt sind die am Tag der Hauptversammlung im Aktienregister eingetragenen und rechtzeitig angemeldeten Aktionäre. ..."
Nach § 19 der Satzung der Beklagten sind im Aktienbuch eingetragene und rechtzeitig angemeldete Aktionäre zur Teilnahme an der Hauptversammlung und zur Ausübung des Stimmrechts berechtigt, wobei die Anmeldung spätestens am fünften Tag vor der Hauptversammlung eingereicht werden muss. Nach § 5 Abs. 3 der Satzung der Beklagten bedarf die Übertragung der Aktien der Zustimmung der Gesellschaft, die der Vorstand erteilt und über deren Erteilung der Aufsichtsrat beschließt. Der Aufsichtsrat hat mit Beschluss vom 31. Oktober 1986 einer Übertragung von Aktien mit Ausnahme der Übertragung an einen Wettbewerber und an einen Erwerber, der bestimmte Beteiligungsgrenzen überschreitet oder die Unternehmensgrundsätze nicht teilt, im Voraus zugestimmt.
Die Beklagte hat in ihrer Entsprechenserklärung vom Dezember 2005 mitgeteilt, dass sie den Empfehlungen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex (im Folgenden: DCGK) mit Abweichungen bei den Empfehlungen 4.2.3, 4.2.4, 5.4.7 und 7.1.4 entspreche und mit weiteren Ausnahmen bei den Empfehlungen 5.4.5 und 7.1.2 seit der Entsprechenserklärung vom Dezember 2004 entsprochen habe. Aufsichtsrat der Beklagten war u.a. P. , der gleichzeitig Aufsichtsrat der Pr. AG und Vorstandsvorsitzender der H. & F. LLC. (im Folgenden: H & F) war, die an der Pr. AG beteiligt war. Die Beklagte erwog, die Pr. AG zu übernehmen. Bei Beschlüssen des Aufsichtsrats der Beklagten zur Übernahme enthielt sich P. der Stimme. Im Bericht des Aufsichtsrats an die Hauptversammlung vom 7. März 2006 sind ein Interessenkonflikt des Aufsichtsratsmitglieds P. und seine Behandlung nicht erwähnt.
In der Hauptversammlung am 27. April 2006, an der der Kläger teilnahm, wurde u.a. die Entlastung des Vorstands (TOP 3), die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder (TOP 4) und eine Ermächtigung der Beklagten zum Erwerb und zur Verwendung eigener Aktien (TOP 6) beschlossen. Vor der Abstimmung über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder ordnete der Hauptversammlungsleiter an, dass über die Entlastung des Aufsichtsrats getrennt abgestimmt werden sollte, in der ersten Abstimmung über die Entlastung aller Aufsichtsratsmitglieder ausschließlich der Aufsichtsrätin S. , in einer zweiten Abstimmung über die Entlastung von Frau S. , weil für diese als mittelbare bzw. unmittelbare Aktionärin ein Stimmverbot bestehe. Entsprechend wurde verfahren. Der Kläger erklärte gegen die Beschlüsse Widerspruch zu Protokoll des Notars.
Der Kläger hat mit seiner Nichtigkeits- und Anfechtungsklage die Entlastungsbeschlüsse (TOP 3 und 4) und den Beschluss über die Ermächtigung zum Erwerb und zur Verwendung eigener Aktien (TOP 6) angegriffen. Er meint, die Beschlüsse seien nichtig, weil die Beklagte einen weder in der Satzung noch im Gesetz vorgesehenen Umschreibungsstopp verhängt habe. Außerdem habe sie sich unausgesprochen eine unbestimmte zusätzliche Frist für die Einreichung von Umschreibungsanträgen bewilligt. Der Versammlungsleiter habe keine gesonderte Abstimmung über die Entlastung von Frau S. anordnen dürfen. Die Entlastungsbeschlüsse seien ferner anfechtbar, weil vor der Hauptversammlung nicht auf den Interessenkonflikt von P. hingewiesen worden sei. Schließlich seien Fragen des Klägers unzureichend und unzutreffend beantwortet worden.
Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Dagegen richtet sich die hinsichtlich der Anfechtungsklage gegen den Tagesordnungspunkt 4 vom Berufungsgericht, im Übrigen vom erkennenden Senat zugelassene Revision des Klägers.
Gründe
Die Revision des Klägers führt zur Nichtigerklärung der in der Hauptversammlung vom 27. April 2006 gefassten Entlastungsbeschlüsse. Im Übrigen bleibt sie erfolglos.
I. Entgegen der Ansicht der Revision sind die auf der Hauptversammlung der Beklagten vom 27. April 2006 gefassten Beschlüsse nicht gemäß § 241 Nr. 1 AktG i.V.m. § 121 Abs. 3 Satz 2 AktG a.F. (in der bis 31. August 2009 gültigen Fassung, § 20 Abs. 1 EGAktG) wegen eines Einladungsmangels nichtig oder nach § 243 Abs. 1 AktG anfechtbar.
1. Mit einem Stopp für die Bearbeitung von Umschreibungsanträgen wird keine gesetzes- oder satzungswidrige Teilnahmebeschränkung aufgestellt bzw. keine unrichtige Teilnahmebedingung mitgeteilt. Die Gesellschaft darf Umschreibungen im Aktienregister für einen gewissen Zeitraum vor Durchführung der Hauptversammlung aussetzen (MünchKommAktG/Bayer 3. Aufl. § 67 Rdn. 93; Cahn in Spindler/Stilz, § 67 Rdn. 68; Ziemons in K. Schmidt/Lutter, AktG § 123 Rdn. 16; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG § 67 Rdn. 23; Hüffer, AktG 8. Aufl. § 67 Rdn. 20; Merkt in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 67 Rdn. 105; Wieneke in Bürgers/Körber, AktG § 67 Rdn. 27; a.A. Diekmann, BB 1999, 1985). Sie darf eine Bearbeitungszeit in Anspruch nehmen, um die Teilnehmerliste (§ 129 Abs. 1 Satz 2 AktG) und das Aktienregister in Übereinstimmung zu bringen (BT-Drucks. 14/4051 S. 11). Das Interesse an einer ordnungsgemäßen Vorbereitung der Hauptversammlung überwiegt das Interesse eines Erwerbers an der raschen Eintragung im Aktienregister. Der Gesetzgeber hat dies bei Namensaktien für so selbstverständlich erachtet, dass er ausdrücklich auf eine gesetzliche Regelung verzichtet hat (BT-Drucks. 15/5092 S. 14). Die Bearbeitungszeit ist nicht auf den technisch unvermeidbaren Zeitraum beschränkt, sondern in Anlehnung an die demselben Zweck dienende Frist für den Zugang des Nachweises der Teilnahmeberechtigung bei Inhaberaktien (§ 123 Abs. 3 Satz 3 AktG a.F.) bzw. die Anmeldefrist (§ 123 Abs. 2 Satz 3 AktG a.F.) zu bestimmen (Ziemons in K. Schmidt/Lutter, AktG § 123 Rdn. 16; T. Bezzenberger in K. Schmidt/Lutter, AktG § 67 Rdn. 23; MünchKommAktG/ Bayer 3. Aufl. § 67 Rdn. 93; Hüffer, AktG 8. Aufl. § 67 Rdn. 20; Cahn in Spindler/Stilz, § 67 Rdn. 68; a.A. Merkt in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 67 Rdn. 105; Noack, ZIP 1999, 1993, 1997). Da während dieser Bearbeitungszeit die Eintragung neuer Aktionäre vollständig unterbleiben darf, ist das Vorgehen der Beklagten erst recht zulässig, nur die nach dem Stichtag neu eingehenden Umschreibungsanträge nicht mehr zu bearbeiten, aber bei zuvor gestellten Anträgen noch Umschreibungen vorzunehmen. Die zulässige Höchstfrist für einen Umschreibungsstopp ist eingehalten. Nicht mehr bearbeitet werden nur die Anträge, die nach dem statutarisch bestimmten Anmeldeschluss eingehen.
2. Die Aufforderung, Umschreibungsanträge möglichst rechtzeitig vor der Hauptversammlung zu stellen, ist keine Beschränkung der Teilnahmerechte und kein Verstoß gegen Satzung oder Gesetz. Die Einladung zur Hauptversammlung verfehlt die Mindestangaben (§ 121 Abs. 3 AktG a.F.) nicht und beschränkt keine Teilnahmerechte, wenn zusätzliche Empfehlungen gemacht werden, solange diese nicht irreführend sind und nicht unzutreffend als Teilnahmevoraussetzung erscheinen. Das ist bei einer Empfehlung, Umschreibungsanträge möglichst zeitnah nach der Einladung zur Hauptversammlung zu stellen, nicht der Fall. Die Beklagte lässt sich entgegen der Ansicht der Revision keinen Freibrief für eine zeitliche Verzögerung der Umschreibung ausstellen. Die Pflicht zur möglichst raschen Umschreibung wird mit der Empfehlung und der dafür gegebenen Begründung, dass eine Überprüfung der Umschreibungsvoraussetzungen aufgrund der Vinkulierung möglicherweise Bearbeitungszeit benötige, nicht aufgehoben. Diese Überprüfung kann eine gewisse Zeit beanspruchen, weil nicht immer kurzfristig zu klären ist, ob die Voraussetzungen vorliegen, unter denen ohne Befassung des Aufsichtsrats entsprechend seinem Beschluss vom 31. Oktober 1986 umgeschrieben werden kann, oder ob nicht doch der Aufsichtsrat seine Zustimmung individuell erteilen muss, ehe umgeschrieben werden kann. So kann die Ermittlung der Beteiligungsquoten bei mittelbarer Beteiligung ebenso weitere Nachprüfungen und Nachfragen notwendig machen wie die Ermittlung, ob ein Erwerber Wettbewerber der Beklagten ist.
II. Die Beschlüsse über die Entlastung des Vorstands und des Aufsichtsrats sind dagegen für nichtig zu erklären.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass der Beschluss zur Entlastung des Aufsichtsrats nicht schon deshalb anfechtbar ist, weil über die Entlastung des Aufsichtsratsmitglieds Frau S. gesondert abgestimmt wurde. Der Versammlungsleiter durfte über die Entlastung von Frau S. gesondert abstimmen lassen. Da er befugt war, insgesamt Einzelentlastung anzuordnen, konnte er auch eine Einzelabstimmung für ein oder mehrere namentlich benannte Organmitglieder anordnen. Die Entscheidung, ob über die Entlastung des Aufsichtsrats zusammen oder über die Entlastung jedes einzelnen Aufsichtsratsmitglieds getrennt abzustimmen ist, steht im Ermessen des Versammlungsleiters. § 120 Abs. 1 AktG verbietet dem Versammlungsleiter nicht, über die Entlastung einzeln abstimmen zu lassen (MünchKommAktG/Kubis 2. Aufl. § 120 Rdn. 12; Mülbert in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 120 Rdn. 106; Zöllner in Kölner Komm.z.AktG § 120 Rdn. 17; Hüffer, AktG 8. Aufl. § 120 Rdn. 10; Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG § 120 Rdn. 15; Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG § 120 Rdn. 26; Pluta in Heidel, AktG 2. Aufl. § 120 Rdn. 21; Reger in Bürgers/Körber, AktG § 120 Rdn. 8; a.A. Stützle/ Walgenbach, ZHR 155 [1991], 516, 534; Martens, Leitfaden für die Leitung der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft, 3. Aufl. S. 81).
a) Dem Wortlaut der Vorschrift lässt sich ein solches Verbot nicht entnehmen. § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG verhält sich über die Abstimmungsmodalitäten nicht, sondern ordnet lediglich an, dass die Hauptversammlung über die Entlastung zu beschließen hat. Aus dem Gebot des § 120 Abs. 1 Satz 2 AktG, über die Entlastung eines einzelnen Mitglieds gesondert abzustimmen, wenn die Hauptversammlung es beschließt oder eine Minderheit es verlangt, lässt sich nicht der Umkehrschluss ziehen, dass in allen anderen Fällen die Organe nur zusammen entlastet werden dürfen. Darin werden nur die Voraussetzungen geregelt, unter denen über die Entlastung einzeln abgestimmt werden muss.
b) Auch der Normzweck von § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG gebietet keine Gesamtentlastung. Sie dient der Vereinfachung und Beschleunigung des Ablaufs der Hauptversammlung, und § 120 Abs. 1 Satz 1 AktG schafft erst die Befugnis des Versammlungsleiters, von der an sich nahe liegenden und in Hauptversammlungen oft geforderten Einzelentlastung abzusehen. Ob der Vorstand oder der Aufsichtsrat jeweils einzeln oder zusammen entlastet werden soll, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Die sachgerechte und zweckmäßige Leitung der Hauptversammlung obliegt grundsätzlich dem Versammlungsleiter, soweit sie weder durch Gesetz noch durch Satzung noch durch einen Geschäftsordnungsbeschluss der Hauptversammlung geregelt ist. Für eine Beschränkung seines Ermessens auf das Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung für eine Einzelentlastung besteht kein Grund. Die Entscheidung ist unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten zu treffen und setzt nicht einen weitergehenden sachlichen Grund für die Einzelentlastung voraus (Hüffer, AktG 8. Aufl. § 120 Rdn. 10; MünchKommAktG/Kubis 2. Aufl. § 120 Rdn. 12; Semler in Münch. HdB z. Gesellschaftsrecht Bd. 4 AG 3. Aufl. § 34 Rdn. 24; Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG § 120 Rdn. 15; Reger in Bürgers/Körber, AktG § 120 Rdn. 8; Mülbert in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 120 Rdn. 106; a.A. Spindler in K. Schmidt/Lutter, AktG § 120 Rdn. 26; Pluta in Heidel, AktG 2. Aufl. § 120 Rdn. 21).
c) Die Gesamtentlastung ist entgegen der von dem Kläger in den Vorinstanzen vertretenen Ansicht nicht zum Schutz der Minderheitsaktionäre erforderlich, um eine Umgehung von etwa bestehenden Stimmverboten nach § 136 Abs. 1 AktG durch die Anordnung einer Einzelentlastung zu verhindern (a.A. OLG München WM 1995, 842). Wenn ein Aktionär von der Entscheidung über die Entlastung eines anderen Verwaltungsmitglieds in gleicher Weise betroffen ist und dabei quasi als "Richter in eigener Sache" tätig wird - etwa weil er an einem Vorgang beteiligt war, der dem Organmitglied, um dessen Entlastung es geht, als Pflichtverletzung vorzuwerfen ist -, so erstreckt sich das Stimmverbot auch bei Einzelentlastung auf die Entscheidung über die Entlastung des anderen Verwaltungsmitglieds (vgl. BGHZ 97, 28, 33; Hüffer, AktG 8. Aufl. § 120 Rdn. 10 und § 136 Rdn. 20; MünchKommAktG/Schröer 2. Aufl. § 136 Rdn. 8; Grundmann in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 136 Rdn. 32; a.A. Hoffmann in Spindler/Stilz, AktG § 120 Rdn. 20). Wo sich das Verbot der Entscheidung über die eigene Entlastung (§ 136 Abs. 1 AktG) dagegen nicht auf die Entscheidung über die Entlastung eines anderen Verwaltungsmitglieds erstreckt, kann mit der Einzelentlastung auch kein Stimmverbot umgangen werden. Soweit aus der Entscheidung BGHZ 108, 21, 25 zu entnehmen sein sollte, dass sich ein Stimmverbot immer auf die Entscheidung über die Entlastung der übrigen Organmitglieder erstreckt (so auch Zöllner in Kölner Komm.z.AktG § 120 Rdn. 18; ähnlich Mülbert in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 120 Rdn. 112), hält der Senat daran nicht fest.
2. Die Entlastungsbeschlüsse für Vorstand und Aufsichtsrat sind aber für nichtig zu erklären, weil die Entsprechenserklärung gemäß § 161 Satz 1 AktG a.F. hinsichtlich der Einhaltung der Empfehlung 5.5.3 des DCGK unrichtig geworden war und nicht berichtigt wurde. Ist die Entsprechenserklärung von vorneherein in einem nicht unwesentlichen Punkt unrichtig oder wird sie bei einer später eintretenden Abweichung von den DCGK-Empfehlungen in einem solchen Punkt nicht umgehend berichtigt, so liegt darin ein Gesetzesverstoß (§ 243 Abs. 1 AktG), der dem Verstoß zuwider gefasste Entlastungsbeschlüsse anfechtbar macht (Sen.Urt. v. 16. Februar 2009 - II ZR 185/07, ZIP 2009, 460, z.V.b. in BGHZ 180, 9 Tz. 19 "Kirch/Deutsche Bank"). Gemäß § 161 Satz 1 und 2 AktG a.F. haben Vorstand und Aufsichtsrat der börsennotierten Gesellschaft jährlich zu erklären, dass den Empfehlungen zum DCGK entsprochen wurde und wird oder welche Empfehlungen nicht angewendet wurden oder werden; außerdem ist diese Erklärung den Aktionären dauerhaft zugänglich zu machen.
a) Die Entsprechenserklärung des Vorstandes und des Aufsichtsrats der Beklagten vom Dezember 2005 wurde hinsichtlich ihres in die Zukunft gerichteten Inhalts unrichtig, weil im Bericht an die Hauptversammlung (§ 171 Abs. 2 AktG) im März 2006 entgegen der Empfehlung 5.5.3 des DCGK über den bei dem Aufsichtsratsmitglied P. aufgetretenen Interessenkonflikt und seine Behandlung nicht informiert wurde. Die Beklagte hat selbst eingeräumt, dass sie hinsichtlich dieses Aufsichtsratsmitglieds im Hinblick auf die Übernahme der Pr. AG von einem Interessenkonflikt ausgegangen ist, dem dadurch Rechnung getragen wurde, dass sich dieses Aufsichtsratsmitglied bei der Beschlussfassung der Stimme enthielt. Die Entsprechenserklärung vom Dezember 2005 wurde nach dem weder den Interessenkonflikt noch seine Behandlung erwähnenden Bericht an die Hauptversammlung auch nicht umgehend dahin berichtigt, dass die Beklagte der Empfehlung 5.5.3 des DCGK nicht gefolgt sei bzw. ihr nicht mehr folgen wolle.
b) Die Unrichtigkeit betraf auch einen nicht unwesentlichen Punkt der Entsprechenserklärung. Die Verpflichtung, über aufgetretene Interessenkonflikte und ihre Behandlung im Bericht an die Hauptversammlung zu informieren (5.5.3 DCGK), ist grundsätzlich ein nicht unwesentlicher Punkt der Entsprechenserklärung (Sen.Urt. aaO). Wenn die Unrichtigkeit der Entsprechenserklärung - wie bei einem Verstoß gegen die Empfehlung in 5.5.3 Satz 1 DCGK - auf einer Informationspflichtverletzung beruht, muss die unterbliebene Information für einen objektiv urteilenden Aktionär für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechte darüber hinaus relevant sein, um die schwere Folge der Anfechtbarkeit auszulösen. Da nur eindeutige und schwerwiegende Gesetzesverstöße die Entlastungsentscheidung anfechtbar machen (Senat, BGHZ 153, 47, 51), muss der in der unrichtigen Entsprechenserklärung liegende Verstoß über einen Formalverstoß hinausgehen und auch im konkreten Einzelfall Gewicht haben. Bei einem Verstoß gegen die Empfehlung 5.5.3 des DCGK wird die Entsprechenserklärung erst aufgrund einer Informationspflichtverletzung - der fehlenden Erwähnung des Interessenkonflikts im Bericht an die Hauptversammlung - unrichtig. Die unrichtige oder unvollständige Erteilung von Informationen ist aber nach der auch in diesem Zusammenhang zu beachtenden Wertung in § 243 Abs. 4 Satz 1 AktG nur von Bedeutung, wenn ein objektiv urteilender Aktionär die Informationserteilung als Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seines Teilnahme- und Mitgliedschaftsrechts ansähe. An der Relevanz für den Aktionär kann es fehlen, wenn der Interessenkonflikt und seine Behandlung bereits aus allgemeinen Quellen bekannt sind (vgl. Sen.Urt. v. 16. Februar 2009 - II ZR 185/07, ZIP 2009, 460, z.V.b. in BGHZ 180, 9 Tz. 22 "Kirch/Deutsche Bank") oder beides - etwa wegen Geringfügigkeit - nicht geeignet ist, die Entscheidungen eines objektiv urteilenden Aktionärs zu beeinflussen.
Der in der Person des Aufsichtsratsmitglieds P. bestehende Interessenkonflikt und seine Behandlung im Aufsichtsrat waren in diesem Sinn für die Beurteilung durch einen objektiv urteilenden Aktionär relevant. Es handelt sich nicht um einen geringfügigen Interessenkonflikt. Die geplante Übernahme der Pr. AG hatte für die Beklagte erhebliche Bedeutung. P. stand als Aufsichtsrat auf beiden Seiten, und die von ihm repräsentierte H & F verfolgte in beiden Gesellschaften ihre Interessen. Jedenfalls die Behandlung des Interessenkonflikts im Aufsichtsrat der Beklagten war auch nicht allgemein bekannt.
c) Der Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse steht es nicht entgegen, dass die Beklagte noch auf der Hauptversammlung ein Versehen bei der Abfassung des Berichts eingeräumt hat. Dies hat zwar den erschienenen Aktionären vor der Abstimmung vor Augen geführt, dass die Erklärung der Verwaltungsorgane unrichtig war, macht aber den Gesetzesverstoß allein schon im Hinblick auf die in der Hauptversammlung nicht erschienenen Aktionäre nicht hinfällig (vgl. Senat aaO Tz. 28). Auf die Mehrheitsverhältnisse im Sinne einer Kausalbetrachtung kommt es nicht an.
III. Keinen Erfolg hat die Anfechtungsklage gegen den Beschluss zum Erwerb eigener Aktien (TOP 6). Der Beschluss ist - was der Kläger mit Recht nicht geltend macht - nicht im Hinblick auf die unrichtige Entsprechenserklärung anfechtbar. Anders als der Kläger meint, ist er auch nicht wegen einer Verletzung des Informationsrechts des Klägers (§ 131 Abs. 1 AktG) anfechtbar.
1. Die Abweisung des Auskunftsbegehrens des Klägers im Verfahren nach § 132 AktG durch das Landgericht Berlin entfaltet allerdings - anders als das Landgericht angenommen, das Berufungsgericht aber unentschieden gelassen hat - im Anfechtungsprozess keine Bindungswirkung (BGHZ 86, 1, 3; Sen.Urt. v. 16. Februar 2009 - II ZR 185/07, ZIP 2009, 460, z.V.b. in BGHZ 180, 9 Tz. 35 "Kirch/Deutsche Bank").
2. Das Berufungsgericht hat aber in eigener tatrichterlicher Verantwortung und ohne revisionsrechtlich relevante Fehler mit Recht angenommen, dass die erteilten Auskünfte weder unrichtig noch unvollständig waren. Der Senat hat die dagegen erhobenen Verfahrensrügen geprüft, aber für nicht durchgreifend erachtet (§ 564 ZPO).
Davon abgesehen waren die angeblich unzureichend oder falsch erteilten Auskünfte für die Beschlussfassung über den Erwerb eigener Aktien nach Tagesordnungspunkt 6 nicht relevant (§ 243 Abs. 4 Satz 1 AktG). Ein objektiv urteilender Aktionär hätte die Erteilung der Information nicht als wesentliche Voraussetzung für die sachgerechte Wahrnehmung seiner Teilnahme- oder Mitgliedschaftsrechte zu diesem Tagesordnungspunkt angesehen. Die Vorgänge aus den Jahren 2003 und 2004, zu denen der Kläger mit den Fragen 7 und 8 Informationen verlangt hat, haben mit der Entscheidung zu Tagesordnungspunkt 6 über den Erwerb eigener Aktien von H & F zur Unterstützung des Unternehmensbeteiligungsprogramms ab 2006 und den Rückerwerb von solchen Aktien von ausscheidenden Vorstandsmitgliedern unmittelbar nichts mehr zu tun. Dass ein in der Vergangenheit liegender Vorfall Dauerwirkung hat, verpflichtet die Gesellschaft nicht zu Auskünften ohne zeitliche Beschränkung, wenn ein Gegenstand der aktuellen Tagesordnung nur berührt wird, weil sich die damalige Weichenstellung weiterhin auswirkt (vgl. Decher in Großkomm.z.AktG 4. Aufl. § 131 Rdn. 151). Die erfragten Vorgänge zu den Umständen und Vereinbarungen eines Aktienerwerbs von H & F, der Beklagten und Frau S. betreffen das Unternehmensbeteiligungsprogramm. Das Unternehmensbeteiligungsprogramm wurde bereits 2004 eingeführt, und die 2006 fortbestehende Ermächtigung dazu hat die Hauptversammlung bereits 2004 erteilt. Entgegen der Ansicht der Revision musste bei dem Beschluss zu Tagesordnungspunkt 6 nicht erneut über die Konzeption des Unternehmensbeteiligungsprogramms befunden werden. Die 2006 begehrte Ermächtigung zum Erwerb eigener Aktien betrifft nur noch den Aktienerwerb von H & F zur Erfüllung dieses Programms. Die Erfüllung der eingegangenen vertraglichen Verpflichtung stand nicht mehr zur Disposition der Beklagten.
Goette Kraemer Caliebe Drescher Löffler Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 26.04.2007 - 93 O 86/06 -
KG Berlin, Entscheidung vom 26.05.2008 - 23 U 88/07 -
BGH:
Urteil v. 21.09.2009
Az: II ZR 174/08
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